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Nr. 23 43. Jahrg. Ausgabe A nr. 12

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Zentralorgan der Sozialdemokratifchen Partei Deutschlands  

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Freitag, den 15. Januar 1926

Parlamentsbeginn in Paris  .

Niederlage Doumers im Finanzausschuß. Paris  , 14. Januar.  ( Eigener Drahtbericht.) Die Finanzkom. mission ber Rammer hat die vom Finanzminister Doumer be antragte Berdoppelung der Umfaßfteuer in der Form eines Zahlungs stempels, die das Rern stüd der Regierungsvorlage bildete, mit 21 gegen 5 Stimmen bei 13 Enthaltungen(!) ab. gelehnt

Eröffnungsrede Herriots.- Niederlage Toumers im Finanzausschuß. Paris  , 14. Januar.  ( Eigener Drahtbericht.) Die Donnerstag| Schwierigkeiten überwinden werde, die lebiglich eine Folge des fizung der Kammer, die in erster Linie der Festlegung der Tages. Rrieges feien. ordnung für die nächste Woche galt, eröffnete der neugewählte Bra­fident Herriot mit der gewohnten Begrüßungsansprache. Er ge­dachte zunächst des 50jährigen Bestehens, auf das das französische  Barlament in feiner jegigen Form zurüdbliden tann, um sodann die Berdienste zu würdigen, die sich das Parlament um den Ausbau der politischen Freiheit und um die friedliche Entwicklung des Landes erworben hat. Wenn ein Regime, fuhr er mit deutlicher Anspielung auf die faschistischen Umiriebe fort, so glänzende Resultate aufweisen tönne, dann gehöre wahrlich Bermessenheit dazu, feinen Fortbestand ernstlich in Frage zu stellen. Der neuen Seffion merbe es vorbehalten sein, die Berträge von Locarno  , die einem großen Teile Europas   ein auf Grund freier Bereinbarung zustande getommenes Statut der Sicherheit geben, zu ratifizieren. Die fran zösische Republit erbringe damit den Beweis, daß fie den republi­Lanischen Traditionen ihrer Gründer treu geblieben sei; denn die Berwirklichung des obligatorischen Schiedsgerichts. gebantens erfülle eine der großen Hoffnungen der Neuschöpfer der französischen   Republit. Herriot   schloß mit einem Hinweis auf Die finanziellen Schwierigkeiten und mit dem Ausbrud der Zuversicht, daß das Land dank der Opferwilligteit der Ration die

Zur Kabinettsbildung.

Noch teine Einigung in Personalfragen. Um 5 Uhr nachmittags nahm Reichskanzler Dr. Luther die Besprechungen mit den Abgeordneten Dr. Scholz( DBp.). Roch( Dem.) und Fehrenbach( 3), der zeitweise durch den Abg. Marg vertreten wurde, mieder auf. Nachdem im wesentlichen eine grundsägliche Einigung zwischen den Parteien, zu denen auch noch die Bayerische   Bolts­partei hinzufommt, erzielt morden ist, wurden in der Nach mittagsbesprechung, wie wir erfahren, schon Personal fragen erörtert. Dabei tam der Wunsch der Parteien zum Ausdrud, daß die einzelnen Fraktionen möglichst durch führende Persönlichkeiten in dem neuen Kabinett vertreten ein möchten. Bisher ist eine Einigung in den Ber jonalfragen nicht erzielt worden. Die Verhand Lungen werden am Freitagum 12 Uhr mittags wieder aufgenommen werden. Man nimmt in Kreisen der Mitte an, baß sie bis zum Freitag abend oder spätestens bis zum Sonn abend zu einem Erfolg führen werden.

Gekler will nicht mehr.

Wie das Nachrichtenbureau des Vereins deutscher   Zeihmgs perleger aus demokratischen Kreisen hört, entspricht die Meldung, daß wegen der Person des Reichswehrminifters Dr. Geßler bei den Verhandlungen Meinungsverschiedenheiten entstanden feien, feineswegs den Tatsachen. Dr. Geßler hat schon vor Weihnachten der demokratischen Reichstagsfraktion mitgeteilt, daß er den drin genden Wunsch habe, von der schweren Bürde seines Amtes befreit zu merden. In gleicher Weise hat er sich jetzt auch dem Reichskanzler Dr. Luther gegenüber geäußert. Ein Streit um seine Persönlichkeit hat in feinem Stadium der jetzigen Berhandlungen ftattgefunden. Wahrscheinlich wird noch ein letter Berfuch gemacht werden, Reichswehrminister Geßler zum Berbleiben im Kabinett zu bewegen.

Um des Mammons willen...!

Löbe vor dem Reichsbanner. In einer vom Gau Berlin- Brandenburg des Reichsbanners Schwarz- Rot- Gold veranstalteten Bersammlung in den überfüllten Germania  - Sälen sprach am Donnerstag abend Reichstagspräsident

Lobe.

Die Rechte verläßt die Ausschußfizung. Paris  , 14 Januar.( Eigener Drahtbericht.) In der Finanz­Lommission der Rammer ist es im Laufe der weiteren Beratungen heute zu einem Zwischenfall gekommen. Nachdem die Kommission einen Antrag Bokanowski, daß die erforderlichen Mehreinnahmen aus neuen Berbrauchs- und Berlehrsabgaben gewonnen werden, abgelehnt und den sozialistischen   Gegenantrag angenommen hatte, der das Ergebnis der direkten Steuern durch Berbesserung der Beranlagung und Erhebung vergrößern will, verließ die Minderheit den Saal mit der Begründung, daß die als Obstruttion zu bezeichnende haltung der Linksparteien ein weiteres Zusammenarbeiten mit ihnen unmöglich mache.

rita Zum Schluß betonte er, daß die Deutschen   von Amerita ler nen tönnten, nämlich die Achtung vor der Landesflagge, die jeder Amerikaner verehre und als die Flagge der Republik   achte. Die Rundgebung fand mit dem Reichsbannermarsch ihr Ende.

Keine Vertuschung!

Französisches Verlangen an Ungarn  . Budapest  , 14. Januar.  ( Eigener Drahtbericht.) Der fran­zöfifche Gesandte Clinchant, der von Paris   nach Budapest  zurüdgefehrt ist, erklärte am Donnerstag mittag im Auftrage feiner Regierung dem Ministerpräsidenten Graf Bethlen, daß die fran­zöfifche Regierung die Untersuchung über die Fälschung französischer Tausendfranknoten feineswegs als erledigt betrachte. Sie erwarte vielmehr von der ungarischen Regierung, daß die Unter­fuchung auch nach der Richtung hin ausgedehnt wird, von welchen Perfönlichkeiten die Pläne zu den Fälschungen ausgegangen find. Dabei teilte der Gesandte dem Ministerpräsidenten eine Reihe von Namen mit, die der franzöfifchen Regierung als in Frage fommend befannt geworden sind, auf die sich aber die offizielle ungarische Untersuchung bis jetzt nicht erflredt hat. Bei diesen Personen foll es fich um Leute aus der engsten Umgebung Horthys handeln. Genannt werden sein Adjutant magasha39. der Chef der kabinettskanzlei Bartha und die rechtsradikalen Abgeordneten Gömbös und Ulain. Der französische   Gesandte hat dem minifferpräsidenten das Beweismaterial der französischen   Regierung für die Mitschuld dieser Politiker aus der engsten Umgebung des Staatspräsidenten eingehändigt.

Gerüchtweise verlaufet, daß der Adjutant Horthys bereits zu gegeben habe, über die Herstellung des Falschgeldes unterrichtet gewefen zu sein. Auf Berlangen des Polizeipräsidenten habe er einen Koffer mit falschen franzöfifchen Banknoten aufbewahrt.

Regierungswechsel in Wien  .

Neuwahl durch die Volksvertretung.

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Wien  , 14. Januar.  ( Eigener Drahtbericht.) Infolge des Aus scheidens dreier Minister hat die gesamte Bundesregierung ihr Amt niedergelegt und begründet dies damit, daß ihre Aufgabe die Ausführung der neuen Genfer   Sanierungsvereinbarungen erfüllt fei. Entsprechend der Verfassung wird der Nationalrat bie neue Regierung wählen; der Bundespräsident hat hierbei feine Funktion. Die Wahl erfolgt morgen, Freitag. Gemäß der Zusammensetzung der vorhandenen flaren Mehrheit im Nationalrat  wird auch die neue Regierung aus Christlichsozialen, Großdeutschen und vielleicht auch einem Landbündler bestehen.

Die sozialdemokratische Fraktion hat durch Genossen Deutsch  eine Interpellation eingebracht, bre sich auf eine auffehenerregende Enthüllung der Arbeiter- Beitung" gründet. Unser Zentralorgan veröffentlicht heute früh einen Auszug aus Dokumenten, nach benen von der ungarischen Regierung illegale Militärorgani. fationen errichtet worden sind, die auf den irredentist if en Cib verpflichtet werden. Die Interpellation fragt, was der Bundes tangler gegen die ungarischen Rüstungen an der Grenze des Burgenlandes tun will, und ob er die Aufmerksamkeit des Bölterbundes auf das den Frieden bedrohende Verhalten Ungarns   hingelenkt hat.

Stürmisch begrüßt, bemerkte Löbe einleitend, daß es bei der Sufpigung der politischen Berhältnisse beffer gewesen wäre, wenn als Thema des Vortragsabends die Fürsten   abfindung ge­mählt worden wäre. Aus diesem Zivilprozeß der Fürsten  , der um des Mammons willen geführt werde, merde ein Kampf um die Republit erwachsen. Löbe wies sodann auf die Bor. gänge im Rechtsausschuß des Reichstages hin und auf die Demas fierung derjenigen, die am Tage die Toga des Boltsvertreters trügen und am Abeno ben Poſten eines gutbefeldeten Fürſtenanwaltes be­Heibeten. Wenn der Kampf um die Fürftenabfindung zu Ende ge­führt sei, dann werde es den Deutsch nationalen noch ( chlimmer zumute fein, als bald nach der Hindenburg. ahl, denn schon jetzt möchte mancher dieser Kreise wegen der Bahl Hindenburgs und feiner Folgen Boltstrauer abhalten. Ueber das Thema Fürstenabfindung werde aber an einem besonders bafür geeigneten Tage, nämlich am 27. Januar, eine große Kund­gebung veranstaltet werden, Anschließend plauderte er sodann über bie Einbrüde eines beutschen Arbeiters in Ame- militärisch vorgeht.

Eine Budapester offiziöse Meldung versucht, diese Geheim­rüstungen abzuftreiten. Aber alle Welt bis auf die Amtssteuen der Entente! weiß, was seit Jahr und Tag in Ungarn   illegal.

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Götzendämmerung.

Das Tagebuch Ludwigs des Geisteskrante. Bon Alwin Saenger  .

In der Schule fängt es an; auch im republikanischen Staate lernt man: In hochherziger Weise bot der deutsch­fühlende, ideal gesinnte König Ludwig II.   von Bayern  König Wilhelm von Preußen den Titel Deutscher Kaiser an. In edler patriotischer Gesinnung half so der jugendliche König die deutsche   Frage lösen." Warum auch nicht? Bis mard hat ja auch das Haupt des gépriesenen Wittelsbachers bengalisch beleuchtet mit seinem Trinffpruch anno 1870 zur Bersailles: Im Hauptquartier   herrschte große Freude über die deutsche   Haltung Ludwigs von Bayern  ."

Später wurde er dann mehr ein finguläres Himmelslicht des weiß- blauen Gottesgnadentums. In den Rächten, in denen der goldene Schlitten mit den sechs weißen, spanisch über das Eis des Chiemsees fuhr, grüßten aus föniglich ge­geschirrten Pferden über Winterwege, am Walchensee   vorbei, botener Entfernung barhäuptig die treuen Söhne der Berge den herrlichen König. Die Berehrung wuchs mit der Ent­widlung töniglicher Macht und königlichen Bruntes. Der Knebelbart, den Ludwig der Deutsche   den vergötterten fran­ zösischen   Bourbonen nachwachsen ließ, wurde bei den Aller­treuesten gepflegtes Symbol dynastischer Gesinnung. Bor tragsfünftler, die dem P. T. Publikum Gedichte über Ludwig portrugen, legten sich den Ludwigsbart zu, um volle Erfolge fich zu sichern. Heute noch begegnet man hie und da er­grauten Ueberresten folch bourbonisch- bayerischen Zeichens der töniglichen Zeit Ludwigs II. Andere Beweise echter Untertanentreue weist die Chronit zahlreich auf. Auf der Fahrt von Neuschwanstein   nach Schloß Berg in den letzten Lebenstagen fredenzte am Südende des Starnberger Sees  in Seeshaupt   eine wirtin dem Fürften ein Glas Baffer. Noch heute ist die gläserne Hülle des föniglichen Wasser trantes unter einem Glassturz wohlbewahrtes Objekt satraler Berehrung der Ludwig- Gläubigen. Mit stummer Hoffnung auf tönigliche Wiederkehr wird der Wasserfleden in der fönig­lichen, blauen Bettdecke zu Schloß Berg betrachtet, die den aus dem See gezogenen toten Rörper des Monarchen deckte. Kräftigere Naturen unterbrechen hier und da die friedliche stille dankbare Betrachtung durch die Bemerkung: Den hab'n die Saupreußen umgebracht." Der Abbruch des Wintergartens auf der Residenz wäre beinahe daran ge­[ cheitert, daß an dieser heiligen Stätte der geliebte Rönig öfter eine Tasse Kaffee getrunken hat.

Die Fortdauer der Ludowicifchen Tradition wurde im letzten Sommer in sinniger Weise stabilisiert; im Abend­dämmern pflegten bayerische Lords und Ladies, befracter und defolletierter Gesellschaftscreme zum Herrenchiemsee­Schloß Louis XVI.   von Bayern   zu pilgern, um in der Spiegelgalerie im Lichte von 2000 Kerzen der Erinnerung an bessere Zeiten sich hinzugeben. Viel Roften, aber die un­geschmächte Liebe zu dem föniglichen Herrn bezahlte es. Und die grenzenlose Berehrung, die diesem prominentesten Gottes­gnadenmanne eben wegen seiner fürstlichen Prominenz ge= 30llt wurde, ist aus der Tatsache ersichtlich, daß heute noch nach töniglicher Sonne Sehnsüchtige an ein Fortleben der Majestät auf dieser Menschenerde glauben. Wahrhaftig: jeder Zoll ein König! Jeder Zoll bewundert von dankbaren Untertanen.

Und nun ist alles taputt. Beinlich für die Royalisten aller Zonen, blöd peinlich für den föniglichen Großvetter Rupprecht   den Eiligen von Wittelsbach ist dieser Fürsten­fladderadatsch, den die eben veröffentlichten Tagebücher des zweiten Ludwig nebst Anhang den frommen Untertanen fer­vieren).

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Da steht es nun unheimlich nüchtern im Seffionsbefund des ,, ehrerbietigft gehorsamst" unterzeichneten Obermedizinal­rates Dr. v. Kerschensteiner vom 20. Juni 1886: Bruftumfang 103 Bentimeter, Bauchumfang 120 Zentimeter, Rörpergröße 191 3entimeter, Gehirn 36 Gramm unter dem Durch Armes Gottesgnadentum! Wie es wohl Schnittsgewicht." bei den anderen ausgesehen haben möchte, bei denen eine anatomische Bewertung töniglicher Größe unterblieb? Bei Ludwig lautet der vernichtende Schlußfaz:

Jm weiteren stimmt der Hirnbefund genau zu dem zeitlichen, über eine Reihe von beiläufig 20 Jahren fich ausbehnenden Berlauf der pinchischen Erkrankung. Das Ergebnis der anatomischen Unter­fuchung des Schädels und des Schädelinhaltes Seiner Majestät König Ludwig II.   von Bayern   dient zur Aufklärung der bei Geiner Majestät während des Lebens beobachteten Krankheitserscheinungen.

Im Mai 1864 wurde der Bäter Thron bestiegen, 1886 brachte das unglüdliche Ende; also verrüdt während der ganzen von Würdenträgern und Bol! gepriesenen Regierungszeit; gepriesen, denn auch diesem Geistestranten sezte man in der föniglichen Haupt­und Residenzstadt   ein tönigliches Dentmal!

Alles kaputt, der Grundsatz der Ererbung von Landes­

*) Tagebuchaufzeichnungen von Ludwig II.  , König von Bayern. Erftes Tagebuch 1869-1885. 3weites Tagebuch 1886. Schean Liechtenstein  - Berlag Rupert Quaderer.