Nr. 163 ♦ 43. Jahrgang
7. Seilage ües vorwärts
Mittwoch, 3. März 1626
rte� nett, bestechend aus und muh dem Dertäufer 26 Reichspfennige bringen. Bedeutend teurer ist die zerbrechliche Ware des Glasmalers. Ihr Grundstoff sind alte verbrauchte Trockenplatten, die jeder Photo- graph für wenige Pfennige pro Hundert hergibt. Zwischen Bier- lachen, Kaffeetöpfen und Fettpapier reinigt der Glasmaler seine Platten, zeichnet er mit Tusche nach untergelegten Vorlagen seine Bilder und rahmt st« als Wandschmuck mit Kaliko. Er übt eine pri- mittue Kunst, wie die Sinder Figuren und Bildchen durchmalen. Seine Ware ist aber begehrt und das genügt ihm. Bequemer ist es noch und viel geübt, Postkarten, meist alle Ladenhüter, mit einem Kalikorahmen unter Glas zu bringen. Sarlenschniher und Bilder- macher sind überall anzutreffen und in keiner Stadt des Reiches fehlen fie. Originalitäten stnd seltener. Hier formt einer aus Brot- krumen Büste« historischer Persönlichtesten oder Körbchen und an- dere Zierstücke, dort biegt einer aus Prahl kafseeunterfeher, ein an- derer formt aus alten Gmnmischläuchen Patentfensterputzer. Bald sind sie hier, bald stnd sie dort, überall, überall. Wer wollte die Hof- könger zählen, die mit Sang und Klang ihre Groschen.zusammen- schallern'. Grganisatioa. Jeden Schaffenden umkreist eine Schar getreuer.Kumpels', die mit der Ware an die Türen gehen, ihr Spruchlein aufsage« und die .Platten' ranschaffen. Jeder hat fein System che«, mst dem er den Erfolg an sich kettet. Der eine reist aus Arbeiterhäuser, während dem anderen Doktoren, Direktoren oder Rechtsanwälte. lang stehen'. Eine besondere Klasse versteht es. sich mit dem Brustton nationaler Ueberzeugung Adressen national und völkisch Gesinnter zu verschas- fen, denen sie schwarzweihrot markierte Bilder mit Stahlhekmköpfen, Zttdericns Rex oder hindenburg verkaufe«. Nach Erfahrungen auf ihre Ertragfähigkeit rangiert, werden Stadtviertel, Strahenzüge oder einzelne Häuser beackert, systematisch,
' Es gehört schon zum selbstverständliche« Erleben eines jeden Tages, dah fünf, sechs, sieben und noch mehr Bettelnde vor der Tür stehen. Ein Zeichen, wie so viele, viele von dem Schicksal der harten Zeit in den zermürbten Bolls- körper gebrannt. Es ist«in harter Weg, o, ein Weg voll Dornen, aus der Geborgenheit fruchtbaren Wirkens, vom erlöschenden Herd vor die Türen der Mitmenschen. Willionen gehen ihn. müsten ihn gehen, müssen auf ihm ihren Stolz lassen, ihr Selbstbewußtsein zerfetzem.Klopfen gehen' ist bitter: wenn es auch mühevoll ist, das Notwendigste für den Körper zusammenzuschaffen, so versuchen doch viele, gerade die, welche der Elendsflut unserer Tage zum Opfer fielen, die Bitte um Unterstützung freundlich zu umkleiden. Das hat ein.Kundengewerbe' aufblühen lassen, das ungebunden an Ort und Zell gedeiht. An den Stätten, wo sie schlafen und essen, wird gesponnen und ersonnen, organisiert und gearbeitet. 3« üer Werkstatt ües stunüea. Zwischen düftevzrauen Wänden in einem geräuschvollen De- wühl schmatzender, ruheloser Menschen, im Nebel einer Tabakwolke arbestet emsig Zwischen bunte« Bildchen. Papierboge«. mit Schere. Sleisterkopf und Taschenmesser ein Alan«, der Karlenschnitzer. Aus großen Bogen schneidet er Karten, bepappt sie mst kstschigem Dekor. Schuhchen mst Blümchen, Täubchen mit Blümchen, Herzchen mst Blümchen usw. und dann schnitzt er einen Grat hinein Strahlen, Rosen. Sterne. Zacken und Jäckchen. Das zackige Werk sieht spielerisch
la der„Werkstatt"
wie der Landwitt sein Feld bestellt. Wenig beliebt stnd Häuser, deren Flurtüren verräterische Gucklöcher Hadem Der für den Bettel- gang bezeichnende Ausdruck.Klopsen' ist urnatürlich, weil die meisten .Kunden' es sorgsam vermeiden, die bequeme Türklingel zu benutzen, die durch ihr gleichmäßiges Ausschrillen von Tür zu Tür sein Kommen den ahnenden Seelen hinter den nächsten Türen signalisiert und da mst das Geschäft schädigt— sie klopfen. Die Iruchte üer Arbeit. Es find wohl nur kleine Summen, die täglich mst Bienenfleiß zusammengetragen werden. Die Taschen— unzählige hat der .Kunde'— sind gefüllt mit Stullenpaketen, Wurst, und Speckenden: Strümpfe, Hemde», Hosen und andere notwendige Dinge werden nach fettiger Fahtt ausgepackt— und meistens zu Geld gemacht. Man sollte meinen, bei solchen Etträgnissen wären Reichtümer anzu- häufen, o weh! Das Losgelöstsein aus dem Gefellschaslsgesüge gib» verderbliche« Begierden und Leidenschafkeu freien weg..Brenner', Bier und Kattenspiel machen schnell die Taschen leer, denn selbst vom Bettler zehren menschliche Parasiten, die ihm das Geld und sei es der letzte Pfennig, als Kumpan« aus der Tasche ziehen. Und der Kunde gibt und.schlemmt' selbst, weiß er doch, daß morgen die Menschen nicht wenlger mitleidig sind. So kommt es, daß es am späten Abend nach Schnapsfreude und Genuß nicht einmal zu emem Nachtlager reicht. * Litt«, viele gibt es aber, die nicht einmal das zusammenbttngen, um sich satt essen zu können, geschweige denn ein Nachtlager zu erwerben. Das sind die, in denen noch ein Schein der freundlichen Vergangenheit leuchtet, denen die Beine bei jedem Schtttt zu den fremden Türen zu Bleilasten werden, die bei jedem Geräusch hinter den Türen scheu davonschleichen, die Qualen leiden um ihre Hilflosig- keit, mit der sie dem Schicksal ausgeliefert sind.
Serliner Verkehrsfragen. Heber dieses Thema sprach im Rahmen einer Sitzung des.Aus- schusses für die City-Bildung Berlins ' Prof. Dr.-Ing. E. G i e s e im Plenarsaal des ehemaligen Herrenhauses. Er führte aus, das Anwachsen der Vorstädte am Anfang dieses Jahrhunderts ließ zum erstenmal Berliner Verkehrsfragen als Problem erscheinen. Schon damals lautete die Frage, wie ist es möglich, den Verkehr der Vor- orte reibungslos in das Zentrum der Stadt zu leiten. Die Lösung dieser Frage ist heute noch brennender geworden, da der Auto- verkehr, verglichen mit der Dorkriegszeit, um das Vierfache gestiegen ist. Berlin besitzt heute etwa 40 OVO Automobile, eine Zahl, die klein ist, wenn man sie mit der großer, amerikanischer Städte ver gleicht, aber Berlin , seiner ganzen Anlage nach, wäre überhaupt nicht imstande, den Verkehr einer amerikanischen Weltstadt zu be- wälttgen. Di« Verhällnisse liegen heute so in Berlin , der A u t o v e r- kehr wächst, während der Straßenbahnverk�ehr ab- nimmt. Im Jahre 1913 passierten im Laufe einer Stunde die Leipziger Straße z. B. 278 Züge der Straßenbahn, während die Zahl heute aus 229 gesunken ist. Es machen sich immer wieder Be- strebunaen gellend, die Straßenbahn aus dem Innern der Stadt wie in London herauszuziehen, wobei aber vergessen wird, daß die Straßenbahn auch heute noch das billigste Massenverkehrsmittel ist. Ein Zug der Straßenbahn, bestehend aus zwei Wagen, faßt 149 Personen, während ein Autobus nur über zirka 39 Sitzplätze verfügt und ein Automobil höchstens fünf Personen außer dem Lenker befördert. Setzt man für eine Person in der Straßenbahn einen Quadratmeter der Straße, dann kommen auf einen Autobus- fahrgast 1,4 und auf einen Insassen des Automobils 29 Quadratmeter, ein Verhältnis, das für sich selbst spricht. Die Berliner Verkehrs- ftraßen sind wie die Londons , Chicagos und New Dorks von Autos überlastet. 63 Proz. aller Verkehrsunfälle wie Zu- sammenstöße und Ueberfahrungen ereignen sich mit Autos. Tatsachen, mit denen sich der Verkehrsfachmann abzufinden hat.— Es gibt nun Möglichkeiten, diese Verhältnisse auch in Berlin z» bessern. Ansänge sind bereits gemacht worden durch das Verbot des Wendens in den Verkehrsstraßen, durch das Verbot von kleinen Motorrädern und durch das System der Einbahnstraße. Aber auch die Einbahn straße hat Nachteile, sie kann nur angewandt werden, wenn zwei Straßen von ungefähr gleicher Breite in kurzer Entfernung von- einander liegen, außerdem ersordern Einbahnstraßen für den Fahrer
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L. Onkel Moses' Voraussicht. Doch Onkel Moses hatte alles vorausgesehen, und da er ein gewiegter Kaufmann war, so liebte er es, bevor er eine Unternehmung begann, sich nach allen Seiten sicherzustellen, damit keine Ueberraschungen vorkämen und ihm einen Strich durch die Rechnung machten. Bevor er also daran ging, sich mit Mascha zu verloben, ging er zu der Frau, mit welcher die Kinder hatte, ließ sich ihren Mann, den Restanrateur, holen und traf mit ihm ein Uebereinkommen. „Wieviel willst du?' Der Restaurateur war ein kleines, untersetztes schwarz- braimes Männchen: sein Gesicht, die Hände, der Hals, alle Teile des Körpers, die zu sehen waren, waren mit dunklen Haaren bewachsen, und aus diesem Haarwuchs glänzten zwei kleine schwarze Aeuglein heraus, die aussahen wie kleine schwarze Mäuschen. Er stand völlig unter dem Pan- toffel seiner Frau: sie führte den Lunchroom, wo sie süßen, nach heimatlichem Rezept selbstgebrauten Lemberger Likör ausschenkte. Zum Essen gab es dazu fette Hühnerlebern. Und weil die Frau ein kokettes, lebhaftes Geschöpf war und ein Paar Liebesgrübchen in den Wangen hatte, die lustig aus ihrem vollen Gesicht hervorlachten, übte sie auf die älteren Geschäftsleute des Viertels große Anziehungskraft aus. Sie sagten, sie sei so reizend, wie die fetten Gänse- und Enten- Hinterteile, die in ihrem Lunchroom zu haben waren... Die Frau führte das ganze Geschäft, der Mann half nur. Seine Hilfe im Geschäft bestand darin, daß er einigen von den besseren Stammgästeiz einredete, sie seien an den Kindern, welche seine Frau hatte, beteiligt. Er zog auch die Alimente ein, welche ihm daraus erwuchsen. Da er aber nicht mehr als drei Kinder hatte, war die Zahl seiner Klienten natur- gemäß beschränkt, und die Einkünfte aus diesem Erwerbs- zweig waren nicht allzu groß. Eigentlich wußte er selbst nicht genau, wem die drei Kinder, welche seine Frau geboren hatte, gehörten, ihm, Onkel Moses oder einem Kaufmann von der Dillonstreet. Doch das hinderte ihn nicht daran, den Kindern ein guter Vater zu sein und dafür zu sorgen, daß sie eine religiöse Erziehung erhielten. Er ging mit ihnen zum Gottes- dienst: die hebräischen Gebete hatte er sie selbst gelehrt. „Mr. Melnik, was soll das heißen? Wieviel ich will? Sind es denn meine Kinder? Es sind doch Ihre Kinder!'
„Run, nun,' der Onkel kitzelte ihn scherzend mit dem Zeigefinger,„du hast auch teil an ihnen." „Mr. Melnik, es sind Ihre Kinder," entgegnete der Jude ernst,„übrigens fragen Sie Gitel'(so hieß die Frau),„fragen Sie sie nur!' „Aber ich weiß nicht, welches von mir ist, welches von dir und welches von dem Kleiderhändler auf der Dillonstreet,' erwidette der Onkel lachend. „M.r Melnik, sie war Ihre Frau weit mehr als die aller anderen Männer, bedenkten Sie doch das," versicherte der Mann treuherzig. All das sagte er, um vom Onkel mehr Geld herauszu- schlagen. Im Innern seines Herzens aber war er überzeugt, daß die Kinder ihm gehötten und daß Onkel Moses und der andere Kaufmann von seiner Frau an der Nase herumgeführt wurden, die ihnen die Kinder eingeredet hatte, weil das zum Geschäft gehörte... „Und wenn ich dich nun zum Administrator der Häuser in der Essexstreet mache, ist dann die Sache in Ordnung?' Der Mann wäre dem Onkel fast um den Hals gefallen und wollte ihm vor Freude beinahe die Hand küssen, denn sein größter Lebensehrgeiz war, Häuseradministrator zu.werden. Ewig unterdrückt, ständig unter dem Pantoffel seiner Frau, hatte das schwarzbehaarte Männchen nur den einen Traum, einmal zu herrschen und über andere Macht zu haben. Und da sein Ehrgeiz nicht über die Essexstreet hinausging, in der er wohnte, war es sein schönster Traum, Machthaber über die Einwohner der Essexstreet zu werden, in eine Wohnung ein- treten zu können und zu rufen:„Miete oder Kündigung!'— ganze Familien zu exmittieren, ein so strenger Administrator zu werden, daß die ganze Essexstreet vor ihm zittette. Doch jetzt fürchtete er. so ohne weiteres dem Antrag des Onkels zuzustimmen, um sich nicht später Vorwürfe zu machen, daß er mehr hätte erlangen können. Daher sprach er mit ver- schämter Miene: „Und noch hundert Dollar bar'(mehr zu fordern, traute er sich nicht). „Gut und noch einen Hunderter:' lächelnd willigte der Onkel ein. Den Mann verdroß es, daß er nicht zweihundert oder fünfhundert Dollar verlangt hatte. Er dachte eine Weile nach und begann dann zögernd: „Und ein Geschenk für mich.' „Was für ein Geschenk willst du?' „Eine goldene Uhr und... und...' der Mann dachte
nach, was er verlangen sollte,„und noch fünfundzwanzig Dollar." „Die goldene Uhr bekommst du, die 25 Dollar nicht, keinen Cent mehr als hundert, unterschreibe das Papier hier, daß die Kinder dir gehören und daß du gar keine Ansprüche an mich hast." „Sofort, sofort, lieber Mr. Melnik:" das schwarzbehaarte Männlein war sofort einverstanden, da es fürchtete, der Onkel könnte von dem Geschäft zurücktreten, und zufrieden war, vom Onkel alles herausgeschlagen zu haben, was nur möglich war, und sich nicht später vorwerfen zu müssen, daß er zu wenig verlangt hatte. Der Onkel aber, welcher den Gedankengang des Mannes verstand, bereute später, daß er ihm nicht auch die fünfundzwanzig Dollar zugestanden hatte, so daß das Männchen üets von dem Gedanken gequält worden wäre, es habe noch iUhr herausschlagen können. „Gitel, mein Kind," rief der Mann in den Lunchroom, „komm einmal her." Gitel, deren Perlenohrringe in den Ohren baumelten, um die das Haar hin und her schwankte, trat mit einer koketten Miene ein, welche ihre Wangengrübchen noch mehr hervor- treten ließ. „Pinchas, mein Leben, du hast mich gerufen,' flötete sie, als sie den Onkel sah. „Mr. Melnik heiratet. Gratuliere ihm, Gitel, mein Kind,' sagte der Mann fröhlich. Gitel, das Kind, welche über die Verhandlungen zwischen Melnik und ihrem Mann genau unterrichtet war, tat, als wüßte sie nichts: „Was kümmert es mich, daß Mr. Melnik heiratet?" „Und ich werd' bei Mr. Melnik Administrator der Häuser in der Esserstreet: danke doch Mr. Melnik, Gitel, mein Kind." Als Gitel, das Kind, das hörte, brach sie in Tränen aus. Der Mann entfernte sich leise und ließ Gitel mit dem Onkel allein, damit sie Abschied nehmen könnten. Der Onkel sprach Gitel ins Gewissen, sie möge von jetzt ab ihrem Mann treu sein, einen besseren Lebenswandel führen und nicht weinen. Nach der Hochzeit werde er auch an sie denken. Als der Mann wieder eintrat, fand er seine Frau völlig gefaßt. Der Onkel rief auch ihn beiseite und schärfte ihm ein. er möge seine Frau gut behandeln und auf sie acht geben. Und beide, Mann und Frau, wünschten dem Onkel alles Gute: er möge glücklich sein für und für und Freude an seiner neuen jungen Frau erleben... (Fortsetzung folgt.)