Dienstag 5. Januar 1926
Unterhaltung unö A�issen
Sellage öes vorwärts
Rudolf Eucken . Don Professor Reinhard Strecker, Berlin . Am 5. Januar feiert der Jenenser Philosoph Rudolf Hucken fernen 80. Geburtstag. Er ist nicht bloß gleich so manchen anderen Philosophen der Inhaber einer Unioersitätsprosessur, sondern darüber hinaus ein wirklich bekannter Denker in Deutschland . Aehnlich wie Fichte, von dessen Ideen er vieles übernommen hat, nicht nur Dozent, sondern Prophet. So erklärt es sich, dag um ihn herum sich ein Eucken -Bund gebildet hat, der helfen will, seine Gedanken in die Praxis des Lebens zu über- führen. Kurz vor dem Kriege erschien ein Buch aus seiner Feder: „Zur Sammlung der Geister. Es war ein Aufruf zum Idealismus: ein Kampsruf gegen unechtes Christentum, gegen die politischen Ge- walt- und Rassentheorien, gegen den Naturalismus, der den Menschen als weiter nichts betrachtet, wie eine höhere Stufe des Tieres, der auch alle» politische und kulturell« Schassen unter die Schablone vom„Kamps ums Dasein' unterbringen will. Aus dem Geiste des deutschen Idealismus, wie er um 1800 herum lebendig war, sollte die Erneuerung kommen. In seinem Wert über die .Lebensanschauungen der großen Denker' will Eucken sozusagen die Wegweiser a» der Straße der Weltgeschichte bezeichnen, nach denen auch wir uns wieder richien müssen, wenn wir nicht in die Irre gehen wollen. Die neue idealistische und religiöse Bewegung, wie sie namentlich in der Jugend— man denke an das Fest aus dem Hohen Meisner 1913— zu beobachten war, war Euckens Hossnung. Aber dann unterbrach der surchtbare Kriege diese friedlich« Entwicklung. „Was bleibt unser Hall?' Diese Frage stellt sich Eucken , wie wir alle sie uns nach dem Zusammenbruch gestellt haben. Cr ließ ein Schriftchen unter diesem Titel erscheinen. Darin wird die Rettung lus denselt
auf denselben Wegen gesucht, die Eucken vor dem Kriege schon be» schritten hatte. Gerade das zeigt, welche Hauptlinien konsequent durch sein Philosophieren hindurch gehen. Was hat er uns Sozialisten damit zu sagen? Die offene Kritik, die Eucken an den politischen Gewalttheorien
und an den Scheinheiligkeiten der Kirche übt, wird auch uns aus der Seele gesprochen sein. Leider aber sind die Euckenschcn Gedanken im großen und ganzen als schöne Moralpredigten verhallt. Aber schuld daran ist z. T. auch Euckens Philosophie selbst. Sie hat große Schwächen. Sie ist wirklich an vielen Stellen zu sehr Moralpredigt, der einerseits die letzte Schärfe wissenschaftlich kriti- schen Lerantwortungsbewußtseins und andererseits der nüchterne Blick für große politische und soziale Tatsachenkomplere fehlt. Was Eucken populär nwchte, ist wohl in der Hauptsache seine Metaphysik. Er gab Leuten, die von der Kirchenlehre nicht mehr befriedigt sind. einen Ersatz dasür durch seine scharte Unterscheidung zwischen der Welt der Natur und der Welt des Geistes. Die letztere objettioicrt er ähnlich wie Hegel und spricht von ihr als der„höheren unsichtbaren
öelt', aus welcher der Mensch übernatürliche Kräfte empfangen kann. Er will diese Welt nicht einfach mit der Kulturwelt gleich- gesetzt haben. Berächtlich spricht er von„Kulturfabrit'. Er furchtet die„Deräußerlichung' des Menschen. In dieser sieht er den Krebs- schaden unserer Zeit. Und die Sorg« um die Berinnerlichung läßt ihn den Wert politischer und kultureller Betätigung stark unter- schätzen. Er sieht nicht, wie gerade durch diese der Mensch auch innerlich reifer und tiefer wird. Fichte hat darüber schon Wesent- licheres gesagt als Eucken . So schillert die„höhere Well', von der Eucken spricht, manchmal in recht unklaren Farben, und seine Argumente hallen einer eindringlichen erkenntnis-theoretischen Prüfung nicht stand. Er bietet uns in seiner Metaphysik mehr einen neuen religiösen Glauben, ein modernisiertes Christentum. Fichte war konsequent genug, Sozialist zu sein. Das sehll bei Eucken . Er gesteht zwar Marx uird der Sozialdemokratie mit Wohl- wollen einig« Bedeutung zu. Er spricht einmal davon, wie durch
diese Partei„das Sclbs
der Massen beträchtlich
worden sei. Und Selbstgefühl ist doch gewiß etwas Innerliches. Da hätte für Eucken aller Anlaß vorgelegen, dem Problem noch etwas weiter nachzugehen. Aber an dieser Stelle biegt er ab: Er be- hauptet, daß Marx zu sehr nach Hegels Vorgang„Gedanken- komplexe zu selbständigen schicksalsartigen Gewalten' umgedichtet und den menschlichen Willen ausgeschaltet habe. Dadurch seien„alle
den Geist aus der lustigen Höhe der Abstraktionen herunterholte und
in dem ganzen komplizierten Apparat der Staats- und Gesellschasts Ordnung vor praktische Aufgaben stellte. Gewiß ist es die Aufgabe der fortschr-itenden Wissenschaft, auch Karl Marx weiter zu denken. Aber so einfach wie Eucken wird man mit Marx nicht fertig. Seine wesentliche Ergänzung findet Marx in Lassalle, der ja auch von Ficht« herkommt. Eben deshalb hätte aber Eucken auch Lasialle und seinen Einfluß auf die Partei tiefer würdigen müssen. Wenn er nur von Lassalles Neigung spricht, die„Menge zu idealisieren' und dann von dem„Aberglauben an die Allmacht politischer Ein- richtungen, namentlich der Verfassungssormen', so bleibt das gan, an der Oberfläche. Von einem„Verblassen und Verschwinden der Innenwelt des Geistes' kann man bei der sozialdemokratischen Well- und Lebensausfassuna wirtlich nicht so reden, als ob das beides not- wendig zusammengehörte. So oft spricht Eucken von der Verselb- tändiaung der Persönlichkeit. Wie aber soll das arme Lasttier
standigung oer Persönlichkeit. Wie ober soll das arme Lasttier Mensch, das von morgens bis abends in der Fron steckt, zu einer wirklich reichen und selbständigen innerlichen Persönlichkeit werden? Dafür müssen ja gerade erst die wirtschaftlichen und politischen Vor- oussetzungen ge�chassen werden. Nur unter diesem Gesichtspunkt« wird man der Sozialdemokratie gerecht. Und das spricht auch Fichte schon deutlich genug aus: Erst müssen Staat und Gesellschaft dem unter seiner Last in den Staub gesunkenen Menschensohn eine würdige Lebensmöglichkeit und Umgebung schaffen, ehe man über- Haupt das Recht hat, mit irgendeiner moralischen Anforderung an ihn heranzutreten. Weil Eucken das übersieht, hat er vielfach In den Wind hineingesprochen. Und weil er die Gebildeten der Nation aus diese ihre sozialen Pflichten nicht rücksichtslos und deutlich genug hingewiesen hat, wie es etwa Fichte als Bußprediger der Nation tat, deshalb hat er auch bei denen, die feine Bücher lesen und kaufen können, mehr ästhetisches Wohlgefallen als Sinnesänderung bewirkt. Senta. Von MarieHarder. Unter dem schon recht verschlissenen Mantel der Witwe immer- hin warm geborgen, gelangte Senta als überflüssiges Kind von neun Geschwistern in ihre neue, recht kümmerliche Heimstatt. Es war die Küche mit einem Bett, in dem die Witwe schon mit ihren beiden Kindern Platz finden mußte. Für vier reichte es bestimmt nicht. Aber Senta war erst sechs Wochen alt und so Nein, daß die Kinder sie nicht anzusassen wagten und stattdessen nur immer in -Ah' und.Ob' staunten, im übrigen Obernaus der Freud « gar mcht herauskamen..Bei mir soll sie schlafen. saate das älteste der Mädchen..Nein, bei mir', stellte das Jüngste sich vor d,e Mutter. .Bei mir ist mehr Play.' Sie schlief doch am Fußende. .Senta schläft allein,' entschied die Mutter und legte ihr schlechtes Kopftuch in den Einholkorb, um so ein Bettchen herzu- nchten.„Ihr drückt sie tot, wo es schon so eng sur uns ist. Und Glinde gehören auch nicht ins Bett/.. Dagegen war nun nicht viel zu sagen. Senta war ein braun- schwarzes weibliches Zwergpinscherhündchen und an die Witwe ver-
Der Regisseur: MajeMijcher, Majestät. Noch majestätischer
schenkt worden, während man ihre Geschwister zu Geld gemacht hatte. Sie ließ die kleinen Augen blank und ängstlich im Raum umhersuchen. Und die kläglichen Laute, die sie hören lieh, waren sicher nicht» anderes als das Weinen eines Zktndes nach der Muller. Aber sie war in gute Hönde gekommen und fühlte dos auch bald. Die erste Nacht winselte sie noch ein bißchen in ihrem Körbchen. b»> schnupperte am anderen Morgen auch recht vorsichtig das magere Brot, da sie besseres gewohnt war, vergaß dann aber dank ihrer Jugend Mutter und Geschwister bald und fühlle sich in der ärmlichen Behausung um io wohler. Sie wurde den Kindern Spielkamerad und treu« Begleiterin, zeigte sich begabt für mancherlei Kunststücke und wurde ein ausnahmsweise schönes Tier. Das sah eines Tages auch die einsame Frau eine« Gutsbesitzers au» der Umgegend. Sie ließ ihren Wagen halten und fragt« die Kinder nach der Adresse und wann die Mutter zu Hause sei. Bald darauf sprach sie schon vor und bot eine annehmbare Summe für das Tier. Die WUwe dachte an ihre Not und überlegte, hatte aber das kleine Tier gerade so lieb gewonnen wie ihre Kinder, die baten, Senta nicht zu verkaufen. Di« Kaufsumme wurde in doppelter Höhe geboten und erschien der armen Witwe wie ein Märchen. Der Winter hotte«ingesetzt. Und wie an manchen Togen die Mahlzeiten schmal waren, so fehlte es auch an warmer Kleidung für die Kinder. An allen Ecken fehlte es. Die Tränen kamen ihr. .Ich möchte da» Tier so gern haben,' versuchte die Gutsfrau ihr Glück weiter,.daß ich mich wohl verpflichten will, ihr« Kinder im Sommer einmal auf unser Gut kommen zu lassen, damit sie sich erholen können. Aber geben Sie mir da» Bichchen. An Geld können Sie auch noch etwa» mehr bekommen.' Die Witwe war schon entschlossen, Senta zu oerkaufen, fragte aber noch:.Sie wird es doch gut bei Ihnen haben?' Die Gutsfrau lachte. „Hätte ich ein Kind, es würde nicht besser gepflegt iverden.' .Ja. wenn ich da« denn man weiß,' zögerte die Witwe noch ein wenig. .Wenn Sie wollen, können Sie mir Senta am Sonntag bringen und sich dann an Ort und Stelle überzeugen.'
So war die Abmachung. machte sich die Witwe auf den Weg. Die
Und am Sonntag
Kinder weinten wohl, hatten sich aber beruhigen lassen, als sie hörten, daß der verkauf des Tieres warme Winterkletdung und sonst noch mancherlei Gute» bringen würde. Sie drückten Senta noch einmal abschiednehmend und ließen sie dann ziehen. Die Gutsfrau hatte dem Hündchen einen festlichen Empfang bereitet. Die Witwe kam au, dem Staunen nickt heraus. Ein kleines Himmelbett mit seidenen Kissen wartete schon, doch kam Senta vorerst In die Badewanne, um nachdem wohlriechend an ihrer alten Herrin emporzuspringcn. wo» diese nahezu in Verlegenheit brachte. .Nu geh man, Senta.' wehrte sie ob.„Hier ist jetzt dein Zu- haus«.' Und die neue Herrin lockte mit Sahne und Butterkuchen und anderen Süßigkeiten. Genießerisch nahm Senta da» zu sich,
während sie sich in den seidenen Kissen nicht recht wohl zu suhlen schien, denn fie blickte wie verwundert um sich. „Ja. das ist nicht mehr der rlle Korb, Senta.' sagte die Witwe, woraus das Tier nur laut zu bellen wußte. Dann zog die Witwe ab. Sie fühlte das Geld in der Tasche, das manche Not lindern und auch noch einen Notgroschen lassen sollte. Aber die Gramsalten schienen ihr trotzdem tiefer zu liegen als sonst, da sie an ihr und ihrer Kinder kümmerliches Nachtlager und an die Seidenkissen dachte, die Senta bald in Fetzen gespielt hoben würde und die ihren Kindern, deren Glieder der schmalen Bettdecke mehr und mehr entwuchsen, fehlten. Als sie dann aber wieder das Geld fühlte und daran dachte, daß einige Not gelindert werden konnte, wurde sie um einiges zufriedener und tröstete die Kinder, die nun doch Heimweh nach dem Tier hatten, damit, daß Senta es nun viel besser habe und daß man auch einem Hunde seine verbesserte Lage gönnen solle. So kauften Mutter und Kinder ein. Für jeden gab es Freude. Und als die Witwe nach einigen Tagen den Rest des Geldes über- zählte, um es als Notaroschen beiseite zu legen, kratzte es wohlbe- könnt an der Tür..Senta!' riefen die Kinder und rissen die Tür auf..Senta! Eentol' Ein Freudenrusen durcheinander war es. Und dos Tier jauchzt« in allen Tönen, die ein glückliche» Hundeherz von sich zu geben vermag. Zuletzt sprang es bellend in seinen Korb, nach dem es sich von seinem Himmelbett aus so sehr gesehnt hatte, daß es den weiten Weg durch die Kälte nicht scheute. .Ader Senta!' sagte die Witwe..Hier wohnst du doch nicht mehr. Sie holen dich doch wieder weg. Der Weg ist mir zu weit. aber eine Postkarte muß ich doch schreiben, daß du wieder hier bist.' Senta aber wedelte mit dem Schwanz und bellte so freudevoll, daß die Kinder plötzlich bereit waren, auf ihre neuen Suchen zu verzichten, wenn sie Centn nur behalten durften. Doch die Mutter schrieb der Käuferin des Hündchens, daß es ihr wieder zuge- laufen sei. Die Antwort kam bald und war kurz:„Behalten Sie da« Tier lieber. Ich hatte es mir trener gedacht.' „Treuer?' sagte die Witwe..Und du bist doch so treu, nicht, Senta?' Dabei streichelte sie liebkosend da» Tier, da» aus allem Wohlleben sich in seine ärmliche Behausung zurückgesehnt hatte.
Ein kühner Storch. Auch die Störche sind von revolutionären Anwandlungen anscheinend nicht ganz frei. Au» Büdingen i« Hessen wird gemeldet, daß ein offenkundig ganz gesunder Storch dies- mal die Reis« nach dem Süden nicht angetreten hat. Er ist in seinem Nest geblieben und, wie im Sommer, taglich auf Nahrungssuche aus- geflogen. Während der Zeit der strengen Kälte wurde er eine Zeit- lang nicht gesehen, danach aber erschien er wieder und bezog sein Nest. Das Nest dient ihm jedoch nur al» Tageswohnung. Während der Nacht scheint er irgendwo im nahen Walde unterzuschlüpfen, wo er gegen die kalten Winde geschützt ist.