Prinz Max an Sie Seeleute. Er«eutit den Flottenvorstoft ein nufinniges Gerücht. Genosse Stampfer erzählte hier jüngst die Geschichte eines Flugblatts, das er in den kritischen Herbsttagen von 1918 aus Wunsch des Genossen Scheidemayn verfaßt hatte. Die Ent- stehung dieses Flugblattes ist, wie jetzt festgestellt werden kann, auf eine grobe Irreführung nicht bloß der Gc- nossen Scheidemann und Stampfer, sondern auch des Reichskanzlers Prinzen Max durch die Admirali - tat zurückzuführen. Genosse Stampfer er-ählte, daß die Ab- ficht bestand, das von ihm verfaßte Flugblatt vom Reichs» kanzler Prinzen Max unterzeichnen und in der Flotte ver- breiten zu lassen; er fügte aber hinzu, er wisse nicht, ob diese Absicht ausgeführt worden sei. Gestern erschien nun ein Genosse in unserer Redaktion und b r a ch t e d a s F l u g b l a t t. Cr hat es damals, wie viel tausend andere auch, in Wilhelmshaven in die Hand gedrückt bekommen. Wir geben den Text wortgetreu und der typographischen Ausstattung des Originals entsprechend wieder: Seeleute! Arbeiter! Tiefbedauerliche Creignisfe haben sich in den letzten Tagen zu- getragen. Zwischen Mannschaften, welch« die Ordnung gewaltsam zu stören versuchten, und anderen, die beauftragt waren, sie aufrecht- zuerhallen, ist es zu Zusammenstößen gekommen, bei denen e» Toke und Verwundete gegeben hat. Eine Untersuchung der Vorfälle ist eingeleitet, bei der alle Umstände sorgfältig geprüft werden sollen, die zu diesen beklagenswerten Ereignissen geführt haben. Nach den uns bisher gewordenen Nachrichten ist die herrschende Erregung durch unsinnige Gerüchte hervorgerufen worden. Es wurde behauptet, die Offiziere der Kriegsflotte seien mit der Friedens- Politik der Regierung nicht einverstanden und planten einen Hand- streich, der die Mannschaften nutzlos dem Tode überliefern würde. Sic Offiziere der Kriegsflotte leisten der Regierung Gehorsam und der gegen sie gerichtete Vorwurf, sie hätten diesen Gehorsam v«r> letzt oder wollten ihn verletzen, ist unbcrechtlgk. Niemand denkt daran, das Leben von Volksgenossen, Familienvätern zwecklos aufs Spiel zu setzen. Die Regierung hat schon am 5. Oktober den Gegnern den Abschluß eines Waffenstillstandes vorgeschlagen, um zweckloses Blutoergießen zu vermeiden. Denn der Waffenstillstand noch nicht abgeschlssien ist, so kommt das daher, daß die Gegner ihre Bedingungen noch nicht genannt haben. Solange die Kriegs- Handlungen durch den willen der anderen Seile fort- gehen, bestrevt sich die deutsche Krlegsführnng zu Lande und zur See, mit Menschenleben so zu sparen, wie dies mit den Zwecken notwendiger Abwehr vereinbar ist. Die Aufgabe, unnützes Vlutvcrglehen zu vermeiden, kommt aber nicht nur der Regierung, sondern dem ganzen Volke zu. wir wollen den Völkerkrieg nicht abschließen, um den Bürgerkrieg zu beginne«. Gewisienlos handelt, wer durch Ausstreuung phantastischer Gerüchte Unruhe verbreitet und die Flamme des Bürgerkrieges entfacht. Beschwerden sollen untersucht. berechtigte Forderungen erfüllt werden. Die Regierung ist aber auch oerpslichtet, mit allen Mitteln, die ihr zu Gebote stehen, da» Volk vor dem Elend' zu schützen, das ihm aus der Zerstörung jeglicher Ordnung erwachsen würde, sie ist ver- pflichtet, nach Recht und Gerechtigkeit zu verfahren, dafür trägt sie ver dem ganzen Volk und seiner gewählten Vertretung, dem Deut- schen Reichstag, die voll« Verantwortung. Seeleute: Arbeiter! Seid Ihr Euch der Derantwortung bewußt, die Ihr vor Euren Volksgenossen tragt. Sorgt dafür, daß die traurigen Ereignisse der lehlen Tage vereinzelt bleiben und daß wir ohne blutige wirren unsere inneren Angelegenheiten in gesehllcher Freiheit ordnen können, dem deutschen Volk und Euch selbst zum heilt wax , Prinz von Baden Scheidemann Reichskanzler. Staalssekrelär. Ritler von Mann Staatssekretär des Reichsmariaeaml». Der Reichskanzler P r i n z M a x hat also tatsächlich jenes Flugblatt unterzeichnet und seine Verbreitung gebilligt. Brüninghaus und Trotha behaupten, er hätte von dem Flottenvorstoß gewußt. Hätten sie recht, so wäre Prinz Max der schändlichste Lügner, den Gottes Erdboden jemals getragen hat. Dafür hält ihn aber niemand, der ihn kennt. Und so bleibt nur der Schluß, daß er genau so belogen worden ist. wie S ch e i d e m a n n, P a y e r und die anderen Mitglieder der Regierung, und daß die Vehaup- tung, ex habe von dem Flottencorstoß gewußt, wiederum eine Lüge ist. Der Sachverhalt scheint jetzt so klar, daß er kaum noch einer Aufklärung beoarf. Dennoch wird der Unter- suchungsausschuß gut tun. aus ihn zurückzukommen. Verbesserung öer Krankenkassenleistungen. Zwei sozialdemokratische Anfragen. Di« Vorschriften der RDO. über die Berechnung der Kran» kenkassenbeiträg« nach dem wirklichen Arbeits- verdienst sollen«ndgüllig mit dem Ablauf de» 81. März 192a außer Krost treten. Diese Dorschristen hoben sich bewährt, ins- besondere ist durch sie die Leistungssähigkeit der Kassen gestärkt, die Berwaltungsarbeit vermindert worden. Ihr« Beibehaltung ist des- halb dringend erwünscht. Nach 8 14 des Reichsversorgungsgesetze» endet mit d«m 1. April 192« der Anspruch der Krankenkassen auf Ersatz der U n k o st e n, die ihnen aus der Heilbehandlung von Der» sorgungsleiden ihrer Derlicherten entstanden sind. Wie sich herausgestellt hat, werden die Krankenkassen wegen Versorgungs- leiden von den versicherten jedoch noch immer sehr stark, zum Teil sogar erheblich stärker als in den Vorjahren in Anspruch genommen. Der Ablauf der Bestimmungen des 8 14 RDG. würde sonach«ine neue Belastung der Krankenkassen bedeuten, die bei der gegenwärti. gen Notlage der Sassen doppelt schwer ins Gewicht fällt. Die sozialdemokratische Reichstagssraktion hat den Reichsarbettsminister ousgefordert. durch sofort vorzulegend« Gesetzentwürfe die Erhaltung dieser für die Krankentassen wichtigen Bestimmungen zu sichern. Der Jememardausschuß. Der llntersuchimgäauklSuß des Reiche. kag? �ur Aufklärung der Fememotde, de? 2l Mitglieder ist um ein Mitglied verstärkt worden, damit auch die m dieser An- gelegenheit schwer kompromittierten Völkischen einen Vertreter im ttnAschutz haben.
Verlängerung öer Militärkontrolle? Ein Bericht der KontroMommission und die deutsche Antwort darauf. Ein Berichterstatter der Agentur Havas macht Mitteilungen über einen Bericht des Vorsitzenden der Interalliierten Milttär- kontrollkommission in Berlin , General Walsh, an den Vorsitzenden des Interalliierten Militärkomitees, Marscholl Foch, über die schwebenden Entwaffnungsfrogen. Deutschland befinde sich in mehrfacher Hinsicht in Verzug. Die erziellen Fortschritte genügten nicht, um zu dem Urteil zu gelangen, daß Deutschland seine Z u- sage vom IS. November gehalten habe. Jedoch könne das Nichtvorhandensein eines Ministeriums in Deutschland als eine Ent- s ch u l d i g u n g angesehen werden. Jedenfalls sei anzunehmen, daß wegen der Verzögerung Deutschlands ein« ziemlich beträchlliche Ver- längerung des Aufenthotts der Kontrollosfiziere in Berlin in Aus- ficht stünde. Dazu beiNerkt MTB. offiziös: „Die Durchführung der im Herbst v.J. zur Regelung der Ent- waffnungsfrage zwischen der deutschen Regierung und der Bot- schafterkonserenz getrossenen Abmachungen ist in der Zwischen- zett von � der deutschen Regierung so energisch gefördert worden, daß die Regelung des größten Teils aller Punkte beretts a b g e- schloffen ist oder doch vor dem Abschluß steht. Insbesondere ist auch die Durchführung der hinsichtlich der fünf besonders schwierigen Punkte.getroffenen Vereinbarung von der beul- schen Regierung in der Zwischenzeit in die Wege geleitet worden. Wenn tatsächlich auf dem Gebiet der eigenllichen Entwaffnung über' die Regelung einiger weniger Fragen eine Einigung noch nicht erziell werden konnte, so ist zu betonen, daß bei Anwendung des in der Rote vom 16. November v.J. zugesagten Entgegenkommens eine befriedigende Regelung mit Sicherheit zu er- warten ist, zumal es sich hierbei zum großen Teile nicht um materielle Differenzen, sondern lediglich um Erörterungen über formale Fragen handelt.(Hiermit sind offenbar gemeint die Stellung des Oberkommendos der Reichswehr , das Verbot des Gebrauchs gewisser Waffen zu Ausbildungszwecken und die militärischen Ver- «inigungen. D. Red. d.„V".) Die hinsichtlich derUmorganisation der Polizei im Herbst d. I. getroffenen Tlbmachungen sind von den Regierungen der Länder gebilligt worden. Diese sind unverzüglich daran- gegangen, die für den Aufbau der neuen Organisation er- forderlich werdenden umfangreichen Maßnahmen vorzuberetten. Wenn trotzdem in der Erledigung der die Polizei betreffenden Fragen ein« gewisse Verzögerung eingetreten ist, so trifft die Verantwortung hierfür nicht die deutsche Regierung. Dies« Berzögerung ist vielmehr lediglich darauf zurückzuführen, daß die noch schwebenden Besprechungen mit der Botschafterkonferenz über die Polizei» beamten im besetzten Gebiet noch nicht ganz zum Abschluß gelangt sind. In diesen Verhandlungen werden von der deutschen Regierung keine über die getrossenen Vereinbarungen hinaus- gehenden Forderungen erhoben, da die Nichteinrechnung der Polizei starken des besetzten Gebiet«, in die Zahl von 150 000 Mann bereits in der Rote von Boulogne vorgesehen ist. Nach Klärung dieser Fragen wird auch die endgültige Regelung aller die Polizei betreffenden Fragen mtt solcher Beschleunigung er- folgen können, daß die Interalliierte M i l i t ä r t o n t r o l l- kommission nach Ansicht der deutschen Regierung ihre Tätig- keit noch im Laufe des nach st en Monotszum A b- schluß bringen kann." RheinlanÜe unö Sefaäimg. Eine Rede des Oberpräftdenten Dr. Fuchs. Düsseldorf . 26. Januar. (WTB.) Der 7 0. R h e i n l sch« Provinziallandtag wurde heute durch ein« Red« des Ober- Präsidenten der Rheinprovinz , Dr. Fuchs, als Staatskommissar eröffnet, in der er zu der Frage der Besatzung» st arte aus- führte: Daß durch die Verhandlungen von Lorarno die Entscheidung über die Räumung der ersten Zone zum mindesten günstig beeinfluht worden ist, darf man wohl als feststehend annehmen. Wir freuen uns aufrichtig und herzlichst mit der Bevölkerung der in der Räumung begriffenen sogenannten Kölner Zone, daß sie nun- mehr in kürzester Zeit von der drückenden Last einer mehr als steben Jahre dauernden Besatzung frei sein wird. Es soll auch nicht ver. könnt werden, daß sett Locarno eine gewisse Entspannung und mancherorts auch eine Besserung der Verhältnisse eingetreten ist. Aber es bleibt doch noch außerordentlich viel zu wünschen übrig. Insbesondere ist die Bevölkerung der besetzt bleibenden zweiten und dritten Zone tief ver stimmt über die Stärk« der ihr auch wetterhin auferlegten Besatzung. DI« gewaltig« und bei der großen Wohnungsnot schier unerträglich« Inanspruchnahme von Wohnraum mit den unvermeidlichen Anlässen zu Reibungen muß«in unbedingtes Hindernis für die weiter« Ent- s p a n n u n g und die so wünschenswerte Befriedung bilden. Sie muß auf die Dau?r den Geist der Versöhnlichkeit gc- sährden. Wir wollen, obwohl es nachgerade schwer wird, die Hoffnung«och �nicht aufgeben, daß es durch die eingeleiteten diplo- matischen Schritte gelingen wird, eine befriedigendere Lösung dieser und noch anderer uns stark bewegenden Fragen herbeizuführen.
die Not öer Saararbeiter. Die Reichsregiernng verweigert eine Stütznngsaktion. Der Reichstagsousschuß für die besetzten Gebiet« befaßte sich in seiner Dienstagssitzung mit der Lage der aus deutschem Gebiet wohnenden im Saorgebiet. beschäftigten Ar b ei t e r. Regierungsrat ktretzscbmer vom Finanzministerium vertrat den Standpunkt, daß es L a n o e s l a ch e fei, den notleidenden Arbettern zu helfen, ein Eingriff des Reiches würde den Retchsetat unerträ�- lich belasten und auch auhenpolttisch« Bedenken haben, denn wir wurden auf diesem Wege zu einer sogenannten Bolutaentschädigung kommen. Ein Vertreter des preußischen Innenministerium» erklärte demgegenüber, daß die Not der Saararbetter ein Ergeh- ntederRoich«Politik, nämlich des verlorenen Krieges, sei, und daß es nicht anging«, die aus der Reichsoolttik entstehenden Losten den Ländern aufzubürden. Dagegen müsse man sich um so mehr wenden, als der preußische Staat durch den Fmanzaui- gleich in seiner gegenwärtigen Form stark geschwächt worden ist, und als auch ander« deutsche Länder, in deren Gebieten kein« Besätzungstruppen stehen, bei weitem nicht die Lasten zu tragen Hadem die der preußische Staat übernehmen muß. Ein Vertreter des Reichsarbcitsministeriums machte dann tat- sächliche Angaben über die Verhältnisse der im Saargebiet arbeiten- don, aber auf deutschem Boden lebenden Arbeiter. Danach handelt es sich um 12 000 b i s 13 000 S o a r a rb e i t e r, darunter 8500 bis 9000 Bergarbeiter. Diese Arbelterkategorien beziehen an Lohn in der Spitzengruppe etwa 725 Frank pro Monat, also rund 116 M. Der geringste Lohn beläust sich auf 575 Frank, d. s. etwa 90 M. Wenn man berücksichtigt, daß viele van diesen Soararbettern wäh- rsnd der ganzen Woche im Saaraebiet leben und nur über Sonntag zu chren Familien auf das deutsche Gebiet fahren, so bleiben für die Familien etwa 50 bis 75 ITC. pro Monat übrig. Bei den Arbeitern, die täglich nach Hause fahren, bleiben den Familien etwa 60 bis öö M. Daraus ergebe sich, daß ein erheblicher Teil der Arbeiter
allein für die.Familien nvhr zur Verfügung stellen kann, als er durch die Erwerbslosenfürsorge bekommen würde. Dazu komme noch für die Bergarbetter das Kvhlendeputat. Als wirklich bedürftig müssen etwa 4000 Arbeiter bezeichnet werden, die sich zum Teil auf preußischem, zum Teil aus bayerischem Gebiete befinden, so daß ein« Ueberlastung der Länder durch deren Unterstützung kaum ein« treten dürfte. Vom preußische n Wohlfahrtsmini st«rium worden nochmals Bedenken dagegen geltend gemacht, daß die Länder neben ihren vielen Fürsorgsausgaben auch noch für diese Zweck« Mittel zur Verfügung stellen sollen. Die Kreise, die durch hie Grenzziehung leistungsschwach geworden sind, müßteä vielmehr aus Reichsmttteln gestützt werden. Man dürfe nicht übersehen, daß die Lasten der Fürsorgeverbände schon erheblich durch die Unterstützung der Saar- r e n t n e r und aus Krankheit Arbeitsunfähigen im Saargebiet angeschwollen sind.'' Der Ausschuß beschloß, einen Unterausschuß mtt der Auf- gab« zu betrauen, alsbald �einen gemeinsamen Antrag für die materielle Unterstützung der-Saararbeiter im Ausschußplenum vor- zulegen. Am kommenden Donnerstag tritt der Ausschuß zu einer neuen Vollsitzung zusammen._ Der„liebe Mann" in Derlin. Zu Kaisers Geburtstag. Tausenden deutscher Schulkinder bilden die Fibel und die Lesebücher den einzigen L e s e st o f s in Schule und Haue. Der Lehrer hat es nicht in der Hand, auf die Kinder ein- zuwirken, daß sie Teile der Bücher ungelesen. lassen. So ist auch der republikanisch gesinnte Lehrer wehrlos den Schulbüchern gegenüber, die in der monarchistischen Zett hergestellt und nun im siebenten Jahre der Republik noch immer den Schul» lindern übergeben werden. Im Januar 1926 wird z. B. m Schierke im Harz eine im Jahr« 1917 gedruckte Fibel verwendet, in der sich das Bild Wilhelms II. und feiner ersten Gattin befindet. Unter diesem Bilde steht da» nach- stehende Gedicht: Der Kaiser ist ein lieber Mann. Er wohnet in Verlin. Und war' das nicht so wctt von hier. So ging ich heut noch hin. Und was ich bei dem Kaiser wollt'? Ich gäb' ihm meine Hand Und brächt' die schönsten Blumen hin, Die ich im Garten fand Und sagte dann:'„Aus treuer Lieb' Bring' ich die Blumep Dir." Und dann lief ich geschwinde fort Und war' bald wieder hier. Man sieht, wie folgerichtig in Preußen der republikanische Geist bei den Kindern von frühester Jugend an gepflegt wird. Man läßt dle Kleinen in dem Glauben, daß her„liebe Manu" noch heute tn Berlin sitze, während er doch schon vor mehr als sieben Jahren bej Nacht und Nebel ausgerückt ist und zu Berlin nur noch Be- ziehung hat durch seine Prozesse gegen den preußischen Staat!
Seginn öer pariser JinanZöebatte. Taktisches Rededuell Briand-Renaudel. Paris , 26. Januar. (Eigener Drahtbericht.) Di- Kammer hat am Dienstag nachmittag die Finanzdebatte begonnen. Sie wurde eingeleitet von einem Obstruktion so er stich her Kommunisten, die den Anirog stellten, dle Diskussion dar Finanzprojekt« zu vertagen bis zur Verabschiedung eines von ihnen eingebrachten Jnitiatiogesetzelttwurfes. der die Einführung einer dem jeweiligen Stand der Lebenshattungstosten entsprechenden gleitenden Skala für alle Löhne, Gehälter, Pensionen usw. fordert. Der Forderung auf Ablehnung des kommunistischen Antrages, die im Nomen des Kabinetts von dem Finanzmmister und im Namen der Finanzkommlssion von deren Vorsitzenden gestellt wurden, schlössen sich auch die Sozialisten an. Ihre Hallung wurde von dem Abg. Renaudel begründet, der die Gelegenhett zu einem sehr geschickten Frontalangriff gegen die von Briand gewählte Taktik crgrifs. Er erklärte, daß die sozialistische Fraktion unter keinen Umständen eine neue Hinausschiebung der Finanzdebatte wünsche, die nach ihrer Auffassung beretts viel früher hätte beginnen müssen. Die Kammer dürfe nicht nochmals ihr» Zeit mtt nutzlosen Debatten verlieren, und deshalb müsse sie gleich zu Anfang der Diskussion Gelegenhett erhalten, sich in unzwei, deutiger Weis« über den Kern der ganzen Frag« auszusprechen. Die geschickte Intervention Renaudels hatte den gewünschten Erfolg. indem sie B r» a n d zwang, zu Beginn der Debatte seine Karten auf- zudecken. Er erklärte, daß, so sehr auch Eile geboten sei, die Kammer ausgiebig Gelegenheit haben müsse, sich zu den ihr von der Finanz- kommission gemachten Vorschlägen zu äußern� Der von Renaudel gemachte Dorschlag Hobe den Nachteil, daß er sofort die Degensätze in ihrer ganzen Schärfe aufeinanderstoßen lasse und so die L ö s u n g der Krise erschwere. Renaudel erwiderte darauf, daß in den Wandelgängen der Kommer und in der Presse sett über' ewcr Woche eine heftige Kampagne gegen die Finanzkommission un Gange sei und die von der Regierung selbst als bedrohlich geschilderte Situation eine rasch« Entscheidung verlange. Es habe keinen Zweck, den Kopf in den Sand zu stecken. Ruhe im fernen Gften? Eine„friedliche Lösnng" und ihre Auswirknngen. Die zuerst über New Pork gekabelte Meldung, daß der von Tschangtsolin oerhaftete russische Generaldirektor der chinesischen Ostbahn, Iwanow, wieder freigelassen wurde, sst gestern von der Telegraphenogentur der Sowjetunion bestätigt worden. Sie teilt zugleich mtt, daß der russisch « Generalkonsul in Mukden und der Außenkommissar der drei chinesischen Ostprovinzen die Grundsätze eines Abkommens unterzeichnet haben, deren wessnttich« Inhalt etwa folgendes ist:, „Alle Verhasteten werden freigelassen. Der normale Eisen- bohnverkehr wird wieder hergestellt. Militärtronsporte erfolgen wie bisher auf Kredit: der ober wird durch den chinesischen An- teil an den Eisenbahneinnobmen gedeckt: Die Frage der Ent» ichädigttng für die während des Konfliktes angerichteten Schäden wird gemeinsam geregelt." Die offiziöse Auslassung schließt mit der Bemerkung:.Somit kann. eine friedliche Lösung des Konfliktes an der Ostchina- bahn als gesichert betrachtet werden." Hat danach die Sowiebmion gegenüber Tschangtsolin durch die schnelle Annahme des Ultimatums einen unmittelbaren Erfolg er- zielt, so drohen andererseits die politischen Auswirtun- gen des russischen Vorgehens in China durchaus gegenteiliger Natur zu sein. Von mehreren Seiten wird aus Peking gemeldet, daß die uttimatioen Forderungen des russischen Botschafter» Ka- rachon stark v e r st i m m t und sein Ansehen oermindert hätten. In Peking und in anderen Städten würden arltibolschswistische Kundgebungen organisiert. Der Einfluß Rußlands Hab« in China einen starken Stoß erlttten.