Ilr. 79 ❖ 4Z.Iahrgakg
1. Seilage öes Vorwärts
MWvoch, 77. 5ebruar 792S
Gestern konnte die Berliner Stadtverordneten - Versammlung endlich den schon vor zwei Monaten eingereichten Antrag der sozialdemokratischen Fraktion be- raten, der zum Protest gegen die Hohenzollsrnabfin- dun g aufruft. Inzwischen waren noch einige zu derselben Sache von den Kommunisten eingereichte Anträge dazugekommen, über die nun mitverhandelt wurde. Die rechtsstehenden Parteien fürchteten die Debatte und erklärten daher, daß sie an der Beratung und Ab» stimmung nicht teilnehmen würden, weil die Angelegenheit— keine kommunale sei. Das war ein bequemer Dorwand, den Saal zu ver- lassen, um unangenehme Wahrheiten nicht mitanhören zu müssen. Genosse K r i l l e kennzeichnete in der Begründung unseres Antrages die Unverschämtheit der Forderungen, die der davongelaufene Wilhelm II. und seine kronenlos gewordenen Kollegen aufgestellt haben. Auch die Berliner Stadtverordnetenver- fammlung habe allen Grund, gegen die Hohenzollernabfindung zu protestieren, die der Stadt Berlin und ihrer Bevölke- rung besonderen Schaden bringt. Der Kommunist Letz verquickte die Begründung der Anträge seiner Partei mit Angriffen gegen die Sozialdemokratie, wohl um„die Einheitsfront zu stärken". Unser Genosse W e n d t wie» in seinem Schlußwort diese Angriffe zurück. Zur Abstimmung kam es gestern noch nicht. « Die gestrige außerordentliche Sitzung der Stadtoerord- n e t e n wurde vom Vorsteherstellvertreter D e g n e r gegen Kl Uhr eröffnet. Nach den Beschlüssen des Aeltestenrats sollen nur Anträge beraten werden. Einen bereits längere Zeit vorliegenden Antrag der sozialdemokratischen Fraktion, der die Anstellung von weiteren Daukontrolleuren aus den Kreisen der baugewerblichen Arbeitnehmer vom Magistrat verlangt, begründete Genosse krause. Die Anstellung von Bau- kontrolleurcn ist eine alte Forderung der Bauarbeiter. Als seinerzeit die frühere Unabhängig« Sozialdemokratische Partei die Anstellung von Baukontrolleuren in einem Antrag verlangte, versprach der Magistrat, dieser Forderung alsbald nachzukommen, sowie eine nennenswerte Bautätigkeit einsetze. Die bald darauf be- ginnende Bauperiode sah den Magistrat untätig und es blieb bei den vorhandenen zwei Kontrolleuren. Die außerordent- lich gestiegenem Unfo.'lziffern find nicht zuletzt auf die mangelnde Bautcnkontrolle zurückzuführen: die Bauarbeiterschutz- kommission wandt« sich des öfteren an den Oberbürgermeister als dem Oberhaupt der städtischen Baupolizei wegen Vermehrung der Baukontrolleure, bisher aber leider oh n e Erfolg. Wir Sozial- demokraten wisten zwar ebensogut wie die Bauarbeiter, daß die Bauunfälle durch die Kontrolleure nicht aus der Welt geschafft werden können, aber wir versprechen uns von einer vermehrten, schärferen Konirolle einen wirksameren Schutz der baugewerblichen Arbeiter vor Unfällen als er bisher gewährleistet ist. Genoste Kraule bat um Annohme des Antaoes. Don den Kommunisten sprach Repschläger, der einen Erweiterungsantrag dahingehend ein- brachte, daß jeder Verwaltungsbezirk einen Baukentrolleur anzu- stellen habe. Für den Magistrat antwortete der Oberbürgermeister. Beide Antröge gingen an einen Ausschuß.— Die Deutschnationalen brachten einen Dringlichkeitsantrag ein, nach welchem die bereits bescklossenen Arbeiten für die städtischen Verwaltungen und Werke in Angriff genommen werden sollen. Die Versammlung stimmte dem Antrag ohne Debatte zu. In einem Antrage forderten die Kommunisten vom Magistrat. Maßnahmen zur Verhütung von Entlassungen der Zuaglehrer zum April dieses Jahres. Stadtrat Venecke betonte, daß zum ge- nannten Termin Entlassungen kaum zu befürchten seinen, da mit umfangreicheren Einschulungen gerechnet wird. Genosse hädlcke: Die sortgesetzt angedrohten und ausgeführten Entlastungen von Jung- lehrern bringt dauernd« Beunruhigung und trägt nicht zur Erhöhung der Arbeitsfreudigkeit der Junglehrer bei.
Wir ersuche» den Magistrat, keine Klassenfrequenz- erhöhung vorzunehmen, damit die Junglehrer der Schule er- halten bleiben und schließlich auch einmal angestellt werden können. Mit der Erklärung des Stadtrates ist der Antrag erledigt.— Die Versammlung wandte sich nunmehr der Beratung der sozialdemc- kratischen und kommunistischen Anträge zu, die sich mit der schweren Schädigung der Berliner Bürgerschaft durch die Auslieferung vieler Millionen Goldmork und großer Ländereien an die hohenzolleru befasten. Die Kommunisten verlangten eine starte Vermehrung der Abstimmungs- und Einzeichnungslokale. Di« veutschnalionalen erklärten durch den Mund des Stadtverordneten Dettlofsjen, daß sie sich an der Beratung nicht beteiligen würden. Sie verließen denn auch in Begleitung der Volkspartei den Saal. Den sozialdemokratischen Antrag begründete der Genoste K r i l l e: Die Stadtverordnetenversammlung hat alle Der- anlastung, den Raubzug, den die deutschen Fürsten auf die T a s ch e n besonders der Grobstadtbevölkerung planen, zu vereiteln. Wenn wir heute sehen, wie die chauptabrech- nung der Fürsten aussieht, so wundert man sich, daß diesen Edelleuten, die für sich stets ein besonderes Maß von Moral und Anstand in Anspruch nahmen, nicht die Schamröte ins Gesicht steigt. Diese Leute scheuen sich nicht, trotz ihres Ausplünde- rungsplanes sich noch„Deutsche " zu nennen. Was der ehemalige König von Preußen heute noch zu seinem Besitz zählt, läßt erkennen, daß von einem„Notstand" wirklich keine Rede sein kann. Wilhelm„der Türmer" hat heule noch monatlich 50 000 Mark zu verzehren. Wenn das für die ganze Familie nicht reicht, so sollen nach unserer Meinung die cherren Fürstensöhnchen ruhig ihr an- geblich erlerntes Handwerk ausüben, denn Arbeit schändet nicht. In dieser entsetzlichen Not des deutschen Volkes, in einer Zeit._ wo Selehrke, Künstler, freie Geistesorbefter und dazu MiMoueu erwerbsloser Handarbeiter buchstäblich hungern, erheben die deutschen Fürsten ihr« Wahnsinnssorderungen. Zu den Fürsten und Standeshcrren kommen neuerdings auch noch die Mätressen der Herrschaften mit„Entschädigungsansprüchen. Das deutsche Volk kann wirklich freh sein, daß nicht alle Fürsten die Talente August des Starken hatten, sonst würde sich schließ- lich doch nock) das Wort Gneisenaus bewahrheiten, daß das deutsche Volk noch einmal an seinen Fürsten zugrunde gehen würde. Man oersucht, die Frage der Fürstenabfindung zu einer reinen Rechtsfrage zu machen, die die Justiz zu entscheiden hätte. Zur deutschen Justiz hat das Volk kein Pertrauen mehr. Di« Fürstenabflndung ist kein« Rechlsfrage. weil ein sich so unsittlich auswirkendes Recht eben kein Recht sein kann. So wie«inst Bismarck die Fürsten aus Hannover und Hessen abfand, indem er ste enteignete, so muß es das deutsche Volk heute mst seinen ehemaligen Landesherren machen. Das Volk soll s« l b st entscheiden, ob eine Abfindung, wie sie von den Fürsten verlangt wird, möglich sein soll. Auch von der Tribüne der Stadtverordneten - Versammlung muß das Volk aufgerusen werden, sich gegen die Hab- gier der Fürsten zur Wehr zu setzen. Wir schließen uns dem letzten Absatz des kommunistischen Antrags an. in dem die Berliner Be- völkerung aufgefordert wird, für dle enlfchädigungslofe Enteignung der deutschen Fürsten zu stimmen.(Lebhafter Beifall.) Stadtverordneter Letz begründete den kommunistischen Antrag in längeren Ausführungen. Der Volks- parteiler Easpari betonte, daß die Haltung seiner Partei zur Fürsten - abfindung aus ihrer Stellung im Reichstag bekannt sei. Er bestreite der Stadtoerordnetenvrsammlung das Recht, über solche hochpolitischen Angelegenheiten zu verhandeln. Um das Ansehen der Persammlung nach außen zu wahren, beantrage er den Uebergang zur Tagesordnung, die Rechtsparteien hotten vergessen, die zur Unterstützung dieses Antrages erforderliche Anzahl Stadtverordneter im Saale zu belassen: so siel der Antrag unter den Tisch. Stadtv. Kuuze(Dtschsoz.) kam mit einer seiner bekannten Rede zu Worte.
Im Auftrage des Magistrats gab Stadtrat Richter die Erklärung ab, daß der Magistrat den Antrag auf Zuweisung von 20 000 M. an die Parteien, die den Volksentscheid eingeleitet haben, für un- zulässig anfleht. Dr. Düllo(Dem.) bedauerte, daß die Fürsten bei der Ausstellung ihrer Forderungen sich nicht mehr von Ihrem Schamgefühl leiten ließen. Das falle letzten Endes auf das deutsche Volk zurück. Die Stadtverordnetenversammlung ist durchaus berechtigt, bei der Fürstenabfindung mitzusprechen, weil Erholungsstätten der Berliner Bevölkerung ver- loren gehen können. Die Fürstcnforderungeu sind nicht nur vom Rechtsstandpunkt aus zu lösen. Der Redner gab der Hoffnung auf eine reichsgesetzliche Regelung Ausdruck. Den Antrag auf Gewährung der 20 000 M. lehnte der Redner für die Demo- traten a b. Nachdem noch Stadtverordneter wiegmann(USP.) gesprochen. stellte Genosse wendl im Schlußwort fest, daß selbst der deutsch - nationale D et l e f f s e n die Fürstenabfindung als eine politische Frage bezeichnet habe. Zu den Kommunisten gewendet betonte Genosse Mendt, daß die Sozialdemokraten überall da mitarbeiten werden, wo für das deutsche Volk etwas zu erreichen sei. Der Redner brachte dann noch eine Reihe besonders krasser Fälle von Fürsten- forderungen vor und führt Aussprüche verstorbener Hohenzollern über ihre eigenen Familienangehörigen an.— Die Versammlung vertagte schließlich das Schlußwort, das den Kommunisten zu steht und die Abstimmung über die Anträge auf Donnerstag.
Der neue Nollenöorfplatz. Elu Beschluß der Berkehrsdepulatioa. Die Frage der zukünftigen Umgestaltung de» Nollendorfplatzes ist Gegenstand eingehender Erörterungen der Verkehrs- d e p u t a t i o n gewesen. Vorher hatte sich bereits ein von der Ver- kehrsdeputation zugezogener Sachverständigenbeirat ebenfalls mit der Frage befaßt, dem unter anderen Geheimrat Kommann. Pro- fessor Giese, Professor Lassen, Baurat Bousset der Hochbahn, Paurat Winterstein und Vertreter der Straßenbahn angehörten. Die außerordentliche Schwierigkeit der für die Abwick- lung des Verkehrs günstigsten Ausgestaltung des Platzes liegt vor allem darin, daß für die Autos, Autobusse und für die Straßenbahnen nur auf der östlichen Seite eine Durchfahrt vorhanden ist, während auf der westlichen Seite infolge der vorhandenen Rampen der Hochbahn eine Nord-Süd-Durchsahrt bis jetzt fehlt. Außerdem münden 0(sechs) Straßenzüge auf den Platz, deren Ver kehr ständig zunimmt. Es lagen im wesentlichen drei Entwürfe vor: Der eine sieht einen vollkommenen Rundvertehr auf dem Nollendorfplatz sowohl für die Straßenbahn als auch für die Autos vor. Die Innenfläche des Platzes wird zur be- quemen Abwicklung des Fußgängerverkehrs freigehalten, so daß auch der künfttge dreistöckige Hoch- und Untergrundbahnhof von ollen Seiten gut erreicht werden kann. Voraussetzung dieses Planes, der von allen Sachverständigen als der günstigste bezeichnet wurde, ist jedoch die Abriegclung des Durchgangsverkehrs von der Eisenachcr Straße nach der Courblerestraße, da die Rampe der Hochbahn über diese Straßenkreuzung hinweg nach Westen verschoben werden muß. Ein anderer Plan, bei dem diese weitgehende Verschiebung der Rampe nicht erforderlich wird, und bei dem die Nord-Süd-Ueber- querung des Nollendorfplatzes auf der Westseite wesentlich un günstiger liegt, wurde abgelehnt. Ebenso ein Abänderungsoor schlag, der den vollständigen Umbau des Hochbahnhojes Nollendorfplatz notwendig machte. Auch ern Plan, bei dem die Verkehrs- regelung lediglich an der Ostseite durch eine Reihe von Inseln vor- gesehen wird, würde den Verkehr noch weniger übersichtlich gestalten. Die Verkehrsdeputation beschloß in ihrer Sitzung am 16. Februar 1926, dem erstgenannten Vorschlag zuzu- stimmen._ Einschulung I « die wellliche Schule in weitzeusee. Die An- Meldung muß heute, DienStag, von 10 bis 1 Ubr tm Schulgebäude Wörthstr. 28 vorgenommen werden. Auch die auS Unwissenheit der Eltein in konfessionelle Schulen geschickten Kinder können zur Um- fchulung jetzt vorgemeldet werden. Jegliche Auslunft in Em- und Umschulung erteilt der Vorsitzende des Elternbeirat» Genosse Heml. Gäblerstr 7. oder der Schulleiter Genosse Zwölfer im Schulgebäude Wörthstr. 23.
lSf
Doch all« Frauen, die ihm vorgeschlagen wurden, miß- fielen ihm. Es waren Witwen, verlassene Frauen, Frauen mit Söhnen und mit Töchtern, mit Berufen und mit Geschälten. Aus Langeweile brachte er seinen alten Vater aus der kleinen Stadt zu sich, forschte nach den entferntesten Gliedern semer Verwandtschaft und brachte sie nach Amerika . Doch er liebte sein« Verwandten nicht und machte es ihnen zum Vorwurf, daß sie alle nur für die Schneiderei, für die Nähmaschine oder das Bügeleisen taugten. Kein einziger gebildeter Mensch war unter ihnen, kein einziger, der unabhängig gewesen wäre, der allein seinen Weg gemacht hätte, der ihm, Onkel Moses, gleich gewesen wäre, sc daß er mit ihm ein vertrauliches Wort sprechen konnte. Onkel Moses verachtete ihr Sklavenwesen, dos er selbst geschaffen hatte, verachtete ihre Schmeicheleien und ihre Demut vor ihm. Er wollt« zwischen ihnen einen Menschen finden, der selbstbewußt wäre, der zu ihm spräche wie zu einesgleichen. Und als Mascha aus ihrem Winkel ihn an- prang und ihm die Schimpfworte:.Biest",„Hund" entgegen- schlenderte, da machte das starken Eindruck auf ihn. Zum ersten Male hörte er. daß ihn jemand beschimpfte. Und wer war das? Ein Mädchen, ein Kind, dessen Los ganz von ihm abhmg. Sie wollte ja nichts von ihm—.1 dato you," lachte er In sich hinein.—„Sie haßt mich, weil ich ihren Vater beleidigt habe." Und er beneidet« Äaron Melnit um das Kind, das sich feiner annahm... Alles hätte er Aaron Melnit gegeben für das Kind, das sich seiner annahm..- Onkel Moses hielt sich noch für einen jungen Mann. In feinem Innern fühlte er noch gar nicht das Alter, welches fein fettes Gesicht und fein schwerer Körper so schändlich auf Schritt und Tritt verrieten. Er sah nicht oft in den Spiegel, und überdies gingen die Veränderungen in feinem Gesicht und auf seinem Körper so langsam vor sich, daß er sie gar nicht bemerkte, und meinte, sein Gesicht habe sich nicht geändert. In seinem Innern aber fühlte er noch die Kraft, ganz von neuem anzufangen. Jeder neue Gedanke entfesselte in ihm Ström« von Energie: und der Gedanke, welcher ihn jetzt plötzlich mit einem Schlage durchfuhr, schlug wie eine Flamme in ihm auf und weckte in ihm einen Strom von Leben. .... Ich muß sie erziehen... erziehen für mich... Sie soll mein Kind sein und sich meiner annehmen." Ein neuer Energiestrom ergoß sich durch seine Adern,,,,__
Mit der gleichen Stoßkraft, mit der Onkel Moses gewohnt war, einen Plan auszuführen, der ihm eingefallen war, ging er nun an die Ausführung dieses Planes..., 8. Der neue Pharao. Kusmin diente treu seinem.Pharao". Kusmin faß eifrig bei der Arbeit und nähte Röcke, Hofen und Westen für Leute, von denen es nicht die geringste Ahnung hatte. Ganz Kusmin saß oben in der Werkstätte bei Unkel Moses . Reo Joel Chaim, der Vorsteher der Kusminer Schul', Itsche, der Sckustergeselle, Jankel, der Frauenschneider, Kusmins Elegant und Don Juan , welcher einst die Herzen der Kusminer Frauen gebrochen hatte, und Chaim der Bader , welcher den Frauen Blutegel setzte— was immer einer Frau in Kusmin fehlte, er hieß sie das Hemd ablegen und setzte ihr Blutegel an, bis eines Tages feine Blutegel Verdacht erweckten und Chaim der Bader von einigen vornehmen Bürgern des Städtchens ordentlich verprügelt wurde: seither fehlen ihm auch zwei Zähne. Chaim setzt keine Blutegel mehr, sondern sitzt bei Onkel Moses auf dem.Dachboden" und näht Hofen. Alle nähen Hosen. Onkel Moses hat ganz Kusmin nivelliert. Es gibt keine vornehmen Bürger mehr, keine Vorsteher und kein« Handwerker, keine Talmudgelehrten und keine Unwissenden. Es gibt keine Schuster mehr, kein« Don Juans, keine Bader, welche den Frauen Blutegel ansetzen, keine Schneider, welche die Frauen unter den Armen kitzeln, wenn sie ihnen die neuen Kleider zur Probe bringen— alle dienen einem Gotte. alle tun die gleiche Arbeit— sie nähen Hosen.... Doch Kusmin will noch nicht sterben. Bei Onkel Moses auf dem.Dachboden", bei der Nadel, da lebt das alte Kusmin mit allen seinen Merkwürdigkeiten wieder auf. Jeder alte Stein, jedes alte Haus, jeder alte Winkel wird mit Liebe und Sehnsucht von den treuen Kindern des alten Kusmin wieder in Erinnerung gebracht, die hier sitzen, die zugeschnittenen Hosen in der Hand und sich nach Kusmin sehnen: da und dort fällt eine Träne nieder, da und dort hebt sich der Seufzer eines alten Kusminers, der sich der Schönheit Kusmins er- innert.... � „Nun, Leibi, worum schweigst du heute? Gib doch die „ftedilscha" des alten Chafan zum besten." Und Leibi, welcher das Vorbeterpult fein Leben lang geliebt und doch daheim nie Gelegenheit gehabt hatte, zu ihm hinzukommen und seine Sangesaabe zu erweisen— er beweist sie"jetzt vor Kusmin bei der Nadel und beim Hosennähen. Die Melodie des alten Ehasan entführt ganz Kusmin in die alte Schul', und der herrlich« Schewuoth-Sabbat steigt in der Erinnerung«ruf, da jeder Bürger im Tallis mit der gol»
denen Borte an seinem vornehmen Platz saß und die Melo- dien des Chafan freudig in sich einsog: und jetzt sitzt Kusmin da, mit Hosen in den Händen.... Doch bald verschwindet die alte Schuss, verschwindet der schöne Sabbatmorgen und die Sehnsucht und die Liebe nach Kusmm, und übrig bleiben nur die Hosen und die Nadeln. Sam erscheint in der Tür der Werkstatt und schreit: .Na, sieh nur, Kusmin singt! So ist's recht! Ihr werdet euch eine schöne Suppe bei mir einbrocken! Ich rufe sofort den Onkel Moses zu euch herauf!" Erschrocken raunt ein Kusminer Bürger dem anderen zu- „Schweig, schweig, der„Gouverneur" ist hier." Sam wird von Kusmin „Gouverneur" genannt und Onkel Moses„der Kaiser ". Die Furcht vor dem„Gouverneur" ist größer als die vor dem„Kaiser ". Kusmins Bürger verstummten in Furcht vor dem kleinen Sam, der daheim ein Fleischerlehrting gewesen ist und hier „Gouverneur" von Kusmin ist.... Aber Kusmin hat einen mächtigen Beschützer und Fürsprecher. Das ist der alte Melnik, Onkel Moses Bater. den der Sohn nach Amerika gebracht hat. Der Alte streicht müßig umher, den Stock mit goldenem Knopf, den ihm der Sohn einst zum Geschenk gemacht hat, in der Hand: der steif« Hut, an den er nicht gewöhnt ist, quält ihn, und deshalb hat er ihn schief genickt. Er langweilt sich in Amerika und sehnt sich nach seiner Grießmühle. Aus Lange-- weile hat er zu trinken begonnen. Ein Schnäpschen hatte er schon daheim immer gern gehabt, aber hier in Amerika , wo er sich's vergönnen konnte und gute Freunde stets bereit waren, mit dem Alten anzustoßen, war er ewig betrunken. Bekannte hatte er nicht. Alle Kusminer arbeiteten ja in der Werkstätte bei seinem Sohne. Daher liebte es der Alte, in die Werkstätte emporzuklimmen und bei feinen Landsleutsn die Zeit zu verbringen, mit ihnen von Kusmin zu sprechen. Ost bekam er auch Lust, Hosen zn nähen, da er sah. daß alle sein« Jugend- freunde, alle vornehmen Bürger, vor denen er daheim so viel Ebrsurcht gehabt hatte, bei seinem Sohne Hosen nähten, Worum sollte er also nicht auch Hosen nähen? So kam er in die Werkstätte und half beim Nähen mit, Onkel Moses aber war es nicht recht, daß fein Bater in der Werkstätte saß. Denn wenn er hinkam, störte er Kusmin in der Arbeit; denn er ließ sich mit seinen Landsleuten in Gespräche über die Heimat ein, über alte Gutsherren, über Gefchäst« auf dem Dorf, über den Rabbi und den Ehasan— und Kusmin versenkte sich oft so stark in diele Gespräche van der Heinmt, daß ein Streit über einen Ehasan oder einen Schlächter ausbrach. (Fortsetzung folgt.)