Ur. 153.
Erscheint täglich außer Montags. Preis pränumerando: Biertelfährlich 3,30 Mart, monatlich 1,10 Mt., wöchentlich 28 Pfg. frei in's Haus. Einzelne Nummer 5 Pfg. Sonntags- Nummer mit tlluftr. Sonntags- Beilage ,, Neue Welt" 10 Pfg. Post- Abonnement: 8,30Mt. proQuartal. Unter Kreuz band : Deutschland u. DesterreichUngarn 2 Mt., für das übrige Ausland 3Mt. pr.Monat. Eingetr. in der Post- Zeitungs- Preisliste für 1895 unter Nr. 7128.
Vorwärts
12. Jahrg.
Insertions- Gebühr beträgt für die fünfgespaltene Petitzeile oder deren Raum 40 Pfg., für Vereins- und Bersammlungs- Anzeigen 20 Pfg. Inserate für die nächste Nummer müffen bis 4 Uhr Nachmittags in der Expedition abgegeben werden. Die Grpedition ist an Wochentagen bis 7 Uhr Abends, an Sonnund Festtagen bis 9 Uhr Vormittags geöffnet.
Fernsprecher: Amt 1, Nr. 1508. Telegramm- Adresse: ..ozialdemokrat Berlin !
Redaktion: SW. 19, Beuth- Straße 2.
Ein Nachspiel
zur Kolberg- Kösliner Wahl. Der Kolberger Bürgermeister hatte der sozialdemokratischen Partei für eine anläßlich der Wahl im Kreise KolbergKöslin einberufenen Volksversammlung den Strandschloß Eaal zur Verfügung gestellt. In diesem städtischen Saal wurde deshalb nicht mehr wie üblich das Festessen des Fischereivereins abgehalten, der Landrath v. Puttkamer setzte sich mit der Militärbehörde ins Einvernehmen, damit die Militärmusik dem Strandschloß- Restaurant entzogen werde und endlich wurde der Bürgermeister in eine Ordnungsstrafe von 90 M. genommen. Hierüber herrscht in Kolberg , wo das Bürgerthum noch nicht nationalliberal versimpelt und politisch verlumpt zu sein scheint, große Aufregung.
Ueber das Vorgehen der vorgesetzten Behörden gegen den Bürgermeister wurde der Magistrat in der Kolberger Stadtverordneten- Sigung vom 1. d. M. interpellirt. Der Verlauf der Stadtverordneten - Sizung und die in derselben zur Verlesung gelangten Aktenstücke sind von so hohem politischen Intereffe, so wert hvoll zur Charakterisirung des Kampfes gegen die Sozialdemokratie, sie sprechen so sehr für sich, daß wir sie ohne ein Wort des Kommentars hier wiedergeben.
Donnerstag, den 4. Juli 1895.
Die Versammlung drückt den Wunsch aus, die betreffenden Atten vorgelegt zu haben. Der Bürgermeister erklärt sich damit einverstanden.
Der Brief des Regierungspräsidenten lautet: Röslin, 19. Juni 1895.
Expedition: SW. 19, Beuth- Straße 3.
in
Sr. Majestät befißt und ein öffentliches Amt bekleidet, sich solle veranlaßt werden, hierher zu kommen, und in einer Bolts zwischen Garnison und Bürgerschaft stellt, und der letzteren die versammlung hier sprechen. Derselbe spricht aber Musik entziehen will, so ist das ein so großer Fehlgriff wie er feinem Kleinen Saale,*) der Hoffmann'sche Saal hier, überhaupt nur geschehen kann. Bis jetzt hat Garnison und in welchem bisher die Versammlungen seiner Partei Komme A. Bebel , so müßten Bürgerschaft in gutem Ginvernehmen gelebt. Wenn hier ein stattfinden, sei zu flein . Man ist sogar soweit gegangen, daß man an Herren von gutem fammlung mehr von Mitgliedern anderer Parteien besucht Keil dazwischen getrieben wird, so zieht man Unfrieden herbei. fie, die Sozialdemokraten, darauf rechnen, daß die VerNamen das Anfinnen gestellt hat, sie möchten doch aus dem werde, als von Sozialdemokraten. Für die Aufrechterhaltung Strandschloffe ausziehen. einer guten Ordnung werde gesorgt werden. Ich habe die Benugung des Saales genehmigt, habe aber bemerkt, daß die Ver sammlung bis zum 15. Juni stattfinden müsse. Später könne mit Rücksicht auf das Bad der Saal zu feiner politischen Ver sammlung bewilligt werden. Der Maurer Bierlich erklärte, daß die Versammlung jedenfalls vor dem 15. Juni werde berufen Die dortigen öffentlichen Blätter bringen die Nachricht, daß werden. Sie hat am 12. Juni stattgefunden. fam ber Guer Wohlgeboren in Ihrer Eigenschaft als Magistrats dirigent Am Nachmittage des Tages etwa 4 Uhr ben Gaal Des im Gigenthum der Stadt stehenden Strand- Herr Landrath von Puttkamer zu mir. Gr schlosses am Abend des 12. Juni zur Abhaltung theilte mir mit, daß er vom Herrn Oberst einer großen sozialdemokratischen Versamm Hißigrath tomme. Seine Aeußerungen waren, so weit sie Iung bereit gestellt haben. Da die Ueberlassung dieser Räum mir noch erinnerlich, etwa folgende: Wenn die soziallichkeit zu einer solchen Versammlung dem Vernehmen nach bei demokratische Versammlung im Strandschloß einem Theil der dortigen Einwohnerschaft lebhaften Anstoß er- stattfinde, tönne die Stadt davon Schaden regt hat, und abgesehen von allen anderen aus dieser Thatsache haben. Die Regimentsmusit werde dann vor Strandschlosse nicht mehr spielen zu ziehenden Schlüssen von weittragenden und schwerwiegenden de m und anständige Herren tönnten nachtheiligen Folgen für die Entwickelung des dortigen Bade- tönnen lebens und namentlich des Verkehrs am Strandschlosse mehr auch nicht Der Herr Oberst gehen. in finanzieller Beziehung sein kann, sehe ich Ihrer ausführ- habe ihm, als er zu demselben die letztere Meinung lichen Aeußerung und Rechtfertigung binnen 8 Tagen entgegen. geäußert, erwidert: Für dies Jahr habe er, der
An
Der Regierungs- Präsident
v. d. Reck. Rolberg, 21. Juni 1895.
Hochwohlgeboren
Ew. Hochwohlgeboren berichte ich ganz ergebenst:
Röslin.
dahin
Oberst, den Vertrag zwischen dem Kapell. meister des Regiments und der Badebirettion genehmigt und mit vollzogen. Dabei werde es bleiben müssen. Im übrigen wolle er, der Oberst, sich die Sache überlegen. Der Herr Landrath versuchte mich zu veranlassen, die ertheilte Erlaubniß zur widerrufen. Benuhung des Saales noch zu Ich habe ihm mitgetheilt, was oben deswegen vorgetragen ist, und erklärt: Gs bleibe bei der ertheilten Erlaubniß zur Benuzung des Saales. Folgen müßten wir abwarten.
Stadtverordneter Wulff führte folgendes aus*): Es seien Gerüchte in der Stadt verbreitet, die viel böses Blut gemacht hätten und von denen man nicht glauben tönne, daß es möglich sei. Es sei ihm aber von ver- den tönigl. Regierungspräsidenten Herrn Freiherrn v. d. Reck schiedenen Seiten versichert worden, und da sei es an der Zeit, daß man diejenigen zur Rechenschaft ziehe, die Schuld daran tragen. Wir dürfen nicht zugeben, daß unser guter Name in den Schmuß getreten wird. Es sei gefagt worden, daß eine Boltsversammlung, die im Strandschloßfaale ab Der Saal des hiesigen Strandschlosses ist Eigenthum der gehalten worden sei, nicht dahin gehöre. Der Stadtgemeinde. In demselben haben schon oft politische VerStrandschloßfaal fei zu einer Volksversammlung hergegeben fammlungen stattgefunden. Außerhalb der Zeit vom 15. Juni bis Die Versammlung verlief in bester Ordworden, weil die Sozialdemokraten zu einer allgemeinen Wähler- 15. Eeptember ist gar kein Bedenken getragen, den Saal dazu bereit nung. Es war mir bekannt, daß die Sozial= versammlung kein hinreichend großes Lokal bekommen konnten. zu stellen. In diesem Jahre ist dort zuerst eine allgemeine demokraten hier in ihren Versammlungen Hieraus sei dem Bürgermeister ein Vorwurf gemacht worden, Wolfsversammlung gestattet, in welcher Dr. Pachnicke von der allgemein eine musterhafte Bucht und Ordnung weil unser Bad dadurch geschädigt werde. Es sei beffer, Reichstags- Fraktion der freisinnigen Vereinigung der Hauptredner beobachten. Ich selbst bin in der fraglichen Versammlung daß so schnell als möglich und zwar hier Aufklärung erfolge, als war. Demnächst nachdem der Termin für die im Wahlkreise gegenwärtig gewesen und nahm mit in dieselbe den Herrn Geh. durch Hinterthüren. Der Saal des Strandschlofies war Kolberg Körlin , Köslin und Bublik zu vollziehende Nachwahl Baurath a. D. Benoit, welchen ich zufällig am Strande getroffen schon vorher zu öffentlichen Parteiversamm auf den 18. Juni festgesetzt worden war, ist im Strandschloß hatte. Er war nicht der Versammlung wegen hier, hat lungen bergegeben worden. Der Bürgermeister zum 8. Juni wieder eine allgemeine Voltsversammlung berufen. vielmehr hier erst von derselben erfahren. Die Versammlung muß über den Parteien stehen, und die zur Dies ist gestattet, obwohl die Badezeit bereits begonnen hatte. war eine allgemeine Volksversammlung; es waren, wie der fozialdemokratischen Partei gehörigen Staats- Indeß der Saal wurde noch nicht von Kurgästen benutzt. In Maurer Bierlich richtig vorausgesehen, mehr Mitglieder anderer bürger sind auch Steuerzahler und müssen für König dieser Versammlung vom 8. Juni war der Hauptredner, Parteien dort als Sozialdemokraten. Die Mitglieder anderer und Vaterland in den Krieg gehen. Sie dürfen nicht als der Dr. Barth , wieder von der freisinnigen Vereinigung. Parteien machten etwa zwei Drittel der Versammlung aus. Bürger zweiter Klasse behandelt werden. Wie Die beiden bisher gedachten Versammlungen waren auch Insbesondere waren auch mehrere Beamte verschiedener Art könne man deshalb einem Bürgermeister sagen, von Herren hier veranstaltet, welche sich zu der Partei der Frei- da. A. Bebel war nicht erschienen, sondern dafür der Reichser habe ein Versehen gemacht, weil er gleiches finnigen Vereinigung rechnen. Um dieselbe Zeit, es wird am tags- Abgeordnete Herbert zu Stettin. Dieser und der KaufRecht für alle übt. Wenn ein Mann, der das Vertrauen 6. oder 7. Juni gewesen sein, bat der Maurer Bierlich hier, Vorsitzender des Sozialdemokratischen Arbeitervereins hier, in Genosse Bebel hat keinerlei Bedingungen bezüglich eines * Wir berichten nach der Beitung für Pommern " vom den Strandschloß- Saal ebenfalls eine Versammlung berufen zu Saales gestellt. Er mußte die Einladung wegen anderer 8. Juli. dürfen. Er bemerkte: Der Reichstags- Abgeordnete A. Bebel dringender Geschäfte von vornherein ablehnen. Red. d.„ Vorw.". mit meinerlicher Stimme über das entsegliche Unglück", Breitenstraße hatten sie ihre Vorposten vorgeschoben. Alles welches bevorstand, lamentirten. Und als einer der Balken- ordnete sich willig dem Kommando der Führer unter, die der träger über einen Haufen ausgeriffener Pflastersteine Augenblic in natürlicher Auslese hatte erstehen lassen. Aus stolperte, da faßten Hans und der Schneidergeselle so einem regellosen, wüst durcheinander rennenden Volkshaufen gleich hilfreich mit an, während Ferdinand an der Spitze war eine organisirte, zielbewußte, kampfbereite Streitmacht 54 des Buges eilte und mit lautem Trommelschlag demselben geworden. voranschritt.
Feuilleton.
[ Nachdruck verboten.]
Stolz und ruhig stand Hans Hartung unter den Maurern Eine geschichtliche Erzählung von Michel Deutsch. Alles trat zur Seite, um den schweigenden Männern und Zimmerleuten, die an der Barrikade arbeiteten und Für die kurze Strecke von der„ Silbernen Ente" bis der That den Weg freizugeben. Vom Petriplah, wo sie mit sich ohne Widerspruch seinen Anordnungen fügten. Wie zur Ecke der Roß- und Gertraudtenstraße waren drei be- dem Aufbau des neuen Gotteshauses beschäftigt waren, hatten ein Lauffeuer hatte sich unter den Volkstämpfern die sonders starke, unter sich in Verbindung stehende Barrikaden sie die Balken und Steine herbeigetragen, um sie zum Nachricht verbreitet, daß er in Paris mitgefochten, und mit vorgesehen, deren Grundlinien sich deutlich über dem starken Echutzwall für das bedrohte Bolf zusammenzufügen. freudiger Zuversicht hingen hunderte von Augen an der Straßendamm abzeichneten. Hier hatte der Menschenstrom Und während sie nach dem Kirchplatz zurückkehrten, um hohen, stattlichen Gestalt des Buchdruckers. Andere noch sich bereits getheilt und um die Einzelwerke geordnet, immer neue Lasten des trefflichen Materials heranzuschaffen, hatten neben ihm die Rolle der Anführer übernommen. während in der Nähe des Rathhauses noch ein in wilder waren vor dem Rathhause auch schon hunderte von starten, Schlichte Handwerker, die bisher die Schlosserfeile oder den Erregung begriffener, nach vielen Hunderten zählen arbeitserfahrenen Arme zum Werte geschritten. Tischlerhobel gehandhabt hatten, entpuppten fich plötzlich
-
der Knäuel sich hin und her wälzte, jeden Augen- Im Nu war die Baulinie des Bollwerks festgestellt, als talentvolle Militäringenieure oder geborene" Befehls blick den Angriff der vor dem Schlosse konzentrirten Militär- das sich vom Rathhaus nach der gegenüberliegenden Ecke haber. Tapferkeit, Muth, Umsicht, friegerischer Scharfblick massen erwartend. Schon waren die sämmtlichen Eckhäuser der Breiten Straße hinüberziehen und diesen wichtigsten furz, alle jene ritterlichen" Eigenschaften, die man dieses winkelreichen Terrains sammt dem Rathhaus selbst Bugang zum Innern des Viertels versperren sollte. Als bisher als eine ausschließliche Zierde der adeligen Offiziere bis aufs Dach hinauf von Büchsenschützen und Stein- bald wuchs ein breites, trogiges Gefüge von Balken und ausgegeben hatte, traten jezt, da der gesellschaftliche schleuderern besetzt. Auf dem Fischmarkt aber standen Pflastersteinen, von Ziegeln und Erde, von Thürflügeln Druck in der allgemeinen Erhebung von den Gemüthern Gruppen von bewaffneten Bürgern, Studenten und Künstlern, Fässern und eisernem Klammerwerk weit über Manneshöhe gewichen war, an den verachteten Söhnen des Volkes auf's untermischt mit Handwerksleuten und Arbeitern und erörterten aus dem Erdboden empor. Ein breiter Graben an der glänzendste zu tage. In einer kurzer Stunde war hier, haftig die Frage, ob hier, im Angesicht des feindlichen Haupt- Außenseite erhöhte die Wirksamkeit des rasch entstandenen vor den Fenstern des Königsschlosses, ein streitbarer, zum quartiers, zur Herstellung einer Barritade noch Zeit genug Schußralles, während auf der Innenseite Tische, Stühle äußersten Widerstand entschlossener Heerbann aus dem bleiben würde. und Leitern den Vertheidigern den Zugang zur Höhe der Boden gewachsen, mit dem selbst die hochmüthigsten unter Aber schon war diese Frage gelöst. Als Hartung und Brustwehr offen hielten und die Erwiderung des feindlichen den Gegnern des Volkes zu rechnen nicht umhin fonnten. Grams mit ihren Leuten eben um die Ecke der Roßstraße Feuers ermöglichten. Und sie rechneten in der That da drüben im Schloffe bogen, nahte vom Betriplate her durch die Gertraudten- Emsig und still, im Vergleich zu dem Lärm der ersten bereits mit dem Geschehenen. Sie wußten, daß es sich nicht straße ein langer Zug von Bauarbeitern, stattliche, breit- halben Stunde, ging die Arbeit den rüftigen Schanzen- mehr darum handelte, die Umgebung des Schloffes zu schultrige Gestalten, mit Balken, Brettern und Steinen be- bauern von der Hand. Nur ihr Hämmern, Sägen und fäubern" und das störrische Thier, den Pöbel" mit einer laden, große Kübel und Mulden mit Sand, Lehm und Klopfen ertönte gleichförmig von dem kriegerischen Werk- Tracht Prügel heimzuschicken. Sie begannen den Gegner Mörtel heranschleppend. play. Das wilde Fieber hatte sich gelegt, entschlossener, zu achten und mit der unwillkürlichen Achtung des Hasses Kein Schuß, kein Angriff seitens der Platz da!" rief Hans Hartung einer Gruppe von starrer Trot lagerte auf den Gesichtern. Die Bürger- ihn zu fürchten. Schwarzfräcken und Brillenträgern zu Honoratioren der schüßen und sonstigen Bewaffneten hatten Beit gefunden, Soldaten störte die Barrikadenbauer, sie konnten ihr Werk Roßstraße, die mitten auf dem Straßendamm standen und ihre Aufstellung zu vollenden bis in die Häuser derlin Muße vollenden. Der Feind fühlte sich zu schwach, um
-
-