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Donnerstag

11. März 1926

Unterhaltung und Wissen

Bei den echten Samaritern.

Bon Myriam Harry .

Autorisierte Uebersetzung aus dem Französischen von Olga Sigall

Zum letztenmal fommen wir an den mit Türmen versehenen grauen Stadtmauern vorbei und lassen das ungefüge Damaskustor

hinter uns.

In der rosigen Morgendämmerung verschwindet nur allzu schnell das heilige Jerusalem , dann die nichtssagende moderne Stadt, der Stopus mit seinem Militärfriedhof, wo im Angesicht der ewigen Etadt zweitausend Kämpfer aller Bekenntnisse schlafen; der plumpe Schiefergedeckte deutsche Turm hoch oben auf dem Berg stört die Harmonie dieser heiteren Landschaft durch seine mittelalterliche Düfterheit.

Unmittelbar darauf beginnt die Wüste, die steinige Einöde, diese geheimnisvoll- undurchdringliche Starrheit, dieser tiefe, unheil­fchwangere Schlaf, in den dieser gottgeweihte Boden zu versinken scheint, sobald die Wohnsize der Menschen aufhören.

Man könnte in der Tat, der jüdischen Ueberlieferung gemäß, annehmen, dieses Land sei seelenlos, seine Seele wäre entflohen, von dem Volke Ifrael nach den Orten seiner Verbannung entführt.

Die schöne und breite Landstraße indes ist ganz erfüllt von Erinnerungen. Vormals eine römische Straße nach Neapolis, deren Pflaster noch erkennbar ist, sah sie Abraham porüberziehen und seine Herden, Jakob auf der Flucht vor Esau, die heilige Bundeslade, non den zwölf Stämmen umgeben, das eindringende Assyrien , die Ge­fangenen Babylons und das Kind Jesus , das mit seinen Eltern hinaufging gen Jerusalem , da das Osterfest zu feiern.

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Auf eben dieser Straße nimmt Paulus , der noch schwankte mit Drohen und Morden", seinen Weg nach Damaskus , Titus rüdi heran zur Zerstörung, und nach ihm erfüllen soundsoviel Eroberer, bis zur Vernichtung, die Drohungen des Herrn der Heerscharen.

Und als ob dieses Land nicht genügend vom Lärm der Waffen geflirrt hätte, erbebté es wiederum vor furzem von dem Getümmel der Wagen und Reiter; englische Artillerie, arabische Reiterei setzten den deutsch - türkischen Truppen nach, vernichteten sie nach neun­monatigem Zögern völlig und stürzten sie in das Tal des Jordans, das seitdem, ein neues Tal Josaphat, den Namen Schlund des Todes" führt.

Und unser Automobil rollt vorwärts, munter rollt es durch die Schicksalsreiche Landschaft, gelangt von Judas Erbe zu Ephraims Erbe, bei einer unirdischen Beleuchtung, in einer durchsichtigen Luft, von Schwalben umflattert, die, jubelnde, freudetrunkene Botinnen, fich von uns zum Himmel aufschwingen.

Und da ist Tama, wo die Prophetin Deborah unter einer Balme Recht sprach. Gibeon. Sonne, stehe still bei Gibeon , und du, Mond, über dem Tal Ajalon." Bethel und seine Himmelsleiter. Mizpa, der Bersammlungsort der Propheten; Silo, wo ehedem die Stiftshütte stand und der Ewige zwischen den Cheruben der Bundes lade thronte, wo die zwischen den Weinbergen verborgenen Ben­jaminiten die um die Erftlinge tanzenden hebräischen Jungfrauen raubten.

Tatsächlich blieb nichts von diesen Orten bestehen. Höchstens etliche unerkenntliche Trümmer, schwärzere Steinhaufen zwischen den Steinen, behauene Blöcke zwischen unbehauenen, weit eher eine poetische Vorstellung, eine biblische Erinnerung, als eine Wirklichkeit.

Wirklich indeffen, wenn auch unfaßbar, ist der Zauber des Himmels, die Anmut des Horizonts und die so hellstrahlende Klarheit der Luft, daß das heilige Buch Sohar sie den über Judäas Boden verstreuten Atomen der Propheten zuschrieb. Aus demselben Grunde erfüllt uns gemiß auch diese Fröhlichkeit des Herzens, diese tiefe und bejeligende Liebe zu dieser lichtschimmernden, trostlosen Landschaft. Blöglich erheben sich in großer Höhe vor uns zwei Gipfel, der Carizim und der Ebal Hörner des Stiers oder des Mondes? die den heiligen Berg von Samaria frönen.

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Unfern der Landstraße ein weißes Baumert, der Brunnen, an dem die Samariterin einen Trunk Wasser gegen das ewige Reich eintauschte; und ein irdisches Königreich, ein zeitliches Paradies, eine zauberhafte Dafis erschließt sich am Fuße des Doppelberges, ein Tal frischen Grüns, in dem eine Stadt pon blendender Weiße, die denk­bar moslemitischste Stadt, eingebettet ist, ein Gewoge jungfräulicher Kuppeln zwischen gewaltsam fich vordrängenden spizigen Minaretts. Es ist die Flavia- Neapolis, das arabische Nabulus, unter den Dertlichkeiten Palästinas die einzige, die ihren hebräischen Namen ihres römischen Namens wegen aufgab; es ist das gößendienerische Sichem der Könige Israels .

Es fehlt an Zeit, die Stadt zu erforschen. Wir durchstreifen nur die Gäßchen mit den spizzbogigen Gewölben und den, wie in Jerusalem , abschüssigen Pflastersteinen, wo ein lebhafter Handel ge­trieben wird mit den Beduinen aus dem Transjordanland, aus gezeichnet durch ihre düstere Würde und den edlen Fluß der Be­megungen in ihren lose wallenden Gewändern und ihren wie aus Schnüren geflochtenen Kopfbedeckungen. Zwischen der farbigen Menge tauchen trotzdem viele Ueberröcke und Tarbusche aus Kon­ftantinopel auf: Abgeordnete, Volksvertreter, Geheimagenten, denn tabulus ist, gleich dem ehemaligen Sichem, ein bedeutendes Zentrum politischer Ränke und Anschläge.

Uns aber liegt nur daran, die echten Samariter fennen zu lernen, diese seltsame Gemeinde, diese von Geheimnis umwobene Handvoll Leute, die seit mehr als zweitausendfünfhundert Jahren, verleugnet und ausgestoßen von den Völkern und Religionen, in ihrer Ueberlieferung erstarrt, angeklammert an den Hang ihres Berges, leben, feinen Zusammenhang mit der Stadt, ebensowenig

wie mit dem Leben haben.

Von den zwanzigtausend aus den Zeiten Befpafians find nur einhundertjechzig geblieben, Abkömmlinge jener chaldäischen An­siedler, die Salmanassar aus Kutha, Ama und Sepharvaim schickte. Sie famen an mit ihrer Sprache, ihren Göttern, ihren Priestern. Aber Löwen verschlangen sie. Weil sie nicht wissen der Gottheit des Landes zu dienen," sagte der König und schickte ihnen unter den Gefangenen Jerufalems ausgewählte Priester. Seitdem beteten sie zu dem Gotte Israels, ohne aufzuhören, ihre Götter anzubeten, und als die von den Ufern des Euphrat zurückkehrenden Juden es aus diesem Grunde den Samaritern verwehrten, an dem Wiederaufbau des Tempels teilzunehmen, errichteten sie einen eigenen auf dem Garizin, in dem sie widersprechende gottesdienstliche Gebräuche ver cinten. Heutigentags rufen fie nur Jehova an, anerkennen aber nur cinen einzigen Propheten: Moses , ein einziges Buch: die Thora und find dauernd aus der Gemeinschaft der übrigen Juden ausgeschlossen. Wir finden diese lleberlebenden an ihrer hochgelegenen, am Ende der Stadt staffelförmig emporklimmenden Zufluchtsstätte, in vielleicht dreißig, eines das andere überragenden Häusern, die durch kunstlose Stufen miteinander in Verbindung stehen. Sie sind von großer Sauberkeit, Sie Mauern mit Kalf geweißt, die Höfe gewaschen, und über das wie eine Lochstickerei durchbrochene Steingemäuer neigen fich hängende Gärten, in denen aus zerbrochenen. Krügen Nelken, Bafilifum und Minze Wohlgerüche verbreiten.

Die Synagoge ist einfach, ein Hof und zwei gewölbte Räume, Don denen der eine dem rot heturbanten Hohenpriester als Empfangsraum dient, und der zweite, durch eine alte Gardine ge­teilte, das Allerheiligste vor den Blicken der Ungeweihten verbirgt. Drei junge Leviten holen eine Doppelrolle aus altem auf Olipen­holzwalzen aufgerolltem Bergament für uns heraus, die heilige Thora, in jamaritanischen Schriftcharakteren, von der sie behaupten, sie reiche über zwanzig Jahrhunderte zurück.

aus dem alten Chaldäa

Diese Leviten selbst, in ihren weißen Gewändern und roten Turbanen, reichen ohne Zweifel bis in jene Zeiten zurüd. Ihre bleichen schmalen Gesichter mit den vor Feinheit wie abgenugten Zügen, den großen, wie mit Schmelz belegten Augen stammen augen scheinlich aus Babylon ; ebenso fönnten ihre langgliedrigen, weichen und fäffigen, gleichsam gelenkloſen Körper den myſtiſchen Tänzern Diese drei Leviten fordern uns auf, ihr Haus zu besichtigen. Es ist voller Reiz mit seinem von einem Zitronenbaum beschatteten Hof; welche schimmernde Leuchtkraft der goldenen Bäu'ne zwischen den steinernen Würfeln! und fein Altan, auf dem die in das blaue Kleid der Fellachinnen gehüllten Frauen gedörrten Weizen auf riesigen Strohmatten trocknen lassen. Sie können uns weder Kaffee noch Wasser anbieten, da fie ge­nötigt wären, das Gefäß zu zerbrechen, aus dem wir tranten, aber sie schenken uns ihr Vertrauen.

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Die Zwei am Wege.

Wem wollt 3hr geben? Entscheidet Euch!

Sie sind heiratsluftig. Die famaritanischen Mädchen sind an Zahl geringer als die Knaben, sie finden daher keine Frauen, da die übrigen Juden es ablehnen, eine Ehe mit ihnen einzugehen. Sie fühlen sich dadurch sehr unglücklich, und der Grund ihres bekümmerten und sehnsuchtsvollen Aussehens ist mir nun tlar.

Man tönnte eine Heiratsannonce in die Zeitungen einrücken," sage ich im Scherz.

Ja, ja, schreiben Sie, schreiben Sie!" ruft auf arabisch der längste und schmachtendste der drei. Ach ja, schreiben Sie an die Mädchen in Europa und Amerika ! Oder besser noch, wenden Sie sich; an ihre Großmut; denn wenn sie nur Geld schickten, um goldene Armbänder und seidene Kleider zu kaufen, würde ich unter den Moghebinnen ganz sicher eine Frau finden. Nicht unserer Religion wegen, sondern weil wir arm sind, schlagen fie uns aus!" Wenn Sie aber eine Fremde heiraten, leidet die Reinheit Ihrer Rasse

"

Er macht eine gleichgültige Bewegung. Was liegt ihm an seiner Abstammung von Kutha , Awa und Sepharvaim angesichts seines Liebessehnens!...

in

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Rot gefleideten Greis von einem Hof zu dem anderen, von einer Oberhalb der fleinen durchbrochenen Mauer sehe ich einen ganz Terrasse zu anderen gehen, der gegen seinen filberschimmernden Bart ein kleines Mädchen preßt, an deren Häubchen Amulette flirren. ,, Sie ist frank.. im Kopf," erklärt der liebesfranke Levit; das ist unser Großvater, der Rabbiner."

Ja, gemiß, ich fann mir vorstellen, mit welchem sorgsamen Eifer, melcher behutsamen Zärtlichkeit man in diesem tezerischen und ent­völkerten Samarien die anderwärts so wenig beachteten kleinen Mädchen betreuen mag.

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Kletterei nach dem höchst gelegenen Hause. Mit der Hand berühren wir fast den heiligen Berg, den der Garizim überragt, von dem aus Josua von sechs aus den sechs Stämmen erwählten Männern den von dem Ewigen gelobten Segen verkünden ließ, während sechs andere von dem gegenüberliegenden Ebal aus über das im Tale versammelte Volt Worte des Fluches sprachen, und das Bolt mit Amen antwortete. Und zwischen den beiden Gipfeln ruhte die heilige Bundeslade. Heute ist keine Spur irgendeines Heiligtums mehr vorhanden. Aber dreimal jährlich steigen die Samariter hinan, um auf dem Gipfel des Garizim ihre Festlichkeiten zu begehen. Zu Ostern opfern fie fieben weiße Lämmer, die sie am Brandopferaltar verbrennen, tauchen ihre Hände in das Blut und negen ihre Stirne damit.

Wie schade, daß Sie nicht zum Osterabend hier waren," sagt zuvorkommend der vergebliche Brautmerber. Ein Angestellter der Kinogesellschaft Bathe hat die ganze Festlichkeit gefilmt; Sie wären mit aufgenommen worden."

Zitronenbäumen

mit

Danke dafür! Nein, wirklich, dieser geheiligte Tänzer aus Assyrien ist mir zu modern! Aber ich liebe die kleine Stadt der Ausgestoßenen. Wende ich dem Leviten und dem gefilmten Berg den Rücken, so sehe ich sie herabsteigen mit ihren Terrassen, gleich den Stufen einer von reizvollem Gewirr übermucherten Treppe, von Weinranken, durchbrochenem Gemäuer, Sonnenfrüchten, Granatbäumen mit glutenden Blüten; sehe die fleine Stadt der Gespenster weiß und still niedergleiten wie einen Milchstrom zu den Wohnstätten der Menschen, hin zu diesem leb­haften, noch immer lieblichen Nabulus, mit seinen Kuppelhäusern, den spizen Türmen, seiner islamitischen Helle in einem Gewoge von Grün.

Schalom, Berge des Segens und des Fluches, Garizim und Ebal! Lebt wohl, wir fahren wieder fort; aber lange werden eure gemeihten Hörner uns verfolgen, Hörner des Stiers oder Sichel des Mondes?

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Beilage des Vorwärts

Vier Klassen Menschen.

Gehört es auch unbestreitbar zu den wichtigsten Prinzipien des menschlichen Selbstbewußtseins, daß- zum mindeſten in der Theoric alle Menschen vor Gott , dem Gesetz und anderen mehr oder minder hohen Tribunalen gleich find, so kann man fich doch nicht schaft nicht mehr standhält. Es ist nicht daran zu rütteln, daß es länger verheimlichen, daß dieses Prinzip vor dem Lichte der Wissen­Menschen erster bis vierter Klasse gibt. Das einzig Tröstliche dabei ist, daß diese Klaffifizierung nicht auch zugleich eine Wertung ist. Die medizinische Wissenschaft hat im Laufe langwieriger Unter­suchungen über die Möglichkeit und Technik von Blutübertragungen festgestellt, daß Blut nicht nur ein ganz besonderer Saft" ist, fondern daß es sehr wesentlich voneinander verschiedene Sorten dieses wertvollen Saftes gibt, die sich nur unter ganz bestimmten Umständen miteinander vertragen, wenn sie aus einem Körper in einen anderen hinübergeleitet werden.( Bluttransfusion.) Es ist noch nicht lange her, daß man vor solchen Bluttransfusionen sehr großen Respekt hatte und sie mur als alleräußerstes Mittel anwandte. Es passierte nämlich sehr häufig, daß die Patienten nach solchen lleber= tragungen an einer Auflösung der Blutkörperchen starben. Bei den Sektionen zeigte sich dann, daß das eigene Blut durch das fremde Blut vergiftet worden war.

Seltsamerweise treten folche Blutvergiftamgen sehr häufig gerade dann ein, wenn Blutsverwandte dem Patienten ihr Blut spenden. Man hat, um die diesen Erscheinungen zugrunde liegenden Be­ziehungen flor zu stellen, vielfältige Laboratoriumsversuche mit Tausenden von Blutproben gemacht. Dabei ist man zu dem Resultat gekommen, daß es vier Gruppen von Blutarten, gibt. Ueber die inneren Zusammenhänge dieser Blutsverschiedenheit hat man vorläufig nichts feststellen können. Bemerkenswert ist höchstens. daß die meisten Blutarmen der Gruppe II angehören. Aeußerst interessant find nun die Gesetze, nach denen Blutübertragungen voll­zogen werden müssen. Die Gruppe I ist anscheinend die Wider standsfähigste, denn sie verträgt das Blut sämtlicher anderen Gruppen, dagegen ist Gruppe IV äußerst empfindlich gegen die übrigen Blutsorten, so daß Gruppe II und III nur Gruppe I Blut spenden können. Verstöße gegen diese Gesetzmäßigkeit rächen sich fofort durch die eingangs gekennzeichneten Folgen.

In Amerita und England hat man diese Entdeckungen bereits in der Weise ausgewertet, daß sich jedes bedeutende Lazarett und die größeren Kliniken stets Angehörige aller dieser Gruppen vorgemerkt halten, so daß bei eintretenden Bedarfsfällen die Blutübertragung ohne weiteres vollzogen werden kann.

Von Kreiseln und Murmeln.

Mit dem nahenden Frühling tommen wieder die unverwüst­lichen Lieblingsspiele der Straßenjugend, der Kreisel und die Mur meln, in lebung. Sie sind, was wenig bekannt sein dürfte, schon viele Jahrhunderte alt. Eines der ehrwürdigsten Spielzeuge über­haupt ist der mit der Peitsche angetriebene Kreisel oder Brumm topf", den nicht nur die alten Römer fannten: fein Geringerer als Birgil hat ihn sogar besungen! man fann Exemplare aus alt­ägyptischer Zeit in den Museen antreffen. In ganz Europa bis nach Ostafrika und Amerika fann man ihn finden, und selbst die lärmfrohen Neger haben ihre flachen, scheibenförmigen oder aus den Bodenstücken großer Nüsse verfertigten Brummtreifel",

Neueren Ursprungs, aber auch schon von stattlichem Alter, sind die Kugeln, mit denen fich die Jungen vergnügen, indem sie fle an den Wänden der Häuser unter Beobachtung aller erdenklichen Spielregeln dahimollen lassen; der Preis gebührt dem, der die meisten Kugeln einheimst. In Wien heißt dieses Spiel An­mäuerln". Die ältesten Murmeln bestanden aus Marmor, woher vermutlich ihr Name stammt. Sie waren von jeher ein deutsches Erzeugnis; schon 1694 bejagt eine alte Handelsnachricht, daß in. diesem Jahre 23 Tonnen und 10 Fäffer mit Marmormurmeln aus Deutschland nach England ausgeführt worden seien. Im Jahre 1743 gab es in Franken eine Fabrit, in der die fränkischen Schnipf tugeln" nicht nur aus Marmor, sondern später auch aus Ton fabrik mäßig hergestellt wurden. Diese fanden fo reißenden Absaß, daß man sich bald auch anderwärts mit ihrer Fabrikation befaßte; so nennt die Stadtchronit von Groß- Almerode im Regierungsbezirk Kaffel, wo sich große Tongruben befinden, 1798 bereits 21 Meister des Gewerbes der Knickermacherei", die die Knicker" aus glasiertem Ton herstellten. Daß auch ein deutscher Dichter, Moriz August von Thümmel, diesem Kinderspielzeug seine Aufmerksamkeit schenkte und es 1795 in feiner die Steinmühle" genannten Fabrik in Koburg herstellen ließ, zeigt die große Beliebtheit dieses Gegenstandes. Die Glasindustrie in Lauscha fabrizierte 1849 zum erstenmal die beson ders schmucken, mit farbigem Glasfuß spiralförmig gefüllten durch­fichtigen Glaskugeln, die schnell die bis dahin unter allen Murme! n als schönste und kostbarste angesehenen, aus Achat verfertigten Exemplare zu verdrängen mußten.

Zahllos sind die Namen, mit denen die Spielfugeln" in Lauf der Zeit bedacht worden sind: Marrel, Marmel, Murmel oder Murren in Norddeutschland, Kasters oder Kastedönnjers in Nieders deutschland, Knippel, Klicker und Schnellfäulchen in Mitteldeutsch­ land , und Schusser, Schüsser und Schöffer in Süddeutschland .

Hans.

Bon Erna Büsing.

Hans, dei Kanarienvogel, ist eine fleine, zmitschernde, recht bewegliche Luftigkeit. Seine schwarzen, munteren Augen find immer in Tätigkeit, fie erspähen nicht nur Brotfrumen, sondern selbst Atome von Abfällen, sobald sie für Vögel genießbar sind Hans ist stets freßbereit, daher nimmt er Brot, Kartoffelstückchen und Zucker vom Finger. Da die Menschen meistens etwas eigen­artig in der Bewertung von Beweggründen sind, nennen sie seine Somit belizt Gier Zutraulichkeit, Anhänglichkeit, ja selbst Treue. Hans allerlei wertvolle, eingebildete Charaktereigenschaften. Ein Tag wurde, durch einen läppischen Zufall, zum Ereignis für Hans. Er ging spazieren und spiegelte sich plötzlich in dem blanken Messing­rand seines Bauers. Da Hans durch und durch natürlich und daher nicht auf Trugbilder eingestellt ist, hielt er sein Selbstporträt für einen anderen Vogel. Sofort war er die reine leberfülle an Liebe. Er machte die hingebungsvollsten Versuche, um den Art genossen zu finden. Er lief hin und her, froch unter das Bauer, flatterte hoch, er suchte und suchte. Und immer wieder schnäbelte er sein glänzendes, aber faltes Spiegelbild. Er mar so wohlgeneigt in Freundschaft, so sehnsüchtig verliebt, daß ein fühlender Mensch sehr starke Bedenken haben mußte, Hans für immer ohne Bogel­gesellschaft zu lassen.

Blöglich sah Hans ein Stückchen Weißbrot. Natürlich fraß er, und da das vor dem blanken Messingrand geschah, fraß der Spiegel­Das brachte Hans in Aufregung. Er vogel selbstredend auch. pickte und pickte, schimpfte zwischendurch ein grelles jiep, jiep" und gab sich nicht eher zufrieden, bis das Brot restlos verzehrt war. Dann hüpfte er schwerfällig in sein Häuschen und saß ruhig auf dem obersten Stod, die Brust herausgedrückt, die Federn gesträubt wie die Borsten einer Bürste. Er hatte seine törperliche Aufnahme­fähigkeit bei weitem überschäßt. Das Ergebnis war, der ganze Hans wurde eine große Beflemmung.

Und ich denke darüber nach, haben die Menschen num etwas Vogelähnliches oder die Vögel etwas Menschliches?