Abendausgabe
Nr. 9043. Jahrgang Ausgabe B Nr. 45
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#nd 113 Bapt( 10 Pfennig
Dienstag
23. Februar 1926
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Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands
Der Appell des„ ,, Vorwärts".- Starker Widerhall unter den Senatoren.
Die in der Sonnabend- Abend- Ausgabe des„ Vormärts" erschienenen Ausführungen über die Opposition im amerikanischen Senat gegen das italienisch- amerikanische Schuldenabtommen find vom fontinentalen Leiter der großen amerikanischen Nachrichtenagentur, International News Service", S. Dunbar Beyer, wie auch von anderen Vertretern der amerikanischen Preffe in Berlin nach den Bereinigten Staaten gefabelt worden. Der Borwärts" schrieb unter anderem, daß durch die Ratifizierung des Mellon- Bolpi- Abkommens die amerikanischen Staatsbürger sich unbewußt der Schürung eines fünftigen europäischen Krieges, der Erdrosselung der demokratischen Freiheiten in Europa und der Unterstützung eines Regimes mitschuldig machen würden, das kein Amerikaner auch nur fünf Minuten im eigenen Lande dulden würde. Daß die Ausführungen unseres Blattes im amerikanischen Volke einen starten Widerhall gefunden haben, geht aus nachfolgendem Telegramm hervor, das der„ INS." aus Washington erhalten hat und das er uns freundlicherweise zur Verfügung
ſtellt:
Washington , 23. Februar.( Durch Funkspruch.) Telle der amerikanischen Preffe haben den vor einigen Tagen vom„ Borwärts" an das amerikanische Bolf gerichteten Appell verbreitet, das Schuldenabkommen mit Italien nicht zu ratifizieren, weil damit indirekt Mussolini und fein Regime unterstützt würden. Der hiesige Korrespondent des„ Infernational News Service" befragte daraufhin eine Reihe von Senatoren um ihre Meinung über diefen Appell. Während die Mehrzahl der Senatoren eine Stellungnahme zu dem Artikel des„ Borwärts" mit der Begründung ablehnte, daß das italienische Schuldenabkommen Deutsch land nichts angehe(!?), äußerten sich einige Senatoren in folgender Weise über den fraglichen Appell:
Senator Kenneth Mckellar ( Tenneſſee , Dem.):„ Ich halte Mussolinis Ansichten für eine Bedrohung des euro päischen Friedens und für eine allgemeine Gefahr für die Freiheit überall. Man kann das geplante Schuldenabkommen nicht verteidigen. Wenn der Senat es ratifizieren sollte, würde er. damit eine koalition zwischen den internationalen Banfiers und einem Banditen billigen. Ich halte Muffolini für den störendsten und gefährlichsten Faktor der jetzigen europäischen Politik. Je eher das italienische Volt sich von ihm losmacht, desto besser."
Senator Henrik Shipstead( Minnesota , Farmer and Labour Party ):„ Mir erscheint die Sache auch jo. Ich bin fchon feit langer Zeit zu den Schlußfolgerungen des„ Borwärts" gelangt."
Senator George W. Morris( Nebraska , Republikaner ): „ Ich möchte, daß Italien den vollen Schuldenbetrag und die Zinsen zahlt. Wenn Jtalien bezahlen kann, fann Wallstreet uns bezahlen. Sollte Italien Banferoft madjen, so werden wir uns unsere Anteile nehmen, genau so, wie die anderen Gläubiger."
Senator Pat Harrison ( Mississippi , Dem.):„ Ich bin gegen das Schuldenabkommen, aber nicht aus denselben Gründen, die der Vorwärts" angibt. Das Abkommen ist unfair gegenüber den amerikanischen Steuerzahlern, denn es fönnte eine Propaganda für die Revision anderer Abkommen ermutigen."
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Senator William H. King( Utah , Dem.):„ Sicherlich wird der Senat alle mit der italienischen Schuldenregelung zufammen
hängenden europäischen Probleme ins Auge faffen und besonders die Nationen, die eine Demokratie zu entwidein
versuchen."
Senator Smith W. Brookhart ( Jowa, Republikaner : Jede Unterstützung Muffolinis gereicht der menschlichen Freiheit zum Schaden. Ich bin gegen die Ratifizierung
des Schuldenabkommens."
Fünf Hakenkreuzler verhaftet.
Wegen des Ueberfalls in Alt- Landsberg . Wegen der Zusammenstöße am vergangenen Sonntag in Alt Landsberg sind gestern in Berlin drei Personen fest genommen worden. Heute werden zwei in Alt- Lands= berg festgenommene Leute nach Berlin gebracht, um den anderen drei Festgenommenen gegenübergestellt zu werden.
Völkische Schießereien. Zusammenstöße in Unna .
Dortmund , 23. Februar.( Eigener Drahtbericht.) Bei einer pom Stahlhelm veranstalteten Rundgebung in Unna fam es auf dem Marktplatz zu einem Zusammenstoß zwischen Mitgliedern von Rechtsorganisationen und Angehörigen des Roten Fronttämpferbundes. Bei der sich entwickelnden Schlägerei fielen einige Schüffe. 10 Personen wurden angeblich durch Schußwunden verlegt. Die Polizei, die in Laftkraftwagen eintreffende Verstärkungen aus Dortmund und 3serlohn erhielt, stellte die Ruhe wieder her.
Aeußerung mit der Begründung ablehnten, daß das italienisch Die Stellungnahme derjenigen Senatoren, die eine amerikanische Schuldenabkommen Deutschland nichts angehe, beruht auf einem doppelten Mißverständnis. Erstens nehmen wir für uns in Anspruch, daß wir mit unseren Ausführungen nicht im Namen und im egoistischen Interesse Deutschlands , sondern als ein Organ gesprochen haben, das die Meinung der internationalen Demokratie zum Ausdruck brachte. Dies war in diesem Falle um so mehr unsere Pflicht, als das amerikanische Bolt vergebens auf Stimmen der italienischen Demokratie zu dem in Frage stehenden Problem warten wird, da die Stimme der italienischen Demokratie durch Mussolini gefne belt wird. Zweitens müssen wir bemerken, daß weder der Borwärts" noch sonst jemand in Deutschland daran denkt, fich in inneramerikanische Angelegenheiten einzumischen. Aber das Mellon- Bolpi- Abkommen ist infolge seiner schon jetzt fühl baren internationalen Rückwirkungen teine rein inneramerikanische oder amerikanisch - italienische Angelegenheit mehr. Würde man den Standpunkt diefer Senatoren zum geltenden Grundsatz erheben, dann würden z. B. die Rückkehr Wilhelms II. oder die Besitzergreifung der Macht durch Ludendorff oder, um beim aktuellsten Thema zu bleiben, das Mussolinische Angebot eines Militärbündniffes an die deutschen Militärverbände gegen Frankreich während des Ruhrkampfes lauter Angelegenheiten sein, die die übrige Welt nichts angingen". Gegen einen derartigen Standpunkt, der letzten Endes zur völligen Lahmlegung der Weltfritif an geschichtlichen Vorgängen führen müßte, würden fich aber wohl gerade die Senatoren mit größter Schärfe und vollen Recht wenden, denen die Ausführungen des Vormärts" unbehaglich waren.
Im übrigen beweisen die sonstigen Aeußerungen von Mitgliedern des amerikanischen Senats, daß unser Stand punft von anderen Politikern in Washington durchaus bes griffen und begrüßt wird.
Mussolinis eigene Befehle.
Den Gegnern das Leben schwer machen".
Zur Kundgebung der Geistesarbeiter.
Das Schußkartell deutscher Geistesarbeiter hat gestern im
Reichstag eine Kundgebung für deutsche Geisteskultur verdie des großen Schwungs ermangelten, man hörte eine Reichsanstaltet. Die Kundgebung stand unter einem unglücklichen Stern. Man hörte politische Reden, schlechte politische Reden, fanglerrede über die Laten der Regierung für die deutsche Kultur, hörte Zahlen und sozialpolitische Erörterungen über die Rückwirkung der deutschen Not auf die deutschen Geistesdeutsche Geisteskultur aber gehört mehr als das, gehört der arbeiter. Das muß alles sein. Zu einer Kundgebung für große Schwung, die Begeisterung für das Ideal, gehört ein Rörnchen Salz des deutschen Idealismus.
an die Gesezgebung, Hoffnung auf Hilfe vom Staat. Eine Dazu gehört das Vertrauen auf sich selbst, nicht nur Appell Aristokratie des Geistes wird nicht mit sozialpolitischen Maßnahmen gezüchtet, und das wahre Genie schafft auch aus der Tiefe der Not erschütterndes Wert. Das Werf, geschaffen aus innerer Begeisterung und Notwendigkeit, trotz der Not der Zeit, ist eine bessere Kundgebung für deutsche Geistesfultur,
als die laut betonte nationale Deflamation.
Seine größten Werke gingen hervor aus dem Kampfe mit der Der Weg des deutschen Geistes war ein Weg des Kampfes. Not, dem Kampfe gegen den Ungeist und die flache Konvens tionalität des Adels von Geburt und Brivileg, gegen hemmende staatliche und monarchische Gewalt. Die Not und der Kampf um Freiheit standen den Kämpfern des deutschen Geistes zur Seite, ihr Werf ist der Sieg des Idealismus, der Begeisterung über die Mißgunst des Schicksals. Das Leben jedes großen Deuts schen aus dem Reiche von Dichtung und Wissenschaft ist ein eben voll Kampf, ein tragisches Gedicht, voll fehlgeschlagener und doch voll trozzigem Hoffnungen, vereitelter Entwürfe edlen Aufschmung gegen alle Hemmnisse durch Zeit, Mißgunst. ungeistige Unterdrückung durch Unverstand und stumpfe Mittelmäßigkeit in Gesellschaft und Staat. Deutsche Geistestultur ist unverkennbar verbunden mit deutschem Freiheitsstreben. Durch ihre größten Werke geht der frische Hauch der Sehnsucht nach Freiheit und des Kampfes nach Freiheit, das stolze Selbſtbewußtsein des freien Mannes, den feine Not und fein Un verstand der Zeit zu Boden wirft. Nicht die Werke der Mäzenaten der Mittelmäßigkeit haben sich durchgefeßt und find Eckpfeiler der deutschen Kultur, sondern die Werke derer,
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Kein Augustisch Alter blühte, Keines Mediceers Güte Lächelte der deutschen Kunst; Sie wird nicht gepflegt vom Ruhme, Sie entfaltete die Blume
Vor einigen Tagen starb in Paris ein noch junger italienischer die in Freiheit und Not fagten, was sie sagen mußten. politischer Schriftsteller, Piero Gobetti , der sein Land wie so viele andere wegen Verfolgungen durch den Faschismus hatte ver. laffen müssen: man hatte ihn wiederholt überfallen und mit Stöcken geschlagen, beschimpft, als Verleger und Journalist lahmgelegt und sogar eingeferfert. Der Pariser „ Quotidien" ist in der Lage, das Fatsimile eines von Mussolini eigen händig aufgesezten und unterschriebenen Telegramms zu veröffentlichen, in dem der Duce" folgende Anweisung erteilte:
Man teilt mir mit, daß der bekannte Gobetti fürzlich nach Paris gefahren ist und daß er sich gegenwärtig auf Sizilien befindet. Bille
mich darüber zu informieren und dafür zu sorgen, daß diesem blöden Gegner der Regierung und des Faschismus das Leben aufs neue schwer gemacht werde.
Daraufhin setzten die Verfolgungen gegen Gobetti aufs neue liberale Revolution" unterdrückt wurde. ein, der wieder überfallen, eingefertert und dessen Zeitschrift„ Die
Dieses Telegramm datiert vom Januar 1924, also aus der gleichen Zeit, in der nach den präzisen Anklagen seiner Spießgesellen Cesare Rossi und Filipelli der Ministerpräsident Mussolini in eigener Person jene unzähligen Ueberfälle auf Amendola, Nitti und andere anordnete, die schließlich zu der grauenhaften Tragödie Matteottis führten. Das Faksimile des„ Duotidien" ist ein neuer, unwiderleglicher Beweis der persönlichen Schuld Mussolinis an jenen blutigen Gewalttaten.
worden sein. Dabei seien von den Angreifern Totschläger, Gummi. fnüppel und ähnliche Werkzeuge verwandt werden. so daß sich der Bevölkerung eine große Aufregung bemächtigte. Die Polizei griff ein, ohne jedoch der Lage Herr werden zu fönnen. Inzwischen wurden Ueberfallkommandos aus Dortmund und Iserlohn herbeigerufen, die in erster Linie dafür sorgten, die auswärtigen völkischen Elemente abzuschieben. Erst bei dieser Säuberungsaftion seien von verschiedenen Seiten Schüsse gefallen. Die Zahl der Verletzten betrage 15, darunter drei Schwerverlegte. Erst gegen 10 Uhr abends habe man die Stadt Unna von den unruhigen Elementen wieder befreien tönnen. Es wird behauptet, daß die Werwolf- Mitglieder durch Singen gegen die Juden- Republik" den Zusammenstoß veranlaßt hätten.
Auf einen Ratssitz. London , 23. Februar. ( WTB.) Nach einer Reuter- Meldung aus Rio de Janeiro , hat der brasilianische Außenminister eine Erklärung abgegeben, in der er Brasiliens Anspruch auf einen Wie wir weiter hören, haben an der Tagung völfischer Berständigen Sib im Bölferbundsrat bekräftigt. Brafilien bebände auch Mitglieder der Schwarzen Schat" und der Deutsch absichtige nicht, Schwierigteiten zu verursachen, sondern völkischen Freiheitspartei teilgenommen, die gestern in iluna einen es wünsche lediglich zur Stärt und des Einflusses des jogenannten„ Deutschen Tag " abgehalten haben. Von Mit Bölterbundes beizutragen und in diesem Sinne an den Argliedern dieser Organisationen jollen Unnaer Zivilisten angegriffen beiten des Bölkerbundes teilzunehmen.
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Nicht am Strahl der Fürstengunft. Von dem größten deutschen Sohne, Bon des großen Friedrichs Throne Ging fie schußlos, ungeehrt. Rühmend darf's der Deutsche sagen, Höher darf das Herz ihm schlagen: Selbst erschuf er sich den Wert.
So mar es zu Schillers Zeiten, so ist es späterhin geblieben, in den Zeiten der Reaktion nach den Freiheitskriegen und nach achtundvierzig und in der milhelminischen Epoche. Einst 30gen die Heroen deutschen Geistes durch die Lande, von der Not von Stadt zu Stadt gejagt, fümmerlich ihr Brot ver dienend in Hauslehrerſtellen und in fleinen Aemtern. Als die Gnadenſonne wilhelminischer Gunst aufging über den mittelmäßigen Talenten, den Speichelleckern und Fürstenknechten, hungerten die wahrhaft Großen in ihren Dachlammern, schaffend neben der Fron der täglichen kleinen Arbeit, im ewigen Kampfe mit der Not und mit geistigem Ausbeutertum. besetzten Tische saß. Denn der Feuerhauch der Freiheit brachte Mancher ist untergegangen, mährend die Mittelmäßigkeit am nicht das Gold, das den Anbetern und Ausnußern der Mittelmäßiafeit zufloß.
Wer in Deutschland ein Idealist wahrhaft war, in Runst und in Wissenschaft, der hatte nicht nur zu fämpfen mit der wirtschaftlichen Not, nicht nur mit der Stumpfheit der Nichtverstehenden, sondern mit der Willkür, der Ueberheblich feit, der Brutalität eines geistlosen Systems des Obrigkeitsstaates, mit der Polizei, den Paragraphen, den Staatsanwälten. mit Beamtendünkel, mit dem Unverstand der Spizen des Staates, mit dem Geiste der Reaktion und der Unfreiheit. Die geistige Not der deutschen Geistesarbeiter schrie gen Himmel. Wer auf der Menschheit großer Linken stand, dem verschlossen sich die Pforten deutscher Universitäten, über den fielen die Soldschreiber der Mittelmäßigkeit her, den verjagten sie vom Lehrstuhl, den bedrohten sie mit erdrosselnden Gesetzen und Verwaltungsmaßnahmen. Troy Wirtschaftsnot und geistiger Not sind die deutschen Geistesarbeiter ihren Beg gegangen, den Weg des deutschen Geistes und der deutschen Freiheit.
Heute noch in der deutschen Demokratie müssen sie weiter. fämpfen. Noch lebt der Geist der Unfreiheit, der Ueberheblich feit und Willkür gegen Kunst und Wissenschaft in der deutschen Verwaltung und in der deutschen Justiz, noch herrscht an deutschen Universitäten ein Rorpsgeist der Mittelmäßigkeit und der bureaukratischen Unfreiheit, jener mit wahrer Freiheit der Wissenschaft nicht vereinbarer Gesinnung, die im wilhel minischen Zeitalter gezüchtet worden ist, und dem Hauch der neuen Freiheit Fenster und Türen nersperren möchte.