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Mr. 158.

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Vorwärts

12. Jahrg.

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Fernsprecher: Amt 1, Nr. 1508. Telegramm- Adresse: Sozialdemokrat Berlin !

Berliner Bolksblatt.

Zentralorgan der sozialdemokratischen Partei Deutschlands .

Redaktion: SW. 19, Beuth- Straße 2.

Die politische Lage Italiens .

II.

Die moralische" und die soziale Frage" in bezug auf Crispi.

Mittwoch, den 10. Juli 1895.

Führer der herrschenden Klasse, die da durch, daß sie ihn stügt, ihre Klassen interessen vertheidigt."

Expedition: SW. 19, Beuth- Straße 3.

Sogar in Italien haben wir ein anderes Beispiel, das unsere Auffassung bestätigt, nämlich Herrn Cavallotti in eigener Person: Er hat durch ähnliche Enthüllungen den Cavallotti antwortete im Namen der Radikalen, er Leiter eines römischen Blattes, der berühmt war als all­glaube nicht, daß die Abstimmung diese Bedeutung haben mächtiges Orakel fast aller Ministerien, seiner ganzen Eine der eklatantesten Episoden des Wahlkampfes war müsse und Philippo Turati, der geniale Vorkämpfer des Macht beraubt und sogar seine Verurtheilung durchgesetzt die unerschöpfliche Reihe vont persönlichen Angriffen Marxismus in Italien , schränkte heute in seiner Rund- wegen älterer und neuerer unmoralischer Handlungen und Cavallotti's, des Führers der äußersten Linken, gegen Crispi. schau ,, Critica Soziale"( Soziale Kritit") die Worte des Abg. Bestechlichkeit. Cavallotti hat mit unermüdlicher Energie die Dotu- Costa etwas ein, indem er die Thatsache hervorhebt, daß Warum haben dann nicht einmal die heftigsten, er­mente, die Indizien, die Beweise hinsichtlich der in anderen Ländern, wie in England und Frankreich , eine bittertſten unerbittlichsten Angriffe auf Crispi den persönlichen und politischen Moralität Crispi's gesammelt solche phänomenale Bescholtenheit bei Staatsmännern ein- gleichen Erfolg gehabt? und während mehrerer Wochen war die italienische fach unmöglich sei oder vielmehr, daß ein solcher Mensch Der hauptsächliche wenn nicht einzige Grund ist, daß und auswärtige Presse, und durch Rückwirkung die dort augenblicklich durch die herrschende Klasse selbst würde die Abstimmung am 25. Juni stattfand unter dem Eindruck ganze öffentliche Aufmerksamkeit voll gespannter Erwartung beseitigt werden, und daß in Italien die Deputirten der des Schreckens, welcher der herrschenden Klasse ob des der letzten Veröffentlichung M. Cavallotti's, die ein er Lombardei , in der die Bourgeoisie am höchsten entwickelt ist, unvermutheten Sieges des Sozialismus drückendes Belastungsmaterial gegen das Leben Crispi's zu drei Vierteln gegen Crispi gestimmt haben, während die in die Glieder gefahren war. bildet, von seiner Trigamie( Dreiheirath) an bis zu den Majorität sich aus Deputirten Süditaliens zusammensetzt, Und Crispi, der mit allen Hunden gehetzt ist und keine Wechseln, die den Baufen nicht bezahlt wurden, und bis wo es noch gar keine Bourgeoisie giebt. Gewissensskrupel hat, schwenkte fortwährend vor den ents den 50 000 Fr., die er erhalten hatte, 11m Um eine vollständigere Erkenntniß der Gründe der be- jetzten Augen der herrschenden Klasse die Schreckensfahne Cornelius Herz das große Band irgend eines zeichnenden und unseligen Abstimmung des 25. Juni zu des Sozialismus, der Anarchie und der blutigen Revolution Drdens mit einem töniglichen Handschreiben ver gewinnen, wollen wir daran erinnern, daß Crispi selbst 11. s. 1. was alles er in seiner Wahlrede in Rom zu­leihen zu Lassen, was noch im letzten Augen 1878 durch die damals zum ersten Male erhobene Anklage sammenwarf; und er that das in der wohlberechneten blick durch das Dazwischentreten Rudini's, des Vorgängers der Trigamie gestürzt wurde; in diesem Jahre, 1895, hin- Absicht, den Klaffenhaß anzufachen und anzustacheln; und Crispi's, und Rattazzi's, des Exhausministers, der jetzt die gegen ist er nicht einmal gestürzt, trotzdem man zu dieser der Bourgeoisie Angst zu machen, damit sie einen Retter" Enthüllungen Cavallotti's bestätigt hat, verhindert wurde. Anklage noch sehr viele andere hinzufügte mit erdrückenden nöthig hatte. Die Frage mußte unbedingt vor die Kammer kommen, Schuldbeweisen und Dokumenten. und sie hat in der Sitzung vom 25. Juni ihre vorläufige Lösung gefunden durch Ueberreichung eines Autrages, der von sämmtlichen Mitgliedern der äußersten Linken, die Sozialisten eingeschlossen, unter zeichnet war, und auf grund dessen eine Untersuchungskommission eingesetzt werden sollte, um zu entscheiden, ob Cavallotti ein Berleumder oder Crispi ein Schurke ist.

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Crispi sagte, er hätte kein Wort der Vertheidigung zu erwidern, denn sein ehrwürdiges Alter und seine dem Vaterlande geleisteten Dienste machten ihn unverwundbar gegen Beleidigungen und Verleumdungen.

Die Erklärung dieser Thatsache ist nur möglich, indem man den Klassentampf, diesen Wunderschlüssel für alle sozialen und politischen Probleme in betracht zicht.

In der That sind in England Politiker in den höchsten Stellungen durch die Beschuldigung des Ehebruchs parla­mentarisch und somit politisch unmöglich geworden, und ebenso in Frankreich durch die Beschuldigung der Bestechlich feit, die sogar den Namen fin de siècle "( Jahrhundert­wende) oder ,, fin de classe"( Klassenende) des Panamismus erlangt hat.

1.­

Nach der Eröffnung der Kammer hat er in derselben Art operirt, woraus zu ersehen ist, daß er, falls er die marrische Theorie des Klaffenkampfes nicht kennt, doch ein sehr feines und instinktives Verständniß dafür hat.

Das sind die Gründe, warum in Italien Crispi im Jahre 1878 auf Anschuldigungen hin stürzte, die jetzt, ob­gleich sie mehr als verdoppelt sind, nicht zu seinem Sturz hinreichten.

Sicherlich ist es nicht unbedingt nöthig, daß eine herrschende Klasse, um sich im Alleinbesitz der ökonomischen und politischen Macht zu erhalten, immer ihre Zuflucht zu Es ist gleichfalls wahr, daß die große Mehrheit der numoralischen Menschen nimmt, aber in dem gesellschaft Ein ministerieller Deputirter beantragte die Vertagung Parteigänger Crispi's Süditalien angehört, das sich noch lichen Gesammtleben giebt es ebensowenig eine freie Wahl des Autrages auf unbestimmte Zeit und von 405 Ab( wie ich in meinen Artikeln im vergangenen Februar dar- wie im Einzelleben. Prof. Enrico Ferri . geordneten haben in öffentlicher Abstimmung 105 eine Belegte) in der sozialen Entwickelungsstufe des mittelalterlichen ( Schluß folgt.) sprechung des Antrages gefordert, doch 283 haben für die Feudalismus mit einer noch nicht oder kaum existirenden Vertagung gestimmt und so den Antrag begraben. Bourgeoisie befindet.

Der sozialistische Deputirte Andrea Costa hat bei der Begründung seiner Abstimmung und der der seiner sozialistischen Genossen, den Standpunkt unserer Partei in Denn wie die gesammte radikale Partei, dringt er nicht den Worten dargelegt, daß für uns hier nicht nur eine weiter als bis zur persönlichen oder politischen Oberfläche moralische Frage bestehe, sondern auch eine soziale Frage, der sozialen Berhältnisse unserer Zeit und er verlangt die denn Crispi ist in diesem Augenblick der Beseitigung der Wirkungen, ohne die Ursachen beseitigen zu Vertreter oder vielmehr verantwortlicher wollen.

Was war die Bedeutung und was die Erklärung dieses Toch alles dics widerlegt nicht, sondern bestätigt nur ganz persönlichen Sieges des Ministerpräsidenten? So die sozialistische Erklärung, und die einzig wahre und that Politische Leberlicht. fragen wir, indem wir von den Volkskundgebungen zu sächliche Erklärung des persönlichen Triumphes Crispi's Berlin, 9. Juli. gunsten Cavallotti's und den Parlamentskundgebungen zu über seinen Gegner Cavallotti, der unbescholten und edel Der preußische Landtag wird morgen um 2 Uhr gunsten Crispi's ganz absehen. sowohl in seinem privaten wie auch seinem politischen Nachmittag mit einer königlichen Botschaft geschlossen Leben, aber auf dem Gebiete der Politik ein Baum ohne werden. Die Agrarier ziehen befriedigt zu den heimath­Wurzeln ist. lichen Ochsen. Sie werden zwar schreien, daß ihnen nicht genügend in den Beutel gestopft wurde, aber innerlich find fie zufrieden und das Schreien gehört zu ihrer Geschäftspraxis. Müssen sie doch das un­mögliche aufs lärmendste verlangen, um alles irgend mög liche rasch bewilligt zu erhalten.

Feuilleton.

[ Nachdruck verboten.]

Berliner Märstage.

Seine Worte galten einem hochaufgeschossenen blonden Der blonde Offizier war sein Ziel. Aber der Wage­Lieutenant, der, um sich unkenntlich zu machen, einen schlichten muth des Tapferen sollte gar übel entlohnt werden: die Soldatenmantel angezogen hatte und von der dunklen Ein- seltsame Erscheinung batte bereits die Aufmerksamkeit des fahrt der verrammelten Scharrnstraße aus die Soldaten mit Feindes erregt, und von mehreren Seiten zugleich stürzten 59 aufstachelnden Worten in den Kampf trieb. Auf Sprung- sich die Soldaten auf den verivegenen Schnürrock. weite war Anton bereits dem Blonden nahe gekommen, da Den bringt mir lebendig," rief der Offizier im Eine geschichtliche Erzählung von Michel Deutsch. legte es sich plötzlich wie ein dunkler Schleier auf seine Soldatenmantel, einen Thaler auf Schnaps, wenn Ihr'n Jetzt war der Augenblick für die Heißsporne gekommen, Augen, die Waffe entfiel den erschöpften Händen, und er kriegt!" die ihren überschäumenden Kampfesmuth so lange hatten fant bewußtlos zu Boden. Rasch sprang Florian auf den Die Aussicht auf die versprochene Belohnung spornte zügeln müssen. Mit ihren Aerten und Piken und den Stürzenden zu, um ihn hinter die Barrikade zu schaffen, den Eifer der Soldaten. Mit Löwenmuth wehrte Herr sonstigen Waffen, die der Augenblick ihnen in die Hand ge- aber schon hatte ein halbes Duhend grober Fäuste Kasimir sich gegen die Uebermacht, Bliz auf Bliz kreuzte geben, sprangen sie von der Brustwehr hinab in die vordersten den Träger gepackt und ihn sammt seiner Laft zu Boden gerissen. sein Säbel die feindlichen Bajonnete. Da warf ein heftiger Reihen der Feinde, während das Feuer der Büchsenschützen" Wart, Jung', dat will'n wi Di besorjen," schrie ein Stoß ihn platt auf den Bauch, und triumphirend schleiften sich auf die nachrückenden Kolonnen richtete. So manche bartloser pommerscher Junge ihn an, der erst vor wenigen die Soldaten ihn über den Kampfplatz. Heldenthat ward da von schlichten Männern im Arbeits- Monaten den Schäfertittel gegen des Königs Rock ver fittel vollbracht, die nie zuvor eine Waffe in Händen ge- tauscht hatte.

"

Was hab' ich Euch gethan?" stieß Florian Schnick hervor, indem er verzweifelt um sich griff und einen Halt zu gewinnen suchte. Seht Ihr nicht, daß ich. ihn nur wegtragen wollte?"

"

Schlagt den Hund nieder, wenn er nicht mitgeht," zischte der Lieutenant aus seinem Winkel.

Aber noch gab der Ueberwundene sich nicht verloren: ein furchtbares Gebrüll entfloh seinem Heldenmunde und vermeldete den Freunden die Gefahr. Und an der Brust­wehr der Barrikade erschienen ein paar geängstigte Mädchengesichter und starrten in banger Spannung nach der wilden Szene.

" Hilfe! Rettung! Unser Pole gefangen!" ertönte ihr durchdringendes Geschrei. Die muthigsten von ihnen, Bertha Jachuick voran, sprangen keck über die Brustwehr, und ein paar handfeste Burschen unter Ferdinand's Führung folgten ihnen nach. Mit wenigen Sägen waren sie an der

habt hatten. Der Kühnsten einer war Anton Kowalla, der Mit Hilfe seines Nebenmannes zerrte er den Schneider im hizigsten Gefecht stand und mit seiner Eisenstange an den Beinen unter dem regungslosen Körper Kowalla's mörderische Hiebe austheilte. Echon ranu aus zwei hervor, um ihn als Gefangenen abzuführen. Bajonn etwunden in Hüfte und Echenkel das Blut an seinen Kleidern herab, aber mit Löwenmuth focht er weiter, der Wunden und Schmerzen nicht achtend. Die ganze Er­niedrigung und Schmach seines proletarischen Daseins wollte er von sich abwaschen in diesem blutigen Streit, der ihm die Mannes würde zurückgab. Vergebens rief Florian Schnick, der in einer Aufwallung von Menschenliebe die Waffen von Schon hatte der Pommer den Kolben aufgenommen, Seite der Verfolger. fich geworfen hatte und nur noch den Verwundeten um ihn auf den Schädel des kleinen Sachsen niedersausen Willst' n woll loslassen, Kerl!" schrie Bertha wüthend Samariterdienste leistete, dem Ungestümen warnend zu, daß zu lassen, als plöglich von der Flanke her eine Hünen- den einen der Gardisten an, die Herri Kasimir bei den er sich verbluten würde-Anton Kowalla kannte kein gestalt auf den Angreifer zusprang und ein furchtbarer Armen festhielten und mit heftigen Stößen vorwärts­Maß in seiner entfesselten Leidenschaft, deren Gluth die Säbelhieb ihm zwei Finger von der Hand trennte. drängten. Gleich einer wilden Kate krallte sie sich in seinen Sehnenkraft seines Körpers bis auf den legten Neft zu ver­Arm fest und biß ihn so empfindlich ins Fleisch, daß der zehren schien. junge Kriegersmann vor Schmerz laut aufschrie und den Noch den dort... den Langen!" schrie er dem Gefangenen aus seiner Umklammierung losließ. Schneider zu, indem er seinen Eisenprügel so wuchtig im Kreise schwirren ließ, daß die auf ihn eindringenden Soldaten unwillkürlich zurückwichen.

Vivat Polonia! Bivat!" dröhnte es laut von Herrn Kasimir's Lippen denn er war es in allereigenster Person, der dem Schneider das Leben gerettet hatte. Und während Florian sich vom Boden aufraffte, um das be­gonnene Rettungswert zu vollenden, fiürmte der Schlachziz mit geschwungenem Säbel ins Kampfgetümmel hinein.

Statt vom Rücken fühlte Herr Rasintir sich nun von links und rechts gepackt, doch waren es Freundesarme; die ihn umschlangen. Nur seine Beine waren noch in ter