Abendausgabe
Nr. 112 43. Jahrgang
Ausgabe B Nr. 56
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10 Pfennig
Montag
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Berleger:
Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands
Der Sonntag des Volksbegehrens.
In Berlin bisher 307 000 Eingetragene, davon 164000 am Sonntag.
In Berlin haben sich bisher 307 026 personen eingetragen. Die Eintragungsziffern betrugen am Sonnabend 56 385, am Sonntag 164 952.
Eingetragen wurden am Sonnabend und Sonntag( in Klammern die Summen aus den vier ersten Eintragungstagen Donnerstag bis Sonntag) in den Verwaltungsbezirken:
Mitte 3249, 11 997( 20 506); Tiergarten 3275, 10 880( 19 105); Wedding 7856, 20 605( 38 865); Prenzlauer Berg 6068, 17 355( 31 457); Friedrichshain 7016, 18 002( 34740); Kreuzberg 6768, 18 078( 35 880); Charlottenburg 2151, 9243( 15 147); Spandau 1395, 3856( 7404); Wilmersdorf 917, 3231( 5614); Zehlendorf 88, 550( 823); Schöneberg 1795, 7562( 13 034); Steglih 533, 2948( 4585); Tempelhof 629, 2122( 3869); Neukölln 5310, 17 125( 32 351); Ireptow 1804, 4202( 9402);
Röpenid 1158, 2657( 5792);
Cichtenberg 3800, 5044( 11 682);
Weißenfee 570, 2127( 3620);
Bantow 891, 3287( 5914);
Reinidendorf 1112, 4081( 7235)
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steinach, einem anderen Bauerndorf, haben sich bis Sonntag über 50 Prozent der Wahlberechtigten eingetragen. Diese Beispiele lassen sich sicher noch in unendlicher Reihen folgen vermehren. In den thüringischen Städten mie Gera , Jena , Apolda , Weimar , Arnstadt , Eise. nach usw. herrschte ebenfalls am Sonntag ein lebhafter Ein tragebetrieb. Bestimmte Zahlen waren bis zur Stunde schwer zu erhalten. Man kann aber sagen, daß sich nach den ersten vier Tagen der Listenauslegung bis jetzt rund 20 bis 25 Prozent aller Wahlberechtigten in die Listen eingetragen haben. Aus einzelnen Orten lassen sich noch folgende Einzelheiten melden: In Jena haben sich bis Sonntag rund 5600 Personen eingetragen, in Erfurt wird die Zahl 6000 ebenfalls erreicht sein. In Hermsdorf haben sich von 1200 Wahlberechtigten 400 Per= fonen eingetragen, in Bürgel 300 von ebenfalls 1200 Wahlberechtigten. Besonders starker Andrang hat in Gera am Sonntag geherrscht. In Gera vollzieht sich die Eintragung in 15 Bezirfen. In einem dieser Bezirke, einem reinen Arbeiterbezirt, haben fich am Sonntag allein 1000 Personen in die Einzeichnungslisten eingetragen. Bei der allgemeinen Einstellung der Bevölkerung Thüringens macht sich in Thüringen die Sabotage der Rechtse parteien nicht so start bemerkbar. Man ist hier allerdings einem besonderen Trick dieser Leute auf die Spur gekommen. In den Dörfern trägt nämlich der Gemeindevorsteher die Namen der Wahlberechtigten eigenhändig in die Listen ein. Dieses Verfahren soll bezwecken, daß die Listen deshalb später für ungültig ertlärt werden, weil die Eintragung nicht selbst vorgenommen worden ist. Sonst ist abschließend zu sagen, daß bei der Einstellung der Bevölkerung mit einem günstigen Abschluß der Bewegung zu
Der Stand des Volksbegehrens im Reiche. rechnen ist
Der erste Märzsonntag.
Der erste Einzeichnungssonntag hat überall starte Beteiligung der Bevölkerung an der Einzeichnung gebracht. In allen Städten, aus denen bisher zahlenmäßige Ergebnisse bekannt sind, ist die Beteiligung am Sonntag das Doppelte und Dreifache gestiegen.
Empörung der chriftlichen Arbeiterschaft. Köln , 8. März.( Eigener Drahtbericht.) Im Laufe des Sonntag ift in Köln der Zuftrom zu den Eintragungslokalen außerordentlich stark angeschwollen. Bei einer ganzen Anzahl von Ein aufzeichnungensstellen standen die Eintragungsluftigen in Reihen an. Besonders bemerkenswert ist die starke Beteiligung früherer Nicht wähler. In einzelnen Abstimmungsbezirken sind unter der Bahl der Eingetragenen fast 50 Proz. der Nichtwähler bei den letzten Wahlen. Auch die katholische Arbeiterschaft scheint entgegen der offiziellen Sentrumsparole sich stark für das Bolksbegehren einzusetzen. In einem Borort von Köln erschien der Vorsitzende des fatholischen Arbeitervereins als erster im Einzeichnungslofal, um seine Unterschrift für das Volksbegehren herzugeben. Aehnliche Beobachtungen sind auch ander wärts gemacht worden.
Bemerkenswert sind die Ergebnisse in Thüringen . Hier zeigt sich die Empörung der in armseligen Berhältnissen lebenden Heimarbeiterbevölkerung über den Uebermut der Thüringer Fürsten, deren Begehrlichkeit selbst in Rechtskreisen Erbitterung hervorruft.
Breslau , 8. März.( Eigener Drahtbericht.) Zu einem bedauerlichen Zwischenfall fam es am Sonntag abend hier bei einer Rundgebung für die Fürstenenteignung. Die von der Sozialdemofratischen Partei einberufene Demonstration unter freiem Himmel wurde auch von einem Bug Kommunisten beschickt, die einen Wagen mit fich führten, auf dem eine kleine Guillotine mit einem grotesten Henter abgebildet war, der an die Fürstenabfindungsmethoden der französischen Revolution erinnern sollte und auf die Massen einen mehr tomischen als eristen Eindruck machte. Die Schutzpolizei hatte offenbar Auftrag, derartige Schaustellungen zu verhindern, ging dabei aber unter ungeschickter Leitung in übertrieben scharfer Weise vor, indem die Berittenen die Waffen blant zogen. Mehrere Teilnehmer der Demonstration wurden verleht.
Obgleich ungünftige Witterung die Demonstrationen und die Agitation für das Boltsbegehren hemmte, hat der geftrige Sonntag in Breslau einen Rekord für das Boltsbegehren ge bracht. Während an den drei ersten Tagen durchschnittlich etwa 4000 Wahlberechtigte sich in die Listen eingezeichnet hatten, waren es gestern über 8600, also insgesamt über 22 000 Unterschriften, die bisher in der Stadt Breslau zusammen gebracht wurden. Auch im übrigen Schlesien geht die Bewegung trotz scharfer Sabotage und Terrorakte durch die ländlichen Großgrundbesitzer und kleinstädtischen Honoratioren erfolgreich
weiter.
Glänzende Ergebnisse in Thüringen . Jena , 8. März.( Eigener Drahtbericht.) In dem kleinen Thü ringen , das mit fernen 1½ millionen Einwohnern allein lechs ehemalige Fürsten abzufinden hat, schwillt in den letzten Tagen die Boltsbewegung für die Fürstenenteignung' mächtig an. Nicht nur in der Arbeiterbevölkerung, sondern auch in den Kreisen der Kleinrentner und der anderen Inflationsopfer, aber auch in den Kreisen der bisher regierungstreuen kleinen Landwirte herrscht rege Anteilnahme, die ihren Ausdruck in einem lebhaften Eintragungsbetrieb findet. Besonders der geftrige Sonntag bringt teilweise einen Hochbetrieb. Aus den Heimarbeiter. dörfern des Sonneberger Spielwarenindustriebezirks werden geradezu glänzende Ergebnisse gemeldet: Dort hatte man nämlich für nur 60 Prozent der Wahlberechtigten Liften aus gelegt. Bereits am Sonntag mittag aber waren diese Listen gefüllt, so daß neue Listen ausgelegt werden mußten. In dem reinen Bauerndorf Weidenfach haben sich sämtliche Wahlberechtigte in die Liften eingetragen. In Hütten.
Die Kölner Demokraten haben in einer sehr stark besuchten Versammlung beschlossen, sich gegen die Lösung
der Fürsten abfindung durch Kompromißoor, schläge zu erklären und statt dessen den sozialdemokratischkommunistischen Antrag auf entschädigungslose Enteig nung der Fürsten durch Volksentscheid zu unterstützen. Sie fordern ihre Anhänger auf, sich in die Liste für das Bolls. begehren einzutragen.
Auch in den westdeutschen Landbezirken geht die Eintragung für das Volksbegehren bis weit in die Kreise der Rechtsparteien. Im Bezirk Gummersbach wurde festgestellt, daß brei deutschnationale Bauern mit die ersten waren, die das Boltsbegehren durch ihre Unterschrift unterstützten.
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Die amtliche Sabotage in Bayern . München , den 8. März( Eigener Drahtbericht.) Die bayerische Regierung hat in den letzten Tagen durch amtliche Erlasse in scharf polemischer Weise gegen das Boltsbegehren Etellung genommen und für ihre Gabotage die gesamte bürgerliche Breffe gewonnen. Außerdem hat die reaktionäre Mehrheit des Münchener Stadtrates durch verschiedene Anordnungen das Einzeichnungsgeschäft sehr erschwert, wobei sie alle Verbesserungsvorschläge der Linfen abge3m gesamten Stadtgebiet sind nur lehnt hat.- Im 14 2b stimmungslofale. Diese reaktionären Maßnahmen find zunächst auf das Einzeichnungsgeschäft nicht ohne Einwirkung geblieben. Aber dennoch wächst die Zahl der sich am Boltsbegehren Beteiligenden immer mehr. Waren es am ersten und zweiten Tage 1049 bzw. 1021 so stieg die Zahl am dritten Tage auf 2425 und am Sonntag schnellte fie auf 8147 empor, so daß die Gesamtzaht für die ersten vier Tage 12642 beträgt. haben sich bisher 15 600( gestern ungefähr 6500) Perfonen in Nürnberg , 8. März.( Eigener Drahtbericht.) In Nürnberg die Listen eingetragen. In Fürth 2700, in Erlangen 1200, in 5 of 1800.
Hamburg , den 8. März.( Eigener Drahtbericht.) Die besondere Propaganda für Sonntag, als dem Einzeichnungstag der Werf tätigen, hat im großhamburgischen Städtegebiet guten Erfolg gehabt. Brachten die brei ersten Tage zusammen 28000 Unterschriften, so brachte der Gonntag 33000, so daß in Hamburg jetzt insgesamt 61000 Unterschriften geleistet find. Noch günstiger ist das Verhältnis in Altona . Mit 7300 linter schriften am Sonntag wurden die 4700 Unterschriften der ersten drei Tage weit überholt. Altona hat mit den 12000 Unterschriften jetzt das erforderliche Zehntel der Wahlberechtigten ungefähr erreicht. Mit aller Kraft wird jetzt auf Ueberschüsse für schwächere Bezirke hingearbeitet. Auch aus den fleineren Nachbarorten Hamburgs liegen günstige Ergebnisse vor. So hat Bands. bet bis jetzt insgesamt 1320 Unterschriften aufgebracht.
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V. Sch. Genf , 8. März.( Eigener Drahtbericht.)
Die Frage der Erweiterung des Völkerbundsrates ist entgegen allen vorzeitigen optimistischen Meldungen der letzten Tage feines wegs gelöst. Im Gegentell, sie ist gleich bei der ersten Zusammenfunft der Staatsmänner, die den Patt von Locarno unterzeichnet haben, von neuem aufgerollt worden, ohne daß man bisher zu einer Berständigung gekommen ist. An dieser Besprechung, die furz nach 3 Uhr in der Hotelwohnung Chamberlains begann und die fich bis % 7 Uhr hinzog, nahmen teil: Chamberlain, Briand , Vandervelde, Luther und Stresemann . Da aus dem offiziellen Kommuniqué deutlich hervorgeht, daß eine Einigung nicht erzielt werden konnte, entstana zunächst ein allgemeiner Pessimismus, der erst im Laufe des Abends nach den Aufklärungen, die die Delegationen der einzelnen Länder ihrer Presse gaben, etwas gemilbert wurde. Die Frage des polnischen Ratsfibes steht übrigens nicht mehr im Vordergrund der Debatte; vielmehr ist jetzt der aftuelle Streitpunkt der, ob Spaniens nichtständiger Ratssig, der bisher von Jahr zu Jahr erneuert wurde, in einen ständigen umgewandelt werden soll. Dieses an sich nicht allzu aufregende Problem ist aber durch verschiedene Umstände kompliziert worden: auf der einen Seite sind der deutschen Delegation die Hände durch den Beschluß des Auswärtigen Ausschusses des Reichstages gebunden, wonach nur Deutschland bei ber jezigen Tagung in den Bölkerbundsrat hinzukommen dürfe. Diesem Beschluß soll, so heißt es, ein weiterer bindender Beschluß des Reichskabinetts gefolgt sein, wonach die Beitrittsanmeldung des Deutschen Reiches zurückgezogen werden soll, falls eine andere Macht gleichzeitig mit Deutschland einen ständigen Siz erhalten sollte. Ferner wittert man in dem Borschlag für Spanien die Absicht, einen Präzedenzfall zu schaffen, um später Polen zunächst einen nichtständigen, sodann einen ständigen Siz zu gewähren. Auf der anderen Seite hat
Spanien die Dinge durch die plöhliche Drohung zugespitzt, daß es aus dem Völkerbund überhaupt austreten würde, falls es nicht schon im März seinen nichtständigen Sih in einen ftändigen Sih umgewandelf bekomme. Spanien beruft sich darauf, daß es solchen Antrag bereits 1921 gestellt habe, damals aber auf den Zeitpunkt vertröstet wurde, an dem eine Aenderung in der 3 ahl der ständigen Ratssize erfolgen würde. Das sei, so sagen die Spanier, jetzt mit dem Eintritt Deutschlands der Fall. Ferner weisen die Spanier darauf hin, daß fie, die sonst vor dem Kriege als Großmacht galten, nunmehr die einzige dem Völkerbund angehörende Großmacht ohne dauernden Siz im Bölferbundsrat wären. Sie fühlen sich schließlich als die Vertreter nicht nur der 20 Millionen Spanier, sondern auch der noch viel zahlreicheren Millionen Menschen spanischer Zunge aus den füd- und zentralamerikanischen Republiken, die im Bölkerbund sind, ohne einen ständigen Sig im Bölkerbundsrat zu besitzen.
Ueber den Berlauf der Sonntagsbesprechung erfährt man, daß die Aussprache auf allen Seiten durchaus freimütig geführt wurde. Auf der einen Seite bemühten sich Chamberlain und Briand eifrig, den deutschen Delegierten vor Augen zu führen, daß es sich bei der Umwandlung des spanischen Sizes in einen Dauersiz feineswegs um ein Komplott gegen Deutschland handele, sondern um eine bereits vor Jahren angeschnittene Frage, über die in der Zwischenzeit noch lange vor Locarno mit Spanien wiederholt verhandelt worden sei. Auf der anderen Seite seßten die deutschen Delegierten auseinander, daß ihre Ablehnung gegenüber dem polnischen Ratssib feineswegs eine Kampfstellung Deutschlands gegen Bolen bedeute, sondern, daß es sich da um eine prinzipielle Frage handele. Nun erklärte aber Briand , daß er in seiner jegigen Stellung als zurückgetretener Ministerpräsident sich nicht für befugt erachte. Frankreich durch bestimmte Erklärungen zu binden und daß er