Abendausgabe
Nr. 6043. Jahrgang Ausgabe B Nr. 30
= Vorwärts
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Dolksblatt
10 Pfennig
Freitag
5. Februar 1926
Berlag und Anzeigenabteilung: Geschäftszeit 9-5 Uhr
Berleger: Borwärts- Berlag GmbH. Berlin S. 68, Lindenstraße 3 Fernsprecher: Dönhoff 292-297
Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands
Die Verschwörung.
Die Fememörder, ihre Begünstiger und ihre Helfer.
ist im Besitze des gesamten Materials.
Es gibt ein System der Fememorde. Es gibt ein System| der Deffentlichkeit geführt hat? Das Reichsjuftizministerium der Vertuschung der Fememorde, das weiteste Kreise zieht. Es ist eine Verschwörung. Die Verschwörung reicht bis in den Justizapparat hinein. Diese Verschwörung ist verbrecherisch. Sie bedroht das Staatsinteresse.
Es sind Justizkreise an der Verschwörung beteiligt. Diese Beteiligung ist Mißbrauch der Amtsgewalt. Sie gehört vor den Strafrichter. Wir fragen die preußische Just iz verwaltung, was sie zu tun gedenkt, um im Intereſſe des Staats und des Rechts die Verschwörung aufzudecken des Staats und des Rechts die Verschwörung aufzudecken und zu zerstören?
Das Bild, das sich nach dem Berliner Fememordprozeß ergibt, ist das folgende: es hat eine Schwarze Reichswehr eriſtiert. Diese geheime militärische Organisation stand in enger Verbindung mit der Reichswehr . Zum Schutze des Geheimnisses find Verräter und Berdächtige auf Befehl ermordet worden. Als die Verbrechen ruchbar wurden, hat die Kriminalpolizei eingegriffen. Sie hat unmittelbar Schuldige dem Richter zugeführt. Das Gericht hat gegen sie unter strengstem Ausschluß der Deffentlichkeit verhandelt- trok des Verlangens von Reichs- und Staatsregierung nach Deffentlichkeit. Für die Angeklagten hat sich eine unbekannte Stelle interessiert. Sie hat Geld für die Berteidigung gegeben. Sie hat nationalistische Verteidiger besorgt gegen den Willen von Angeklagten. Sie hat Berteidiger verdrängt, von denen sie annahm, daß sie den Zusammenhängen zur Leitung der Verschwörung nachspüren würden. Der Staatsanwalt, dem sich ein Belastungszeuge gegen einen Angetlagten anbietet, der des Befehls zum Morde verdächtig ist, weist den Belastungszeugen ab mit der klassischen Frage: Warum wollen Sie den Mann belasten? Dieser Staatsanwalt hat sich der Begünstigung schuldig gemacht. Das Gericht vermeidet, den Zusammenhängen nachzugehen. Das Gericht hat der Bertuschung und Verdunkelung Borschub geleistet.
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Weitere Einzelheiten werden bekannt. Der eine der Fememörder, der als nicht ganz zuverlässig gilt, wird an geschossen. Er erhält Drohbriefe. Die Drohbriefe sind aus den Akten des Amtsgerichts Soldin verschwunden... Ein Angeklagter wendet sich an einen Verteidiger. Der Brief braucht aus dem Untersuchungsgefängnis bis zum Verteidiger zehn Tage. In der Zwischenzeit kann die unbekannte Stelle einen von ihr bezahlten Verteidiger vorfchieben.
Eine Verschwörung arbeitet. Sie will das System verbergen. Sie will die wahrhaft Schuldigen dem Richter entziehen. Sie will verdunkeln. Angesichts dieser Sachlage zieht ein Gericht den Schleier strengsten Geheimnisses über seine Berhandlung!
Man rede: nicht von höherem Interesse, von Schutz des Staatsintereffes! Das System, das verdunkelt werden soll, steht im Widerspruch zu der amtlichen Politik der Reichs regierung. Die Justiz, die sich um seine Berdunkelung be müht, arbeitet gegen die Friedenspolitik der Regierung, gegen ihr Ansehen. Sie treibt Politit gegen die Reichspolitik. Sie fügt fich ein in ein System, das einen Staat im Staate bilden wird, wenn es geduldet wird. Einen Staat der Revanche idee, des Spiels mit Geheimorganisationen, die als Mittel der Revanchepolitik gedacht werden. Diese Geheimorganifationen find in früheren Jahren mit dem Landesver ratsparagraphen gegen Aufdeckung geschützt worden. Eine Regierung, die diese Methoden der Justiz heute noch gestatten würde, würde sich der Unehrlichkeit und Doppelzüngigkeit verdächtig machen. Das Staatsinteresse duldet nicht, daß die Justiz Politik auf eigene Fauft im Geifte der Revanchespielerei macht. Das Staatsinteresse erfordert die Rerstörung dieser Verschwörung, die zu einem Staat im Staate zu werden droht und auf Verbrechen aufgebaut ist.
Ist das preußische Justizministerium bereit, die Anschuldigungen gegen Justizbeamte zu verfolgen, die im Zusammenhang mit dem Berliner Fememordprozeß erhoben worden sind? Ist es bereit, dafür zu sorgen, daß die Berliner Methoden der Bertuschung in kommenden Fememordprozessen nicht angewandt werden?
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Eine Parallele drängt sich auf: in Sachsen wird ein Staatsanwalt wegen Begünstigung angeflagt und prozessiert, weil er nicht Anklage gegen einen Redakteur erhoben hat, der einen General in der Presse beleidigt haben soll. In Berlin darf ein Staatsanwalt einen sich anbietenden Belastungszeugen gegen einen der Anstiftung zum Mord Beschuldigten abweisen mit der Frage: Warum wollen Sie den Mann belasten?" und gegen diesen Staatsanwalt wird fein Verfahren ein geleitet. Was gedenkt die preußische Justizverwaltung zu tun? Der Schweriner Fememordprozeß hat tiefe Beunruhigung in die Deffentlichkeit getragen. Troß aller Dunkeltammerpolitik hat er genug erkennen lassen, daß sich die Oeffentlichkeit des Verdachts bemächtigt hat: es ist ein System, das die Werkzeuge des Fememords aufs Schafott liefert, die Auftraggeber aber und die moralisch Schuldigen schont. Der Berliner Fememordprozeß hat diesen Eindrud verstärkt, und heute fagen wir: es ist nicht mir ein System, es ist eine Ber schwörung!
Die Justiz versagt. Staatsinteresse und Rechtssicherheit sind bedroht. Was gedenken die Regierungen zu tun?
Die Rolle der Verteidiger.
Die nächsten Verwandten der im Fememordprozeß zum Tode Berurteilten teilen mit, daß die Berteidiger den Angeklagten auf gedrängt worden seien. Sie hätten aus einer unbekannten Quelle jeder 500 m. erhalten. Der Angeklagte Aschen fampf wollte sich durch Rechtsanwalt Themal verteidigen lassen, der sich im GrütteLehder- Prozeß um die Aufdeckung der Beziehungen zu den Hinter männern bemühte. Darauf ereignete sich folgendes, was Dr. Themal in einem Briefe an die Bossische Zeitung" mitteilt:
" Mitte Januar hat tatsächlich Aschenkampf an mich geschrieben und um meinen Besuch gebeten. Der Brief ging zehn Tage vom intersuchungsgefängnis bis zu mir. Als ich Aschenkampf aufsuchte, erfuhr ich, daß unterdessen Rechtsanwalt Dr. Sad dort gewesen sei und ihm eine Berteidigung angeboten habe. Als Aschentampf erklärte, er habe sich bereits an mich gewandt, erwiderte Dr. Sad, daß das ganz gleichgültig sei; er wolle ihm einen anderen Berteidiger verschaffen. Ajchenkampf fragte:„ Und wie ist es mit der Bezahlung?" Worauf Dr. Sad antwortete:„ Das braucht Sie nicht zu interessieren, die Sache ist bereits geregelt"
Es war Rechtsanwalt Dr. Sad, der den Ausschluß der Deffentlichkeit im Prozeß beantragte und dessen Antrag das Gericht folgte.
Aus den Akten verschwunden. Bezeichnend für die Mittel, mit denen die Feme arbeitet, ist die Tatsache, daß auf den inzwischen verurteilten Aschenkamp, den seine Genoffen für einen unzuverlässigen Mitwisser hielten, bereits im Dezember 1923 ein Mordversuch gemacht worden ist. Afchentamp war damals Forstschutzbeamter in Kraazen( reis Soldin). Da er mehrere Drohbriefe erhielt, mandte er sich in seiner Angst an den Gemeindevorsteher Hachtmann in Rraazen, legte ihm die Briefe vor und ließ ein Protokoll aufnehmen. Wenige Wochen später wurde, als er sich auf einem Dienstwege befand, ein Anschlag auf ihn verübt. Aus dem Hinterhalt wurden mehrere Schüsse auf ihn abgegeben, von denen ihn einer in den Arm traf. Die Täter enttamen. Merkwürdigerweise sind die Droh briefe, die an das Amtsgericht Goldin weitergereicht worden waren, aus den Atten verschwunden.
Um den Vorgesetzten gerecht zu werden.. In einem Briefe, den der zum Tode verurteilte Stein am Tage vor der Verhandlung an seine Frau geschrieben hat, heißt es:
Bloch und Goebel.
Die erfundene Erpressung.
Die Rechtspresse fährt fert, von dem„ Kronzeugen" Goebel und seinem„ Erpressungsversuch" beim Rechtsanwalt Bloch zu sprechen. Das ist ein ganz übles Ablenkungsmanöver. Kronzeuge" Goebel ist von dem Bombe- Gericht überhaupt nicht ver= nommen worden. Der Mann ist ein ehemaliger Student, der durch den Krieg zur Unterbrechung seiner Studien gezwungen wurde und im Felde durch Verschüttung eine Nervenerkrankung erlitt, die sich noch heute in schweren Gesichtszuckungen äußert.
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Diesen Kriegsverletzten, der im„ Bataillon Senden" für würdig befunden wurde, Bataillonsschreiber zu spielen, will die dem Anwalt Bloch gefügige Preise jezt als ein feiles Subjekt hinstellen, dem keine Glaubwürdigkeit beizumessen sei. Warum? Weil Goebel über die Ermordung des Feldwebels Wilms und über die Beteiligung des Oberleutnants v. Senden bei der Polizei und zwar schon im November- Angaben gemacht hat, die für die Verteidiger des S.- R.- Kommandanten sehr peinlich sein müssen. Deswegen will man Goebel unglaubwürdig machen, indem man ihm Erpreffung nachredet. In Wirklichkeit so haben Goebel und Schyra bei ihrer Bernehmung angegeben habe Rechtsanwalt Blod) ihn geradezu gedrängt, eine Summe zu nennen, die er brauche. und erst nach langem Widerstreben habe er sich bereitgefunden, 200 M. zu sagen. Als aber dann auch noch eine eidesstattliche Versicherung gefordert wurde, daß Goebel über seine Kenntnis ich weigen werde, hat Goebel sich entschieden geweigeri. Dann hat Bloch die Verhaftung eingeleitet, nachdem er Goebel und Schyra noch einmal zu sich bestellt hatte. Goebel ist aber nicht zum zweitenmal gekommen, konnte also auch nicht bei dem zweiten Besuch höhere Forderungen stellen, wie die dienstwillige Sugenberg- Bresse meldet. Vielmehr wurde Goebel in einer Wirtschaft in der Taubenstraße festgenommen. Die Tatsache, daß sowohl
er als sein Freund Schyra, der sich um einen Landaufenthalt Goebels bemühte, noch am gleichen Abend freigelassen wurden, sagt deutlich, was von dem„ Erpresser" märchen zu halten ist. Es handelt sich offensichtlich um einen der bösartigsten Ber dunfelungsversuche, zu dem sich gewiffe Rechtsblätter wieder einmal hergeben!
Der Thüringer Justizskandal. Die Beeinfluffung durch die„ Ordnungsregierung" gerichtsnotorisch.
Jena , 5. Februar. ( Eigener Drahtbericht.) Vor dem gemeinschaftlichen thüringischen Schöffengericht in Jena wurde am Donnerstag der Beleidigungsprozeß der thüringischen Regierung gegen den verantwortlichen Redakteur unseres Jenaer Parteiblattes verhandelt. Der Genosse Deerberg war angeflagt, im Anschluß an den Loebprozeß durch verschiedene Artikel, die sich mit dem Justizskandal in Thüringen beschäftigten, die thüringische Regierung insgesamt und den thüringischen Juſtizminister für sich beleidigt zu haben. Nach mehr als zwölfstündiger Verhandlung, die ein geradezu erschütterndes Bild von den Ver. hältnissen in der Weimarer Staatsanwaltschaft entrollte, verkündete das Schöffengericht abends gegen 11 11hr folgendes Urteil: Der Angeklagte wird wegen übler Nachrede in Tateinheit mit Beleidigung zu 750 M. Geldstrafe oder zu drei Monaten Gefäng
nis verurteilt. Außerdem wurde die Publikationsbefugnis beschlossen. Die Urteilsbegründung nahm ausführlich zu den Ergebnissen der Beweisaufnahme Stellung, und erklärte,
daß zweifellos gewisse Beeinflussungen der Staatsanwaltschaft durch nichtzuständige thüringische Regierungsorgane vorgekommen feien, daß insbesondere der thüringische Finanzminister an dem Strafverfahren gegen den ehemaligen Staatsbankpräsidenten Loeb ein besonders auffälliges Intereffe an den Tag gelegt habe.
Aber der Wahrheitsbeweis im Sinne der Behauptungen des Angeklagten soll nicht geführt sein. Er durfte nicht, so heißt es in dem Urteil, von einem Just izskandal in Thüringen sprechen(!), in Weimar (!), denn in der Staatsanwaltschaft schwebe schon seir sondern nur von einem Skandal der Staatsanwaltschaft Monaten ein schwerer innerer Konflikt, der sich in ganz besonderer Weise auf die Erledigung der Strafverfahren der Staatssachen auswirke. Während der Oberstaatsanwalt Dr. Frieders Bedenken gegen sich sein Untergebener, der Staatsanwaltschaftsrat Ioel, wie er die Durchführung des Meineidsverfahrens gegen Loeb hatte, stürzte fagte, mit Begeisterung" auf den Meineidsprozeß gegen Loeb, um ihn unter allen Umständen mit einer Verurteilung enden zu lassen. Hinter dem Rücken des Oberstaatsanwalts wurde auch in ver
Das System der Verschwörung, der Verdunkelung, der Schwarzen Reichswehr, der Fememorde ist unvereinbar mit dem demokratischen Staat. Es richtet sich gegen das Wesen des demokratischen Staates, das Deffentlichkeit und Ehrlichfeit erfordert. Die Verschwörung bedroht das Staatsinteresse, fie bedroht die Rechtssicherheit. Sie zieht andere Verschwörungen nach sich. Neben die Fememorde in der Schwarzen Reichswehr treten die Fememorde in völkischen Kreisen. Man erinnert sich des Grütte- Lehder- Prozesses. Jetzt wird bekannt, daß ein Ermittlungsverfahren wegen Anstiftung zum Mord gegen den Reichstagsabgeordneten Bulle eingeleitet ift. Soll Herr Bulle auch von der Verschwörung gedeckt liebes Frauchen, ich bin fein Verbrecher und zähle mich auch nicht schiedenen Fragen mit dem Finanzministerium verhandelt und den
werden?
Es ist ein System! Die Deffentlichkeit hat kein Bertrauen mehr, daß die Justiz ihre Schuldigkeit gegen dies System tut. Die Politik des Bertuschens und Berschweigens ist ein ungeheuerlicher Standal. Jetzt ist es an der Reichsregierung und an der preußischen Staatsregierung, dem Skandal ein Ende zu machen, und mit harter Hand einzugreifen.
Ist der Reichsjuftizminister bereit, der Deffentlichkeit das gesamte Material über den Berliner Fememordprozeß zu unterbreiten, nachdem das Gericht gegen den Willen der Reichsregierung die Berhandlung unter strengstem Ausschluß
morbe angestiftet hat. Denn wir waren nur bestimmte „ Es wird sich ja herausstellen, wer die ganzen Feme Ausführende. Hätten wir es nicht getan, dann wären wir schließlich auch nicht mehr unter den Lebenden. Ich fann Dir mitteilen, daß ich unter dem äußersten 3 mange ge handelt habe. Du wirst ja selbst bei der Verhandlung zugegen sein handelt habe. Du wirst ja selbst bei der Berhandlung zugegen sein und wirft es erfahren, wie sich alles zugetragen hat. Habe Mut, mein zu denen. Nach dem Strafgesetzbuch bin ich einer. Was ich getan babe, ist nicht zu meinem Nuzen geschehen, auch nicht zu meinem Borteil, nur um meinen Borgefeßten gerecht zu werden. Unser Vater im Himmel weiß, wer die größeren Schuldigen sind, und er wird demnach auch sein Gericht halten."
Ein Ermittlungsverfahren gegen Wulle. Gegen den Landtagsabgeordneten Wulle und mehrere Mitglieder der deutschvölkischen Parteileitung schwebt ein Ermittlungsverfahren wegen der Beschuldigung der Anstiftung und Begünftigung zum Mord, die im Grütte- Lehder- Prozeß gegen fie erhoben murde
Staatsanwalt diese Berhandlungen und Verabredungen verheimlicht. Das Urteil billigt dem Angeklagten zu, daß er auf Grund des mehr als sonderbaren Berhaltens der drei Staatsanwälte Dr. Frieders, Floel und Müller die Ueberzeugung gewinnen fonnte, daß bei der Weimarer Staatsanwaltschaft, wie das ja auch wirklich der Fall war, etwas nicht stimmte.
Rumänien lobt sich selbst. Die Agentur Orient Radio teilt mit: vertrag ist ein neuer Beweis für den friedlichen Geist Rumäniens Der dieser Tage abgeschlossene rumänisch - schweizerische Schiedsund seinen Wunsch, an der von der Menschheit unter der Aegite des Bölferbundes verfolgten Bolitik wirtjam teilzunehmen.