Abendausgabe
Nr. 3243. Jahrgang Ausgabe B Nr. 16
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10 Pfennig
20. Januar 1926
Vorwärts=
Berliner Volksblatt
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Regierungserklärung im
Amtlich wird mitgeteilt: Der Herr Reichspräsident hat den Reichstanzler Dr. Cuther in seinem Umte neu bestätigt und auf seinen Vorschlag die Reichsministerien wie folgt besetzt:
Reichsminister des Auswärtigen: Dr. Stresemann. Reichsminister des Innern: Dr. Külz .
A minister).
Reichstag nächste Woche.
Nach langen Irrungen und Wirrungen zustande gefammen, zeigt es das gleiche so einfeltig nach lints gewandte Geficht, daß man endlich aufhören sollte, von einem Rabinett der Mitte zu sprechen, ganz abgesehen noch von der besonderen Berschleierung seines Charafters, die in dem Beiwort neutral" erblidt Reichsminister der Finanzen: Dr. Reinhold( Sächsischer Finanz- merden mußte.... Eins freilich dürfte von vornherein feststehen: da Herr Dr. Luther sein Kabinett mit vollem Bewußtsein se zuda Herr Dr. Luther sein Rabinett mit vollem Bewußtsein fe zu fammengefeßt hat, taß in ihm die Lintstendenzen be. sonders start hervortreten, so wird die Haltung der Rechtsparteien zu der neuen Reichsregierung neuen Reichsregierung ent. fprechend und demgemäß eine negative sein. Herr Dr. Luther ist wohl im politischen Geschäft erfahren genug, als daß er sich darüber irgendeinem Zweifel hingeben könnte." Entschiedener nimmt die Deutsche Zeitung" gegen das Kabinett Luther- Stresemann Stellung:
Reichswirtschaftsminister: Dr. Curtius. Reichsarbeitsminister: Dr. Brauns. Reichsminister der Justiz, zugleich mit der Wahrnehmung der Geschäfte des Reichsminifters für die besetzten Gebiete beauftragt:
Dr. Marg.
Reichswehrminifter: Dr. Geßler. Reichspostminister: Stingl. Reichsverkehrsminister: Dr. Krohne.
Mit der Wahrnehmung der Geschäfte des Reichsminifiers für Ernährung und Landwirtschaft ift vorläufig Reichsfanzler Dr.£ uther beauftragt worden.
Reichstanzler Dr. Luther wird seine Regierungs erklärung im Reichstag erst am tommenden Dienstag abgeben. Der Grund für eine so lange Berzögerung ist nicht recht ersichtlich, nachdem während der Berhandlungen über die Regierungsbildung immer wieder versichert worden ist, daß Die Regierungsparteien über das fachliche Programm bereits einig wären. Indessen kommt nun, nachdem die Qualen der Berhandlungen über die Regierungsbildung überwunden wor den find, die andere Frage, wie die neue Regierung vor dem Reichstage bestehen wird. Wo ist die Mehrheit für die neue Regierung?
Die Erörterungen der gesamten Morgenpreffe stehen im Zeichen dieser Frage. Die Presse der Regierungsparteien übt crößte Zurüdhaltung. Es gibt schließlich teine Regierungs reriei, die mit dieser Regierungsbildung wirklich zufrieden mare. Man sieht die Schwierigkeiten, man ist von den Inneren Schwierigkeiten der letzten Tage noch abgefämpft.
Die Bresse der Rechten verhält sich abwartend, in der Sache aber ablehnend. Die„ De ut fche Tageszeitung" bezeichnet die neue Regierung als„ Kabinett der linken Mitte" und fündigt eine negative Haltung der deutschnationalen Reichstagsfraktion an:
Neuer Bombenanschlag in Ost- Oberschlesien Verdächtige Polizeimanöver.
„ So seltsam wie der Weg Dr. Luthers innenpolitisch ist, fo flar und gradlinig ist er außenpolitisch: Von London , von der als Finanzminister hauptverantwortlichen Unterschrift unter den Dames Batt, über Locarno - jegt in den Bölkerbund. Sein Außenminister heißt Stresemann . Selbft menn Rülz, Reinhold, Marg, der als Landwirtschaftsminister in Aussicht genommene weitere Sentrumsmann( Crone- Münzebrod etwa gar?) u. b. a. nicht mären der Name Stresemann allein wahrhaftig ist Herausforde. rung mehr als genug; nur eine Barole also fann es dem neuen Kabinett gegenüber geben: Allerschärffte Opposition mit allen Mitteln!"
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Die hier angefündigte schärfste Oppofition gilt vor allem dem außenpolitischen Kurs, den die Deutschnatio nalen von der neuen Regierung erwarten. Auf dem Gebiete der äußeren Politit muß die Bahn der Regierung Luther Don Dornherein tlar und eindeutig sein, wenn sie überhaupt eine Chance haben will. Wenn heute morgen Die Germania " an das Verantwortungsbewußtsein der Sozialdemokratie appelliert, so muß fie fich, und mit ihr die neue Regierung von vornherein darüber flar sein, daß auf dem Gebiete der Außenpolitik zunächst Proben von Berants wortungsbewußtsein durch die Regierung abzulegen sind. Der Eintritt Deutschlands in den Böllerbund muß unverzüglich herbeigeführt werden. Die neue Regierung muß sofort zeigen, ob sie dem Wunsche der Deutschnationalen, den Eintritt Deutschlands in den Bölferbund zu verzögern und zu vereiteln, Rechnung tragen will, oder ob sie die Politik von Locarno geradlinig fortsetzen will.
Es gibt noch Richter in Prag . Gesezwidrige Tschechisierungsukase kassiert. Prag , 20. Januar. ( WTB.- Privatmeldung.) Der Oberste von und Hotelgesellschaften sowie einzelnen Gastwirtegenossenschaften per fchiedener Städte gegen die im Instanzenzug vom Handelsministerium bestätigten Entscheidungen der Gewerbebehörden über die Sprache der Schilder, Aufschriften usw. Die Gewerbebehörben hatten ben Hoteliers und Gastwirten in den deutschen Kurorten und Ausflugsorten aufgetragen, fämtliche äußeren und inneren Aufschriften, Aushänge, Schilder, Speise- und Getränkekarten nur ichechisch oder mehr sprachig mit tschechischem Text an erster Stelle auszuführen und für tschechisches Personal zu sorgen. Der Oberste Verwaltungsgerichtshof hat
Das Kohlenproblem Englands.
Drohende Krise im Frühjahr.
EW. Condon, Mitte Januar.
Es ist, als ob der Bendel zurückgeschwungen wäre. Nach Jahren, in denen ein Ereignis das andere jagte, und selbst Ruhepaufen an die bewegtesten Tage der Borkriegszeiten erinnerten, ift eine Art von Kirchhofsstille insbesondere in der Innenpolitik eingetreten. Das Parlament ist auf Urlaub, ein großer Teil der Minister und Parteiführer verreift. In dieser Stille find begreiflicherweise die Berichte von den öffentlichen Sigungen Kohlentommission, die in der vergangenen Woche abgeschlossen wurden, wie ein Mißton hörbar geworden. Sie haben die Nation daran erinnert, daß der äußerliche Frieden trügerisch ist, daß unter einer dünnen Schicht verborgen ein Bulkan rumort, dessen Ausbruch im fommenden Frühjahr unver meidlich zu sein scheint.
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Man erinnert sich noch an die Bergbaufrise im vergangenen Juli, die die britische Nation in Atem hielt. Der Kollektivvertrag der Unternehmer und Arbeiter war abgelaufen, ein Streit, dessen Uebergreifen auf die Eisenbahn und das Transportgewerbe unvermeidbar schien, drohte das gesamte britische Wirtschaftsleben lahm zu legen. Die Regierung fapitulierte damals; nicht vor den Gewerkschaften, fondern vor der Gefahr. Sie bewilligte in letzter Minute Subsidien für neun Monate, in denen die Lage und Bewirtschaftung der Industrie durch eine Königliche Rommission" geprüft werden und von dieser Vorschläge für die Ueberwindung der Krise( als Basis für gesetzgeberische Maßnahmen) unterbreitet werden sollten. Die Kommission ist damals nach einer von der Regierung verschuldeten, beinahe zweimonatlichen Verzögerung an die Arbeit gegangen; fie hat die vorangegangenen Enqueten studiert, ist persönlich in Bergwerfe eingefahren und hat schließlich in einer Reihe öffentlicher Verhandlungen Sachverständige und die Bertreter der beiden, an der Industrie hauptsächlich beteiligten Indu ftrien, Unternehmer und Arbeiter, befragt.
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Was der Vertreter der Unternehmerorganifation im Namen der Bergherren vorbrachte, schlimmer als felbft diejenigen erwartet hatten, die mit dem New Statesman " die Bergbauunternehmer für die„ reaktionärste und technisch am wenigsten zuständige Körperschaft von Unternehmern Großbritanniens " gehalten haben. Tros einem allgemein bekannten, unwiderleglichen Material über die betriebstechnische Verschlampung und Rückständigkeit des britischen Rohlenbergbaus, über die unendlich fostspielige Zersplitterung in kleine und fleinste Gruppen, magte es der Ber treter der Bergbaubesitzer, nicht nur jede technische Rückständigkeit rundweg abzuleugnen, sondern geradewegs den Arbeitern ,,, deren exorbitante Forderungen Profite unmöglich machen". die Schuld für die gegenwärtigen Schwierigkeiten in die Schuhe zu schieben. Nicht technische Umstellung, nicht Zusammenlegung zusammengehöriger Gruppen, nicht AbVerschaffung der die Industrie schwer belastenden, mittelalterlich am vergangenen Sonntag um 4 Uhr morgens in Oberlagist waltungsgerichtshof verfündete gestern die Entscheidung über mehr feudalen Royalties( Grundzehnt) und schon gar nicht Natio ( Oft- Oberschlesien ) ein Bombenattentat auf die der Polizeiwache regenüberliegende Gastwirtschaft des Johann Mucha verübt. Mucha, der sich zum Deutschtum bekennt, wurde bereits seit einiger Zeit durch Drohbriefe zum Berlassen des Landes aufgefordert. Diese Drohbriefe wurden, ohne daß die Polizei eingeschritten wäre, segar am schwarzen Brett der Schule ausgehängt. Der Bombenwurf richtete am Gebäude und an der Einrichtung der Gastwirtschaft be. deutenden Schaden an. Die polnische Breffe behauptet, daß die Deutschen durch das Attentat eine Sonntag abend in der Gastwirt fjaft beabsichtigte polnische Turnerveranstaltung verhindern wollten, und in derselben Richtung nahm auch die Polizei ihre Ermittlungen vor, indem sie sofort 16 Arbeiter, die als Ver. trauensleute der deutschsozialistischen Gemert. Ichaft bekannt sind, verhaftete. Die Arbeiter mußten mangels eines jeden Beweises freigelassen werden, nur der Bertrauens. mann tes Deutschen Schulvereins, Growitsch, wurde in Haft behalten. Die Polizei hat bei ihm mehrmals fruchtlose Haus. suchungen vergenommen, doch Sonntag abend fand sie bei ihm pläglich vier Karabiner und Munition! Es liegt offenbar ein wohl durchdachter Plan unter Mitwirkung der polnischen Polizei vor, um Mucha gewaltsam zu verdrängen und die deutsche Arbeiterschaft zu diskreditieren.
alle diese Entscheidungen wegen Gefehroidrigkeit aufgehoben, da die Entscheidungen der Gewerbebehörden nicht unter den Begriff gewerbe polizeilicher Maßnahmen fielen. Mit den Einwänden der Beschwerdeführer, die angefochtenen Entscheidungen widerftritten der Berfassung, dem Sprachengefeß und dem Friedensvertrag Don St. Germain, befaßte fich das Oberste Berwaltungsgericht nicht.
mann.
Regierungsbildung und Börse.
Die vollendete Kabinetisbildung mirtte an der Börse, vor allem aber in der Provinz se hr günstig, was sich in ansehn lichen Kaufaufträgen, namentlich aus dem Rheinlande, widerspiegelte. Das Ausland, hauptsächlich Amerika und die Schweiz , zeigten zwar auch Intereffe, doch bei weitem nicht in dem Maße wie die Provinz. Im weiteren Verlaufe nahm die Spekulation zum Teil umfangreiche Realisationen vor, so daß die Dinge durchmeg 1 bis Der Kampf gegen das ostoberschlesische Deutschtum hat 2 Broz. und mehr nachgaben. Montanattien bis zu 2 Broz. andem polnischen Nationalismus bisher so wenig Erfolg ge- fänglich gebeffert, darüber Hoesch, Köln- Neu- Effen und Mannesbracht, daß man die Bolkszählung, die zum JahresRaliaftien befestigt, ebenso Farben, vor allem Goldschmitt me bjel fällig war, plötzlich verschoben hat. Obwohl die Elektroaktien lebhaft und zum Teil starf erhöht, namentlich Affus Zählkommissare bereits eifrig am Werte der Fälschung und Licht und Kraft. Auch sonstige Industrie recht fest, fo Loewe, bes Nationalitätsbekenntnisses durch List und Druck gefämtliche Spritwerte, Carotti fchmächer. Schiffahrtsaftien unein arbeitet haben, fürchtete man doch, daß die Volkszählung eine heitlich, die Standardwerte abgefchwächt. Nebenwerte bevorzugt. überraschend hohe Stärke der sich als Deutsche bekennenden Banten freundlich, vor allem Deutsche, Handelsantelle und Reichs Neu und Mußpolen ergeben würde. Darum wurde sie ver. bant. Die Gewinne beeinflußten die Spefulation zu Realisationen Schoben. Soll jetzt Dynamit erreichen, was allen anderen auf der ganzen Linte, wodurch die Kurfe zum Teil nicht unwesent Mitteln versagt geblieben ist? lich gesenkt wurden. Der Rentenmarkt ist noch immer feft, Schutz gebiet 5,37, Kriegsanleihe 0,245, Türfen beachtet, Ungarn schwach. Die Hauffe in Kanada hat aufgehört, die gestrigen Realisationen murden fortgesetzt. Der Geldmarkt bleibt außerordentlich leicht. Erste Firmen fonnten täglich Geld zu 4 Broz. haben. Um Devisen martt verzeichnet der französische Frank einen leichten Rückgang auf 130,10.
Wir wiederholen, daß jede Mißhandlung der deutschen Minderheit in Bolen die deutsch - polnische Versöhnung er schmert, und wir begrüßen die uns bekannte Absicht der Bolnischen Sozialistischen Partei( PPS.), in Zukunft entfchiedener als bisher für die Rechte und den Schutz der Minder: heitsvolter einzutreten
schwer erfämpften nationalen 2ohnabkommens zugunsten lokaler Lohnregelungen, Rüdtehr zum Achttundentag, dirette Lohnfürzungen, Herab fegung der Frachtraten durch Lohnkürzungen bei den Eisenbahnern, Berbilligung aller übrigen Transportkosten durch Erniedrigung der Löhne der Hafenarbeiter- bas ist die Rauberformel des Unternehmerverbandes. Aber schon ber Borsigende der Kommission Sir Herbert Samuel , dem gewiß feine Voreingenommenheit gegen die Unternehmer vor geworfen werden kann, brachte durch seine Zusammenfassung der Konsequenzen dieser Forderungen die Position der Unternehmer moralisch ins Wanken. Er wies darauf hin, daß eine Durchführung dieser Forderungen nicht nur unbezahlte Mehr arbeit, nicht nur Lohnherabseßung bis zu 15 Schilling die Woche bedeuten würde, sondern sie hunderttausend zufäßliche arbeitslose Bergarbeiter mit sich bringen müßte und der eng lische Bergarbeiter im Fall ihrer Verwirklichung unter die Arbeitsbedingungen seiner fontinentalen Kollegen( mit einziger Ausnahme der polnisch- schlesischen Bergarbeiter) heruntergedrückt würde. Selbst bei Erfüllung des Unternehmerplans verbleibe aber ein Defizit von 3 Bence per Tonne. Die Bergarbeiter legten ihre Auffassung in einem Nationalisierungsplan nieder, dem be sondere politische Bedeutung zufommt, weil er als Willensausdruck der gesamten Arbeiterschaft angesehen werden kann. Das Projekt geht von der Erkenntnis aus, daß das Kohlenproblem in England aufgehört hat, ein reines Broduktionsund Absatzproblem zu sein und die Krise der Industrie nur in dem großen Zusammenhang der gesamten Kraft- Trans portunterlage und Versorgung der britischen Industrie gelöst werden fann.„ Wir schlagen vor", so heißt es in der offiziellen Darstellung des Blanes,„ daß die Kohlenindustrie eine Organisation zur Beschaffung von Rohle, Herstellung elef trischer Kraft in größtem Maßstabe, Produktion von Kofs und rauchlofer Heizung, eine Organisation für die Gaserzeugung, Produktion von Heizöl, von Ammonium und anderen Beiprodutten werden soll. Wir schlagen vor, daß diese so umorganisierte Industrie der Nation gehören foll." Man sieht, das Projekt der Bergarbeiter ist in allem das Gegenteil deffen, was die Unternehmer vorgeschlagen haben. Es geht an die Wurzel des Uebels. Aber damit wirft es poftische Fragen von äußerster Tragweite auf, feine Verwirklichung wird zu einer Frage politischer Macht. Es muß ebenso wie