Mittwoch 27. Iaavar I92S
Unterhaltung unö jÜVissen
Seklage des vorwärts
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Der himmelstischler. Don Adolph hoffmann.
Weaen eventueller Ueberfälle mit Dreschflegeln waren wir aus solcher Tour mindestens iechs bis acht Mann. Wir gingen nun mit dem uns begleitenden Gendarm langsam die Donfiraße entlang. ?ch zog das Dcrsommlungs- und Wohlrecht aus der Tasche und machte den Gendarm auf die einschlägigen Paragraphen, gegen die sein Vorgehen oerstieh, aufmerksam."Indesien haue der Gimmels- tischler zwei bis drei Genossen„verlorengehen lnfien", die hinter uns her das Dorf in aller Seelenruhe mit rl lugblättern und Stimm- zetteln belegten. In den meisten Fällen hatten wir das Glück, daß der Gendarm sich so lange in Gespräche verwickeln ließ, bis unsere Leute wieder da waren, und wir gemeinsam an der Grenze seines Reviers von unserem Begleiter In aller Freundlichkeit schieden. Julius hatte, wenn auch selben Säle, so doch oft Werkstätten. Scheunen, Stuben und Flure in den lleuisten Orten zur Versammlung geschafft, ist oft selbst ohne Handzettel von Haus zu Haus gc- gangen und Hot eingeladen, und wenn nichts anderes Erfolg ver- sprach, so erzählte er den Leuten:„Da will son Roter sprechen. Ich werde ihn aber abschütteln, dast Sie Ihre Freude daran haben. Kommen Sic nur. und hören Sie ganz ruhig zu. Wenn der mit seiner Hetzrede fertig ist, werde ich ihn mir vorknöpfen." Mit solchen Einladungen selbst in den kleinsten Dörfern bracht« er bei seiner Bedächtigkeil und Langsamkeit natürlich einen ganzen Tag zu und er machte sich daher schon oft bei Morgengrauen auf den Weg. War ich abends mit meinem Dortrag zu Ende und es wollte kein anderer reden, dann nahm er dos Wort und erklärte:„Ich hatte mir vorgenommen, dem Vorredner gründlich den Kopf zu waschen. Das sage ich ganz ehrlich, denn ich habe alles mögliche über die Schreckenszicle der Sozialdemokratie gehört. Wie ober der Redner heute die Bestrebungen erläutert hat. bin ich vollständig einverstanden, und da sich auch niemand anders dagegen gemeldet hat. darf ich wohl von den übrigen Zuhörern dasselbe annehmen. Ich glaube wir werden alle daraus unsere Nutzlehre ziehen, und das bei der Wahl berücksichtigen." In einer großen Merseburger Wahlversammlung— Dahlen waren unterm Sozialistengefctz die einzige Gelegenheit, wo wir öffentlich« Versammlungen abhalten konnten,— referiert« ich und der �iimmelstischler" hatte die Leitung. Dadurch, datz ein wild- gwordener Antisemit und ein ganz orthodoxer Pfaffe al« Redner gegen mich in der rüpelhaftesten Weise auftraten, wurde zeitweise die Versammlung sehr stürmisch und drohte, der Wtflösung zu verfallen. Der„Hirnmelstischlcr" mit seiner Ruh« und der Autorität, die er in Merseburg besah, wuhtc die Wellen immer wieder zu glätten. Nachdem ich beide Reden, wie Julius am Schluß der Ver- sammluna feststellte, mit„Humor und Satire erdrosselt" hatte, fragte er, die Versammlung überschauend:„Ist noch jemand da, der sich nach gleichem Schicksal sehnt?" Und als sich niemand meldete, klopfte er mir vor versammeltem Volke stolz auf die Schulter und sagte: „Zu. den Tenor habe ich eukdeckl." Als wir noch der Versammlung noch im Vorderlokal sahen, machte sich an uns ein Herr heran, der wie ein Rittergutsinspeklor aussah, und mich fragte, ob ick» nicht einmal in L a u ch st ä d t sprechen würde. Auf meine Antwort:„Sehr gern, aber dort erhalten wir keinen Saal!" entgegnete der Herr: �Das wäre gelocht." Woran i�ich aus den„Himmelstischler" wies und sagte:„Na, dann fragen«ie mal meinen Freund. Der ist erst vor kurzem in Lauch- städt erfolglos wegen eines Saales gewesen." „No, wenn ich Ihnen sage. Sie bekommen einen Saal, dann stimmt es auch." Jetzt sagte Julius über den Tisch weg gedehnt ,.S— o— ol Na. und welchen denn?" „Den Kronprinzen!" war die Antwort. Julius faßte den Sprecher scharf ins�Auge und sagte noch langsamer als sonst:„Sagen Sie mal, sind Sie nicht der Wirt vom Kronprinzen?" „Jawohl, der bin ich." gab der Gefragte zurück. „So." sagte der„Himmelstischler".„am Dienstag voriger Wock»« haben Sie selbst mir den Saal verweigert, weil Sie keinen Roten in Ihrem Lokal haben wollten." „Richtig," antwortete der W«rt und nahm an unserem Tische Platz,„am Dienstag wollte ich auch noch keinen." -Hm!" machte ich mißtrauisch,„und woher diese schnelle Sinnes- änderung?" „Das will ich Ihnen sagen. Ich bin selbst natürlich kein Sozialdemokrat und hätte Ihnen den Saal wahrscheinlich nie gegeben. Aber am Sonnabend habe ich durch die Schuld unseres Bürger- meisters einen Prozeß verloren, was mich schwer ärgert. Und setzt will ich ihm auch einen Streich spielen. Wir haben augenblicklich in unserem Ladeort Hochsaison. Wenn ich da mit einer Versamm- lung der Roten zwischenplatze, dann platzt er auch." „Ra," mischte sich der„Himmelstischler" wieder ein.„Ueber Motive wird nicht abgestimmt. Sie geben uns also Ihren Saal?" „Ja, mein Wort." unterbrach der Kronpinzenwirt.„aber Herr Hoffmann muß selbst kommen." „Abgemacht, Hosfmann spricht nächste Woche In Lauchstädt, " er- klärte der„Himmelstischler" ohne weiteres. Und so kam es. Lauchstädt hatte damals noch keine Eisenbahn. Ein kleiner vorsintflutlicher Omnibus fuhr von Merseburg noch dort. Am Tage der Versammlung war er vollbesetzt, so daß ich nur noch stehenden Fußes hineinkam. Julius fand keinen Platz, da selbst beim Kutscher alles überfüllt war. Nach langer Verhandlung mit diesem und einem anständigen Trinkgeld durfte er auf dem Dach« des Omnibusses zwischen dem Gepäck stch„verstauen". Kreuzoergnügt ging es im„Schuckeltrab" noch Lauchstädt � Lauchstädt war eni kleines Ackerbürgerstädtchen mit Sommer- badegästen, die nicht viel Aufwendung machten konnten, weshalb es auch seit langen Zeilen das Sechsdreier.Renticr.ZZad genannt wurde...„ Er hatte die Nächte vorher unter dem Schutz de« ihm ver- trauten Nachtwächters die Einladungszettel zur Versammlung o«r> breitet.. Al, ich am Marktplatz aus dem Ommbns'prang, um unserem himmelstischler" aus ieinen lustigen Hohen herunter zu helfen, stand zu unserem größten Erstaunen der Schneider am Wagen. Er ver sonst alles vermied, was den Anschein haben konnte, er hatte mit der Eazi-ildemotrati« etwa» zu tun.. Mit erschrockenem Gestcht m er unsbet�leunb beschwor uns. mit dem Omnibus, der gleich wieder die Rückfahrt antrat, noch Me-�eburg zurückzukehren. .Man sachte, man sachte." kam e? gelassen von des Himmelstischlers Lippen. „Ist die Versammlung verboten?" fragte'ch- „Das nicht," erklärt«, nach allen S-üen sich scheu umsehend, der Schneider. „Also leer, e, ist keiner gekommen?" forschte Julius. (Fortsetzung folgt.)
Lügenmolch-Automat. Patent Hngenberg& Co.
Das deutsche„Lügenmolch-Pelent" Zerseht zu hundert und euch mehr Prozent Jedwede Wahrheit, sei sie noch so fest, Die man dem Apparat in» ZNaul geschoben: Am HInterteU erscheint sie frisch geprehl. Durchsichtig und als Lüge(liehe oben!). Der„Lügenmolch" klappk immer tadellos: Die Wahrheit in der Sluge-Knoll-Astäre kam völlig umgeprehl und halb so groh
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Zur Zrcude de» Erfinder» au» der Rühre. Und auch die„Postenjägerei in Genf " Kam hinken ran» als Riesenschwindelmaflc, Durchtränkt mit Scherlschem nationalem Senf. Dann kam ein Lügenflugblatt I. Klasse. Auch Dittmanns Wahrheil, gar nicht klein zu kriegen, Kam hinten raus als ein Paket von Lügen. — Der Konstrukteur(st wirklich ein Genie. welch Jortschritl in der Lügenindustrie!
Giuseppe veröi. Zum heutigen 25. Todestag. Noch von 12 Jahren war das Problem Verdi ein von den Verteidigern des Musiküromas hitzig umstrittenes. Der Schlachtruf lautet«: Hie Wagner— hie Verdi. Dieser Ruf hat seinen Klang verloren, einmal dadurch, daß sich eine Patina über dos grandioseste Werk Wagners, den Ring, gelegt hat. zum anderen Mal dadurch. daß sich trotz des philologischen Gezänks Verdi immer mehr das Theater und die Menschen der Web gewonnen hat. Heute, zu seinem 25. Todestag, ist er als einer der größten Thcatermänner aller Zeiten zu preisen, als Künstler zudem, der mit einer unerhörten Arbeitskraft bewähn«tappenweis das große Ziel erreichte, gleich- blrechtigt sein Werk neben das des Bayreuth «« stellen zu können. Man braucht nur die Ahnen Verdis zu kennen und nur seinen Nachfolger zu nennen. un> zu sehen, wie mrmhoch er auch bei historischer Wertung als nationaler Komvonist hervorragt. Diese Borgänger, denen der junge Derdi die gesamte Schulung im Schöngesang ver- dankt, sind Rossini und Bellini: seine Nachfolger, die ihn jahrelang an Ruhm weit überstrahlten, schienen vor Zü Jahren Leoncaoallo und Mascagni zu werden. Aber das unechte Brillantfeuerwerk dieser glatten Geister verschniand schnell hinter dem Licht des plötz- lich berühmt gewordenen Piiccini. Dieser Gesellschaftsmensch und geistreiche Stilist des Orchesters musiziert zwar aus dem Dollen einer großen Begabung heraus, aber er singt überall, wo er große Rollen schreibt, am Drama vorbei. Auch Verdi war lange Zeit so durchweg Italiener , daß er aus Kosten des Drainas dem Belcanto opferte. Aber schon in der Periode seiner patriotischen und religiös emp- fundenen Musik erwacht jener Zug der Theaterleidenschast, der mit einer besonderen Orchesterrealistik dir menschliche Durchsühlnng aller Rollen betreibt. Melodie und Essekt, das waren dir Haupt- schlagmorte seiner ersten Periode, und rnick� in den Welttrinmphen des',R i g o 1 e t t o"„Troubodou r".„T r a v i a t a" emscheiden die Nummern und Arien, nicht dt« Lcrschmelzimg von Idee, Wort und Musik. Was an persönlichem Ausdruck fehlt, ersetzt die Sckön- heit der Linie, und das Fehlen höherer musikdramatischer Gesichts- punkte wird rasch vergessen unter dem Eindruck gefährlich schöner Einzelheiten. Menschliches ist noch knallig aufgeblasen, eftetlvoll erftlnden, lyrisch und temperamentvoll und rauschhast im Einfall, musikalisch eindringlich durch alle Konventionen hindurch erhalten. Aber dieser Derdi bleibt mittelstark, bleibt auch nicht der Mustk- dramatiker des Jahrhunderts. Wagner entthront ihn. Don Carlos gibt ein« Lorahnung davon, was Vqrdi werden sollte, wenn er die Tradition der Koloratur-Itallener, den Arientyp und die Meyer- beersche Effektsuche hinter sich warf. Der„Maskenball" steigert die Ehrlichkeit der neuen Empfindungswelt, und fast sechzigjährig löst sich Verdi von allen Vorbildern aus Italien und Frankreich los. Die„A i d a" ist der Brennpunkt solcher Wandluna. tgier endlich ist dos Virtuos» des Gesanges Nebensache geworden. Pathos und Affekt und Leidenschaft der Menschen bestimmen die Musik, und auch die Rezitative dienen nur noch dazu, dramatische Bewegung zu steigern oder zu hemmen. Die Smnwidrigkeit eine» elegant virtuosen Singens zu anders gearteten Texten, die Vorherrschaft de» Tons über da» Wort überhauvt hat aufgehört. Die großen Ideen Richard Wapners haben in Derdi eine Wandlung eriahren. die seinem eigenen Genie entsprachen, und der„F o l st a s f"(189.?) Ist die letzte und auch reisste Frucht in Verdis Schassen. Hier ist ein Stil gesunden, der aus der einen Seile der einheitlichen Verschwisterung von Ton und Wort dient, alles Zurschauftellen von Nummern vermeidet, der auf der anderen Seit« mozartisch an Witz, Lonne, Leichtigkeit und Humor ist. Die Instrument« beginnen zu leben, zu schäkern, zu kichern, dt« Komik der Strien bleibt so unversiegbar, wie die Rhythmen körper-
Haft echt daherschreiten. Ein Karneval des Lebens und ein erlösender Spott, eine Beweglichkeit des Geistes, ein Maskenspiel, aus dem Witz der Dichtung, au» dem lockenden Brio der Musik geboren. So endet Verdi, der als Nur-Itoliener begonnen hatte, nach endloser Entwicklung seiner selbst als Weltgröße, Iis Rief« der Opernkunst. Der Romon Franz Wersels hat Verdi in strengst«, beinahe sieg- hafte Konkurrenz zu Wagner gestellt. Dem ist nicht ganz so. Ein jeder steht an seinem Plane. Aber die Verspottung und Begeiferung des italienischen Großmeister» hat ausgehört und muß für immer bei denen aufhören, die der Erschütterung seiner Alda-Musik und dem weisen Lochen semer Falstaff-Partitur erliegen. _____ Kurt Singer . Michail Salkykow(Pseudonym Stschedrin). Rußlands bedeutendster Satiriker, dessen 199. Geburtstag heute ist, entstammte einer adligen Guisbcfitzersamllie. Im Alexander-Lyzeum in Zarskvse Sclo erzogen, widmet« er sich znerst dem Staatsdienst war jedoch nebenher auch eifrig als«chriftsteller tätig. Er selbst nannte sich einen Fvurieristen, doch waren ihm auch die Ideen Saint- Simon » nicht fremd. Der russische Dauer kurz vor der Aushebung der Leibeigenschast und noch Durchsührung der Reform bildete den Hauplgegenstand seines dichterischen Schossens. Er selbst schreibt von sich sojgende»:„Ich bin im Sa»oße der Leibeigenschast aufgewachsen. wurde mit der Milch leibeigener Ammen ausgezogen, von leibeigenen Kinderwärlerinnen erzogen und schließlich von einem leibeigenen Schreibkundigen im Lesen und Schreiben unterwiesen. Alle Schrecken der ewigen Sklaverei Hobe ich unoerhüllt zu sehen be- kommen. Menschen wurden verkauft und verschenkt, zu ganzen Däriern und auch einzeln: man gab sie zu Freunden und Bekannten in Dienst: man schickle sie auf Grund von Verträgen partienweise in Fabriken. Hüttenwerke und ol» Schisssschlepper sort..." Zwei von de» Erzählungen Sultykow» erreplen wegen ihrer revvlurio- nären Gesinnung Anstoß bei dem„Inoisiziellen Komitee zur Heber« wachung der Ausschreitungen der Literalur", da» 1848 von der russischen Regierung aus ilngst vor der Ausbreitung der«esteuro- päischen revolutionären Ideen eingesetzt worden war. Soltykow wurde seines Postens enthoben— er war damals zweiter Sekretär des Kriegsministers— und nach dem entlegenen Wjafto verbannt. Dort mußt« er sein« Laufbahn von vorn beginnen, doch dank seiner außerordentlichen Begabung rückte er in den sieben Iahren seines Exils schnell wieder auf und brachte es bald nach Ablauf der Ver- bnnnung bis zum Bizeaouverneur von Rjasan und später von Twer . 1882 nahm er schließlich seinen Abschied und widmet« sich ausschließlich der literarischen Tätigkeit. Er starb am 12. Mai 1889. Die verhängnisvolle Slreichholzschachlel. Im letzten Jahrzehnt ist den Aerzten ein Kronkheitsbild geläufig geworden, dos auch für die breitere Oessentlichkeit von Interesse sein dürfte. Die Kranken, säst ausschließlich Manner, kommen mit Klagen über einen Aus- schlag am Oberschenkel und vielsach gleichzeitig auch im Gestcht in die Sprechstunde. Der Arzt findet dann ein akut entzündliche» Ekzem an der Vorder- und Außenseite de» Oberschenkels, dort wo die Hosentasche ausliegt: außerdem«in« Schwellung des Gesichte» und eine Entzündung der Augenlider und Bindehäute. Nicht selten hat da» Ekzem fast den ganzen Körper ergriffen. Die Ursach« dieser seltsamen Erkrankung ist in der Reibfläche der in der Hosentasche getragenen Streichholzschachtel zu suchen, und zwar entwickeln sich au» den in der Reibflächenanstrichmaste«ntnaltenen Phosphor- verbindunaen beim Warmwerden am Körper flüchtige Stoffe, die durch die Kleider hindurchzudringen und schwere Hautreizungen aus- zulösen vermögen. Die weit es sich hier um ganz bestimmt« Fabri- täte handelt und ob ein« besonder« Empfinblii..... liegen muß, damit«, zu dieser„Streichhoilzscho kommt, ist noch nicht restlos entschieden.
m ganz bestimml« yaori- indlichkeit der Haut vor- zschachtelhoutentzündung"