fle. 27 4»Z.?ahrg«»s
1. Seilage öes VsnNärts
. Sonatag,?7.�am>ar 7424
Bm Freiligratk) auf dorn Aunsrück.
Der Schneesturm stimmt vom Rhein und sogt nach der Mosel zu über den fjunsrück. Die Kälte steht ehern mit A) Graden über den erstarrten Wäldern. Die Ackerschollen sind an der Ostseite vom rasenden Schiue weißglitzernd. Der Külzbach, das sorellengesegnete Wässerlein murmelt unter der Eisdecke, manchmal klirrt sie und bricht, und ein alter Mann steht daneben und lugt durch die kleinen Schollen, wie'« den Fischen gehen mag, die ihm im Frühjahr wieder Nahrung und Arbeit geben sollen. Ein alter Mann mit greisem, knappem Haar, so alt, daß er ein Recht darauf hätte, im Lehnstuhl zu sitzen und sein wenig rückschauende» Denken zu pflegen, zu träu- men und manchmal auch an den Tod zu denken. Aber dieser alte Mann ist nicht für da» Greisentum geschaffen, nicht von der Art: »Auf die Pastille gebückt, zur Seite de» wärmenden Ofen».' Er trägt Sehnsucht nach dem Leben in Freiheit, nach den Wäldern, die den Horizont kränzen, nach dem Himmel, der oller Länder Stuben- decke ist, noch mit 7S Jahren in sich. Er hat noch viel« Forderungen an das Leben zu stellen. Aber das Leben ist hart und will chn bei- feit, stellen. Die Menschen in Deutschland , die. da sie zum.Volk der Dichter und Sänger" gehören, doch ein wenig Interesse an seinem Schicksal nehmen müßten, haben ihn vergesien, ihn, den einzigen überlebenden Sohn de» großen deutschen Frei- heitssänger»—- den 7Sjährigen WolsgangFreiligrath, der al»Landarbetter arm und kaum beachtet, zuKülzaufdem H u n» r ü ck l e b t. Sie haben mit Ihren.angestammten Fürstenhäusern" zu tu», die ihnen das Letzte abknöpfen wollen, die letzten paar tausend Millionen. Darum wurde dem Alten 15 Reichsmark monatliche Kleinrente entzogen und nun lebt er von der Unter- stützung einer Landarbeitersamilie, die ihn seit Iahren bei sich auf- genommen hat. Vas Haus mlt de« grünen �äüen. 0. da» ist ein bekanntes Haus in allen Dörfern auf dem Hnns- rück, die rund um die kleine Kreisstadt S i m m« r n liegen. Besonder» jetzt im Winter, wo die harte Kälte mit der frühen Dunkel- heit einsetzt und die arbeitsgewohnten Hände keine Tätigkeit auf dem Felde finden. Da geht man in dos Haus und jragt nach der jungen Frau Schmidt oder nach dem alten.F r« i l i ch". Und wenn der alt«.Frellich" den Kühen das Futter gegeben und die Frau Schmidt den Schweinen den guten Fraß gekocht und alles soweit in Ordnung ist. dann geht's zu den Büchern, zu den Büchern, die des alten Freilich» Dater, der Ferdinand Freiligrath , geschrieben hat. Da lagt nun die Frau Schmidt, wo die schönsten Gedichte darin stehen, die. wo er den Fürsten die Wahrheit sagt und da« Äolk aufrust, die Ergebenheit abzuschütteln, wo er die weiße Frau den Fürsten warnend erscheinen läßt. E« ist der Schrei, den am sein Recht Da» Bolk erhebt, annoch in Treuen ! Du schläfst sehr fest, o, mein Geschlecht. Zu überhören solch ein Schreien. Oder da» Lied vom Tod" oder der Schwur L>ie Toten an die Lebenden" O, steht gerüftetl Seid bereit! O, schaffet, daß die Erde, Darin wir liegen strack und starr, ganz eine freie werde. Da» Buch ober, das den Leuten am besten gefällt und wo e« heiß, verwegen, aufputschend oder träumerisch und empfindsam zugeht, da» nehmen sie mit nach Hause. Es sind mehrere Bände da in dem kleinen Haus mit den grünen Läden, aber sie sind so zerlesen, so mit dem Sraub des Landes von harten Händen er- füllt, daß die Blätter schon Neigung zeigen, au» dem Einband zu fallen. Aber bevor sie ganz zerfallen sind, wird man sie auf dein Grabe de» alten Sängers der Freiheit m einer Kapsel beisetzen und vielleicht schreibt einer darauf: Die Hinterloflenschaft seines Sohne» Wolsgang. den die Republik hungern läßt, der aber bei der Frau Schmidt und Ihrem Manne, dem Landarbeiter. Nahrung und Woh. nung fand.— Nahrung und Wohnung gibt die Frau Schmidt und ihre Familie dem Alten gern. Sie sind es ja immer so gewohnt gewesen, den Alten um sich zu sehen. Woljgang Freiligrath gehört einfach zur Familie: er lebt seit 32 Jahren in dem kleinen Hau» auf dem Hunsrück. weltoerlasien und von niemand gekannt. Er hat die Frau Schmidt und ihre Schwester als kleine Kinder mit erziehen helfen und erzieht jetzt ihre Kinder. Er hilft bei der harten
Der 7 9 jährige Sohn des Prelbeltsäagen.
lrbeit auf dem Lande, soweit das mit seinen 73 Jahren noch in üinen Kräften liegt. Er sät dos Korn und hilft es bündeln, wenn s reif ist. Er sät auch von den Frecheitsgedairkcn. die vom Dater «r in seiner Seele leben, in die Käps- der Kinder. Er macht kein lufheben« davon, er ist kein Demagoge und ist wohlaelitten. Da, ich« ist so«ng gemachen um ihn, da nach man eben bescheiden
werden. Aber einst war das anders, da lebte in ihm der Aden- tcurergeist des Vaters, das Drängen in die Fern� die heiße Sehn- sucht in aller Welten Länder zu dränge� und was der Alte er- träumte und in beseligten Phantasien nicdarschrieb— das durfte ».erleben.— Da sitzt Wolfgang Frelligrath, 73 Jahre alt, zu Külz auf dem Hunsrück und erzählt von seinen Eeinnerungea. War das Patenkind eines Enkel» von Goethe, den der Vater aus der weimarischen Heimat der Mutter kannte und auf besten Patenschaft er großen Wert legt«. Dachte vielleicht, er werde die väterlichen Talente erben und sah im goethischen Vornamen
Die Heimstätte Wolfgang Frelllgratbs In Külz. ein gutes Omen. Wolfgang Freilgrath entwickelte sich aber anders wurde ein Mann der tätigen Hand, stand mit beiden Füßen auf dem Boden dieser Erde. Ganz frühe Kindheftserinnerungen an den Bater beziehen sich auf die Zeit, als dieser in der Verbannung in London lebte, nachdem er sich ganz der neuen Freiheitsbewegung in die Arme geworfen hatte.
Dom Gedanken bis zur Tat Schlug ich dreist die Brücke. Hüben steh' ich, und kein Führt mich je zurücke!
Pfad
In London wurde auch Wolsgang 1847— ein Jahr vor dem großen Sturm— geboren. Wolfgang schildert den Voter als einen Men, ruhigen und immer freundlichen Menschen. Di« Kinder, es waren noch vier, sahen chn wenig. Er führte das Leben eines vielbeschäftigten eng- tischen Kaufmannes, kam abends gegen 6 Uhr nach Hause und schloß sich sofort in seiner Bibliothek ein, die keinem der Kinder zugänglich war. Zum Abendesten kam er dann nach unten, und die ganze Familie saß dann um das lodernde Feuer in dem großen Kamin, während Vater Freftigroth hannlose Scherze zum besten gab. Die ältesten der Kinder, Wolsgang und Käthe, dursten mit den Eltern noch einige Zeit aufbleiben, während die jüngeren ins Bett geschickt wurden. Nach dem Besuch einiger Dorbereftungsschulen
„An Wolfgang im Felde". Nach Friedensschluß ging Wolf- gang dann nach Stuttgart zu den Eltern, um seine angegrissene Gesundheit wieder herzustellen. Er hatte damals schon den Ein- druck, daß es mit dem Vater bergabwärts ging. Er lebte sehr zurück- gezogen und spann sich in eine eigene Welt der Verbitterung ein, die ihn bis zu feinem Tode eng umschloß. Stach dem To d e seines Bruders Otto, den der Vater besonders lieb gehabt hatte, ver- schärfte sich dieser Zustand. Die Mutter setzte alles daran, ihn aus dieser Weltentrücktheit wieder unter Menschen zu bringen. Es ge- lang ihr nicht. Er verließ tagelang nicht mehr das Haus und blieb unsichtbar für die ganze Familie. Im Febniar 1872 führte dann Wolfgang den lange zurückgestellten Entschluß aus und ging nach Amerika . Er nahm Stellung in B u f f a l o, in einem Leder- und Häutegefchäst, an und verwertet« dort seine kenntnist« in der Gerberei. Das machte sich. Er fühlte sich in seinem Element und konnte die ganzen nordwestlichen Staaten bereisen. Später ließ er sich dann in Minnesota mit einem eigenen Geschäft nieder, das auch reichen Gewinn abwarf. Aber die Frau, die er inzwischen geheiratet hatte, erkrankte, und zur Wiederherstellung ihrer Gesundheit wurde die Fahrt nach Deutschland angetreten.' 1875 wohnte Wolfgang wieder in Cannstatt bei den Eltern. Er fand jetzt den Bater ganz still geworden und kaum wiederzuerkennen. Ein alter Achtundvierziger, Ludwig Walesrode , war viel bei ihm. Es bedrückte ihn, daß das Deutsch « Reich so ganz ander» ge- worden war, al» er es ersehnte, daß eine neue Periode der Knecht- schaft sich vorzubereiten begann. Im März 1876 erkrankte dann der alte Freiligrath, und bald darauf trat auch der Tod ein. Kurz vorher hatte er eine kleine Zeitung in englischer Sprache redigiert und sich über das Honorar gefreut, das er nach langer Zeit wieder für eine geistige Arbeit erhielt. Er starb morgens um 6 Uhr, im Lehnstuhl sitzend, im Kreise seiner Angehörigen. Ungeheure Menschen- mengen nahmen an dem Begräbnis teil. Nun begann das Wanderleben Wolsgang». Er ging zunächst wieder mft seinem Bruder P e r c y nach Kalifornien , wo sie M,e Mine erwarben, die aber kein Gold abwarf. Nachdem sie hier vergeblich eine ganze Zeit gearbeitet und ihr Geld ausgegeben hatten, wurde San Franziska aufgesucht, und kurz entschlossen, da es am Notwendigsten zu mangeln begann, verdingte sich Wolfgang bei einem L a ch s f i s ch e r auf der Humboldt-Bai. Aber auch das war nur ein Unterkommen auf kurze Zeit. Er wurde dann beim Bau der Nordpaciiicbahn angestellt und kam hoch hinauf bis an die Quellen des Columbiastromes In Mexiko wurde eine Silber- min« erworben, die in der Nachbarschaft einer großen, bereits aus- gebeuteten lag. Es hieß, die Sitberader führe in die Mine, und man versprach sich Millionenverdienste. Aber die Silberader führte wo anders hin, die Mine blieb ertroglos. Nach vielen Enttäuschungen kehrte Wolfgang dann 1893 nach Düsseldorf zurück, wo er bei Mutter und Bruder wohnte. Nach dem Tode feiner immer krön- kelnden Frau in London suchte er nach einem neuen Tätigkeitsfeld. Bei diesem Suchen kam er auf die Höhe des Hunsrück in das kleine Dorf Külz , wo ihn der Förster als Jagdpfleger und Heger mft beschäftigte. Spätere �ahre unü Ent/agvng. Es kam, wie es kommen mußte. Das heiße Leben, das Wandern durch die Wett, das Sorgen um den Unterhalt nach dem Tode der Frau, hatten den Alten vorzeitig müde gemacht. Er wurde wohl auch etwas menschenscheu und suchte in der Natur und in dem kleinen Kreise seiner einfachen Freunde Genüge zu finden. Die Natur spann ihn ein. das Jagd- und Forstleben ließ Kräfte nicht mehr zur Entwicklung gelangen, die in ihm schlummern mochten, aber nur durch Bewegtheit gelöst werden konnten. Er wurde ein Insichgekehrter und ein bischen Sonderling. Der Drang in die izerne, die er durchstreift, aber nicht zu Ende genossen, wurde wohl noch einige Male lebendig in ihm. Er hätte ihm vor einigen Jahren wohl noch einmal nachgegeben, wäre noch einmal in den Strom gekommen, in ein neues Schicksal verwickelt worden, aber die Mutter, die er abgöttisch liebte, ließ es nicht zu. Sie faßten Pläne, ihr Leben zusammen weiterzuführen, aber bevor es dazu kam, erlöste sie der Tod. Und dann war er zu alt, noch einmal den Kampf mit dem Leben aufnehmen zu können. Er wurde bescheidener und bedürfnisloser— das Pfeifchen im Munde, das bißchen Esten in dem Magen, das warme Bett in der Dachkammer— genügten schließlich auch, mußten genügen. Er war so vergessen, daß vor einigen Iahren in einer angesehenen Monatsschrift, die sich mit dem Andenken Ferdinand Freiligroths beschäftigte, sein Leben als lange beschlossen angegeben wurde. Später trat dann eine Wandlung ein. Einer seiner Freunde machte den Versuch, die Oeffentlichkeit darauf aufmerksam zu machen, daß ein Sohn greiligroths noch lebe und daß es nicht zum besten mit ihm stehe. Man bewilligte ihm eine Kleinrente von 15 Mark monatlich. Aber diese wurde auch bald nicht mehr gezahlt, und als Stimmen laut wurden und ein bürgermeisterliches Ohr der guten Stadt Simmern auf dem Huns- rück schließlich doch erreichten, wurde einer aus der Familie, die sich des greisen Dichtersohnes angenommen hatte, vor den Gestrengen befohlen. Der Herr Bürgermeister fragte erstaunt und unwillig, ob denn der Herr Frelligrath nicht mehr satt znessen habe. Nachdem ihm versichert wurde, daß er dieses noch habe— ließ man die Sache wieder aus sich beruhen— wo sie heute noch liegt
Faksimile einer Widmung des Dichters an den Sohn.
wurde Wolfgang dann an die Universitätsschule in der Gowerstreet geschickt, wo er bis zu seinem 17. Jahr« blieb. Dann trat er saiort ins Leben hinein, wurde Volontär in einem Spedi- tionsgeschäst, das«in Freund de« Vaters innehatte. Er bewährte sich und wurde Iuniorclerk in der Metropolitonbank. Im Jahre 1866 wurde Wolsgang nach Köln geschickt, um dort praktisch die Ger- berei zu erlernen. 1868 begab sich der alte Freiligrath auf eine Reise nach Deutschland , wobei er in Köln auf der Durchreise nach Stuttgart begeistert begrüßt wurde. Seine Ankunft war lange vorher gemeldet, und ungeheure Menschenmengen hatten sich an der Dampferanlegestelle oersammelt. Wolsgang war stolz, daß er den Mittelpunkt bilden durste und al» erster den gefeierten Bater be- grüßte. In Köln blieb er dann bis 1873, um schließlich, da ihn der Drang in die Ferne immer stärker erfaßte, seine Abreise nach Amerika vorzubereiten. Aber kaum war er wieder in London ein- getroffen, als der deutsch - französische Krieg ausbrach. Er meldete sich freiwillig, fuhr nach Bonn zurück und wurde dort einem«ani- rätskorps angegliedert, mft dem er auch einen Teil de» Krieges wtttwuhte. In diese Zell fällt da» Gedicht de» Vater» Frelligrath»
Don den Geschwistern Wolfgang Freiligraths ist heute nach dem Tode der Schwester Käthe, die als angesehene Schrift- stellerin in England lebte und dort besonders durch ihre Ueber- setzung Grimmscher Märchen ins Englische bekannt geworden ist. die Schwester Luise, ebenfalls hochbetagt, am Leben. Sie wohnt in England und hat den Nachlaß an Briefen ihres Vaters vor einiger Zeit herausgegeben. » Wer soll sorgen für den greisen Sohn de» großen Freiheit»- dichter»? Di« Frage ist ja eigentlich schon gelöst. Der Amtsschimmel kann und darf e» nicht. Der darf es erst, wenn der Mann hungert: da aber festgestellt ist, daß er„noch satt zu esten" hat. so muh eben auf den Augenblick gewartet werden, wo das Hungern beginnt. Das Hungern wird aber erst dann beginnen, wenn her Landarbeiter Schmidt, der jetzt für den fast 83jährigen Dichterssohn sorgt, selber nichts zu esien hat. Vielleicht, wenn Mißernten den Kartoffelkeller leeren uad das Mehlsaß. Dam» wird der Augenblick gekcumuea