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Abendausgabe

Nr. 118 43. Jahrgang Ausgabe B Nr. 59

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10 Pfennig

Donnerstag

11. März 1926

Vorwärts=

Berliner Dolksblatt

Berlag und Angetgenabteilung: Geschäftszeit 9-5 Uhr

Berleger: Borwärts- Berlag GmbH. Bevlin SW. 68, Lindenstraße 3 Fernsprecher: Dönhoff 292-297

Zentralorgan der Sozialdemokratifchen Partei Deutschlands Deutschlands

Aufnahme empfohlen.

Einstimmiger Kommissionsbeschluß.- Briand zurückgekehrt.

Genf , 11. März.( WIB.) Die Aufnahmekommission hat heute| Völkerbundsrat herausgewählt. Allerdings hat es Brasilien vormittag in einer furzen Sitzung von faum 15 Minuten Dauer den tatsächlich noch in der Hand, die Aufnahme Deutschlands bis dahin zu von ihrem Unferausschuß vorgelegten Bericht über die Aufnahme verzögern. Diese Möglichkeit, so bedauerlich sie auch für die Völker Deutschlands in den Völkerbund ohne Distuffion ein- bundsfreunde in Deutschland und für den Völkerbundsgedanken an immig genehmigt und ihren Vorsitzenden Sir Hauften sich wäre, ruft ganz besonders in franzöfifchen und englischen Kreisen Chamberlain zum Berichterstatter vor der Völkerbundsversammlung helle Entrüstung hervor. Nach den gestrigen Erklärungen von berufen. Baul Boncour bereitet sich für diesen Fall unter Zurückstellung der Meinungsverschiedenheiten über den polnischen Ratssitz eine deutsch­franzöfifche Einheitsfront gegen die Saboteure des Bölkerbundes vor. Uebrigens hat Brasiliens Haltung sogar bei einem Teil der füdameri­tanischen Staaten lebhaftes Befremden hervorgerufen. So hat z. B. der Bertreter Uruguays im Bölkerbund privatim erklärt, daß er die erpresserische Politik Mello Francos feineswegs billige, sondern, daß im Gegenteil der grundsätzliche Widerspruch des Schweden Undén gegen eine Erweiterung der permanenten Ratssize durchaus be­rechtigt gewesen sei.

Dieser Beschluß der Aufnahmefommission bedeutet, daß es Deutschland erspart bleibt, in Genf seine Bereitwilligkeit, feine internationalen Verpflichtungen zu erfüllen", noch einmal prüfen zu lassen. Die Kommission hat sich damit begnügt, die Feststellungen des interalliierten Militärfomitees zur Kennt nis zu nehmen, daß Deutschland seine Abrüstungsverpflich tungen erfüllt hat. Damit ist im Falle Deutschlands der Böllerbund von seiner bisherigen Aufnahmepraris tatsächlich abgewichen. Als z. B. Desterreich, Bulgarien und Ungarn aufgenommen werden sollten, hat man ihre Vertreter vor der Aufnahme eingehend verhört und sie stets die Erklärung aus­drücklich abgeben lassen, daß ihre Regierungen bereit seien, ihre Bertragspflichten genau zu erfüllen. Dem deutschen Staats­fekretär von Schubert war ursprünglich diese Aufgabe zugeteilt gewesen. Das man in Genf darauf verzichtet hat, ihm um Auskünfte und Zusicherungen zu ersuchen, ist ein fleines aber beachtenswertes Zeichen für die Gesinnung, in der Deutschland in der internationalen Organisation der Völker aufgenommen wird.

Italien hinter Brasilien ?

V. Sch. Genf , 11. März.( Eigener Drahtbericht.) Noch hat sich die große Aufregung, die am gestrigen Abend entstand, als die ersten Nachrichten über den brasilianischen Borstoß bekannt wurden, nicht gelegt. Nur die Tatsache, daß Briand heute morgen wieder eingetroffen ist, wirkt etwas beruhigend, weil man hofft, daß es seiner oft bewährten lleberredungstunft gelingen wird, den ver fohrenen Karren wieder herumzureißen. Einstweilen hat Briand jedoch nur eine Unterredung mit Chamberlain gehabt, man glaubt aber, daß eine seiner nächsten Unterhaltungen mit dem Brasilianer Mello Franco stattfinden wird, auf den er einen gewissen Einfluß besitzen soll. Die Frage ist nur, ob Mello Franco auf Grund formeller Instruktionen seiner Regierung handelte, als er gestern damit drohte, den ganzen Bölkerbund zu sprengen, um den brasilianischen Anspruch durchzudrücken.

Die Haltung Brasiliens erregt hier allgemeine Entrüstung, zugleich aber auch Spott. Denn dieses Babanquespiel wird zweifei­fos mit einer Niederlage des füdamerikanischen Staates enden. Ent­weder er gibt jest nach eder er wird im September von der Bölkerbundsversammlung mit erdrückender Mehrheit aus dem

Des Volkes Begehren.

Bis gestern in Berlin 633121 Eintragungen! Die Eintragungen zum Boltsbegehren waren in Berlin am geftrigen Mittwoch geringer als am Dienstag. Allmählich muß es ja zu einer Minderung des Tagesergebnisjes tommen, je größer die Gesamtzahl derjenigen wird, die ihre Pflicht be. reits erfüllt und die Eintragung vorgenommen haben. Erst für Sonnabend und Sonntag, die für die Arbeiterbevölkerung günstigsten Tage, wird man eine nochmalige Zunahme zu erwarten haben. Wir geben hier für die Verwaltungsbezirke nebeneinander die Einfra­gungen vom Dienstag und vom Mittwoch und die Summen uus den bisherigen sieben Tagen.( Das fiebentägige Ergebnis für ganz Berlin ist durch einige bisher nicht mitgezählte Nachträge vervollständigt.)

Miffe 7629, 4410( 40 113); Tiergarten 7154, 4309( 37 901): Wedding 15 010, 8022( 79 287); Prenzlauer Berg 12 092,6807( 63 902); Friedrichshain 13 787, 7668( 71 170); Kreuzberg 13 321, 8013( 71 521);

Charlottenburg 6438, 4064( 31 854);

Spandau 3421, 2110( 16 479);

Wilmersdorf 2217, 1413( 11 319);

Zehlendorf 333, 277( 1790);

Steglitz 2156, 1621( 10 313);

Schöneberg 4260, 2798( 24 651);

Tempelhof 1810, 1235( 8688);

Neukölln 12 067, 7397( 64 405);

Treptow 4008, 2284( 20 313);

Köpenid 2179, 1057( 11 691);

Lichtenberg 7260, 6600( 31 746);

Weißenfee 1864, 932( 8342):

Pankow 2379, 1262( 12036);

Reinidendorf 3040, 1616( 15 332);

ganz Berlin 122 425 73 895( 633 121).

Die Eintragungen im Reich.

Dresden , 11. März.( Eigener Drahtbericht.) Der Dienstag brachte in Dresden mit 15000 die bisherige Rekordziffer der täg­lichen Einzeichnungen für das Volksbegehren. Bis Dienstag abend wurden 46 545 gezählt, bei Mittwoch brachte 13 200, damit stieg die Zahl der bis Mittwoch erreichten Einzeichnungen der Stadt Dresben auf 59 778. Da Dresden rund 440 000 Stimmberechtigte bat, ist das Zehntel bereits in der ersten Woche weit überschritten.

Genf , 11. März.( Eigener Drahtbericht des Borwärts".) In zwischen rechnet man hier mit der Möglichkeit einer weiteren Kem plitation. Bisher hatte sich nämlich Italien in der Berson von Scialoja durchaus forrekt und versöhnlich verhalten und sich ehrlich bemüht, an dem Zustandekommen eines für Deutschland und Polen tragbaren Kompromisses mitzuarbeiten. Es heißt jedoch, daß der Unterstaatssekretär Grandi, der persönliche Bertrauensmann Mussolinis, der schon in Locarno die Rolle einer faschistischen Gou Dernante gespielt hatte, und der auch jetzt in Genf Scialoja bei­gegeben worden ist, seit gestern Morgenluft wittert.

Für Mussolini , der seit dem Zwischenfall Korfu alles mehr als ein Freund des Bölkerbundes ist, märe der brüste Vorstoß Bra­filiens in der Tat eine glänzende Gelegenheit, den ganzen Bölter bund zu sprengen, ohne sich selbst im Vordergrund zu exponieren. Grandi, so wird in italienischen Kreisen behauptet, habe sich inzwischen an Mussolini direkt gewandt, um für die neue Situation neue Instruktionen an Scialoja zu erwirken.

Die meisten sind zwar überzergt, daß man aus der schweren Krise, die gestern ausgebrochen ist, heraus fommen wird. Und dennoch sieht noch niemand den Man weist darauf hin, daß die gestrige Sigung des Bölkerbundsrates zum Glück nicht offiziellen Charakter trug und daß die Worte und Drohungen, die dort ausgesprochen wurden, feinen definitiven Charakter tragen.

Ausweg.

Daß sich die Aufnahme Deutschlands infolge der jüngsten Komplikationen jedenfalls verzögern wird, geht daraus hervor, daß die neue Bollsigung, die für Sonnabend vormittag 11 Uhr anberaumt worden ist, nur formellen Charafter tragen wird, indem auf die Tagesordnung lediglich die Budgetfragen des Böllerbundes, sowie der Bau des künftigen Völkerbundspalais gesetzt wurde.

Nach einer gewissen Eintragungsmüdigkeit der ersten Tage ist der Andrang jetzt so start, daß in mehreren der 35 Einzeichnungslokale Dugende von Einzeichnern die Lokale wieder verlassen mußten, ohne ihrer Eintragungspflicht genügen zu fönnen.

abend wurden in Stuttgart 33448 Eintragungen zum Stuttgart , 11. März.( Eigener Drahtbericht.) Bis Mittwoch Boltsbegehren gebucht.

Königsberg i. pr., 11. März.( Eigener Drahtbericht.) In der Stadt Königsberg haben sich bis zum Mittwochabend 17300 Personen in die Listen eingezeichnet. In der Stadt Fisch­ hausen find bis Dienstagabend von 1760 Wahlberechtigten 400 Eintragungen erfolgt, in Angerburg bis Dienstagabend von 3600 Wahlberechtigten 570 Eintragungen.

Köln . 11. März.( Eigener Drahtbericht.) Die Zahl der Ein zeichnungen in Köln haben am Mittwochabend 40000 erreicht. Der Andrang in den Einzeichnungslokalen steigert sich von Tag zu Tag. Auch in Köln - Land ist die Beteiligung bisher über alles Erwarten gut, ebenso in den Orten mit rein fatholischer Bauern bevölkerung in der weiteren Umgebung Kölns .

Stand des Volksbegehrens in Berlin .

1 100 000

1 050 000

1 000 000

950 000

900 000

850 000

800 000

750 000

10. März: 74 000

700 000 650 000 600 000

9. März: 122 000

550 000 500 000 450 000 400 000

8. März: 130 000

850 000

300 000

7. März: 165 000

250 000 200 000 150 000

6. März: 56 000

100 000

5. März: 50 000

4. März: 36 000

50 000 0

Jdeal und Pappenstiel.

Zum Wirrwarr in Genf .

Bon Paul Nathan .

Was ein Ideal ist, weiß ein jeder; obgleich ein Ideal nicht ganz leicht zu definieren ist. Was aber ein Pappenstiel ist, weiß wenigstens jeder Berliner . Es ist das wertloseste Ding von der Welt; eine Nichtigkeit, ein Nichts. Das kümmert mich einen Pappenstiel, sagt man zwischen Wilmersdorf und Weißenfee, um zum Ausdruck zu bringen, daß man für diese Sache ebenso viel Interesse habe, wie für die Unter­suchung, ob auch die Mondfälber Hörner tragen. dieser absurden Lächerlichkeit stelle ich das Ideal gegenüber, das die gedankliche, höchste Vollendung in jeder Beziehung dessen darstellt, was in dieser Welt der Unvollkommenheit meist nur in schwächster Andeutung vorhanden ist. Ich finde, daß die diesmaligen Verhandlungen in Genf etwa dem Gegensatz von Ideal und Pappenstiel entsprechen.

Und

Der Völkerbund in Genf soll eines der ganz großen Ideale der Menschheit verwirklichen. Die dort geschaffene Insti­tution soll der Menschheit den ewigen Frieden bringen; gewiß nichts Kleines; und man wird voraussehen müssen, daß nur große Menschen mit Ideen voll Größe solchen Bau aufzu­Und was geschieht?

richten imftande sein werden.

sind in Genf versammelt, und man muß annehmen, daß die Die Diplomaten, so etwa der gesamten zivilisierten Welt bort vertretenen Staaten begabte, modern denkende Diplo­maten in die Stadt am Genfer See entsandt haben und daß die mitgegebenen Instruktionen entsprechend lauten.

Und diese diplomatische Elite aus aller Weltgegenden, aus Europa und von jenseits der Weltmeere her, debattiert und verhandelt und regt die politische Welt auf, wegen der Frage, ob Polen , ob Spanien , ob Brasilien im Bölkerbunds rat neben Deutschland einen bleibenden Sitz sogleich erhalten foll, oder erst zu einem späteren Zeitpunkt, nad dem Deutsch­ land in den Rat aufgenommen worden ist.

Handelt es sich bei diesem Streit um große politische Inter­effengegensätze, oder um absurde politische Eitelkeiten ohne jeben ernsten realpolitischen Hintergrund? lleber große poli­tische Interressengegenfäßge fann man natürlich nicht tänzeln­den Schritts hinwegschreiten; aber politische absurde Eitelkeiten sollte man in Genf bei einer Arbeit sogenannter hervorragen­der Vertreter großer Staaten nicht vermuten.

stehen; das ist gerechterweise zuzugeben. Man hat in Warschau Der Standpunkt der Polen ist wenigstens zu ver die Empfindung, daß zwischen dem eigenen Staat und Deutschland politische Gegenfäge durch den Vertrag von Ber­sailles geschaffen worden find, so ernster Art, daß sie besorgnis­erregend sind und zu irgendeinem Zeitpunkt in ein fritisches Stadium treten fönnen. Daß Polen bei dieser Konstellation feine Machtposition im Völkerbund so sehr stärken möchte, wie möglich, ist zu verstehen; und ist doch keine politische Notwendigkeit.

Frankreich fit im Rat, und die internationale Lage und die Bindungen zwischen Baris und Warschau können für Bolen eine zuverlässige Garantie sein, daß Deutschland seinen Siz im der Lage sein mürde. Frankreich ist zweifellos ein aus­Bölkerbundsrat zum Nachteil Bolens auszunugen, nicht in reichender Bürge für die Sicherheit Polens ; Frankreich ist ein Republik. hinreichender Schutz gegen jede Vergewaltigung der polnischen

Wenn nun in bezug auf Bolen wenigstens im Bereich seiner gedanklich konstruierten Möglichkeiten Bedenken bestehen können. fo ist für Spanien und Brasilien überhaupt fein realer Anlaß zu entdecken, der sie veranlaßt, für ihre Sicherheit im Bölkerbund in besonders hohem Grade Borsorge zu treffen. Ihr Drängen auf einen Sitz im Rat ist eine Frage des Prestiges oder, um deutsch zu reden, der politischen Eitelkeit, und diese Eitelkeit hat nichts zu tun mit der internationalen Sicherheit und nichts zu tun mit der Aufrechterhaltung des Friedens in der Welt. Das muß in aller Nüchternheit aus­gesprochen werden.

Ist wirklich die friedliche Fortentwicklung der Welt davon abhängig, daß Spanien und Brasilien im Rat fizen? Darauf ist zu sagen: Nonsens, was höflicher flingt als Unsinn. Und wenn dem so ist, dann fönnten jene Staaten mirklich auf eine Deforation verzichten, für die dringende politische Not­wendigkeiten sich nicht auffinden lassen.

Der Einwand aber, daß auch Deutschland einen Ratssitz unter allen Umständen verlangt, ist unter gar feinen Um­ständen in Bergleich zu den Ansprüchen jener Mächte zu stellen. Deutschland ist in seiner Entwicklung immer wieder gehemmt worden, weil es von Ost und West und von Süden und Norden aus kriegerisch bedrängt worden ist. Deutschland ist der Staat der zivilisierten Welt, der als Großmacht geographisch auf der allergefährdetsten Stelle der Welt liegt, von starten Staaten umlagert, die durch die Jahr­hunderte immer wieder friegerisch auf diese Zentralstellung unseres Erdteils eingedrungen find. Nicht weil Deutschland auch heute eine Großmacht ist, gebührt ihm vor allem ein Blaz im Völkerbundsrat, sondern was weit wichtiger ist -, weil Deutschland in seiner zentralen Stellung für die Auf­rechterhaltung des europäischen Friedens ein Faftor aller­ersten Ranges stets war und bleibt. Was für Deutschland eine politische Lebensfrage ist und was für die Aufrechterhal­tung des allgemeinen Friedens eine Vorbedingung von weitester Bedeutung ist, das ist für Spanien und Brasilien eine Frage politischen Ehrgeizes, und damit sollten diese Er­örterungen als Nichtigkeiten nicht geeignet sein, die Geschäfts­führung in Genf aufzuhalten,

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