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Nr. 47 4Z.�ahrga«g

7. Seilage ües vorwärts

5rettag, 24.�aaoar 1426

Was tut Serlin für Und was tragen der Staat und das Di« Berliner Stadtverordnetenversammlung hatte gestern nochmals ein« Arbeitslosendebatte, die infolg« eines Dringlichkeitsantrages der Kommunisten noch vor Eintritt in die Tagesordnung anhub. Da die Rechte die Dringlichkeit bestritt, so forderten die Kommunisten, unterstützt von den Sozial- demokraten, vom Magistrat eine sofortige Aeuherung darüber, was zur Arbeitsbeschaffung bisher geschehen ist. Oberbürgermeister Böß gab eine Antwort, von der er sich eine Beschwichtigung ver- sprach, aber die Kommunisten waren hiermit nicht zufrieden. Auch die sozialdemokratische Fraktion erklärte durch ihren Redner. Ge- Nossen Krause, der Magistrat habe schärfer darauf zu dringen, daß Staat und Reich die von ihnen geplanten Ar- beiten baldig st und in vollem Umfang ausführen. Tenosie Krause richtete an den Magistrat die dringende Mahnung, daß er den Staats- und Reichsbehörden kräftig die Meinung der Berliner sagen möge. Ueber den Dringlichkeitsantrag konnte, weil die Rechte bei ihrem Widerspruch blieb, noch nicht verhandelt werden. » In der gestern abgehaltenen Sitzung der Stadtverordneten wurde die Vorlage des Magistrats ohne Diskussion angenommen. nach der der Vau der Strecke Hermauuplah Söpealcker Strohe der UEO.-SchueObaha sofort in Angriff genommen werden soll. In einem Drlnglichkeits- antrag forderten dl« Kommunisten sofortige Auskunft vom Migiftrat über feine von ihm unternommenen Schritte zur Milderung der Erwerbslosigkeit. Der Dringlichkeit wurde nicht widersprochen, so daß Oberbürgermeister Böß sofort das Wort nehmen konnte. Er betonte, daß der Magistrat alle» aufgeboten habe, um zu helfen, wo er kann. Der Beginn der Arbeiten an der Schnellbahn, die Vorbereitungen für die Zu- schüttung des Luisen städtischen Kanals und diese selbst stehen unmittelbar bevor. Wenn auch die Frage der Finan- zierung noch schwebt, so muß doch sofort mit den Arbeiten begonnen werden. Der Magistrat steht ferner in Verhandlungen mit der Staatsregierung wegen des Ankaufs der Rehberge bei Plötzensee, die abgetragen werden sollen. Sobald etwas Posi- tives feststeht, wird der Stadtverordnetenversammlung eine dies- bezügliche Lorlage zugehen. Der Magistrat weiß selbstverständlich auch, daß all diese Arbeiten die Erwerbslosigkeit nicht restlos be- seitigen können. Im Rahnien der zur Lersügun a st e h e n- den Mittel geschehe das Menschenmöglichste. Roth(KPD .)' ging in unglaublicher aggressiver Weise gegen den Oberbürgermeister vor. Er gab sich mit der erteilten Auskunft nicht zufrieden und meinte, der Oberbürgermeister solle sich schämen, mit einem so kläg- lichen Programm vor die Versammlung zu treten. Der Redner sprach von einer Sabotage des Magistrats, wofür er vom Vorsteher zur Ordnung gerufen wurde. Der Oberbürger- m e i st« r entgegnete m scharfer, sachlicher Weise. Cr betonte, daß da» Vorgehen des Stadtverordneten Roth keineswegs geeignet sei, den Erwerbslosen zu helfen. Im übrigen kann naturlich die Stadt Berlin allein die Rot der Erwerbslosen nicht beheben. Während der Entgegnung de» Oberbürgermeister» tat sich Stadtverordneter Holzfäller in Zurufen ganz besonder» hervor, er störte dl« Verhandlungen empfindlich. Genosse Urich rief ihm zu:»Sei still, Streikbrecher! Gegen diesen Zuruf wehrt« sich be- merkenswerterweise Holzfäller nicht. Für unsere Fraktion sprach Genosse Krause: Wir können un» in die Lage de» Magistrats ver- setzen, soweit die Beschaffung der notwendigen Mittel in Frage kommt. Wir glauben aber, daß der Magistrat bei den zuständigen Reichs- und Staatsbehörden auf mehr Betriebsamkeit hätte drängen können. Der Magistrat könnte darüber hinaus seinen Einfluß geltend machen, daß Reichsbahn . Post und andere Reichsbetriebe ihre notwendigen Arbeiten sofort in Angriff nehmen lassen. Es darf auch nicht vorkommen, daß beispielsweise beim Bau des E �oßtraftwerkes Rummelsburg noch heute, trotz riesiger

die Erwerbslosen� Reich zur Arbeitsbeschaffung bei? Erwerbslosigkeit aller Bauhandwerker, Ueber st unden gemacht werden. Im Zusammenwirken aller Stellen kann viel Arbeit ge- schaffen werden, so daß den Erwerbslosen endlich gezeigt wird, daß etwas in ihrem Interesse geschieht.(Lebhafter Beifall bei den Sozialdemokraten.) Merten(Dem.) hält den Kommunisten vor, daß gerade sie seinerzeit gegen den Bau des Großkraftwerkes Rummelsburg gestimmt hätten. Wenn es also nach dem Willen der KPD. gegangen wäre, so hätten die Arbeiter selbst bei diesem Bau keine Arbeit gefunden. Der Redner nahm den Magistrat gegen die Angriffe des Kommunisten Roth in Schutz. Nunmehr konnte sich die Versammlung der eigentlichen Tagesordnung zuwenden. Genossin Dr. Aronkeulhal begrün­dete namens unserer Fraktion eine Anfrage, nach der an Fort- bildungsschulen für Schulversäumnisse Straf st unden an Sonntagen verhängt werden. In diesen Strafftunden sind Schülerinnen von der Polizei vorgeführt worden. Vom Magistrat erklärte Stadtrat B e n e ck«, daß er keine Auskunft geben könne: er- wolle aber trotzdem eine Auskunst erteilen. Die Antwort war aber so dürftig, daß beschlossen wurde, die Be- sprechung zu vertagen, bis Stadtrat Benecke in der Lage ist, ein« erschöpfende Auskunft zu geben. Ueber einen Antrag der Kom- munisten, den städtischen Arbeitern und Tarif- ange st eilten eine Teuerungszulage zu geben, berichtet« als Ausschußmitglied Genosse Heitmann. Wir haben den Aus- schußbeschluß bereits imVorwärts" mitgeteilt. Ohne Debatte stimmte die Versammlung zu. Annahme fand bei der Gelegenheit eine Entschließung des Ausschusses, die eine Abschaffung der Z e i t h i l f e n fordert und die Einstellung von Hilfskrästen nur nach den tariflichen Bestimmungen vorgenommen wissen will. Das Philharmonische und das S i n f o n i« Orchester waren bei der Stadt vorstellig geworden, ihnen eine weitere Unterstützung zukommen zu lassen. Bofde Orchester haben bereits für 1925 je 60 000 Mark erhalten. Die außerordent- lich schwierig« Zeit hat auch beide Orchester in eine große Rot - lag« gebracht. Die Kunstdeputation hat beschlossen, nur dem Phil- harmonischen Orchester eine nochmalige Unterstützung von 40 000 M. zl> gewahren, weil es untragbar sei, zwei Orchester neben der städtischen Oper zu unterstützen. Nach längerer Debatte, in der der Antrag gestellt wurde, beiden Orchestern eine Zuwendung zu machen, wurde die Angelegenheit zur nochmaligen Verhandlung an die Kunstdeputation zurückverwiesen. Stadtverordneter Hesse(KPD .) begründete einen bereits im November v. I. eingebrachten Antrag, nach dem dem Fahrpersonal der Straßenbahn. betriebegesellschaft eine Lohnzulage von 10 Pfennig und der ungeteilte Achtstundentag zu gewähren fei. Ge- nosse Klose vertrat den Standpunkt der sozialdemokratischen Fraktion. Die Lohaverhandlungen seien seinerzeit von der DireMoa der Skrahenbahn maßlo» verschleppt worden. Die R e ch t« der Belegschaft und Ihrer gesetzmäßigen Der- tretung, des Betriebsrates, find abgebaut worden, so daß ein Einfluß auf die Lohn- und Arbeitsverhältnisse kaum noch möglich ist. Ein« Durchführung des ungeteilten Achtstundentages dürft« mit den Bedürfnissen des fahrenden Publikums schwer in Einklang zu bringen sein. Eine andere Frage ist es allerdings. ob bei der Aufstellung der Dienstpläne nicht die Forde- rungen de» Personals mehr al» bisher berücksichtigt werden können. Der geteilte Dienst, wie er jetzt vorherrscht, ist eine Ouälerek für das Personal. Der tägliche Dienst bei der Straßenbahn sst bedeutend länger, als die Direktion angibt. Dienst- zelten von 10 bi» 11 Stunden find kein« Seltenheit, sondern fast die Regel. Daraus erklärt sich auch die Unfreundlichkeit des Fahrperfonals. Genosse Klose betont, daß die sozialdemo­kratische Fraktion den Achtstundentag als eine ihrer Grundforde- rungen stets hochhält. Am Schluß seiner Ausführungen be- gründet Klose einen Zusatzantrag unserer Fraktion, der sol- genden Wortlaut hat: .Bei Aufstellung der Dienstpläne, sowie bei«enderungen her- selben sind die Betriebsräte zur veraulwortlichen Mitwirkung heranzuziehen." Stadtrat Genosse Schöning betont die Bereitwilligkeit des Magistrats, auch in Zukunft den Lohn und die Arbeitszeit bei der Straßenbahn durch Tarifverträge regeln zu lassen. Gegen

über der Einführung des ungeteilten Achtstundentages machte der Redner starke Bedenken geltend. Der Verkehr der Straßenbahn ist ein Spitzenverkehr, der seinen Höhepunkt morgens und abends habe. Etwa von 10 Uhr ab werden bis zu 42 Proz. der Wagen aus dem Verkehr gezogen, wodurch der geteilte Dienst erforderlich wird. Die L e i st u n g« n der Straßenbahn dem Publikum gegenüber sind bedeutend besser, als vor dem Kriege. Die Fahrpreise seien beispielsweise billiger als früher, besonders hinsichtlich der Umsteige- berechtigung und der Abonnements. Daneben sind viele Linien Zuschußlinien, die aber im Interesse des Verkehrs ausrecht- erhalten werden müssen. Der Stadtrat betont mit erhobener Stimme, daß Berlins Straßenbahn sich sehen lassen könne, und daß wir im Hinblick auf andere Städte durchaus konkurrenzfähig sind. Nach längerer Fortführung der Debatte wird zunächst der Zusotzantrag unserer Fraktion an- genommen. Zustimmung finden ferner mit den Stimmen der Sozialdemokraten und der Kommunisten die Forderungen nach Er- höhung des Lohnes und des ungeteilten Achtstundentages. Nach Erledigung einer ganzen Anzahl weiterer Vorlagen und Anträge tritt die Versammlung in eine geheime Sitzung ein.

hallo Amerika !

Um jene graue Morgenstunde herum, die nicht mehr Nacht ist und noch nicht Tag, so um vier, um fünf, wenn die letzten Bummler heimkehren und die ersten Fleißigen zur Arbeit ziehen, um mit dem mühselig verdienten Groschen abends das Brot kaufen zu können, da» jetzt schon warm au» dem Backofen geholt wird, um diese Zeit» die sich die meisten wohltuend schlafend oder sorgenvoll sinnend im Bette drehen und wälzen da fängt seit ein paar Tagen im Radio- hau» in der Potsdamer Straße der Betrieb schon an. Der Portter schimpft, man kann e« ihm nicht verdenken, der Fahrstuhlführer flucht, und die anttottenden Künstler lächeln auch nur süßsauer, falls das reichlich zeitfüllende Gähnen diesen Luxus gestattet. Aber was ist da» auch, morgens um fünf mit vollem Orchester, großen Sänge- rinnen, berühmten Sängern, mit Haydn , Mozart , Beethoven , mit Wagner. Kreisler und Johann Strauß zu kommen klingklang- gloria, nichtwahr, wir sind alle für die Musik, zum allergrößten Teil für das Radio, aber morgens um fünf? Aber so komisch ist das nun in der Welt: während wir noch schlafen, rückt Mr. Smith in New Fort zwei Klubsessel zusammen, setzt sich bequem auf den einen, legt noch bequemer die Füße aus den anderen, schmeckt die letzten Dissen seines Dinners noch, sucht in der Zeitung, wer sich hat scheiden lassen und wer sich verlobt hat, hört dabei im Lautsprecher Berliner Radiomusik: Treu lich geführt zl« het dahin... In ein paar Wochen oder Monaten werden w i r wohl auch mit den kleinsten Detektorapparaten über Königswusterhausen New Dork hören können. Dann haben die amerikanischen Radiomacher das Vergnügen unserer Abendunterhaltung wegen in aller Herrgotts- frühe auszustehen.Uns kann teener", sagt der New Jorkcr Ober- radiosendeleiter Brown und schickt auch Orchesterklang und mensch- lichen Gesang über den großen Teich, der nun schon zur belanglosen Pfütze wurde. Und es bestärkt uns in der Hoffnung, daß nicht nur äußerlich, sondern auch innerlich der Abstand zwischen den Völkern allmählich geringer werde. Und wieder... Amtsvergehen: Wegen schwerer Urkundenfälschung mußte sich Wes« mal der Kreisbuchhalter Georg V vor dem Schöfstn- gericht Berlin-Mitte verantworten. Seine Betrügereien zeugten von ganz besonders gemeiner Gesinnung, da die veruntreuten Gelder für die Witwen und Waisen bestimmt waren. Trotz­dem D. schon einmal, und zwar als Kriminalbeamter, wegen Un- regelmäßigkeiten aus dem Dienste scheiden mußte, gelang es ihm durch Bewährungsfrist, um die Vsrbüßung seiner ersten Strafe zu kommen. Die Vermittlungen eines Regierungsrats verschafften ihm die Stelle eines Buchhastcrs in einer Kreiskasse. Er lohnte mit schlechtem Dank«. Wo Rentnerinnen, Witwen und Waisen ihre armseligen Groschen zu erheben hatten, setzte der gewissenlose Buchhalter bald wieder mit Fälschungen und Betrüge- reien ein. Durch seine Schuld wurden diese Konten um 7 0 0 0 Mark überzogen, bis schließlich der Staat als der end- gültig Geschädigte eingreisen muhte. Der Staatsanwalt wollte eigentlich in Anbetracht der fortwährenden Zunahme dieser

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Die Passion. Roman von Clara Viebig .

Und so mor es weiter und weiter gegangen. Wenn Eva sich all der Plätze erinnern wollte, an denen sie gewesen war, mußte sie ihre zehn Finger zu Hilfe nehmen, an denen zählen: aber sie reichten nicht. Und dieses Zählen hatte etwas noch mehr Verwirrendes. Diese letzten neun Monate mit ihrem ewigen Wechsel, mit ihrem steten Hin und Her, mit ihren Aufregungen wenn Eva selber sich auch gar nicht mehr aufregte, die anderen regten sich desto mehr auf hatten ihren Kopf schwach gemacht. Als sie heute sich auf der Straße befand, ohne Stellung, ohne zu wissen, wo sie diese Nacht schlafen würde, dachte sie nicht viel nach. Geld hatte sie ja noch, es würde schon auf ein paar Tage für Kost und Logis reichen. Oder ob sie wieder zu einer Vermieterin ging, der mehr als die übliche Taxe versprach, wenn die ihr für sofort eine Stellung ver- schaffte? Ach was! Eine gute bekam sie doch nicht: ihr Buch war nicht danach. Auf die Zeugnisse von Peterseims und Herrn Rothe auch das von der Baronin war noch gut folgten schlechter«, zuletzt ganz schlechte.Krankheitshalber" stand meistens darin, und dann noch etwas vonverstecktem Charakter".Unaufrichtig.Nicht wahrheitsliebend" und dergleichen. Das war zum Lachen! Ob andere Leute wohl wahrheitsliebend sein würden, wenn die in ihrer Haut steckten? Eva setzte sich auf eine Bank, die in den Anlagen stand, und lachte. Sie lachte das gleiche Lachen, das sie bei der Baronin gelacht hatte, ein Lachen, von dessen Klang, aus Hohn, aus Schmerz und Verzweiflung gemischt ein greller Akkord sie selber nichts wußte. Als Vorübergehende sich nach ihr umsahen, stand sie auf und ging weiter. Sie ging und ging. Straßen, Anlagen, Plätze und wieder Straßen, schöne menschenbelebte Straßen, weniger schöne und zuletzt häßliche. Hohe Hauswände, die feuchte Schatten warfen, Fassaden, die stellenweise abbröckelten, Däcker. die gleich schweren Lasten drückten: alle hoch wie Berge, düstere Steinberge, an deren Fuß keine Blume wächst. Eva hielt hier an vor einem Haus, vor einem ganz grauen Haus. Sie wär sehr müde. Ein paar Stufen führten hinauf zur Eingangstür, auf eine von diesen setzte sie sich.

Ueber der Tür stand eingemeißelt:Magdalenenstist" und darunter, ein wenig kleiner:Mädchcnhort". Evas matte Augen suchten die Schrift zu lesen, aber sie entzifferten die nicht. Ihre Augen waren zu müde, so müde wie ihr Kopf, wie ihre Füße alles entsetzlich müde. Es wollte schon Abend werden. Da sagte eine Frau, die vorüberkam und die auf der Treppe Sitzende musterte:Sie müssen läuten, Fräulein!" Was ist das hier für ein Haus?" Na, das ist doch das Magdalenenstist für gefallene Mächens. Sie sind ganz richttg, Fräulein. Läuten Sie man tüchtig!" Ich will ja da nicht hinein," sagte Eva. Ach so! Na, ich meinte. So sitzen hier manche." Die Frau ging kopfschüttelnd weiter und dachte bei sich: sieh einer an, noch den 5)ochmutsteufel? Die sollte froh sein, wenn sie ihr Bett und ihre Ruhe hätte. Eva wäre auch froh gewesen ach, Bett und Ruhe! aber hier doch nicht, hier nicht, da hätte sie ja auch bei Lenchen bleiben können. Sie ermannte sich plötzlich, stand auf und ging fort. Wie düster die Straßen wurden und immer düsterer. Es war so ähnlich hier wie in Lenchens Gegend. Sie hatte sich jetzt ganz verirrt.Wo bin ich hier?" fragte sie ein altes Weib, das gebückt an rissigen Hauswänden entlang schlich. Die Alte war ganz verwundert, hier einen Menschen zu finden, der sich nicht auskannte: denn wer das nicht tat. der kam nicht hierher.Sie wollen wohl auch nach'» Asyl? Denn komm' Se man!" Sie faßte vertraulich Evas Arm, drückte sich näher an sie, strich sich an ihr herum wie eine schnurrende Katze, ganz dicht.Wenn die am Einlaß dich fragt:mit oder ohne", denn sag nur immer dreist«ohne". Dir glauben se noch, du hätt'st keene. Mir schicken se gleich unter de Dusche und die Bürste mit grüner Seife." Die Alte kicherte.Als ob se damit die Läuse totkrichten!" Eva machte sich von der Alten frei, stieß sie hefttg zurück: Da will ich nicht hin!" Die Stimme der Alten schrillte kichernd hinter ihr drein. Das Weib war Ihr unheimlich, alles hier unheimsich, sie sah nicht mehr, daß es auch Leute hier gab. die von der Arbeit kamen, anständige Menschen, Männer und Frauen, die sich ehrlich ihr Brot verdienten, die nur zu arm waren, um in besserer Gegend zu wohnen. Sie sah nur lauter Gesindel. Wie eine Vision tauchte plötzlich die G estall eine» Menschen vor ihr auf, dm sie nur einmal gesehen hatte in ihrem Leben

damals, als sie noch ein Kind war fadenscheinig, schmierig der Ueberzieher, ausgetretene schlorrende Schuhe ah, diese Augen, diese Augen, frech, unruhigKomm, da steht'ne Bänke, komm!" Schnee, Schnee überall, hohe große, weiche Massen über ihr, wie in lauter weiche, nach- gebende Masse sank ihr Fuß ein; sie Härte kejnen Tritt. Und es waren doch viele Füße, die neben ihr, hinter ihr, vor ihr hergingen. Aber für sie war die enge Straße, die jetzt belebt war, nur ein Kirchhof, ganz still, eine weite, unendlich lautlose, unendliche einsame Einsamkeit. Und da da kam er wieder! Er trat auf sie zu, trat dicht neben sie, grinste sie an o, und kein Posizist in der Nähe! Eva flüchtete entsetzt. Evas Herz zuckte und ruckte, wollte ihr fast aus dem Munde springen. Sie war lange Trab gerannt. Nun drückte sie die Klinke nieder an der Tür einer kleinen, wenig ein- ladend aussehenden Konditorei. Könnte sie hier vielleicht eine Tasse Kaffee bekommen? Und etwas zu essen dazu? Sie mußte essen, sie fühlte es, sonst gab sie sich nach. So mußte es Verschmachtenden zumute sein, die am Wege liegen bleiben. Aus ihrem Magen stieg eine Leere auf und stieg bis ins Gehirn. Das gab Bilder, allerlei Bilder, die Wirk- l'chkeit dünkten, und von denen sie jetzt zu wissen glaubte, daß doch nichts von ihnen wahr gewesen war. Oder doch? Eva drückte sich die Nägel der einen Hand bis zum Schmerz in die Handfläche der anderen: sich besinnen, zu sich kommen! Sie durfte hier nicht umfallen. Der Kaffee tat ihr gut, sie fühlte deutlich, wie er wirkte: immer weiter zogen die Bilder zurück und die Gestalt des sie so beängsttgenden Mannes: sie wurden blasser, und jetzt oerschwanden sie ganz. Als sie noch eine zweite Tasse Kaffee getrunken und einen altbackenen Kuchen gegessen hatte, war sie soweit, daß sie ausstehen konnte. Sie sagte der Ver- käuferin, die hinter dem Ladentisch stand und Bonbons lutschte:Bitte, ich möchte zahlen." Aber als sie in die Tasche faßte nach ihrem Geld, da war das weg. Sie suchte an sich herum, suchte in ihren Sachen, es war umsonst, sie wußte ja auch ganz genau, daß sie das Portemonnaie in ihrer Iackentasche gehabt hatte. Nun konnte sie nicht bezahlen: sie mußte die feine weiße Stickorci'chüre. ein Geschenk der Baronin, aus dem Karton nehmen»nd dem Frä''le>n alz Ersatz für die Bezahlung bieten. Und das Fräulein war noch so gut und gab ihr zwanzig Pfennig heraus:Damit Sie doch nach Haufe fahren können." (Fortsetzung folgt.)