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Abendausgabe

Nr. 12243. Jahrgang

Ausgabe B Nr. 61

10 Pfennig

Sonnabend

13. März 1926

= Vorwärts=

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Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

Noch keine Entspannung in Genf .

Eine Vollversammlung ohne Intereffe.- Weitergang der inoffiziellen Beratungen. Genf . 13. März.( Eigener Drahtbericht.) Der französische sehung der Besprechungen zwedlos gemacht habe. Ministerpräsident Briand empfing am Freitagabend Chamberlain bezeichnete das Ergebnis als eine Tragödie und nach der Ablehnung des Kompromißvorschlages durch die deutsche fügte hinzu, was die Zukunft betreffe, so liege die ganze Angelegen Delegation die französische Presse. Er erklärte, daß er für heit in den Händen des Bölkerbundes. den Augenblic feinen Ausweg mehr sehe. Was Frankreich betreffe, so sei es an der Grenze seiner onzeffionen angelangt. Jetzt sei das Wert von Cocarno, ja die unmittelbare Zukunft des Bölkerbundes bedroht. Er sei erstaunt und auf das schmerz­lichste überrascht, daß der von Bandervelde gemachte Bet mifflungsvorschlag, den er unter Verzicht auf seine ur­sprüngliche Forderung nach einem fofortigen ständigen Sitz für Polen unterstüht habe, von Deutschland abgelehnt worden sei. Auch Bander­velde äußerte sich in dem gleichen Sinne.

Der erste Haupfdelegierte Frankreichs , Genoffe Paul Bon­ cour , erklärte dem Sonderforrespondenten des Sozialistischen Preffedienst":" Ich bin der Ansicht, daß, wenn die französische Dele­gation noch weitere Konzessionen machen würde, Briand feineswegs mehr die Sicherheit hätte, die Ratifizierung des Locarno­Bertrages im Senat durchzusehen. Das ist teine Prestigefrage für uns, fondern eine Frage der politischen Bernunft. So wie die Dinge heute abend liegen, jehe ich schwarz, und wenn morgen fein Umschwung eintritt, so befürchte ich, daß schließlich nur noch eine Gesamtvertagung der ganzen außerordentlichen Seffion des Völkerbundes das Schlimmste verhüten fönnte und die Türe zu einer späteren Verständigung offen ließe."

Da die Bollversammlung des Bölkerbundes am Sonn­abendvormittag zur Diskussion allgemeiner Fragen zufammen­fritt, wird der Rat erst nachmittags wieder feine offiziöfen Beratungen aufnehmen können. Im Laufe dieser Besprechungen dürfte wahrscheinlich ein lehter Versuch gemacht werden, den Bruch zu verhindern. Briand hat inzwischen seine Abreise und die Abgabe der Regierungserklärung auf Donnerstag der kommenden Woche verschoben. In maßgebenden Kreisen betrachtet man vorläufig als den noch vorhandenen Ausweg die Annahme des vom schwe­

Von 10 bis 5 Uhr

an den bekannten Stellen aus.

liegen am Sonntag die Einzeichnungslisten für das Boltsbegehren Auf jede Stimme fommt es an. Darum darf teiner länger fäumen, sondern seinen Namen in die Listen

eintragen für das Volksbegehren!

Die Eintragungen in Berlin . Bisher faft 800000!

Das siebente Gebot.

Und der Bischof von Passau .

Bon tatholischer Seite wird uns geschrieben: Der Bischof von Passau hat es seinen Diözesanen zur Gewissenspflicht gemacht, unter allen Umständen die Ein­tragung in die Listen des Boltsbegehrens zu unterlassen. Er beruft sich dabei auf das siebente Gebot, in dem es heißt: ,, Du sollst nicht stehlen!"

Es ist nicht ohne Interesse, daß der Bischof von Passau dem bayerischen Uradel angehört; der Sigismund Felix ist Sigismund Felix Freiherr von Ow, und es scheint, als ob hier der Adlige, nicht der Seelenhirte gesprochen hätte. Einer der Om war in der Kulturkampfzeit als Zentrums­abgeordneter Präsident der Bayerischen Kammer. Der adlige Bischof geht aber bei seiner Kundgebung von einer falschen Boraussetzung aus. Diebstahl kann nur am Eigentum begangen werden; das seht voraus den rechtmäßigen Erwerb. Herr von Om hätte daher gleichzeitig untersuchen müssen, inwieweit gerade in dem Falle des Fürstenbesizes von rechtmäßigem Erwerb die Rede sein kann. Er hätte bei dieser Untersuchung unschwer feststellen können, daß so man­ches, das sich heute im Fürstenbesig befindet, ebenfalls nur gegen das fiebende Gebot in diesen Besiz gelangt ist; es ist hört, daß einmal eine warnende Stimme die Fürsten auf die also nur Besib, nicht Eigentum. Man hat nie ge­fes fiebente Gebot aufmerksam gemacht hätte. Soweit es sich also um den Besiz handelt, dessen rechtlicher Erwerbstitel nicht feststeht Die nicht feststeht Gewalt gibt feinen Rechtstitel einer Sünde gegen das fiebente Gebot teine Rede sein. Darüber dürfte fich auch der Herr Bischof von Passau im Klaren sein. Der Staat hat das Eigentumsrecht der Untertanen zu schüßen. Die Fürsten sind ohne Zweifel Untertanen im Sinne der früheren Zeit und im staats- und rechtspolitischen Sinne. Diefer Schuh fann aber ohne Zweifel nur dem wirklichen

geftrigen Freitag, wie bereits in unserer heutigen Morgenaus Die Eintragungen zum Volksbegehren waren in Berlin am gabe auf Grund von Süchproben vermerkt wurde, um einiges ge­ringer als am Donnerstag. Das Tagesergebnis ist aber mit 68 630 immer noch so stattlich, daß es sich sehen laffen tann. Die minderung gegenüber dem Donnerstag geht durch fast alle Bezirke hindurch; nur eichtenberg macht eine Ausnahme und holt Ber­fäumtes nach, indem es auch diesmal eine Mehrung gegenüber dem Borfag bringt. Die Gesamtzahl der bisherigen Ein. tragungen für Berlin stellt sich nun auf

793 826,

-

fann von

Be- Eigentume angedeihen. Was aber sagt Professor Wal­ter, dessen Autorität in fatholischen Kreisen anerkannt ist, im Staatslexikon der Goerres- Gesellschaft, 1. Band, Seite 1492:

woran der volfreiche und vorwiegend von einer linksgerichteten völkerung bewohnte Bezirk Wedding allein mit faft 100 000( genauer: 96 965) beteiligt ist.

Eingetragen wurden am Donnerstag und am Freitag( in

,, Gewiß obliegt es der Staatsgewalt, das Eigentum durch eine

dischen Außenminister gemachten Angebots, auf den Rats. Klammern die Summen aus den bisherigen neun Tagen): fefte Rechtsordnung zu sichern, alfo der fittlichen Seite des Rechts

fih zu verzichten. Diesem Ausweg stehen von gewiffen Seiten natürlich Schwierigkeiten entgegen. Das Angebot Undens gilt felbst­verständlich nur für den Fall, daß damit in der jetzigen Tagung die Ratsfrage erledigt werden tann und von anderer Seite feine weiteren Ansprüche gestellt werden.

V. Sch. Genf , 13. März.( Eigener Drahtbericht.) Ueber Nacht hat sich, wie immer nach einer starten Aufregung, die Stimmung in Genf etwas beruhigt, obwohl

bisher kein fachliches Anzeichen von Entspannung bemerkbar mird. Man hofft, daß von deutscher Seite irgendein Schritt erfolgen merde, und sei es nur, um die Verhandlungen in Fluß zu bringen. Bielleicht ergibt sich eine solche Gelegenheit bei einem Frühstüd, das Luther heute mittag zu Ehren Chamberlains veranstaltet.

der

Noch in der Nacht, gegen 21 Uhr, hatte der englische Minister­präsident die englische Presse versammelt und ihr erflärt, alles sei aus, die Berträge von Locarno seien lahmgelegt und dergleichen Redensarten mehr, die auf deutscher Seite teils als Taktik oder als Ausdruc der perjönlichen Betlommenheit Chamberlains betrachtet werden und keinen allzu großen Ein brud machten. Chamberlain erklärte bei dieser Pressekonferenz, daß er über 40 millionen Engländer gegen sich habe. Dennoch glaube er im Recht zu sein und nicht anders handeln zu können. Die für heute vormittag um 10% Uhr angefeßte Bollver sammlung verlief entsprechend ihrer Tagesordnung und der all gemeinen Stimmung interesselos. Auf Nachrufe für Léon Bourgeois und für Budgetfragen bzw. Baupläne des Völkerbundssekretariats fann man zurzeit wenig Interesse aufbringen. Die Sigung dauerte faum länger als eine Stunde. Die vielen abwesenden Delegierten haben nichts versäumt.

Ebenso blieb der Zwischenfall aus, den man befürchtet hatte: Man hatte nämlich mit der Möglichkeit gerechnet, daß irgendein Delegierter eines fleinen Staates das Wort verlangen würde, um zu fragen, was los sei. Man habe die Völkerbundsversammlung für den 8. März einberufen, um den Eintritt Deutschlands in den Bölfer. bund zu vollziehen. Und heute nach einer Woche sei davon noch immer nicht die Rede. Ein solcher Vorstoß hätte natürlich nur Del aufs Feuer gegossen und er ist wohl deshalb nich: erfolgt.

-

-

Chamberlain erklärt weitere Verhandlungen für zwecklos. London , 13. März.( WTB.) Die Lage in Genf wird von Reuter wie folgt geschildert:

1. Dr. Luther hat die Delegierten der alliierten Regierungen dahin verständigt, daß die deutsche Regierung nicht in der Lage sei, die Vorschläge anzunehmen, die der deutschen De­legation am 12. März morgens unterbreitet wurden, um die Krise wegen der Size im Bölferbundsrat zu regeln.

2. Briand teilte mit, daß die deutsche Regierung nicht in der Lage sei, die Vorschläge anzunehmen, die die äußerste Grenze der alliierten 3ugeständnisse darstellten.

3. In einem Interview mit dem Reuter- Korrespondenten sagte Sir Austen Chamberlain . Wenn er auch am Vormittag hoffnungsvoll gewesen sei, bezüglich einer befriedigenden Regelung infolge des leidenschaftlichen Appells Banderveldes, der versöhnlichen Haltung Briands und seiner eigenen Bemühungen, so habe er jetzt doch auch den Eindrud, daß die Ablehnung der legten Borschläge durch Dr. Luther alle Bemühungen zur Fort

Mitte 6625, 4533( 51 271); Tiergarten 5496, 3862( 47 259); Wedding 10 122, 7557( 96 965); Prenzlauer Berg 8441, 6290( 78 633); Friedrichshain 10 343, 7205( 88 785); Kreuzberg 10 202, 6812( 88 651): Charlottenburg 5706, 4132( 41 742); Spandau 2594, 2387( 21 460);" Wilmersdorf 2054, 1588( 15.046); Zehlendorf 306, 263( 2360); Schöneberg 3786, 2847( 31 284); Steglik 2001, 1470( 13 784): Tempelhof 1333, 1164( 11 185); Neukölln 8263. 5565( 77 233); Treptow 2695, 1932( 24 940); Köpenid 1436, 928( 14 055); Lichtenberg 4752, 6204( 42 702); Weißensee 1481, 978( 10 801); Bankow 1883, 1318( 15 237); Reinidendorf 2556, 1545( 19 433).

Groß- Berlin: 92 075, 68 630( 793 826).

*

Elfrige Werbearbeit in allen Bezirken und allen Kreisen der Bevölkerung läßt erhoffen, daß am heutigen Sonnabend und am morgigen Sonntag in Groß- Berlin die

volle Million Eintragungen erreicht wird. Ueber 60000 in Köln .

Söln, 13. März.( Eigener Drahtbericht.) Bis Freitag abend maren in Köln über 60000 Ramen für die Einzeichnungslisten zum Voltsbegehren eingetragen. Wenn der Zuftrom in dem gleichen Tempo anhält, wird in Köln die Zahl der sich Einzeichnenden bis zum 17. März auf etwa 120 000 anwachsen.

Stand des Volksbegehrens in Berlin .

1 100 000

1 050 000

1 000 000

950 000

12. März: 69 000

900 000 850 000 800 000 750 000

11. März: 92 000

700 000

650 000

10. März: 74000

600 000

550 000

9. März: 122 000

500 000

450 000

400 000

8. März: 130 000

850 000 300 000 250 000

7. März: 165 000

200 000 150 000

6. März: 56 000

100 000

5. März: 50 000

50 000

4. März: 38 000

0

auch mit der physischen Erzwingbarkeit zu Hilfe zu kommen. Aber dabei hat es keineswegs sein Bewenden. Vielmehr fällt dem Staate gerade auf dem Gebiet der Güterverteilung eine hochwichtige Auf­gabe zu. Daß das Privateigentum wirklich die seine Erifteng recht­fertigenden segensreichen Wirkungen in der Gesellschaft entfalte, dar­auf hinzuarbeiten ist der Staat an erster Stelle mit der nach innen wirkenden Kirche berufen."

Professor Walter spricht dann von den Enteignungsbe­fugnissen des Staates und fährt fort:

Weit wichtiger aber ist es, daß der Staat für eine sozial ge­funde, d. h. dem Mittelstandsideal fich annähernde Eigentumsver! teilung forge."

Nachdem Professor Walter verschiedene staatliche Ein­griffe erwähnt, schließt er:

Das sind feine unbefugten Eingriffe in die Heiligkeit des Brivateigentums; denn der Eigentümer ist ein Glied der staatlichen Gesellschaft und das Eigentum eine soziale Institution insofern, als es nicht bloß dem Wohl des einzelnen und der Familie dienen, sondern seine segensreichen Wirkungen über die Gesamtheit erstrecken foll."

Und auf Seite 1484 führt Professor Walter aus:

in den Fällen äußerster Not". Wer sich in solcher Lage befindet, Die soziale Seite am Eigentum tritt am stärksten zutage ist befugt, fich das zur Abwendung der Gefahr Nötige aus fremden Eigentum anzueignen, selbst gegen den Willen des Eigentümers. Das formelle, fremde Recht" des Besizers murde gegenüber dem höheren Recht auf das Leben materiell zum Unrecht.. Das Recht auf Existenz ist wichtiger und dringlicher als der in solchem Fall bloß äußerliche und inhaltsleere Rechtstitel des Eigentümers."

Professor Walter beruft sich dabei ausdrücklich auf den als Theologen gefeierten Jesuitenpater Cathrein.

Wohl aus dem Gefühle, daß die Theorie theologisch und juristisch unhaltbar ist, derzufolge sich der gegen ein göttliches Gebot versündige, der sich in die Listen eintragen läßt, weist der Bischof auf mögliche Konsequenzen hin. Ganz abgesehen davon, daß an solche Enteignungsmaßnahmen gegen die Kirche niemand denkt, ist es ein Unding, auf Möglichkeiten und Eventualitäten geſtüßt, eine solche Berordnung zu er­laffen, welche danach einen Uebergriff auf das staatspolitische Gebiet darstellt. Daß dieser in Bayern ungerügt bleiben wird, kann nicht wundernehmen. Die Anhänger der alten Zeit" dürfen versichert sein, daß Bismard so etwas nicht geduldet hätte. Tatsächlich schafft der Bischof von Bassau für seine Diözesanen ohne Grund und Berechtigung, nur einen schweren Gewissens= tonflitt, den er selbst zu verantworten hat. Davon fann feine Rede sein, daß der eine Sünde im firchlichen Sinne begeht, der sich in die Listen enträgt. Auch hier gilt der alte Rechtsgrundsatz der Römer: Wer sein Recht ausübt, Derlegt niemanden." Immerhin ist der Hinweis auf das fiebente Gebot insoweit dankenswert, als er geeignet ist, nicht dem Bolte, sondern den Fürften ins Gewissen zu reden, das beim Erwerb von Besiz sowohl hinsichtlich des sechsten und siebenten Gebotes immer sehr weit mar.

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Die 3entrumspartei Groß- Berlin hielt am Freitag im Gefellenhaus eine Delegiertenversammlung ab, die sich mit der Frage der Fürstenabfindung beschäftigte und in der auch