Nr. 12743. Jahrg.
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Ausgabe A nr. 64
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Mittwoch, den 17. März 1926
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Wenn nicht Brasilien in letzter Stunde nachgibt.- Aber die Locarno - Mächte halten an den Verträgen feft.
V. Sch. Genf , 16. März, 11 Uhr abends.( Eigener Drahtbericht.) Das Unglaubliche ist zum Ereignis geworden. Die Genfer Verhandlungen sind nach zehn Tagen ge scheitert, und zwar in dem Augenblick, wo eine Einigung endlich erzielt wurde: sie sind gescheitert an:- Brasilien ! Das ist das groteske Ergebnis, das jetzt vorliegt. Man faßt sich an den Kopf. Denn selbst jene, die seit Tagen auf diese Möglichkeit hingewiesen haben, vermögen dieses Resultat nicht zu erfassen und sträuben sich noch immer gegen den Gedanken, daß es endgültig sein kann.
Wohl besteht noch eine ganz schwache Möglichkeit. Wenn nämlich bis morgen vormittag vor Beginn der Bollversammlung eine Antwort von dem brasilianischen Präsidenten Bernardes eintrifft, die Mello Franco ermächtigt, auf sein angedrohtes Beto gegen Deutschlands permanenten Ratssitz zu verzichten, dann ist wieder alles in Ordnung... Aber diese Möglichkeit wird von feiner Seite mehr ernstlich ins Auge gefaßt. Das amtliche Kommuniqué, das die Rheinpattmächte verfaßt und herausgegeben haben, läßt zwar eine theoretische Möglichkeit offen, aber praktisch gilt sie als nicht vorhanden.
Die Mächte haben an Mello Franco die Aufforderung gerichtet, ihnen bis Dienstag abend Bescheid zu geben. Es war in der Tat ein unmöglicher und unhaltbarer Bustand, daß die ganze Welt ohne jeden Termin darauf wartete, daß Brasilien sich geneigt zeigt, seine Entscheidung mitzuteilen. Es wurde vielmehr bekannt, daß der Präsident der brasilianischen Republik, Bernardes, gerade jezt aus Rio de Ja neiro in die entlegenen Berge Brasiliens abgereist sei, angeblich zur Erholung, in Wirklichkeit aber offenbar, um sich von den Telegrammen aus Genf nicht erreichen zu lassen. Er wird als ein höchst eigensinniger Herr mit diktatorischen Manieren geschildert, der sich in den Kopf gefekt hat, sein Land durch Gewährung eines permanenten Ratssizes als Großmacht anerkennen zu lassen. Eine leise Hoffnung wird noch auf die Wirkung des Telegramms gesetzt, das die Vertreter der übrigen südamerikanischen Staaten nach ihrer heutigen Besprechung an die brasilianische Regierung gesandt haben. Mello Franco foll noch nachmittags geäußert haben, daß die Pression der europäischen Mächte faum Einfluß in Rio de Janeiro ausüben könnte, dagegen wohl die der süd= amerikanischen. Jedenfalls ist aber am heutigen Abend die Antwort nicht eingetroffen. Infolgedessen ist das obenerwähnte Kommuniqué ausgegeben worden und alles in allem find die weiteren Aussichten fast auf den Nullpunkt gesunken.
Ist die brasilianische Haltung wirklich der einzige Grund der Vertagung des Eintritts Deutschlands in den Völkerbund? Man munkelt besonders in den Kreisen der anderen Delegationen, daß noch allerhand and'e're Gründe im Hintergrund stehen könnten. Das amtliche Kommuniqué der Rheinpaktmächte spricht zwar nicht ausbrücklich von Brasilien . In der offiziellen Erklärung, die diesem Rommuniqué gegeben wurde, beschränkte man sich darauf, auf den brasilianischen Standpunkt hinzuweisen und lehnte entfchieden jede weitere. Anspielung ab. Dennoch hat man das Gefühl, daß hier etwas nicht stimmt und absichtlich etwas im Dunklen gelassen wird. In Frage kommen dabei 3. B. die Schwierigkeiten in der kleinen Entente. Als Hindernis waren sie eigentlich schon beseitigt und doch bestand nach wie vor besonders bei Rumänien lebhafte Unzufriedenheit über die vorläufige Auslaffung dieser Mächtegruppe aus dem Bölkerbundsrat. Der rumänische Bertreter Titulescu hat aus feiner Entrüstung fein Hehl gemacht, daß Benesch zwar feinen Verzicht ausdrücklich mit Bandervelde und Nintschisch besprochen hat, ihn aber vor vollendete Tatsachen gestellt habe. Schon spricht man vom Ende der Kleinen Entente und der gleichen mehr. Die Rumänen werden sich wohl mit der Zeit beruhigen, aber gerade deshalb ist es den Vertretern der Kleinen Entente nicht unangenehm, daß sie durch die Vertagung bis zum September Zeit gewinnen, um sich untereinander zu verständigen.
Dann ist auch die große Sorge vorhanden, die der Beschluß Spaniens in englischen und französischen Kreisen hervorgerufen hat. Quinones de Leon erklärte zwar, Spanien werde sein Wort halten und troh der Nichtgewährung eines eigenen permanenten Ratssitzes fein Beto gegen Deutsch lands permanenten Ratsfig einlegen, aber es würde bis auf weiteres im Bölferbund nicht mehr mitarbeiten. Diese Er tlärung hat natürlich stark verstimmt, meil man daraus sehr
nachteilige Wirkungen für den Bölferbund überhaupt bestimmung zur offiziellen Kundgebung der Rheinpaktmächte fürchtet. Die Vertagung wird in diesem Punkt auch als eine Möglichkeit betrachtet, die entstandenen Schwierigkeiten in der Zwischenzeit zu überwinden.
Es gibt noch einen weiteren Grund, vielleicht der mich tigste von allen, nämlich die überaus zweideutige Haltung Italiens oder wenigstens des faschistischen Teiles der italienischen Delegation. Die Leser des Vorwärts" werden sich dessen entsinnen, daß gleich nach dem ersten Auftauchen des brasilianischen Hindernisses hier auf das Doppelspiel des Unterstaatssekretärs Grandi, der rechten Hand Mussolinis, hingewiesen wurde. Dann hörte man nichts mehr davon, zumal die brasilianische Angelegenheit wieder in den Hintergrund getreten war. Jetzt stellt sich aber immer flarer heraus, daß Brasilien , wenn nicht von Anfang an, so doch im letzten Stadium von Italien in seiner Sabotagetaftit scharfgemacht wurde.
Grandi, diese widerwärtigste Erscheinung der ganzen Bölkerbundsgesellschaft, hat am Montag abend der italienischen Breffe eine scharfe Anweisung erteilt, Brafilien auf keinen Fall anzugreifen. Er hat ferner, so wird weiter in italienischen reifen erzählt, an die Präfetten in Italien den Befehl ergehen laffen, alle Blätter, die Brasiliens Haltung dennoch zu kriti fieren wagen, sofort rücksichtslos vor Berlassen der Druckerei zu beschlagnahmen. Unter diesen Umständen ist es flarer Denn je, daß Mussolini , obwohl er auf der einen Seite den Locarnomann markiert und durch Scialoja seine 3u
geben läßt, auf der anderen Seite den Völkerbund zu zerstören bestrebt ist und durch Herrn Grandi die brasilianische Sabotage fördert. Mit dieser faschistischen Po litit mit doppeltem Boden wird sich die europäische öffentliche Meinung in nächster Zeit eingehend beschäftigen müssen.
Welche auch die verschiedenen versteckten Gründe sein mögen, die zur Vertagung geführt haben, die offizielle Bersion lautet einstweilen nur: Brasilien ! Und mit Brafilien, das gegenüber seiner Zusage aus dem Herbst 1924 einen eflanten Wortbruch an Deutschland begangen hat, wird sich die deutsche Deffentlichkeit und mit ihr die Deffentlichkeit ganz Europas zu befaffen haben.
Einstweilen steht man vor einem diplomatischen Trümmerhaufen. Ueber den Schuldanteil der einen und der anderen an diesem jämmerlichen Resultat wird man noch sprechen müssen. Ganz schuldlos ist man auf teiner Seite. Was die Haltung der deutschen Delegation betrifft, so kann jedoch schon jetzt gesagt werden, daß die Angriffe, die in der deutschen Rechtspreffe gegen fie gerichtet werden, durchaus ungerechtfertigt sind. Es war gewiß ein diplomatischer Erfolg, den sie erzielte, daß die schwedische Lösung" auf Grund ihres Einspruchs nachträglich einen viel an: bareren Charakter erhielt. Aber diesen Erfolg verdanken sie nicht zuletzt dem Entgegenkommen und dem Verständnis, das auf der anderen Seite von Briand , Vandervelde und Benesch gezeigt wurde. ( Weitere Nachrichten 3. Seite.)
Letzter Tag!
Hente acht Uhr abends Schluß der Listen!
Die Eintragungen am Dienstag haben nach den bisherigen Beobachtungen fast denselben Umfang gezeigt wie am Montag. Bis jcht liegen folgende Meldungen vor:
Sonnabend 9434
Sonnabend 9391
Sonnabend 8817
Montag 17 818
Dienstag 15 839
Bisher eingezeichnet 165 536
Bisher eingezeichnet 153 201
16 685
Sonnabend 1818
Sonnabend 1355
Bisher eingezeichnet 139 069
Bisher eingezeichnet
31 740
Bisher eingezeichnet 22 137
Heute um 8 Uhr abends werden die Listen für das Boltsbegehen geschlossen. Um den Erfolg weiter auszubauen, bleiben also nur noch ein paar fostbare Stunden. Sie dürfen nicht ungenügt bleiben!
Am 25. März wird das vorläufige, am 5. April das endgültige Ergebnis verkündet werden. Dann hat der Reichstag das Wort. Entweder er nimmt den Antrag des Boltes unverändert an das wird er nicht tun, dann tommt es zu feinem Bolfsentscheid. Oder er lehnt ihn einfach ab, dann wird der Antrag für sich allein dem Boltsentscheid unterbreitet. Oder aber er nimmt ihn mit Veränderungen an, dann hat das Bolt sowohl über den Antrag felbft als auch über den abändernden Beschluß des Reichstags abzustimmen.
Auf alle Fälle also: der Boltsentscheid tommt! Morgen, am 18. März, jährt sich zum achtundsieben zigftenmal der Tag, an dem auf den Barrikaden Berlins Arbeiter und Bürger für die Freiheit fielen. Was war's, wofür sie tämpften? Auf ihnen lastete der Drud der
absoluten Monarchie, der König von Gottes Gnaden" herrschte unumschränkt, es gab keine Pressefreiheit, feine Vereins- und Versammlungsfreiheit, fein Wahl- und Stimmrecht. Der ,, Untertan" war vollkommen rechtlos. So gab es keinen Weg zur Freiheit als den der Gewalt.
Jahrzehntelang schien es, als ob die Toten des März umsonst gestorben wären. Aber ihr Andenken lebte in den Arbeitermassen fort, und die Saat, die sie ausgestreut hatten, ging schließlich auf. Wir haben in den Tagen vom 4. März bis heute die würdigste Märzfeier gefeiert, die je auf deutschem Boden gefeiert worden ist, und die Millionen, die durch ihren Namenszug der Republik Treue gelobten und der fürstlichen Habgier Fehde anfagten, ehrten das Andenken der Märzgefallenen nicht nur durch das Wort, sondern, was mehr gilt, durch die Tat.
Durch diese Tat sind sie aber auch Zeugen dafür geworden, daß der Kampf um die staatsbürgerliche Freiheit nicht vergebens geführt worden ist. Das Volk hat die staatsbürgerliche Freiheit gewonnen, und es hat sich für sie reif gezeigt. Im alten Deutschland der Untertanengesinnung und des Druckes von oben war die öffentliche Abstimmung, wie fie bei den Dreiklassenwahlen geübt wurde, das sicherste Mittel, jebe Opposition zu unterdrücken. Nur eine kleine, ohnmächtige Minderheit konnte es wagen, mit ihrer Meinung öffentlich hervorzutreten, die Mehrheit unterlag dem schranfenlosen Terror der herrschenden Klassen und Schichten.
Bersuche, diesen Terror auch heute noch auszuüben, mögen da und dort dem Ergebnis des Volksbegehrens abträglich gewesen sein. Aber den Aufmarsch der Millionen haben sie nicht verhindern können. Wir sind in ftaatsbürgerlicher Hinsicht freier geworden, als es unsere Bäter por 78 Jahren waren und als wir selber noch vor acht Jahren gewesen sind.
Diese neuerrungene staatsbürgerliche Freiheit, die Verfassung der demokratischen Republik, als eine Waffe auch für ihren sozialen Befreiungskampf führen zu lernen, das ist die große Aufgabe, vor die sich die Arbeiterflaffe heute gestellt sieht.
So war der glänzende Berlauf des Volksbegehrens auch ein Stück Erziehung zur Demokratie. Der theore