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Nr. 93+ 43.Jahrgang

Spark Plätze

Garten orbent

Spiel

Londoner StreRe

1. Beilage des Vorwärts

Dohna Straße

Aus der Pamärkischen Streusand­büchse...

Die Rehberge im Norden Berlins bieten jetzt einem Teil der Arbeitslosen die ersehnte Gelegenheit, bei den von dem Magistrat und der Stadtverordnetenversammlung beschlossenen Einebnungs. arbeiten für einige Zeit wieder Beschäftigung zu finden. Weil Not standsarbeiten geschaffen werden sollten, hat man die Beschlüsse mit der wünschenswerten Schnelligkeit zustande gebracht.

Eine Erinnerung an 1848.

Bor Jahrhunderten mögen die Rehberge dem über seine Mauern nicht weit hinausgedrungenen Berliner als eine ganz flattliche Boden­erhebung gegolten haben. In alter Zeit soll auf der Höhe der Neh berge eine Kirche gestanden haben, die an der Stelle eines früheren älteste Weg von Berlin nach Tegel , der durch die Jungfernheide über Heiligtums der Heiden von den Christen errichtet worden war. Der die Rehberge führte und noch im 17. Jahrhundert der heilige Bilbugsweg hieß, wird mit einem vermuteten Tempel des Wenden­gottes in Verbindung gebracht. Die Rehberge lagen inmitten des großen Waldgebietes, das sich im Norden Berlins aus­hat. Von der Jungfernheide erstreckten sich die Dünen der Rehberge oftwärts bis über die heutige Müllerstraße hinaus. Im Zuge dieser Straße führte einst der alte Ruppiner Heerweg über die Rehberge durch den Wald. Später wurde die fortschreitende Entwaldung den Rehbergen verhängnisvoll, weil von den bloßgelegten Dünen der Regen die Erde herunterwusch und den troden gewordenen Sand der Wind entführte. Lange Zeit mußten die Rehberge für die Berliner Hausfrauen den Scheuersand hergeben, den die Sandfuhr­leute dort holten und nach Berlin brachten. Auf dem Wedding ent­ſtand noch im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts sogar ein Berein felbftändiger Sandfuhrleute, die den Rehbergen ihren Broterwerb zu danken hatten. Wenn aber ein ordentlicher Wind von den Reh­

Schon einmal fonnte die dünenähnliche Hügelkette der Rehberge in einer Zeit drückenden Arbeitsmangels dazu dienen, Arbeitsdehnte und einmal bis zum heutigen Oranienburger Tor gereicht gelegenheit zu geben. Schon im Jahre 1848 ließ der Magistrat in den Rehbergen, die damals noch in fehr viel größerer Aus dehnung als heute beffanden, Erdarbeiten ausführen, um die Not der Arbeitslosen etwas zu lindern. In den bewegten Wochen und Monaten, die auf den 18. März 1848 folgten, fiel den Massen der dort beschäftigten Erdarbeiter öfter bei Straßenkundgebungen eine ausschlaggebende Rolle zu. Von den Kreisen fatter Bürger, die ihre Ruhe haben wollten", wurden den Rehbergern", wie der Berliner im abgekürzten Verfahren diese Erdarbeiter nannte, feine freundlichen Empfindungen entgegengebracht. Die Bezeichnung Rehberger" war, vom Bürgertum gebraucht, geradezu als Schimpf mort beabsichtigt.

Donnerstag, 25. Februar 1926

bergen nach Berlin zu blies, brauchte fein Sandfuhrmann seine Pferde anzuspannen, um Sand nach der Stadt zu bringen. Der Wind trug selber den Sand in die Stadt und überschüttete mit ihm den Wedding . In den jetzt zur Einebnung bestimmten Teilen der Rehberge an der Jungfernheide wurde die Entwaldung in neueſter Zeit durch die Not der hinter uns liegenden Kriegsjahre noch beschleunigt. Der ohnedies nur noch bescheidene Baumbestand wurde durch Diebstähle ganzer Stämme so arg gelichtet, daß an manchen Stellen völlige Kahlheit das Ergebnis war.

Neues Leben blüht aus toten Dünen.

Bor dem Kriege trug Hagenbed sich mit dem Plan, dort einen Tierpart anzulegen, aber der Krieg machte einen Strich durch die Rechnung. Jeht will die Stadt Berlin auf dem zur Jungfernheide gehörenden Gelände eine Spiel- und Sportplatanlage mit Part­umgebung schaffen. Der östlich der Müllerstraße liegende Teil der Rehberge wurde in den Jahren 1909 bis 1913 mit zum Schiller­part genommen, den die Stadtverwaltung damals auf unfrucht­

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Die Erdarbeiten auf den Rehbergen.

Onkel Moses.

Roman von Schalom Asch .

Onfel Moses nickte seinem Neffen zu, als wollte er ihn begütigen, und, indem er wieder seine Blicke nach allen Seiten warf, rief er:

Boys, heute ist Sonntag, ein heißer Sonntag, schneidet die Winterröcke zu, schlagt etwas heraus, aber ordentlich!" Damit verließ er den Laden; seine großen, glänzenden, gelben Schuhe fnarrten.

Die Familie" atmete erleichtert auf, als sie des Onfels Rücken fah. Borsichtig traten die Leute vor den Laden und sahen, wie sich der Onkel in ein Mietauto setzte, das ihn vor der Tür erwartete. Ein Lächeln erschien auf den Lippen... Alle mußten, wohin der Onkel fuhr, und warfen hämische Seitenblide auf Sam; sie stießen einander an und flüsterten, indem sie mit den Augen auf Sam deuteten:

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Er hat geglaubt, er würde ihn beerben!" Einer fachte, die Hand vor dem Munde, und deutete mit der Fußspize auf. Sam. Du Narr, er fann doch noch zwölf Kinder haben. Du glaubſt, er bringt es nicht fertig? Genau so wie der alte Petrit daheim." Hast du den Naden gesehen?" brummte ein anderer. Sam fühlte die Blicke, die ihm folgten, und verstand, was das Lachen bedeutete. Er sah sich um. Sein Blick und fein Geficht nahmen den Ausdrud des Onfels an. Er fah dem Onkel tatsächlich ähnlich. Scharfe Augen, eine spige Nase und ein starkes, männliches Kinn. Die Leute erschraten vor ihm und taten, als sprächen sie vom Geschäft.

Sam spudte aus und trat vor die Tür, um dem Ontel nachzuschauen, welcher schon lange verschwunden war. Nervös grub er die Zähne in die Lippen, feine Hände ballten sich zu Fäusten und ein Fluch drang durch seine starten, weißen Bahne. Es war in seinem vierzehnten Jahre, da ihn der Onkel nach des Baters Tode als Waise nach Amerika ge­bracht hatte. Sam war des Onfels treuer Haushund. Der Onkel verwendete ihn einfach zu allem, hatte ihn zu seinem Leibsflaven, zu seinem Spürhund gemacht. Sam hatte bei den Landsleuten, die beim Onkel arbeiteten, spioniert und dem Onkel angegeben, wer von ihnen ihm treu war und wer nicht. Er hatte für den Onkel Dinge ausgeführt, für die er hätte ins Gefängnis fommen und sein Leben lang darin bleiben fönnen; als man die aus der fünften Avenue ge­stohlenen Waren, die Röde und die Hofen, fand, auf denen des Onfels Firmazeichen aufgenäht war, und die Sam im Reller versteckt hatte damals hatte Sam alles auf sich ge

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nommen, und mit Mühe und Not war es gelungen, ihn vor Unglüd zu bewahren. So oft irgendeine Unannehmlichkeit vorfam, nahm sie Sam auf sich. Als man den Ontel wegen des polnischen Mädchens, das schwanger geworden war, plöß­lich zum Attorney des Polizeidistrikts rief, so oft die Sache mit der Frau in dem galizifchen Restaurant geordnet" und ihr eine Monatsrente gezahlt werden mußte alle diese Dinge erledigte Sam. Er fonnte das Leben für den Onkel wagen und wäre für ihn nicht bloß ins Gefängnis gegangen, wenn es nottat, sondern hätte für ihn auch gemordert. Und all das hatte er getan, weil er hoffte, dereinst Onfels Nach folger zu werden.

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Seine Treue zum Onfel war nicht geheuchelt. Sie ent­sprang feiner Bergötterung des Mannes, den er sich zum Borbild, zum Ideal genommen hatte, dem er einst ähnlich sein wollte. In seiner Bergötterung des Onkels und der Treue zu ihm lag die Treue zu sich selbst und seiner eigenen Zukunft, wenn er der ,, Onkel" sein würde. Und mit einem Male sollte alles zunichte werden! Der Onkel ging Hochzeit halten, mit dem Fragen, der Tochter von Aaron Gorgel"; die hatte ihn nun in der Hand. Und sie wird mit ihm Kinder haben eines, zwei, drei, alles wird den Kindern zufallen. Sie wird es schon dazu bringen, daß fie Kinder hat, und, wenn es notwendig ist, wird sie ihm ein fremdes Kind unterschieben, um nur ja zu erben. Sie versteht ihr Geschäft; das sieht man schon jett. Allmählich setzt sie in das Geschäft ihre Leute: ihre jüngere Schwester, die ist Buchhalterin; ihren Bater Aaron Melnit, der zu Hause Gorgel" hieß, den macht sie zum Raffier, und was follte nun aus Sam werden? Es fann noch ein Tag fommen, da Sam, des Onkels treuer Sam, vor die Türe gesetzt wird!

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Sam gedachte der Gelegenheiten, da er beim Onkel hätte Geld machen können. Sein Better Manes, welcher vor Sams Ankunft des Onkels rechte Hand gewesen war, hatte ihm mehr als einmal geraten:

Hör, Sam, für morgen laß Gott sorgen; du forge für heute. Was du auf der Bank haft, das gehört dir. Alles andere ist- Luft. Du kennst den Ontel nicht. Wenn er alt wird, wird er sich ein junges Mädchen nehmen. Merke dir, was ich dir jetzt fage!"

Sam fielen diese Worte von Manes wieder ein. Manes war älter und erfahrener als er, und er hatte auf seinen Rat nicht gehört. Er hatte sich auf den Onkel verlassen, hatte alles bekommen wollen jetzt hatte er es!

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,, Am Abend werde ich zu Manes gehen. Er mit seinen Berbindungen bei Advokaten und Tammany- Hall- Richtern wird schon einen Ausweg finden. Der Onkel darf das Schneidermädel nicht heiraten, er darf sich nicht mit dem

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Wie es in Zukunft werden soll.

barem Sandboden entstehen ließ. Zur Berbesserung des Bodens und zur Befestigung der noch nicht weggewehten Dünenreſte wurden viele tausend Kubikmeter verrotteten Mülls benutzt, die in der Nähe auf einer Abladestätte in Jahrzehnten sich angehäuft hatten. Die höchste Erhebung der Rehberge wurde noch mit einer stüßenden Steinmauer umgeben, und dort oben entstand der als Schillerhain" bezeichnete Teil des neuen Partes. Dort wurzelt auch die Schiller eiche, die als junger Baum aus Marbach , dem Geburtsorte Schillers, herbeigeholt wurde.

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Für die in den Schillerpart hineingenommenen Boben­erhebungen ist erst durch ihn der Betterbestand gesichert worden. Hoffentlich wird man auch in der Jungfernheide bei den Einebnungen noch genug von den Rehbergen übriglaffen, so daß aud dort nicht die letzten Reste von ihnen verschwinden. Im Schillerpart bleibt erhalten, was von den Rehbergen in seinem Gebiet liegt. Und hier werden fte aufragen", geschützt und gepflegt bis in fernste Zeiten.

Achtung, Stadtverordnetenfraffion! Heute, Donnerstag, nac mittags 4 Uhr, Stadtverordnetenversammlung. Da die zur Be­ratung stehenden Punkte äußerst wichtig sind, darf kein Mitglied der Fraktion fehlen.

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Aaron Gorgel" verschwägern, der hier ein großer Herr werden soll. Das wäre für alle ein Unglück; die ganze Kus­miner Sippe ist in Gefahr...

Sam zögerte, ob er diesen Schritt hun sollte. Seine Treue gegen den Onkel brachte es noch nicht fertig, ihm etwas Böses anzutun. Er vergötterte den Onkel zu sehr, er liebte ihn, und alles, was der Onkel tat, fand feinen Beifall. Sam verstand alles, was der Ontel tat, und war stolz darauf. So­gar des Onkels Absicht, Mascha zu heiraten, hatte ihm ge­fallen, und wäre es nicht gegen seine eigenen Intereffen ge­gangen, so hätte er wahrscheinlich dem Onkel dabei Hilfe ge­leistet. Aber Sams Ansprüche an seine Zukunft waren reif geworden, und er war bereits soweit Mann, daß er seine Sentiments opfern fonnte:

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,, Daß ihn die Best, den Alten er wird Rinder haben!" das stand ihm vor Augen, wenn er an seine Zukunft dachte.

Haß gegen den Onkel fühlte er nicht. Sein Haß und 3orn richteten sich gegen den jungen Fraßen, gegen Mafcha, gegen ihren Vater Aaron Melnit, welche sich in den engen Kreis der Familie hineingestohlen hatten. Sie sah er als Ronkurrenten an.

,, Man müßte dem Fraßen, der Braut des Onkels, die Frau vom Restaurant schicken, samt den fünf Kindern, die der ,, Alte" ihr geschaffen hat. Sie kann sich dann mit dem Frazen aussprechen. Wird das eine Hochzeit sein, wenn die Frau vom galízischen Restaurant am Hochzeitstage auf­taucht! Die Braut wird bereits angekleidet sein, um unter den Baldachin zu treten, und da wird die andere ihre Kinder vor ihr in Reih und Glied aufstellen:

,, Du willst meinen Mann heiraten, den Bater meiner Rinder!" O, das wird eine Hochzeit sein in Gedanken foftete der Bursche bereits seine Rache aus.

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Und der Onkel? Der Onkel wird im Frad dastehen, das wird ein Standal werden! Sam fühlte einen Augenblick Mit­leid mit dem Onkel. Er zauderte, aber bald stand wieder seine eigene Zukunft vor seinen Augen. Er dachte an Rofa, feine eigene Braut, und biß sich auf die Lippen:

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,, Hol ihn der Teufel; er wird Kinder haben, der Alte!" Mit diesen Rachegedanken trat er wieder in den Laden. Sein Gesicht nahm die strenge, befehlshaberische Miene an, welche er dem Onkel abgelernt hatte. Sein Kinn wurde breit, und unter der langen, spitzen, starten Nase zogen sich die Falten, vor denen die Landsleute solche Furcht hatten. Und unter der Nase schnarrte er, den Onkel nachmachend: ,, Mäntel schneiden, so viele es ausgibt, Boys!" Der Sonntag in Melnits Geschäft hatte begonnen. ( Fortsetzung folgt.)