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Nr. 25»Z.Iahrgaag

1* Heilage ües vorwärts

5r»ttag, 75. Kasuar 7�2»

Herliner Notftanösarbeiten. Der Magistrat wird zu grötzter Eile gemahnt.

Die Berliner Stadtverordnetenversammlung ge» nehmigt« gestern die Entwürfe der Aanalisationsbauten, die als N o t» standsarbeiten zur Linderung der Arbeitslosig. teit ausgeführt werden sollen. Dem Magistrat, der erst jetzt mit dieser Vortag« gekommen ist, wurde vorgehalten, daß raschere A r b« l t seine Pflicht gewesen wäre. Unsere Genossen C z e- m i n s t i und Krause sagten ihm das mit der nötigen Deutlichkeit und warnten ihn. das Elend der Erwerbslosen sich noch steigern zu lasten. Die von Oberbürgermeister B ö tz versuchte Abwehr macht« nicht viel Eindruck. Daß die Schuld nicht das Landesarbeitsamt trifft, erklärte Stadtrat Genost« Brühl . Aus der gestrigen Debatte gewann man den Eindruck, daß Stadt- baurat Hahn, der Leiter des Tiesbauwesens. für die Verzögerung verantwortlich zu machen ist. Man darf hoffen, daß wenigsten» setzt alles geschehen wild, die genehmigten Notstands- arbeiten schleunigst in Angriff zu nehmen. Biel bedeutet ja dieser Anfang nichteinen Tropfen auf den heißen Stein� nannte ihn unser Redner. Angenommen wurde auch ein von der sozialdemokratischen Fraktion eingebrachter Zusatzantrag, der Not- standsarbeiten auch sür weiblich« Erwerbslos« fordert«. Da» ist eine Aufgabe, um deren Lösung der Magistrat sich zu be- mühen haben wird.> » In der gestrigen Sitzung der Stadtverordneten wurde«ine Dringlichteitsvorlage de» Magistrats beraten, die Notstands» arbeiten zur Linderung der Rot der Erwerbs» losen vorsteht. Genoste Ezeminski führte namens unserer Fraktion aus: Der Magistrat scheint den Stadtverordnetenbeschluh über die Notmaßnahmea zur Linderung der Erwerbslosig» keit nicht für eilig zu halten. Am l7. Dezember sind Mittel für diesen Zweck bewilligt worden, ober bis zur Stunde ist nicht» ge» schehen. Alle Parteien in diesem Hause sind sich darüber einig, daß es bester ist. für die Erwerbslosen Arbeit zu bescha'fen. ol» ihnen Unterstützung zu zahlen. So wollen» die Arbeitslosen selbst: sie Ardeil. Lohn nud Bröl haben, damit fie ihr« Famillen erkalten können und nicht der öffentlichen Wohlfahrtspflege zur Last zu fallen brauchen. Schon Anfang November haben die einzelnen Bezirke ihre Notstandearbeiten gemeldet. Aber seit der Zeit ist nichts ge- schehen. nicht» hat der Magistrat getan, um die Arbeit in Angrijs nehmen zu lasten. Wären nicht die Bertreter der Berliner Ge- wertschaftskommission bei den Behörden vorstellig ge- worden und hätten dort auf josottiae Erledigung gedrängt, so wären vielleicht selbst die vorliegenden Arbeiten noch nicht den Stadt- verordneten vorgelegt worden,»t, zum Montag lag noch kein Antrag aus geldlich« Unterstützung der ins Auge gejaßten Notstands- maßnahmen b'i den zuständigen Stellen vor, und so konnten auch keine MUtel bewilligt werden. Für eine solche unglaubliche Behand­lung der Erwerbsloseusrogea fehlt mtr der parlamenlarijche Aus- druck. 3a keiner Stadl Den Ischland» Ist so wenig sür die Erwerb». losen getan worden wie ln Berlin . Dir verlangen mehr Emst und Energie beim Maglstrot. Die vorliegenden Arbeite« sind weniger al» der bekannte Tropfen auf den heißen Stein. Don den vorhandenen Erwerbslosen können nach der Dringlichkeitsoorlag« kaum ein Prozent beschäftigt werden, vor längerer Zeit ist ein« ge- mischte Deputation eingesetzt worden, die auf Wunsch de» Magistrat» mit ihm über den Bau der«ES.-Bahn beroten sollte. Dies« Deputation ist bi, heute noch nicht zusammengetreten, obwohl sie mel Arbeit hätte beschaffen können. In der Frage der Zuschüttung de» Luisenstädtischen Kanal» ist bi» heute noch kein Gmehmiqungsantrag gestellt worden. E, nützt also nicht», daß w-ui« Sitzungen abgehalten und daß große Beschlüste gefaßt werden. sondern der Magistrat soll dte Initiative ergreifen, um den Erwerbs- lose« Hilst zu bringen Dem Magistrat konnte da» Ansteigen der Erwerbslosigkeit nickt unbekannt bleiben, denn er ist von den maß- gebltche« Behörden rechtzeitig darauf hingewiesen worden,«ber n i cht» wurde getan, im Gegenteil, man baute die Notstand»-

arbeiten sogar fest dem Sommer ab. Die Zeit de» Erwägen» ist vorbei, » ist dringend« Zell , daß die Erwerbslosen in Arbeil kommeui Wir richten an den Magistrot die energische Aufforderung, bei seinen Stellen mehr Dampf zu machen, damit schneller und bester gearbeitet wird zum Wohle der Erwerbslosen.(Lebhafter Beifall.) vom Magistrat sprach zunächst Oberbürgermeister BSß: Er betonte, daß durch die Beschlüsse der Stadtverordneten vom 17. De- zember Notstandsarbeiten in einem Umfange bewilligt wurden wie in keiner anderen Stadt. Die großen vorliegenden Arbeiten sind ober derart, daß sie nicht von heute auf morgen tu Angriff ge- nommen oder geleistet werden können. So schnell es möglich war. sind die vorarbeiten beschleunigt worden, doch gehen die Auf- sichtsbehörden mit peinlichster Gewistenhaftigkeit vor, so daß dadurch oft Verzögerungen entsteben. Der Magistrat tut sein Möglichstes zur Linderung der Erwerbslosennot. Stadlbaurat haha erläuterte darauf die technischen Schwierigkeiten, die die Notstands» arbeiten bereiten. Nach längeren Ausführungen des Kommunisten Roth, der sich gleichfalls gegen den Magistrat wandte, erklärte Ge- noste Krause, daß die Ausführungen der Magistratsmitglieder kein« Gewähr dafür bieten könnten, daß den Erwerbslosen bald ge- Holsen wird. Daran liegt es eben, daß der Magistrat bei seinen untergeordneten Stellen nicht genügend eingeheizt hat. damit die Arbeit in Gang kommt. Es ist höchste Zeit, daß etwa» für die Erwerbslose« geschieht, sonst brauchen wir un» nicht zu wundern, wenn die Erwerbslosen in Erregung geraten. Genosse Kraus« berichtet weiterhin über dl« Verhandlung«» der tvewerkschaflskomwkfsionwustgstet»« bei den Behörden. denen er betwohnt«. Bis zum Freitag vergangener Doch« lagen bei keiner Stelle prüfungsreife Anträge des Magistrat» vor, und selbst der Oberpräsident konnte keine andere Auskunft geben. Der Oberbürgermeister erklärt« der Kommission, daß vom Magistrat olle» geschehen sei. Später fanden sich bei den Behörden Anträge vor, die nicht einmal ordnungsgemäß unterschrieben waren. Als die Kommission vervielfältigt« Anträge vorwies, um wenigstens etwa» zeigen zu können, behielt man schließlich diese Schriftstücke da mit dem Beinerken, sich die Unterschristen selbst be- sorgen zu wollen. Der Dringlichkeitsantrag des Magistrats befriedigt keineswegs, es muß mehr Arbeit beschafft werden, wobei auch der gute Wille des Magistrats erkennbar fein muß. Durch die Auf­forderung des Wohlfahrteministeriums im Sommer dieses Jahre», Anträge auf Winternotstandsarbeiten schon damals elnzurelchen, war der Magsstrat aufmerksam gemacht und gewarnt worden. Cr hat aber die Zeit nutzlos verstreichen lassen, ohne sich mit der zu erwartenden Erwerbslosigkeit zu beschäftigen. Dielleicht haben die Magistratsstellen den Hintergedanken gehabt, die Arbeiten hinzuziehen, um bei den Erwerbslosen den Eindruck zu erwecken, al» könne die Mehrheit der Versammlung, aus Sozialdemokraten und Kommunisten bestehend, auch nichts zur Behebung der Arbeitslosig. keit tun. Die Hauptschuld liegt offenbar am Stadtbaurat. Bei den Ausführungen des Herrn Oberbürgermeister» hatte et soft den An­schein. ol» wolle er einen Tell der Schuld auf da» Lande»- arbeit samt abwälzen. Das darf nicht geschehen. a»eil dieses Amt ohne jede Schuld ist. Wir werden nicht verkehle«, die Erwerbslosen auf diese Verzögerung aufmerksam zu machen, damit sie die wahren Schuldige« erkennen. Den Magistrat ersuchen«Ir. mit größter Beschleunigimg für die Erwerbslosen zu sorgen.(Bei» fall. Stadtrat Genosse Brühl gibt eine chronologische Dar- stellung der Verhandlungen mit den Behörden. Bereit» im Sep- tember habe der Magistrat Anträge auf Bereitstellung von Mitteln für Notstandsarbelten gestellt. Der Redner verbreitet sich dann de« näheren über dte Art der finanziellen Regelung der Notstands- arbeiten, wobei er feststellt, daß trotz aller staatlichen Zuschüsse immer noch Ansprüche an den Stadtsäckel gestellt werden, die kaum zu tragen sind. Bei der mangelnde« llnierstühung durch de« Staat ist wenig Hoffnung vorhanden, daß die Stadt größer« Menge« Er- werdsloser beschäftigen kann. Der Magistrat hat alle» getan, wo» m

seine« Kräften stand: auf keinen Fall sst irgendeine Schuld beim Landesarbeitsamt zu suchen. Stadiv. Kunze ließ wieder«ine seiner berüchtigten Reden vom Stapel, während Schmidt(Z.) und Merke» (Dem.) sich mtt der Dringlichteitsvorlage des Magistrat» etnver- standen erklären. In der A b st i m m u n g wird zunächst ein Zusatzantrag unserer Fraktion angenommen, der auch für weibliche Erwerbslose Rotstandsarbelleu verlangt. Ein Zusatz. antrog der Kommunisten, der ebenfalls angenommen wird, verlangt die sofortig« Inangriffnahme von Notstandsarbeiten und fordert Bericht vom Magistrat an die Versammlung. Die Magistratsvorlag« wird schließlich einstimmig angenommen. Als Beisitzerin in den Derwaltungsausschuß de» Land«»» arbeitsamt» wurde durch Zuruf die Genossin Hoppe gewählt. Mit den Stimmen der Linken wurde beschlossen, den Magistrat um Borleaung einer Steuerordnung zu ersuchen, die ein« pro- gressive Steigerung der Grundvermögen» st euer enthält. Di« Vortagen wegen de» Umbaue» de» ver- b i n d u n g» w e ge» zwischen Untergrundbahn und Rordsüdbahu am Bahnhof Friedrich st adt ging an einen Ausschuß. In langen Ausführungen erhebt Stadtv. Prof. Vonicke(völk.) gegen «men f rüderen Fürsorgearzt heftige Borwürfe. Ein« Kronken- schwester, die die Angelegenheit gemeldet hatte, sei daraufhin ent» lassen worden. Stodtmedizinalrat Prof. Dr. o. Drigalski sagt« eine Untersuchung der Angelegenheit zu. Genosse Keimanu betonte, daß der Arzt bereit» au» städttschen Diensten ausgeschieden sei und daß >m übrigen die Vorwürfe Danicke» zumeist auf Klatsch beruhten. Die Schwester habe sich ihrer Beziehungen bis zu Ludendorff herauf gerühmt und oft über da» gudenpack geschimpft. Sie habe sich in Herrn Danicke den schlecktesten Verteidiger ausgesucht. Für einen Antrag Danicke» auf Einsetzung eine» Untersuchungsausschusses fand sich nicht eine Stimme._ Das Urteil im Gattemnorö prozeß. V Jahre Zachthaa» für den Ehemann. 1- Nach dem Gesetz mußte den Kesselschmied Otto Biese die schwerste Strafe treffe«, wenn er de» Gattenmordes für schuldig befunde« wurde. Der Staatsanwatt hatte fie auch beantragt. Er hiev de» Indizienbeweis gegen den Angeklagten für vollständig gefchlosse» und deantragt« dt« Todesstrafe. Das Gericht folgte ihm rttcht ganz. Es sprach Tiefe wohl des Totschlag» an setner Frau schuldig, verneinte aber die Ueberlegung, kam weiter zu de» Entschluß, der Angeklagte hätte seiner Ehefrau Bethilf« zur ver» suchte» Abtreibung geleistet und verurteilte chn zu einer Zucht» hausstrafe von ö Iohren, von denen ö Monate durch die Untersuchungshaft für oerbüßt galten. Der Lokaltermin, der alle Beteiligten am Tatort oereint sah, war ein Beweis guter Kombtnattonen der kriminalistischen Technik. Die verlassene Gegend am Teltowkanal, die Spuren an der Böschung, die Entfernung vom Lokal, w welches Giefe nach der Tat gegongen sein sollte, zu der Stelle der Tat, alle diese Momente sprechen viel- leicht gegen den Angeklagten. Auch die späteren Aussagen de» Arztes, der die unglückliche Frau im Urbankrankenhau» zuerst be- handette, waren für Giele recht belastend. Auf der anderen Seite stand da», was man von der jungen Frau zu sagen wußte: Die Furcht vor dem Kinde, die Vorwürfe der Ellern , die keinen Platz mehr in der Wohnung tür sie haben wollten! Die wiederholten Aeußerungen. sie wolle sich das Leben nehmen! Das Einverständni» mit ihrem Mann, eine Verhinderung der GebuN ihre» Kinde» vorzunehmen! Konnten nicht diese psychologischen Einwirkungen auf da» Gemüt einer schwangeren Frau von nachteiligster Wirkung sein? Und kamen nicht die schwersten AnNagen aus dem Munde dieser Frau? Giefe behauptete klar und fest, sie hätten beide an dem iraglichen Tage d i e Absicht zum Selbstmord gehabt. Er wollt« es im letzten Moment oerhindern, fand vielleicht nicht mehr die Kraft dazu für sich selbst und floh dann, al» er sah, wie e» um seine Frau stand. Di« Beweisaufnahme hatte ihm das ebenso- wenig widerlegt, wie sie einen klaren Beweis für eine so schwere Schuld erbrachte. Das Geheimnisvolle, das ohne jede Frage über diese Begebenheit schwebt, ist sicher mit aller Kraft zu klüreu versucht worden. Aber auch nur das! »«nfvm-VevoNevichaft VerNn und llmgegeu». Sonntag. 17. Jana«. 5 llbr. tu der«ockbraueret, sttdlcwur. 2/3; BeleMge veranttaUnn» Kino und Konzert,«tllet»(k 60 Ps.) tu den«dgabestellen Arndtstr. 2» und storckstr. 70.

Die Passion.

Roman von Clara Btdrig, ..Mein Jtlnb. den hättste kennen sollen, al» er noch forsch warl Ich sag« dir,«in Mensch wie'n Daum. Blendend! Und was sie all«'ne Angst vor ihm hatten! Wenn er im Lokal nur einen schief anguckte, duckte der gleich. Ach, mein arme« Häseken" sie stieß einen tiefen Seufzer ausich glaub«, mit dem i,'» au» und vorbei. Nächsten Sonntag will ich ihn aber auch bestimmt wieder mal besuchen. Denn kommste mit. Cochen. ja? Gott sei Dank, denn bin ich ja nicht so alleine auf den weiten Weg man macht sich sonst zu viel Gedanken." Am nächsten Sonntag war Lene den ganzen Dormittag schon recht nervös: sie trennte immerfort an einem Kleid. änderte, plättete und bog die Krempe ihres Sonntagshutes. vorm Spiegel probierend, bald mehr nach oben, bald mehr nach unten, riß aber zuletzt die ganze Garnitur ab und steckte ein paar Tuffs großer roter Rosen auf. Ihre Toilette dauerte heute endlos lange. Denn zwischendurch setzte sie sich immer wieder auf einen Stuhl, ließ die Hände in den Schoß sinken und seufzte. Zuletzt war sie aber doch alifgezäumt: so. ele- aant angezogen, sah sie., noch immer nach etwas aus. nur nicht ganz so viel Rot hatte sie auflegen sollen und sich auch nicht so sehr einschnüren, der starke Busen sprengte seine Hülle fast Einen hellen Sonnenschirm in der Hand, in etwa, zu'engen Goldkäferschuhchen trippelnd, ging sie mit Eva fort.. Auch Eva hatte sich fein machen muffen: im jugendlich duftigen Kleid, in Schühchen. die ,hr die Freundin geborgt. da» Haar, das letzt wieder langer geworden war und upp.g, unterm neuen fiut schön geordnet, sah ne ganz hübsch aus. ..Wir können uns sehen lassen." sagte die Bumke be- friedigt. Auch Eva war befriedigt, eme leise Rote war ihr in» Gesicht gestiegen, al» sie sich im Spiegel sab es war doch schön, einmal in ganz neuen Kleidern zu fetn. Lieber wäre sie ,o heute auf den Kirchhof zum Grab ihrer Mutter gegangen, aber sie konnte der Freundin, die aus ihre Be- gleiwng drängte, doch den Wunsch nicht abschlagen. Auf der langen Fahrt in der elektrischen Bahn hinaus zu? Anstatt traf mancher verwunderte Blick das ungleiche Paar: wie kamen denn die zwei zusammen?-ernte die Alte die Imige an?

Mit einem frohen Staunen begrüßte Eva Felder und Sonne: wie lange hatte sie so etwa» nicht mehr aesehen. nicht mehr soviel srisch« Luft geatmet! Damals aus dem Land und bei Frau Bayer, sogar bei Frau Lämmlein hatte sie Luft genug. Aber sie hatte die nicht so genossen. Heute fühlte sie sich ganz frei, ganz leicht. Sie lächelte die gute Freundin an. die würdig, aber in einer gewissen Unruhe, die sie nicht ver- bergen konnte, an ihrer Seite saß.Nun sind wir bald da," sagte sie und preßte Evas Hand. Was war da« für eine Anstatt?Bis zu? Anstalt." hatte die Bumke zum Schaffner gesagt, al» der mit den Billetts kam.Zur Anstalt, zur Anstalt." das hörte Eva immerfort: es schien kaum einer mit dieser Bahn zu fahren, der nickt dah!n wollte. Es mußte eine große Anstalt sein, ein so großes Krankenhaus wie die Charit�. Ein Krankenhaus war Eva nichts Neues, sie war nicht neugierig und wurde es auch nicht, mochten die Leute, die dicht den Wagen füllten, ge- drängt im Gang standen, noch so tomisch reden. Sie schnappte einiges auf. Den Wärter haben sie neulich beinahe totgeschlagen" Den Doktor auch angefallen." Das. was so halbgehört und nicht verstanden an ihr vorbeiklang. gab ihr heute nichts weiter zu denken. Sie war ganz damit beschäftigt, ins Freie hinauszublicken. Da waren natürlich keine weiten, wohlbestellten Bauernäcker, wie da- mals auf dem Land, auch keine hübschen Villen, auch kein schöner Grunewald, aber hier hatten kleine Leute sich kleine Lauben gebaut, hatten ein paar Sonnenblumen und niedrige Stachelbeerbüsche zwischen Schutthalden und Unkrautfeldern. und das gefiel Eva doch. Denn es mußte schön sein, da am Sonntag nachmittag ruhig in seiner Laube zu sitzen, ein wenig zu häkeln und zuzuhören, was der Mann aus der Zettung vorlas. Zwischen den Stachelbeerbüschen spielten die Kinder, braungebrannte gesunde Kinder, zwei Knaben, zwei kleine Mädchen in blauen Kleidchen. Die Sonne leuchtete auf das heitere Blau, sie waren wie große Wunderblumen. Helle Stimmen erklangen. Kinderjubel, Bogelgezwitscher: man war zufrieden und glücklich. Da und dort wurde hier auch schon ein Haus gebaut. das stand aber aus der Oede heraus wie ein einzelner Zahn aus zahnlosem Kiefer. Nein, was man so sagte. es hier eigentlich nicht: man merkte nur an dem grauen Dunst, der hinter einem blieb, daß man jetzt draußen war im Freten. Kein Wald, keine Wiese, trotzdem empfand Eva diese Fahrt

wie eine Landpartie: sie sah an sich herunter, an ihrem helle» Kleid und fühlt« sich festtäglich. Es war eine weite Fahrt, nun dauerte sie schon drei Viertelstunden: endlich tauchten Baumgruppen auf, es hieß: Anstalt. Alles aussteigen!" Komm," sagte Lene und nahm Eva bei der Hand. Sie gingen mit einem ganzen Troß von Menschen: Männer und Frauen. Alle trotteten sie schweigend und eitten, denn die lange Fahrt hatte viel Zeit verschlungen. Das Eingangstor, an dem ein Pförtner faß, hatten sie jetzt hinter sich. Es war ein schöner Part, durch den man ging, eigentlich ein Wald: weite Rasenflächen gaben frische stärkende Luft, große Bäume breiteten ihre mächtigen Kronen. O, hier war es aber gut sein! Eva sog beglückt die Gras» und Blumendüste«in. die der Wind mit sich trug: hier war es doch noch ganz anders frei, als in den umbuschten Höfen der Eharitch eine köstliche Luft! Und jetzt kam auch die An- statt zum Vorschein, ein Schloß mitten im Park. Ein mäch- tiges.Hauptgebäude mit Seitenflügeln, dahinter noch vcr- schiedene andere Gebäude. Eva blinzelte, das Licht blendete sie. hier war ja so viel Sonne. Sie hätte sich' gern noch ein wenig mehr umgesehen. Nu komm schnell." sagte aber Lene. Die meisten Menschen, die mit ihnen im Trott heranmarschiert waren. halten sich schon verlaufen, es waren nicht sehr viele mehr, die mit. ihnen gleiches Ziel hatten. Wollsaal Drei," sagte die Bumke zu dem Mann, der den Eingang hütete. Nun durch einen langen Gang, in dem ein schwerer Geruch lagerte, ein Geruch, den Eva kannte: ein Ge- misch von allerlei Desinfektionsmitteln, von Medikamenten, von Chloroform und Aether. Aber hier war der Geruch stärker, nur Karbol, die Wände des Ganges schienen ganz durchtränkt davon. Und hier sehr stark: Wollsaal Drei. Wärter in langen trübfarbigen Kitteln, noch junge kräftige Menschen, aber mit ernsten Mienen standen herum. Wo waren die freundlichen Schwestern mit den weißen Kopf- bedeckungen? Eva prallte zurück: was war das hier?! In Betten, die keine Betten waren, sondern tiefe Kästen, lagen Menschen, die keine Menschen mehr waren. Und sie lagen auf keinem Polster nirgends eine Matratze, nirgends ein Strohsack unter ihnen, der braunen Lohe ähnelnd, ein Gemengsel geraspelter Holzwolle. Nur der Kopf hatte ein Kissen. Betäubender Geruch stieg auf aus den Kästen, er machte übel. Und heiß, furchtbar heiß war es im niedrigen Saal: die in den Kästen lagen halb entblößt. Fliegen surrten. (Fortsetzung folgt.)