Nr. 55 ♦ 43. Jahrgang
Seilage ües Vorwärts
Sonnabenö, 2S. Februar 7425
Me märkiMe KlemMöte aussehen:
Eine ixchburg der Reaktion! Nicht dah völkische Roheit in den Gassen tobte— im Tempelgarten hat sie allerdings ihre Haken- treuzoisitenkarte abgegeben—, aber der Druck des umliegenden reich gesegneten Landes ist zu groß: kein Geschäftsinhaber, der sich öffentlich zur Republik bekennen wird und in der ganzen Stadt gibt es kaum mehr als ein halbes Dutzend schwarzrotgoldener Fahnen. Die jüngsten Ereignisse: Fürstenansprüche, Sabotage von Locarno , Fememorde, haben jedoch die Lauen und Verzagten auf- gerüttelt. Dos Reichsbanner zählt 300 Mitglieder. Rur eine starke organisierte Arbeiterschaft fehlt.... Die schone Staöt. Eine Hochburg der Reaktion— aber«ine schön« Stadt. Etwas »Potsdam "liches liegt hier m der Luft— man erinnert sich, daß Friedrich ILl. als Kronprinz hier einige Jahre zubrachte, sowie daß Fontane , der unübertreffliche Schilderer altmärkischen und neu. preußischen Wesens, und Schinkel, der Bauleiter einer künsterisch sich verirrenden Epoche, hier geboren sind. Aus den 3000 Ein- wohnern. die der jugendliche Oberst des Goltzschen Regiments 1732 hier vorfand, sind inzwischen 18 000 geworden, aber die Stadt ist geblieben, was sie war: Beamten- und Rentierstadt. zumal die irühcren Gewerbe, Tuchmacherei und Bierbrauerei, schon längst wieder verschwunden sind und nur wenig neue Industrie sich ange- siedcli hat. Eine große Feuersbrunst vernichtete 17S7 den größten Teil der Stadt: altertümlich wirkende Straßen finden sich nur in dem noch dem See hinunter sich neigenden Test. Der Brand war durchgreifend, über 400 Gebäude,' darunter Rathaus, Kirchen, Schulen, wurden niedergelegt. Friedrich Wilhelm ll., der»dicke Wilhelm", öifnete jedoch den Staatsschatz und bewilligte ein« Mit- lion Taler für den Aufbau, der nun nach einem großzügigen Plan erfolgte. Aus welchen Gründen die Stadt gerade 1829 dem bekanntlich in der Geschichte der preußischen Galanterie fortlebenden Herrscher ein Denkmal gesetzt hat, verschweigt der Chronist in dem neuesten Stadtführer. Aus der Ctadtgeschichte ist sonst nicht» De- sondercs zu erwähnen: das um ein von dem Grafen Ruppin er- bautes Kloster sich entwickelnde Städtchen konnte allmählich sein« Rechte, und seinen Besitz erweitern, da das Kloster gerade nicht über- mäßig reich ausgestattet worden war und 1541 aufgelöst wurde. Handel und Gewerbe blühten aus. wurden durch den 30jährigen Krieg geschädigt. Das IS. Zahrhunder« brachte einen langsamen Zleuausstieg: der Reichtum der Umgebung, die Erschließung des großen und schönen Touristengebiets. zu dem Reu-Ruppin die Eingangspforte ist, bequeme und reichliche Bahnoerbindungen haben
dann dazu beigetragen, daß die Stadt dem jetzigen Besucher In glanzvollem Lichte erscheint. In den Läden ist nicht nur da» Retwendige, sondern auch das Ueberflüsstge zu kaufen und wer
auch nur flüchtig die Auslagen mustert, wird überrascht sein, wieviel süße Leckerware von Mittag an zu sehen ist— das kuchenschmausende Reu-Ruppin gibt der Sage Nachdruck, daß man hier auch in der Kriegszeit gerade nicht gehungert hat. Gang öurch öle Staöt. Wer mit der direkten Bahnverbindung von Berlin (über Krem- men) kommt, tut gut daran, aus dem Bahnhos Rheinsberger Tor auszusteigen, der ttauptbahohof liegt etwas weiter hin auf ödem Felde. Die breit« Friedrich-Withelm-Straße, die wir betreten, zeigt sogleich die Weitläufigkeit dieser Stadt an: wenige Schritte, dann haben wir links den großen kirchplah mit der einfachen Pfarrkirche und rechts das longgestreckte Land- und Amlsgerichtsgebände. das auf dem Platze des alten Rathauses aufgeführt wurde. An dem Geburlshaufe Fontanes, der mit einer Gedenktafel geschmückten Löwenapotheke, vorbei, kommen wir gleich zu einem zweiten Platz, wo dos stattliche Gymnasium sich erhebt. Die Friedrich-Wilhelm- Straße hat sich hier auch noch verbreitert und auf diesem Platzende erhebt sich da» bereits besprochene Königsdenkmal. Und wieder einige Schritte weiter der dritte Riesenplatz(Königs-, Paradeplatz), dann aber erreicht die Straße bald ihr Ende, malerisches Grün und das bekannte Fontane- Denkmal— ihn als ausruhenden Wanderer darstellend— gibt einen Ruhepunkt. Kurz vorher einen Blick zur Stadtmauer, die aber nicht, wie im nahen Templin , drohend erscheint, sondern zumeist in geschickter Weije in da» landschaftliche Bild hineingearbeitet ist. Mit der begangenen Straße parallel laufen rechts die Ludwig-, links die Friedrichstrahe: senkrecht zu diesen kreuzen auf der ganzen Strecke etwa 10 Straßen, von denen die Schinkelstraße— an dem auf dem Kirchplatz errichteten Schinkel- Denkmal vorbei— und ihre Fortsetzung, die Fischbänkenstraße, zum »Hasen", die Kommandantenstraße zur Klosterkirche, die Wichmann- straße zum Rathaus und die Prästdentenstraße zum Kreis-(.Tem- pel".)Garten führen. Statt des geraden Weges durch die Stadt können wir vom Rheinsberger Tor zum Fontane-Denkmal auch auf dem Wallwege gelangen, der mit seinen hohen alten Bäumen auch im heißen Sommer einen kühlen Schatten spendet. Seltene Bäume und alte Sandsteinfiguren zieren den jetzt dem Kreise gehörigen Garten, der auch ein kleines Heimatmuseum enthält. Das alle Reu-Ruppin haben wir in der Röhe der Kloster- kirche zu suchen. Diese selbst enthält wohl noch im Eher einzelne Teile des ersten Baues von 1248, der Hauptteil stammt aus dem
14. Jahrhundert, die Türme sind neu. Interessant ist die von der Kirche ausgehende Siechenstraße, wo die 1490 erbaute spätgottsche Siechenhauskapelle ein bemerkenswertes Portal(mit Tonreliefs) besitzt. Auch ein Blick in den Spitalhof mit dem Galerieholzbau ist lohnend. Sonstige architektonische Schätze weisen manch« der noch dem Brande hergestellten Bauten auf: Bersuche, die den Stempel des 18. Jahrhunderts tragenden Hausreihen durch Mietkasernen zu durchbrechen, sind nur ganz vereinzelt zu verzeichnen. Der äußere Kranz von Billen jenseits des Walles läßt auf Wohlhabenheit der Erbauer schließen. Soziales uoü politisches. Daß die Firma Kühn, bekannt durch die Reu-Rvppln« Bilderbogen und ihre Zeitung, noch heute das Wort»Hoflieferant" an der Fasiad« ihres Hauses in der Ludwigstraße zu stehen hat. ist kennzeichnend für den Geist der Stadt. Auch die Tatsache, daß die Stadtväter lachen, wenn die 6 Mann starke Gruppe der SPD. alljährlich den Antrag stellt, man möge aus der Inschrift der Land-
Kirche*
wirtschaftsschule:»Halt fest am Pflug, bleib treu Thron und ASar" da» Wort Thron durch ein zeitgemäßere» zu ersetzen, zeigt die reaktionäre Einstellung. Zm Sommer wird die Ruppiner Woche abgehalten, natürlich unter dem Zeichen Schwarz-Weiß-Rot und begnadet durch die Anwesenheit aller erreichbaren Bünde , die noch immer(mit dem Munde!) Frankreich siegreich schlagen wollen. Auch die Pankgrafen haben schon einmal die Stadt Reu-Ruppin beehrt und vom See aus.erobert". Ein Gegengewicht gegen diese völkische Bearbeitung bietet die Tatsache, daß unser Spandauer Parteiorgan, da es dauernd Nachrichten aus dem Kreise dringt, gut verbreitet ist. Als Maßstob für die Verteilung der Kräfte seien hier die Zahlen
der Reichspräsidentenwahl 1926 angeführt: 2661 Stimmen für Braun, 6092 für alle übrigen Kandidaten. In der bietet das Bolkshaus den Mlllelpuntt für die Partei: r mannstraße, vortrefflich gelegen, steht es in Verbindung mit dem Konsumverein, der von dem nahen Wittstock beliefert wird. Man
der Stadt selbst in der Wich-
tksi
GnKel Moses. Roman von S chalom Asch.
Mascha nahm die Schokolade. »Oesfne das Paket, du wirst etwas darin finden." „Oeffne das Paket. Mascha, öffne es." rief der ganze Chor. Mit zitternden Händen öffnete Mascha das Schokoladen- Paket. Aus der Schachtel fielen einige Zehndollorftücke und ein paar Schmucksachen. „Das Geld ist für Mama, der Schmuck für dich, alles, weil du mich„Biest" genannt hast," sagte der Onkel lächelnd. Mascha hob ihre großen, schwarzen Augen; so kindisch sie noch waren, so voll Saft waren sie schon. Sie ließ sie aus Onkel Moses ruhen, eine Koketterie lag in dem Blick, welche die künftige Frau verriet, Koketterie, die in den Schleier kindlicher vcham gehüllt war.... Onkel Moses gefiel dieser Blick, er lächelte in sich hinein. „Danke doch dem Oukell Küß ihm die Hand!" rief der ganze Chor. Mascha wurde verlegen. Sie wollte tun, wo» alle sie hießen. Doch der Onkel ließ sich nicht die Hand küsien. Er nahm ihren Kopf in seine Hände und gab ihr einen Kuß aufs Haar. Alles war glücklich, in vielen Augen glänzten Tränen. und Bater und Mutter waren im siebenten Himmel. t,Jch kann auch, ich kann auch!" Mitten in die Feierlich» keit stürmte Cilli herein, halb nackt und ungewaschen. Sie hatte die Szene durch den Spalt der Küchentür mit angesehen und die Eifersucht trieb sie ins Zimmer. „Gott im Himmel!" die Mutter erhascht« sie und wollte sie verstecken. Doch Onkel Moses halle sie bereits bemerkt. -Wer ist das?" „Gar nichts, ein Kind." entschuldigte sich Aaron . »Und was kannst du?" fragte der Onkel. „Kino spielen." Cillis Acuglein glänzten in dem fchmutzi- gen Gesichtchen über dem Feiertagskleid der Mutter. „Kino spielen, das ist schön, komm her, komm her— ja. da hast du..." Aber die Mutter hatte ihre Armut bereits in einem Winkel versteckt, und dort schluchzte die»Armut" bitterlich. 10. Die Kusminer Landsleute. Onkel Moses Werkstatt gewerkschaftlich zu organisieren. war unmöglich. So sehr sich auch die jüdischen Arbeiteragita-
toren bemühten, die Landsleute des Onkel Moses gewerk- schasUich zu organisieren, sie stießen stets auf eine eiserne Mauer Das hatte seine Ursache darin, daß das Verhältnis zwischen Onkel Moses und seinen Landsleuten nicht ein Geschäfts», sondern ein Familienverhältnis war. Onkel Moses war für die Kusminer Landsleute das Haupt einer Familie, der Regent eines kleinen Königreichs. Die Kusminer Lands- leut« waren stolz auf Onkel Moses ' Vermögen. Wenn sie an einem Hause vorbeikamen, das dem Onkel Moses gehörte, so rühmten sie sich dessen, als wäre es ihr eigenes Haus. Onkel Moses kümmerte sich um alle ihre Familienangelegenheiten. Sie trugen ihre Rechtsstreitigkeiten vor ihm aus, und Onkel Moses fällte seine Urteilssprüche wie ein Patriarch der Urzeit über die Angehörigen seiner Sippe. Sie waren Onkel Moses treu ergeben, und wenn einer feiner Unzufriedenheit Aus- druck gab oder es wagte, ein Wort wegen der Gewerkschaft zu sprechen, so hinterbrachten es die Landsleute sofort dem Onkel Moses . Dann kam Onkel Moses in die Werkstätte hinauf, suchte sich den„Revolufionär" aus, blieb neben ihm stehen und betrachtete ihn zunächst lange und genau, so daß er glaubte, es sei sein Tod. „Sam, wie hat er, doch daheim geheißen?" fragte Onkel Moses dann seinen Gouverneur, indem er auf den»Revo- lutionär" deutete, der sich mit der Gewerkschaft abgab. „Mojsche Serngroß." antwortete Sam tun. Sooo, das bist du, Mojsche„Gerngroß"! Du willst also
bei mir eine Organisation einführen? Bei mir nicht, lieber Freund. Bei mir wird am Sabbat und an Feiertagen nicht gearbeitet. Bei mir ist keine Werkstätte, in die man Orga- nisierte hineinläßt. Bei mir gibt es nur Landsleute, Familie. Gäbe es bei mir Arbeiter und eine richtige Werkstätte, so würde man bei mir am Sabbat und an Festtagen arbeiten, sogar am Roschaschana und Iom Kippur, wie in jeder Werk» statte, wo es Organisierte gibt. Ich brauche den ganzen Krempel nicht"— Onkel Moses deutete auf die Werkstatt— „ich zahle dabei nur drauf. Ich führe das Zeug ohnedies nur euch zuliebe, damit meine Landsleute leben können. Was hättet ihr ohne mich angefangen? Wer hat euch nach Amerika gebracht? Zu wem seid ihr um die Schisiskarten und um Geld gekommen, wie ihr eure Angehörigen habt her- bringen wollen? Zu wem kommt ihr, wenn es ein Unglück gibt? Wenn, Gott bewahre, einer von euch krank wird?" Onkel Moses schrie bereits so laut, daß die Landsleute wie Espenlaub zitterten..„Zu wem kommt ihr dann? Mit allem zu Onkel Mose», wie? Ist es nicht so? Und der will bei
mir eine Organisatton einführen. Bei mir nicht, Freund! Mich wird niemand zwingen, daß man bei mir am Sabbat und an Feiertagen arbeitet. Bei mir gibt es keine Arbeiter. Bei mir sind Landsleute. Meine Familie findet bei mir ihr Auskommen, und ich arbeite genau so schwer wie ihr alle- Ihr seht es ja selbst. Und für wen arbeite ich? Für mich brauche ich es wirklich nicht! Rur für euch. Ich werde meine Werkstätte schließen und dann sucht euch irgendwo anders Arbeit. Wenn ihr ein paar Dollar brauchen werdet, so werde ich sie wie euch ja ohnedies geben. Ihr braucht keine Angst zu haben. Aber ich will nichts mehr damit zu tun haben." „Aber, was sagt der Onkel? Warum hört der Onkel auf das, was so ein dummer Kerl redet?" beginnen die Lands- leute Onkel Moses zu bitten. „Durch ihn sollen wir alle leiden?" fährt Aaron Mojsche, ein naher Bcrwandter des Onkels, hitzig drein, der in Kusmin ein Dorfgänger gewesen war, Wind und Wetter widerstanden hat und hier beim Bügeleisen steht.„Laßt mich nur zu ihm, ich will ihm schon eine„Organisatton" geben," schreit Aaron Mojsche mit erhobener Hand. „Pst. Ruhe! Bei mir wird nicht geprügelt." Onkel Moses hält den Hitzkopf zurück.„Doch, wem es bei mir nicht gefällt, der kann sich irgendwo anders etwas Besseres suchen. Sam, schau nach, wieviel er.zu bekommen hat und bezahle ihm bis zum letzten Heller; da. Hiar hast du noch em paar Dollar auf den Weg!" Onkel Moses Güte rührte alle. Er gewann sich stets die Herzen seiner Kusminer Landsleute durch seine freigebige Hand. Nie schlug er einem Landsmann eine Bitte ab. Der „Revoluttonär" selbst wurde gerührt über Onkel Moses ' Rede und durch die paar Dollar und bereute schon seine Worte. „Bitte den Onkel Moses um Berzeihung! Augenblicklich bitte ihn um Derzeihuna," schrien die Kusminer Landsleute. „Er muß ihm die Hand küsien. Küß dem Onkel Moses die Hand,", schrie Aaron Moffche, der Dorfgänger, welcher hier beim Bügeleisen stand, den„Revolutionär" an. Das Ende war, daß Onkel Moses sich nicht die Hand küssen ließ. Den Landsmann entließ er nicht. Der bekam dann für seine Dummheit den Spitznamen der„Gewerk- schaftler".| Damit ist aber noch nicht gesagt, daß bei Onkel Mose» am Sabbat nicht gearbeitet woroen wäre. Im Gegevteil, der Sabbat war im Geschäft des Onkels Moses der stärfslr Tag.(Fortsetzung folgtö