Abendausgabe
Nr. 4043. Jahrgang Ausgabe B Nr. 20
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10 Pfennig
Montag
25. Januar 1926
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Wie sie lügen!
Die Geschichte eines Flugblatts.
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Trotha und die Rebellion der Admirale.
In den kritischen Herbsttagen von 1918 rief mich Schelde. mann an und bat mich, schleunigst zu ihm ins Reichsamt des Innern zu kommen, wo er damals als Staatssekretär ohne Bortefcuille amtierte.
Als ich tam, teilte mir Scheidemann mit, in Riel feien unangenehme Dinge passiert. Bei den Mannschaften sei das Gerücht verbreitet, es sei geplant, der englischen Flotte noch eine legte Schlacht zu liefern. Da die Leute keine Luft hätten, ihr Leben in sinnloser Weise zu opfern, sei unter ihnen Unruhe entstanden und es sei zur Verweigerung des Gehorsams gekommen. Natürlich sei die Geschichte von der Seeschlacht unsinn, da das Waffenstillstandsangebot schon heraus sei, aber die Mannschaften glaubten sie, und mun handle es sich darum, fie aufzutlären und zu beruhigen. Es liege der Entwurf eines Flugblatts vor, das diesem Zwed dienen solle, aber der rechte Ton sei nicht getroffen, und darum bitte er mich, ein Flugblatt zu schreiben, tas mit dem Namen des Reichstanzler Brinzen Mag und dem seinen versehen in Riel verbreitet werden solle.
An der Richtigkeit der von Scheidemann gegebenen Darstellung fonnte ich feinen Augenblid zweifeln. Denn daß Scheidemann als Bertrauensmann der Sozialdemokratischen Bartei im ersten parla mentarischen Kabinett Deutschlands " über die Dinge falsch unter richtet sei, tonnte ich nicht annehmen. Das Friedensangebot war heraus, am 5. Oktober hatte die Regierung auf Drängen der Heeresleitung um einen Waffenftillstand ersucht, um weiteres Blutvergießen zu vermeiden. Die Heeresleitung selbst wollte also tein weiteres Blutvergießen". Außerdem war sie der Zivilregie rung unterstellt. Und von alledem abgesehen, war der Blan einer großen Seeschlacht unter den einmal gegebenen Umständen ein fo fraffer Abermiß, daß man ihn einem normalen Menschen gar nicht
zutrauen fonnte.
Ich setzte mich also hin und schrieb an die Matrosen, daß fie irregeführt worden seien, daß kein Mensch an eine Seeschlacht dente und daß sie wieder zur Disziplin zurückkehren sollten.
Ich fuhr dann noch in das Reichsmarineamt zum Staatssekretär Ritter D. Mann und sprach mit ihm über die Dinge. Ich erhielt auch von ihm teine andere Darstellung und nehme ohne weiteres an, daß er ebenso getäuscht worden war wie die anderen Mitglieder der Regierung
Leider habe ich über das weitere Schicksal des Flugblattes nichts erfahren können. Ich weiß nicht, ob Prinz Mar es unterschrieben hat, ich meiß auch nicht, ob es nach Riel gelangt ist. Ich will hoffen, nein. Denn dann hätte ich ja den Matrofen Lügen vorgefeßt, über die sie sich, da sie besser unterrichtet waren, mit Recht empört hätten.
Ueberfall auf Hörfing.
Bölkische Horden greifen das Reichsbanner an. Erfurt , 25. Januar. ( Eigener Drahtbericht.) Am Sonntag fand in Gotha in einem der größten Säle eine undgebung des Reichsbanners statt, die überfüllt war. Als sich Genoffe Hörsing, der die Rede gehalten hatte, nach der Veranstaltung in Begleitung einiger Reichsbannerleute nach seinem Hotel begab, tourden fie aus dem dunkeln Hinterhalt von einer völfischen Horde angefallen. Bon den Reichsbannerleuten wurden einige erheblich verleht, so daß fie fich in ärztliche Behandlung begeben mußten. Genoffen Hörfing gelang es, fein Hotel zu erreichen. Auch an anderen Stellen provozierten Böllische blutige Zusammenftöße mit Reichsbannerlenten.
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Wie war der Berlauf der Dinge? Offenbar so: Bring Mar und Ritter von Mann waren belogen worden. Sie gaben gutgläubig diese Lügen an Scheidemann weiter. Der wieder an mich. Und ich sollte sie nun den Matrosen vorsezen!
So ist der gute Bille der Sezialdemokraten, dem deutschen Bolte in schwerster Not zu helfen, in schamloser Weise mißbraucht worden. Man hat uns belogen und betrogen. Unser Fehler war, daß wir einen solchen Mangel an Wahrheitsliebe bei Leuten, die eine ganz besondere Ehre für sich in Anspruch nahmen, nicht vermuteten.
Der Borwärts" hat ein paar Tage später die Wahrheit über die Borgänge in Kiel als erstes Blatt aufgedeckt.
Trotha und das Lügensystem.
Im Reichstag wird heute Admiral v. Trotha zu dem Dittmannschen Bericht vernommen. Gerade er ist ein typischer Repräsentant jenes Systems der Unwahrhaftigkeit, das hier bereits gegeißelt wurde, bei den militärischen Stäben aber zur Birtuofität ausgebildet mar.
Der Borwärts" hat als erstes Blatt am 14. Nopember 1918 die Admiralsverschwörung und den geplanten Todesritt der Flotte enthüllt. Am 16. November 1918 erschien darauf Admiral v. Trotha in der Redaktion des„ Borwärts" und verlangte ein Dementi. Er fuchte in längerer Unterhaltung dem damaligen Redakteur Genossen Suttner flarzumachen, daß die Flottenausfahrt lediglich defensive 3wede verfolgt habe, nämlich den Schutz des rechten Flügels der fich aus Flandern zurückziehenden Armee. Eine Seeschlacht mit den Engländern sei nicht beabsichtigt gewesen, man hätte fich nur auf eine solche eingelaffen, wenn die Engländer angegriffen hätten. Der Borwärts gab damals dieser Erwiderung Raum.
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Sechs Jahre später enthüllte in den bekannten Dolchstoßheften des Herrn Coßmam der Konteradmiral v. 2 e vezow, erster Berater des Chefs des Stabes und rechte Hand des Admiral v. Trotha, das genaue Gegenteil. Levezom stellte in den„ Suddeutschen Monatsheften feft, daß der Zweck des Auslaufens der Flotte war, die englische Flotte auf jeden Fall zum Schlagen zu zwingen. Konteradmiral v. Levezom betont ausdrücklich, daß mehrere Bläne zur Auswahl standen und daß dem Plan der Borzug gegeben wurde, der die größte Sicherheit dafür bot, daß er die englische Flotte zum Schlagen zwingen würde. Aus feiner Dar. stellung geht auch flar hervor, daß Admiral v. Trotha voll tommen in diesen Blan eingeweiht war, daß er ihn nicht nur mit Als Zwed des ganzen Bor gemußt, sondern mitbestimmt hat. Als Zwed des ganzen Borgehens bezeichnet Levezom ausdrücklich:„ daß die Flotte zum Endtampf einzusehen sei".
Aus Levegows Darstellung geht flar hervor, daß Admiral v. Trotha seinerzeit der Borwärts"-Redaktion bewußt die Unwahr heit gesagt hat. Daraus tann man ermessen, welche Glaubwürdigteit die Ausführungen dieses Herrn vor dem Ausschuß verdienen.
Dieser gemeine Ueberfall follte aber nicht der einzige sein. Einzelne Kameraden, die sich nach der Bahn begeben wollten, wurden ebenfalls überfallen. Die völlischen Rotten hatten sich im Bart fest. gefeßt und geschickt die dunklen Stellen auserwählt, wo sie die Kameraben von hinten mit allen möglichen Mordwaffen bearbeiteten.
Als Führer der Bande betätigten sich Karl Vogelen, Hohmann, Howelfa und Galonska, die sämtlich in Gotha bekannt sind und dergleichen schon mehr auf dem Gewissen haben.
Wie schon erwähnt, sah bereits in der Stadt die Polizei un tätig diesem Treiben zu. Trotzdem sie aus den Drohungen entnehmen mußte, daß Ueberfälle geplant waren, hatte sie nicht für Sicherung gesorgt. Das Reichsbanner ist eben Freiwild, so wie im April des Jahres 1925. Die Polizei hätte aus diesen Fällen ohne weiteres Lehre ziehen müssen. Erft als die Ueberfälle überhand nahmen und die Empörung unter den Reichsbannerfameraden nicht mehr zu bändigen war, erschien Polizei und sicherte die Straßen, um auch einige Berhaffungen
Panik vor der Wahrheit.
Die Schande des alten Systems soll verborgen werden. Als Genosse Dittmann im Untersuchungsausschuß des material vortrag, das die Schändlichkeiten der Admirale und der Kriegsgerichtsräte, die Spigelwirtschaft, den Justizmord, den Hochperratsversuch der Flottenleitung enthüllte, ging tiefe Bewegung und Erschütterung durch alle, denen die Wahrheit über politische Hetze geht. Sie fühlten alle: es geht nicht um die Person Dittmanns es geht um die Feststellung von Tatsachen. Die Sprache der Aften, der amtlichen Niederschriften der Beteiligten und Schuldigen rief die Erschütterung hervor.
Reichstags in seinem streng fachlichen Referat das Atten
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Damit die Wahrheit ins Bolf dringe, hat nicht nur die linksstehende Presse ausführlich über das Referat Dittmanns berichtet, sondern das Referat selbst mit allen Aftenstücken ist als Broschüre veröffentlicht worden. Dagegen hat sich bei den Rechtsparteien und in der Rechtspresse ein gemachter Entrüstungssturm erhoben. Sieben rechtsstehende Mitglieder des Untersuchungsausschusses, sieben von achtundzwanzig, haben den Reichstagspräsidenten ersucht, die Broschüre beschlagnahmen(!) zu lassen, da sie eine Jrreführung der Deffentlichkeit" sei. Auf dem Titelblatt ist nämlich vermerkt, daß Dittmann Bufammenhänge und Aftenmaterial im Auftrag des Unterfuchungsausschusses dargestellt habe. Nun diskutiert die ganze Rechtspresse um die Frage: durfte die Broschüre veröffentlicht werden? Durfte sie mit dieser Feststellung auf dem Titel veröffentlicht werden? Was wird der Untersuchungsausschuß natürlich dazu sagen? Die Hugenberg- Presse meldet schon falfch der Reichstagspräsident habe die Verbreitung der Broschüre inhibiert, und die Tägliche Rundschau" martiert moralische Entrüstung über die Schamlosigkeit" der Beröffentlichung der Dittmannschen Broschüre.
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Ist denn die Wahrheit so peinlich? Sind wir denn noch in den herrlichen Zeiten der Diftatur Nicolais gegen die Wahrheit, in denen furzerhand jede Wahrheit über Gemeinheiten des faiserlichen Regimes verboten wurde? Die Herren, die so beschlagnahme und verbotslüstern sind, fönnen ihre Diktaturgelüfte gegen die Wahrheit heute nachmittag im Untersuchungsausschuß vortragen, der sich mit der Frage dieser Veröffentlichung befaffen wird. Daß ein Recht Dittmanns besteht, sein im Auftrag des Untersuchungsausschusses vor dem Ausschuß, den Abgeordneten, der Presse gehaltenes Referat zu publizieren, so ist außer aller Frage, daß darüber kein Wort verloren zu werden braucht. Im übrigen mögen sie sich daran erinnern, daß sogar der Ausschußvorsitzende Philipp selbst nach der letzten großen Veröffentlichung des Ausschusses über die Ursachen des militärischen Zusammenbruches in einem privaten Verlag eine Broschüre hat erscheinen lassen, deren Titel sich wörtlich deckt mit der amtlichen Veröffentlichung und in deren Vorwort auf die Eigenschaft Philipps als Vorsitzender und auf die damit verbundene besonders große Sachkenntnis hingewiesen wird.
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Die Wahrheit tommt ans Licht trotz des Berbotsgeschreis der Rechtspresse und der Abgeordneten von der Rechten, trotz der schamlosen Haltung der Rechtspresse, deren Leser nichts von dem Aftenmaterial erfahren drüfen, das Genoffe Dittmann vorgetragen hat. Nie ist ein Tatbestand frecher gefälscht worden, als es jegt in der Rechtspresse geschieht. Dittmann hat amtliches Attenmaterial vorgetragen, Selbstzeugnisse von Beteiligten die Rechtspresse aber täuscht ihren Lesern vor, es handele sich um einen Streit Dittmann- Brüninghaus, Meinung gegen Meinung, Ansicht gegen Ansicht. Wenn man die Wahrheit schon nicht mehr verbieten fann wie in den Zeiten, da die Nicolai und Bauer, die Scheer und Trotha, die Capelle und Michaelis die Wahrheit ans Kreuz schlugen, so kann man sie doch vielleicht-verchieben.
Aber es handelte sich beim Referat Dittmanns nicht um ein Plädoyer, wie es die Herren Brüninghaus und Canaris für die schuldigen Admirale und Kriegsgerichtsräte, für das faiferliche System bei der Marine gehalten haben, sondern um die Borlegung von amtlichem Aftenmate rial. Der Offenlegung dieses Materials, den Tatsachen, gilt die But der Rechtspresse den Aften und den Tatsachen, die fie der Deffentlichkeit nicht mitzuteilen magt. Von diesem fachlichen, für sich selbst sprechenden, erschütterndem Material will sie ablenten. Daher die Heße gegen Dittmann, daher der Ablenkungsversuch auf die Frage, ob Dittmann sein Refe rat veröffentlichen durfte.
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Ueber den Borfall wird uns aus Gotha geschrieben: Seit ein deutsches republifanisches Gericht es fertig brachte, die Mörder der zwölf Perlacher Arbeiter freizusprechen, wittern auch ihresgleichen in Gotha Morgenluft. Schon in der Friedrichstraße wurden im Laufe des Tages die Teilnehmer des Zuges in der gemeinsten eise pronoziert. Noch ärger wurde es an der Ede Arnoldiplatz- Erfurter Straße, wo sich ungefähr 40 bis 50 dieser Gesellen angesammelt hatten. Die Bedrohungen erreichten in der Jüdenstraße und am Barkpavillon ihren Höhepunkt. In der Jüdenstraße fielen Ausdrücke, wie: Heute abend schlagen wir euch noch tot" und Freut euch auf diese Nacht, da tönnt ihr noch etwas erleben". Am Parkpavillon" erschollen anläßlich des Hochs dem er angehörte, verboten. Vogelen war der erste, der damals Aufgabe hat Dittmann erfüllt. Herr Brüninghaus freiauf die und
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in der unflätigsten Beise. Nur der Ruhe der Reichsbannerfameraden ist es zu verdanken, daß diesen Gesellen nicht die nötige Abreibung zuteil murde. Die Polizei, die den Jug begleitete, dachte nicht daran, gegen die Provofateure einzugreifen, fie ließ fie ruhig gewähren, Wahrscheinlich hatten sie nur den Auftrag, auf Ausfälle" der Reichs bannerleute Obacht zu geben.
vorzunehmen. Aber es wird den Verhafteten ebenso wenig paffieren als denjenigen, die den Ueberfall am 26. April 1925 ausführten. Es handelt sich zum großen Teil um dieselben Bersonen.
Der Haupttäter Bogelen ist fein unbeschriebenes Blatt. zum erstenmal machte man die Bekanntschaft dieses Subjekts während des Rathenau Mordes. Damals wurde der Jungbo, ausriß. Später betätigte er sich dann als Spigel. Die Gerichtsaften geben über ihn weitere Auskunft. Man wird neugierig auf die Schritte sein dürfen, die der Staatsanwalt in diesem Fall unternehmen wird.
Weißer Schreden Im Shanghai Thangtfolins. Nach einer im Was die völlischen Rabauhelden prophezeiten, machten sie nachgentur- Melbung aus Schanghai ist in Bufih ein tom munistiEinbruch der Dunkelheit zur Wirklichkeit. Besonders hatten sie es auf unseren Kameraden hörfing abgesehen. Als dieser in Becher Agitator hingerichtet worden. gleitung von acht Kameraden sein Hotel aufsuchen wollte, wurden fie in den Bartanlagen aus dem Hinterhalt über. fallen. Drei Kameraden aus Cijenach wurden dabel
fo schwer verlegt, daß fie fich in Behandlung begeben mußten. Dem Rameraden Hörfing gelang es glücklich, jein Hotel zu erreichen.
Einreise nach Australien gestattet. Die australische Regierung bat die Bestimmungen bes Enwanderungsgeleges über die Bebin
derung der Einreife deutscher Staatsangehöriger nach Auftralien aufgehoben. Das bezieht sich nicht auf Papua , die Norfolk infel und Neu- Guinea Seinerzeit internierte Deutiche. die ausgewiefen wurden, müssen besondere Erlaubnis zur Rüdlehr haben.
Dies Aftenmaterial mußte dem Untersuchungsausschuß mitgeteilt werden, damit er sich ein Urteil bilden fönne. Diese
nicht gefümmert. Sie standen zwei Monate lang zu seiner lich hat sich um die Akten, die Dittmann durchgearbeitet hat, Verfügung. Er hat sie nicht eingesehen. Seine Sommerferien waren ihm lieber, wie er selbst erklärte. Wozu nach Wahrheit forschen? Er hat seine Aufgabe darin erblickt, ein Plädoner für die Dolchstoẞlüge zu halten. Wo ist das Material, das er ben amtlichen Aftenstücken, die Dittmann mitgeteilt hat, entgegenhalten könnte, Er hat sich nicht darum bemüht. Und bann lügt die„ Tägliche Rundschau", es wäre Herrn Brüningheus nicht möglich gewesen, einen Blick in die von Dittmann benutzten Akten zu werfen!
Wie Herr Brüninghaus, hat der Vertreter des Reichswehrministeriums, Herr Canaris , sich um die Urkunden nicht gefümmert. Er hat- angeblich im Auftrag des Reichswehrminifteriums- ein Plädoyer für die Dolchftoß