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Nr. 162.

Erscheint täglich außer Montags. Preis pränumerando: Viertel­jährlich 3,30 Mart, monatlich 1,10 Mt., wöchentlich 28 Pfg. frei in's Haus. Einzelne Nummer 5 Pfg. Sonntags- Nummer mit illustr. Sonntags- Beilage Neue Welt" 10 Pfg. Post- Abonnement: 3,30Mt. proQuartal. Unter Kreuz­ band : Deutschland u. Desterreich­Ungarn 2 Mt., für das übrige Ausland 3Mt. pr.Monat. Eingetr. in der Post- Zeitungs- Preisliste für 1895 unter Nr. 7128.

Vorwärts

12. Jahrg.

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Berliner Bolksblatt.

Zentralorgan der sozialdemokratischen Partei Deutschlands .

Redaktion: SW. 19, Beuth- Straße 2.

Der Umsturz

der Gewiffensfreiheit.

tritt auch

Sonntag, den 14. Juli 1895.

"

Expedition: SW. 19, Beuth- Straße 3.

Der Staat läßt in einer Schule lehren, die Messe sei eine Gott" gefällige von ihm angeordnete heilige Handlung und in der anderen läßt er lehren, daß sie nach dem Ausspruche Luther's eine vermaledeite Abgötterei sei."

retter glauben, auf solche Weise die Seelen der Diffidenten-| bürgerlicher Respektabilität verloren. So mancher liberale finder für die staatlich approbirten Glaubensformen retten Bürger, der selbst stolz darauf ist, nichts zu Sie rechnen weder mit dem natürlichen glauben", hält doch aus sozialpolitischen Gründen darauf, Zwangshaß der gemaßregelten Kinder, noch mit dem daß dem Bolte die Religion erhalten" bleibe. Magiftrat Der nämliche Zug trampfhafter und krankhafter Ver- Unabhängigkeitsfinn und der Elternliebe ihrer Väter und Stadtverordneten- Versammlung von Berlin haben sich folgung jedweder Bethätigung freiheits- und voltsfreund- und Mütter. Kein Mann, kein Weib mit einem zwar zu einer Verwahrung gegen die obrigkeitlichen licher Bestrebungen, der in der sogenannten Umsturz- bischen Selbstgefühl und Kindesliebe int Herzen Glaubensregulirungen aufgeschwungen, der lahme Verlauf bekämpfung auf politischem Gebiete sich geltend macht, wird diesem Glaubenszwange schwächlich sich fügen. So der Debatte über den Antrag Rintelen im preußischen in Versuchen zu tage, die Aufklärungs- weit sie durch mündliche Belehrung und durch die Bei- Abgeordnetenhause zeigt aber zur genüge, wie wenig unseren arbeit auf religiösem und wissenschaftlichem Gebiete zu hilfe guter Bücher es vermögen, werden sie der Ein- bürgerlichen liberalen Parteien ein wirklich energisches Auf­hintertreiben. Hier wie dort ist die treibende Kraft die trichterung der ihrer Ansicht nach schädlichen und treten für die Forderungen der Gewissensfreiheit behagt. nämliche. Die Eulen und Fledermäuse meinen aus höheren verkehrten Anschauungen in das empfängliche Gemüth der Völlig einverstanden sind wir mit Herrn Rintelen, Regionen einen günstigen Wind zu verspüren und da Kinder entgegenarbeiten. Und daß diese Einwirkung Erfolg umsturzbekämpfenden Angedenkens, in der Forderung, daß flattern sie mit widrigem Gekrächze und Geschrei herbei aus haben wird, dafür bürgt der natürliche Zwangshaß aller der Erlaß des Ministers Falt vom 18. Februar 1876, ihren Schlupfwinkeln. Sie glauben, die Zeit für die Herr- frei und selbständig erzogenen Kinder. Die Erfahrung lehrt betreffend den katholischen Religionsunterricht in den schaft des Nachtgethiers sei angebrochen, und überall erschallt zwar, daß Kinder nicht immer bei den elterlichen Anschaus Volksschulen, aufgehoben werde, und zwar nicht nur dieser ihr Ruf nach Verfinsterung des Sonnenlichts. ungen beharren, daß sie sich hin und wieder von ihnen abwenden eine, sondern alle den Religionsunterricht in den Volks Un Verfinsterungsversuchen mangelt es denn auch nicht. und ganz entgegengesetzte annehmen, durch eine gewisse schulen verfügenden und regelnden Verordnungen. Auch Dienstwillige Bureaukraten in unseren Behörden glauben seelische Reaktion dazu angetrieben. Aber wenn die Behörden wir empfinden es als einen ungeheuerlichen Widerfinn, was ein Gott und den Menschen wohlgefälliges Werk zu thun, durch ihre polizeilichen Bekehrungsmittel dafür sorgen, daß Herr Rintelen hervorhob: wenn sie mit den bekannten Polizeimittelchen den Vertretern dieser elterlichen Anschauungen die Kinder sich erst durch der Aufklärungsarbeit die Hände binden und den Mund einen geistigen Kampf nach Ueberwindung feindlicher Ein­verstopfen. Was schadet's, wenn bei diesem löb flüsse bemächtigen müssen, dann sißen diese selbsterrungenen lichen Thun in Preußen die verfassungsmäßig ge- und vertheidigten Anschauungen um so fester und sind weit währleistete Religions- und Gewissensfreiheit in die schwerer im späteren Leben zu verdrängen. Und deshalb Aber weit auseinander gehen dann des Herrn Rintelen Brüche geht? Das Wohl des Klassenstaates, der möchten wir behaupten, daß die jetzt zwangsweise in den staatlich und unsere Wege. Das Zentrum will die Schulen sammt hier einmal eine Sache macht mit den Klassenkirchen, ent approbirten Religionen unterrichteten Dissidentenkinder den und sonders, nach Konfessionen vertheilt, unter die Leitung schuldigt alles. Wie Ministerium und Provinzial- Schul- freieren religiösen Anschauungen ihrer Eltern weit zäher der Geistlichen bringen; wir verlangen eine gänzlich fon kollegium an der Arbeit gewesen sind, um den Lehrern der anhangen, daß weit weniger von ihnen später abfallen fessionslose Schule und wollen es dem freien Ermessen der Freien Gemeinde zu Berlin die Ertheilung jedweden Unter- werden, als wenn sie nicht schon so frühzeitig durch die Konfessionsgemeinschaften überlassen, ob sie daneben noch richts in den eigenen Religionsanschauungen an die Kinder der Staats- und Kirchenretter in die seelischen Konflikte hinein- einen Religionsunterricht für die Kinder ihrer Angehörigen Gemeindemitglieder unmöglich zu machen, haben wir im Vorjahr gedrängt worden wären. einrichten wollen. erlebt. Diesen Maßregelungen hat sich dann in diesem Doch mag der Erfolg jener Maßregelungen unserer festen Man sollte meinen, daß auch das der Standpunkt der Jahre die Maßregelung des Herrn Schäfer, Lehrers und Ueberzeugung nach ein dem Wunsche ihrer Urheber ganz liberalen Parteien im Abgeordnetenhause sein müßte; aber Sprechers der ähnliche Biele verfolgenden Humanistischen entgegengeseßter sein, die freiheitsfeindliche Absicht ist es, weit gefehlt: Herr v. Eynern für die Nationalliberalen, Gemeinde, würdig angereiht. Man hat ihm die Be - die ihrem Thun das Gepräge aufdrückt, und wer zur För Herr Rickert für die Freifinnigen hielten einige Kultur rechtigung zur Ertheilung irgendwelchen Unterrichts derung der Gewissensfreiheit sich bekennt, müßte die Reaktion| fampfpaufen und damit war ihrem Bedürfniß nach an die Kinder der Gemeindemitglieder wegen seiner auch auf diesem Gebiete bekämpfen mit aller Macht. Da Gewissensfreiheit genüge geschehen. Kein Wunder, pantheistischen Anschauungen aberkannt. Die Disfi- zeigt es sich aber wieder einmal, daß in der Vertheidigung daß bei dieser schwächlichen Haltung die kirchenfreundliche dentenkinder werden auf grund der der eigenthümlichen der Gewissensfreiheit das Bürgerthum, vereinzelte Aus- Regierung fich angeregt fühlt, durch Anstellung immer Gesezesauslegung, daß ihre Eltern keine Religion haben, nahmen abgerechnet, erlahmt ist, genau so wie neuer geistlicher Schulinspektoren den Forderungen der weil sie sich zu feiner der staatlich anerkannten Kirchen be- im Kampfe um die politischen Freiheiten. Nur die Glaubenseiferer wenigstens indirekt entgegenzukommen. Hat kennen, in den staatlich ertheilten Religionsunterricht Sozialdemokratie zieht aus all' diesen Vorkommnissen die doch Herr Dr. Bosse nicht weniger als 1311 tatholische hineingezwängt. Aber damit nicht genug. Es soll einzig richtige Folgerung: fort mit der staatlichen Für geistliche Schulinspektionen neu eingerichtet. Der Sozial­auch den Eltern die Möglichkeit genommen werden, sorge für den Religionsunterricht! Die bürgerlichen demokratie bleibt es überlassen, auch den Umsturz der mit ihren eigenen Anschauungen die Kinder durch erfahrene Parteien, die überhaupt noch aus alter Gewohnheit schwächlichen Reste von Gewissensfreiheit, die wir noch Lehrer bekannt zu machen. Daher jene Verbote. an einzelnen Reften liberaler Forderungen festhalten, suchen besitzen, zu bekämpfen und die ganze Gewissensfreiheit für Nun zeugt es von einer völligen Verkennung der allerdings der weiteren Ausdehnung des kirchlichen Ein- das deutsche Volk zu erobern, indem sie einer sozialistischen Menschenuatur, von einer Verkennung, die allerdings flusses auf die Schule entgegen zu treten, aber damit er Gesellschaftsordnung zur Durchführung verhilft. polizeigemäß fonstruirten Gehirnen eigenthümlich zu schöpft sich dann auch ihr ererbter Reformationsgeist". sein scheint, wenn jene eifrigen Staats- und Kirchen- Das Dissidententhum hat schon längst den Nimbus

Feuilleton .

Diele.

" Bin neugierig, wie lange wir's aushalten." Der leergewordene Platz am Fenster ward rasch " So lange noch Pulver in unseren Büchsen und von einem anderen besetzt. Athem in unserer Brust ist," gab Hans Hartung zur Ant- Eine unwiderstehliche Macht trieb jeden einzelnen vor­[ Nachbruc verboten.] wort. Hier heißt es; fiegen oder fallen, und wenn wir nur wärts in diesem furchtbaren Wagespiel um Tod und Leben. 63 noch unsere Knochen gegen ihre Kartätschen setzen können." Immer wüthender drängten die Garden heran, immer Geben Sie mir Patronen," wandte Herr Kasimir, dichter fielen ihre Schüsse. Ihr Selbstvertrauen war ge=

Berliner Märztage.

Eine geschichtliche Erzählung von Michel Deutsch. 1 der ein recht pflichteifriger Musketier geworden war, sich wachsen, seit die Kanonen so treffliche Arbeit für sie ver­Mit Spannung beobachteten die höchsten Spitzen der an den Buchdrucker." Ganzen Dußend hab' ich schon verrichteten. Sie fragten nicht mehr nach Todten und Blessirten, Armee dieses wohlausgedachte Manöver, wie jetzt die knallt." sie hatten nur noch das eine Ziel vor Augen: dieses Artillerie zurückging, um den anstürmenden Garden das Hartung griff in die Tasche und entdeckte zu seinem widerspenstige Rebellenniest vor des Königs Nase so rasch Feld freizugeben, und wie auf diese Art beide, mit Angriff Schrecken, daß seine Munition bis auf einen geringen Reft als möglich auszunehmen. und Rückzug abwechselnd, der feindlichen Stellung immer verbraucht war. näher rückten.

nicht zu entweihen".

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Die Streiter des Volkes aber wankten und wichen nicht. Höchst anziehend und interessant", meinte einer der Habt Ihr noch Kugeln, Kinder?" fragte er die Ge- So manchen wackeren Genossen rissen die feindlichen Kugeln hochgeborenen Zuschauer, der als ein feiner Renner in aus ihren Reihen, doch statt zu verzagen, schlossen die noffen. nur Es ergab sich, daß auch die anderen sich nahezu ver- Ueberlebenden sich strategischen Fragen galt, indem er den Oberstkommandirenden schossen hatten und einem kräftigen Vorstoß des Feindes Näher und näher schoben die Garden sich vor, als so enger aneinander. zu der schönen Jdee" der Attacke beglückwünschte. Und derselbe Mann, der soeben mit einem einzigen taum noch gewachsen waren. ob sie zum letzten, entscheidenden Schlage ausholen Es war zu spät, um noch Abhilfe zu schaffen, denn wollten. Aus den Wort tausend Menschen gegen tausend andere in den Seitengaffen drängten Haufen Rampf geschickt hatte, lächelte entzückt über das empfangene schon starrten die todtspeienden Schlünde wieder aus dem von Bewaffneten nach der Barritade, um den Ansturm des Lob und vermaß sich, das Rebellengesindel noch vor Mitter- Dunkel der Straße hervor, um im nächsten Moment ihre Fein des mit ihren Leibern aufzuhalten. Da ertönte drüben nacht in die Pfanne zu hauen noch einmal das Signal zum Rückzug, und in hastigem um den Tag des Herrn Ladung auf die Barrikade auszuschütten. Sie hatten aus nächster Nähe gezielt, und sie hatten Gilschritt verließen die Truppen den Platz. Inzwischen aber wehrte dieses Gesindel sich mit wahrem diesmal gut getroffen. Drei Menschen wälzten sich stöhnend" Zurück! Die Kanonen!" gellte es warnend von oben Löwenmuth. Mit jedem Ansprung rückte der Feind näher in ihrem Blute, das lebenswarm auf das Straßenpflaster in die Menge, die nach der Barrikade hindrängte. heran, aber statt zu weichen, drangen die Schüßen und quoll. Keine rettende Hand war für sie übrig, denn schon Allein sie zögerten diesmal mit ihren Donners Steinschleuderer viel mehr in den Häusern und auf den riefen die Pelotons der Garden, die mit wildem Hurrah büchsen. Minute auf Minute verrinnt nichts rührt sich Dächern vor, um mit ihrem Feuer den Geschütz- dahergerast tamen, alles auf die Schanzen. drüben in den feindlichen Reihen. Was für Pläne mannschaften beizukommen. Dreimal bereits waren Mit dem Muth der Verzweiflung wehrten sich schmieden sie hinter jenem Baun von Bajonneten, der aus die Kanonenschlünde zu Worte gekommen, und die Boltstänipfer. Schon bestrich das Feuer des Feindes dem Dunkel der Straße drohend hervorblizt? Hoffen dreimal hatten die Bürgerlichen sich in heftigem die seitlichen Häuser, und manches Geschoß schlug fie die Widerstandskraft des Volkes zu lähmen, indem Kleinfeuer mit der Garde gemessen. Mit jeder über den Köpfen der Vertheidiger in die Decken sie so urplötzlich dem Gegenstoß ausweichen? Wollen sie Minute war die Erbitterung dieses wilden Kampfes ge- und Wände ein. Als einer der ersten war Hartung's die überhitte Leidenschaft der Verzweiflung erst erfalten stiegen und in fieberhafter Spannung, die Waffen zum jugendlicher Nachbar kampfunfähig geworden, eine Gewehr- lassen, um dann desto sicherer den Gegner niederzumachen? Schusse bereit, erwarteten die Barrikadenkämpfer den nächsten fugel war ihm ins Schultergelenk gedrungen. Muthig ver- Was zögern sie nur? Was hat das zu bedeuten?" feindlichen Austurm. biß der wackere Bruder Studio den Schmerz und versuchte sprach Hans Hartung zu den Kampfgenossen, die ihre Die Sache ist ernst geworden," meinte ein blutjunger, weiterzufämpfen, aber eine Ohnmacht nahm ihm das Be Büchsen mit frampfhaftem Griff umspannt hielten und mit schwarz- roth- goldenem Bande geschmückter Student, der wußtsein und er brach zusammen. Behutsam trug ihn starr in die Nacht hinausspähten. Hartung in eine Ecke und bettete ihn auf harter, falter) Sie wollen uns abstehen lassen, ehe sie uns talt

au Hartung's Seite im Anschlag lag.

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