Nr. 5 ♦»Z.�ahrgtwg
7. Beilage des Vorwärts
dienstag, 5. Januar 1926
P?fiitsderTier§cluife I
ll�>(»> vji Ay � /v j
In einer Zeit, wo HunderUausend« ein Hundeleben führen müssen, sind 70 Mark Hundesteuer eine grohe Summ«.— trotz Ratenzahlung, trotz Stundung bleiben sie es— unerschwinglich, nicht mehr abzusparen von dem Wenigen, von vielen, die sich ihren vierbeinigen Freund und bescheidenen Beschützer durch schwere Jahre in der Hossnung auf Besserung mit durchgefüttert haben. Jetzt geht es nicht mehr..Jetzt mutzt du weg/ das bedeutet für die Aufgegebenen, zu einem anderen guten Herrchen oder Frauchen— oder— die Blausäurespritze. Datz die Menschen setzt aber andere Sorgen haben und wenig Steigung zeigen, durch Aufnahme eine» Hundes ihr Hauehaltsbudget weiter anzuspannen, mutzten in den letzten Tagen zwischen Weihnachten und Reujahr insgesamt einige tausend dies« Vierbeiner erfahren. vas Schicksalshaus In der Schicklerstraße. Dos freundlich« kleine Hau» de« Tierschutzoereins da in der Schicklersiratz e. fast an den Eisenbahnbogen angelehnt, sonst von den wenigsten Possanten beachtet, wird seit Tagen van einer dichten lU�ilschenmasse umlagert. Herrchen und Frauchen stehen hier dicht gedrängt, um Bella oder Flock oder Pussi, die Aufgegebenen der Giftspritze zu überantworten, wie sie auch hier stehen, von dem schwirrenden Stimmgewirr eingehüllt, am Abfertigung warten: man sieht e» ihnen an. datz ihnen der Weg hierher nicht leicht gefallen ist. Ein kleiner Bengel hält seinen.Strolch", einen ruppigen Aterbeiner am Halsband. Immer wieder fahren die kleinen Hönde durch das struppige Fell:.Armer Strolch." Wenn er mit der Menge bis vor den Eingang gedrängt Ist. windet er stch wieder heraus, stellt sich wieder hinten an und streichelt und streichelt immer wieder. Aus den Gesprächen der Wartenden, die mit heftigem Eifer geführt werden, klingt die Härte unserer Zeit, dabei greisen die ......."ell der lustig stch tummelnden Delinquenten,
Hände oft tosend in da« die sich in der großen
Versammlung ihrer Leidensgenossen stchlllch
wohlfühlen. Es wäre oerwunderlich, wenn nicht' auch diese G«' legenheit von Geschäftstüchtigen als Gewinnmöglichkeit benützt würde. Mit suchender Gebärde schieben stch einige durch die Menge, Händler, Züchter und laiche, die überall dabei sind, wo Geschäft und Gewinn in Aussicht stehen. Hunde von Wert sind natürlich selten, aber doch finden sie Exemplare, die Verkaufswert, Handels- wert besitzen. Wenn sie so ein Objekt entdeckt haben, dann hebt ein vorsichtiges Fragen an, ganz naiv, bieder..Ooch, den schönen Hund wollen Sie vergisten lassen? Ooch!" Dabei streichelt der Frager liebevoll den Begehrten und hat dabei schon sachkundig den Maulkorb abgestreift, streichelt, fühlt, und beguckt stch.sein" Hund-
wollen Sie wohl nicht weggeben?"— Und stehe da, das wollen die Besitzer schon, nur besinnen sie stch, daß aus dem Wunsche des Anderen sich ein kleines Geschäftchen entwickeln läßt, denn man weiß schließlich Bescheid, und hat schnell begriffen, wen man vor
Vom Tode errettet !Ich hat Die verlangten Dreis « für solche VlaustKmkanMbolen lad recht verschieden, oft in Anbetracht de» Borhabens, da» noch zwei Reichsmark an Gebühren oerschlingt, recht hoch.— Na. man
einigt sich und manches Geschäft wird an Ort und Stell« oder im nächsten Lokal perfekt. So kommt es. datz noch mancher Vierfüßler am Leben bleibt. Da stnd noch andere, die von der Gelegenheit abgelockt, Gewinn suchen. Sie flankieren unablässig mtt einem
Wolf oder Flock um den Menschenhaufen herum, haben absolut nicht die Absicht, stch de» Hundes durch Gift zu entledigen, nein,
sie gehören zu den Gelegenheitsmachero— siehe oben— und suchen eine Säuser, wenn nicht heute, dann morgen, so lange, wie man an dieser Stelle auf Absatz rechnen kann. 3m flufaahmeraum. Da drinnen im Aufnahmeraum geht es sehr rasch, für die, die sich von ihrem Hund trennen müssen: es sind auch noch andere da. die für ihren vierbeinigen Schützling tierärztliche Hilfe heischen. Da sitzt ein« Frau mit einem Pintscher, der so schrecklich hustet: da sitzt ein Junge mit einer gelben Stage, die er wohlocrpackt im Ann halt. Ein großer Hund hat sie gebissen. Man hört es aus der Decke heraus, datz er sehr groß gewesen sein mutz. Mit großen und kleinen Haustieren sitzen sie hier, Frauen meistens, aber auch Männer, Kinder, und warten, bis sie und ihre Schützlinge heran- kommen. Wenn die Tür zum Behandlungszimmer für Sekunden sich öffnet, sieht man blanke Tische, blitzende Instrumente und geschäftige Gestalten mit weißen und gestreiften Kitteln. So viel Aushebens ist nicht mehr um die Todeskandidaten. Wohl sind die Tötungsgebühren schnell erlegt und die Formalitäten der Ueber- antwortung schnell erledigt— aber wie lange dauert es diesmal, bis Halsband und Maulkorb gelöst stnd. Immer wieder verheddern die zitterirden Hände die Riemen und Riemchen. Wenn er erst frei von Korb und Halsband ist, geht es fix, noch einmal gleiten die Hände über da« Fell— und schwapp iit er schon hinter einer schnappenden Tür— staunt erschreckt und sängt ein mordsmäßiges Gejaule an, bellt und heull bis drei Hände fester zupacken— in der vierten blitzt ein winziges Instrument— die Spritze: dann ein Ruck— er will noch hoch, beißen, sich wehren, da ist es schon vorbei — wenn Herrchen gerade vorne die Türe hinter sich schließt, um Maulkorb und Leine nach Hause zu tragen. Wenn man am Stadt- bahnbogen vorbeikommt, wo sich die Zwinger der hundesang- abteilung befinden, wird man unwillkürlich aufgehalten von dem Hundelärm, der durch die Mauern dringt. Hier warten einige Dutzend Findlinge, Hunde und Katzen, daß sie von ihren Besitzern abgeholt werden, oder bis auch sie die.Spritze" erlöst. Wie richten sie stch erwartmd hinter dem Drahtgitter auf, wenn man den trüben Raum, aus dem einem eine Welle beißenden Geruchs ent- gegenschlägt— und das Bellen wird zu Höllenlärm. * Bleibt man stehen cm einem Käfig, der einen oder mehrere Tiere, natürlich nach Gattungen getrennt, beherbergt, dann presien stch edle, dicke oder struppige Köpfe an das Gitter und eine rote Zunge sucht die Hand zu erhaschen. Diel gibt es hier nicht zu sehen, Gitter, Stroh und Hund«, muntere und müde, alle Rassen und solche ohne Merkmale einer bestimmten Rasse— eben Hunde. Lange noch gellt das Gekläff, wenn man schon in der erheblich frischeren Straßen- luft steht., »• Teilweise hunöesperre in Groß-Serlin. Ab ö. Januar. Durch die Untersuchung des Gchirns eines getöteten Schäfer- Hunde», der dem Gosthofbesitzer Heinrich Lange—„Restauraitt zur Walzmühle" in' Bernau-Süd— angehörte, ist, wie der Polizei- Präsident mitteilt, Tollwut festgestellt worden. Der Hund hatte im Wutstadium mehrere Menschen gebissen. Er ist vermutlich insisziert worden durch einen herrenlosen unbekannten Hund, der Anfangs Dezember den Langeschen Schäferhund gebissen hat. Von diesem fremden Hund stnd dem Vernehmen nach ebenfalls mehrere Men- schen durch Bisse oerletzt worden. Der Polizeipräsident hat daraufhin— entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen über den Umfang des zu bildenden Sperr- bezirk»— für folgende Ortsteile Berlins die sogenannte Hunde- sperre angeordnet: im Bezirk des Polizeiantts Weißensee für die Ortstelle Falkenberg . Wartenberg und Malchow ein- schließlich ihrer Gemarkungen, im Bezirk des Polizei- amts Pankow für die Ortsteile Blankenburg , Karow , Buch und Buchbolz einschließlich ihrer Gemarkungen. Der Sperrbezirk hat hiernach den Mindestumfang, den da» Gesetz überhaupt nur zuläßt.— Alle Hunde müssen in den vorgenannten Stadtteilen festgelegt(angekettet oder eingesperrt) sein. Die an- gekettet gehaltenen Tiere stnd außerdem so einzusperren, daß sie von herrenlos umherschweifenden Hunden nicht gebissen werden können. Der Festlegung ist dos Führen der mit einem sicheren Maulkorb versehenen Hund« gleich zu achten.— Hunde, die aus Sperrbezirken in sperrfreiees Gebiet gebracht werden, sind gleichfalls mit s i ch e-
57,
Die Passion.
Roman von Clara Diebig. Jetzt lächelte sie daß sie Frau P nicht..Mlbert.___. abweisend hatte er ihr geantwortet auf ihren Brief, den sie ihm vor acht Tagen geschrieben hatte! Eva hatte nicht mehr an sich halten können. Nachts, als sie halb ausgezogen an ihrem Fenster stand, hinabblickte in den lockenden verschwiegenen Garten, waren ihr Gedanken
ekommen, die sie nicht mehr meistern konnte, nicht länger Irschen . Sie dachte an Schwester Johanna in der Eharitö und an den jungen Doktor, dem die auf dem Schos
hatte: sie dachte an manches, was sich ihrem Blick schon ent' schleiert hatte, als sie, noch ein Kind, an den versteckten Bänken des Tiergartens vorbeiirrte. Schauer auf Schauer über» rieselte sie. Als der Portier das Haus aufschloß, war sie als erste hinausgeschlüpst und hatte ihren Brief in den Post- kästen getragen. Hätte sie ihn noch einmal durchgelesen, so hätte sie ihn vielleicht nicht abgeschickt. Und nun hatte sie auf Antwort gewartet, gewartet so ungeduldig, daß es sie krank machte. Kein Wunder, daß ihre Hände zitterten und Frau Bayer sie schlecht aussehend fand: heute morgen, vor einer Stunde— endlich!— war die Antwort von Albert auf ihren Brief gekommen. Der junge Mann hatte sich s erst reiflich uberlegt: er war noch immer sehr betroffen, und es war ihm sehr unangenehm: Himmel, was hatte er da angenchtet. ohne es zu wollen! An so etwas hatte er nie gedacht, oie war doch seine Kusine, und sie hatte ihm leid getan, deshalb war er so freundlich gewesen, doch nicht etwa aus Liebe.. La wurde er sich doch etwas anderes aussuchen. Aber das sagte er natürlich nickt. Cr schrieb nur ein bißchen zurückhaltend und etwas lehrhaft: «r fühlte sich ganz als reiferer Mann einem schwärmerischen Bockfisch gegenüber. Aber er schrieb:„Mein liebes Evchen und darunter:„In alter Freundschaft Dein Better Albert. Er schlug ihr vor. sich zu treffen, dann wollte er ihr einmal seine Ansichten klarer darlegen und sein Lebensprogramm; in dem stand vorderhand kein Wönchen Liebe. Erst selber eine Buchhandlung haben, auf etwas Positivem stehen, dann kam für ihn.Liebe" und dergleichen an die Reihe. Dieser Briel hatte Eva schwer verstört. Sie sah darin die gutwütige Rücksichtnahme und— Mitleid Und beides
wollte sie nicht. Sehr blaß, die Lippen aufeinander gepreßt. mit einem so wilden Klopfen des Herzens, daß es ihr schmerz- hast gegen die Brust stieß, ging sie dem Bahnhof zu. ihm ent- gegen. Und nun war alles zu Ende. Nein, leider doch nicht alles zu Ende. Im Wald, aus dem einsamen Weg. den sie gingen zwischen Wacholderbüschen, hatte sie sich ihm an den Hals gestürzt unter unendlichen Tränen. Berlegen hatte er dagestanden: was machte er mm mit ihr, nahm sie denn gar keine Vernunft an? Er redete auf sie ein. er dozierte, er philosophierte: pah, was war denn überhaupt Liebe? Nur der Trieb des Geschlechts. Sie sollte mal sehen, wenn der Raptus erst vorüber war» dann sah man alles in ganz anderem Licht. Und dann würde sie über sich selber lachen. Zuletzt hatte er sie so weit, daß sie ruhiger wurde. Stumm, die Augen niedergeschlagen, hörte sie alles an. Beim Abschied schütteUen sie sich wie immer die Hände. Eva blieb heute lange aus. länger als sonst, wenn sie
spazieren ging. Frau Bayer wartete ungeduldig: sie muhte heute gleich fort zu einer Sitzung nach Berlin , und sie hätte Eva noch zu gern vorher gesprochen. Sie wollte die Sonne nicht untergehen lassen hinter einer Wolke der. Unklarheit zwischen sich und Eva. Was war das mit Eva? Wer war der Mann, den sie vom Bahnhof heimlich abholte? Vielleicht ihr Onkel? Sie ging mit ihm so vertraut dem Walde zu. so vertieft, daß sie Auguste gar nicht bemerkt hatte, die mtt ihrem Korb dicht an ihr vorbeiging. Dieses gewissenhafte Mädchen war ganz außer sich nach Haufe gekommen, batte es ihr sofort berichtet: bewahre, der Onkel! Ein hübscher junger Mensch war es. und die Eva war wie behext, sah nicht rechts und nicht llnks. Sollte Eva auf Abwege geraten? Sie war noch so jung. und ein Kind ohne Dater und Mutter, man mußte sie warnen. Frau Bayer nahm sich vor. ihr liebevoll ins Gewissen zu reden, aber leider fehlte heute die Zeit dazu: sie mußte nun fort nach Berlin , und mit dem Zug um Mitternacht tonnte sie erst zurückkommen. Es mußt« also leider warten bis morgen. Als Eva nach Hause kam, war es schon dunkel. Als sie sich von dem jungen Mann getrennt hatte, war sie noch lange allein umhergewandert. Sie fürchtete sich vor Frau Bayers Blicken. Man sah ihr auch das Weinen noch an. Und sie war so übel gestimmt und so mißlaunig. daß es ihr unmäg- lich erschien, jetzt jemandem Rede und Antwort zn stehen. Wie eiu kalter Wassersturz war es niedergegangen über ihre Er-
hitzung, die nüchterne Art des Vetters hatte sie urplötzlich ab- gekühlt. Liebte sie ihn denn noch? Gewiß, ja— oder eigentlich. wenn sie ehrlich sein wollte: nein. Sie hatte sich alles anders gedacht, so ganz anders vorgestellt— und ihn besonders. Er war doch ein echter Wilkowski, er paßte in seine Familie. Sie war ihm nicht böse, o nein, sie ärgerte sich auch nicht über ihn, sie ärgerte sich nur über sich selber. Warum hatte sie ihm den Brief geschrieben? O. hätte sie das nie getan I Jetzt mußte sie sich dessen schämen, o. so sehr schämen! Wie«ine Diebin, leise, verstohlen, schlich sie sich ms Haus. Aber sie war doch nicht so leise, daß Auguste sie nicht bemerkt hätte. Die kam aus ihrer Küche und stellte Eva im Flur: „Na, wo waren Sie denn so lange?" „Spazieren." Eva sagte es kurz und trotzig: das fehlte noch, daß gerade die ihr in den Weg kam, die sie ohnehin nicht leiden konnte. Diese Person, die hinter Frau Bayers Rücken alles beklatschte und sich dann doch lieb Kind bei der machte, ihr alles zutrug. Und wie höhnisch die sie ansah.„Lassen Sie mich zufrieden." schrie sie gereizt.„Was wollen Sie denn von mir?" „Na, warten Sie man, Sie kriegen's morgen!" Das Mädchen lachte. Das schlechte Gewissen sah der Kleinen ja aus den Augen: es machte ihr Spaß, Eva ein wenig zu ängstigen.„Sie sind gesehen worden mit'nem jungen Mann — na, sowas! Sie fangen ja früh an. Aber Frau Bayer, die wird Ihnen Bescheid sagen!" „Klatschmaul." sagte Eva und rannte an der Lachenden vorbei die Treppe hinauf, Fort, nur fort in ihr Zimmer! Da schloß sie sich ein. Es war allen im 5)ause verboten, sich einzuschließen. Sie tat es doch. Frau Bayer war ja nicht da. und nach allen anderen fragte sie nicht. Als Auguste nach einer Stunde auf die Klinke drückte und dann klopfte:„Eva, Ihr Abendbrot, wollen Sie denn gar nichts essen?" gab sie keine Antwort. Das Mädchen rüttelte an der Tür:„Machen Sie doch auf!" Eva gab keinen Laut von sich: sie hörte Auguste sich zögernd entfernen. Nach einer Weile kam die nochmals wieder, rüttelte abermals:„Eva, machen Sie doch keine Dummheiten, machen' Sie auf!" Auguste rüttelte, pochte, rief, Eva hörte es ihrer Stimme an. daß sie ängstlich war. Mochte die nur Angst kriegen! Gehörige Angst. Das geschah ihr recht. Die dachte gewiß, sie täte sich was an! (Fortsetzung folgt.)