Nr. 127 ♦ 4?. Jahrgang
1. Seilage öes Vorwärts
MlÄwoch, 17.ZZlSeA 1H2S
Noch kst es Zelt! Die lehke Stunde kam heran. Der Zeiger rückt, bald ist es aus! Du Zlrbeilsfrau, du Arbeitsmann,' Bliebt ihr vielleicht bis jeht zu Haus? Schwelgt stillt Die Worte ziehen nicht: „wir hatten wlrNich keine Zeit!" Ihr habt versäumt die ernste Pflicht Aus frevelnder Bequemlichkeit! Denn jede Stimme wird gezählt. Und einzig ihr wollt säumig sein? Schämt euch, wenn eure Stimme fehlt! ZtochistesZeil! Drum tragt euchelu!
Bilder vom vorlehteu Einzeichnungstag. Diesen Leuten, die da im Augenblick dem beobachtenden Blick Revue passieren, gemütlichen oder eilenden Schrittes über da« bolprige, düstere Pflaster des Schulhofes dem Eintragungslokal zu. streben, ist in der Wiege bestimmt nicht Haß gegen die Fürsten eingeimpft worden. Es sind nicht nur Proletarier, die niemals etwas besessen haben, und denen man vielleicht irgendwelche Rachegedanten unterschieben könnte. Ich sehe nicht nur Arbeitslose, die«oentuell vom riesigen Vermögen etwas, wenn auch nur einen unansehnlich . winzigen Brocken erhalten würden. Wohl höre ich auch zuweilen das Schimpfen und Lastern durch Krieg und Inflation verarmter, ruinierter Rentner. Aber es sind auch Menschen aus den so- genannten„besseren� Schichten, denen ich da im Moment in die �Avaen schaue, wohlhabend oder zumindest in gesicherter Position, die ° noch in letzter Stunde, von den vielen Millionen Ein- getragener mitgerisien, ihren Namen zum Gelingen des Volks- l eashecns beisteuern. Da gleitet eine Dame über den Hof. Geräuschlos, unsicher, rasch, hastig. Aengstliche Blicke huschen »räch allen Seiten, wie, um sich zu vergewissern, ob nicht irgendwo feindliche, gehässige, verleumderische Äugen lauern. Der weiche P-lüschmantel, der sich um ihre Schultern schmiegt, scheint ihr Im Augenblick recht unbequem zu sein. Nervös zerren die Finger an den Knöpfen herum. Warum blicken einen die Beamten nur so fragend an? Weil man so schön sst? Oder vielleicht weil man zu schön ist, um sich hier blicken zu lassen? Kaum fünf Minuten später setzt eine andere Dame ihren seidenbestrumpften Fuß auf das schmutzige, holprige Hofpslaster. Nicht heimlich, verstohlen wie ihre ängstliche Kollegin. Demonstrativ offen, fast herausfordernd
schlägt sie den Fürsten ein Schnippchen. Langsamen Schritte» spaziert sie auf die Turnhalle zu, uin ihren Namen in die Listen der Empörten einzutragen. Wohlgefällig ruhen ihre Augen aus die umstehenden Nachbarn und Nachbarinnen. Ein Schmunzeln, das besagen soll:.Ah, ah, seht einmal Herl Ich scheine mich gar nicht in so schlechter Gesellschaft zu befinden, wie es mir so manche Zeitung einreden will!".. Und vor dem Portal des Schulhofes hält mck einem lärmenden Ruck, die zahlreichen Eintragungswilligen wie einen Heuschreckenschwarm aufscheuchend, ein A u t o. Ein bleitcr, behäbiger Herr, mit der Phisiognomie eines Geschäfts- mannes, schließt sich seinen etwas erstaunten Genossen an.... Turnhalle Joachimsthaler Straße. Die Leute stehen Schlange, über den Schulhof und beinahe bis auf die Straße hin» aus, wie zu Wilhelms.friedlichen" und Ludendorfss kriegerischen Zeiten vor den Lebensmittelgeschäften..Dieses den Fürsten ", ist der Text eines großen Plakats, das auf der Straße Werbearbeit leistet, und an dessen Rand Eisengroschcn und Inflationsmillionen, deren Menge von Tag zu Tag noch größer wird, hängen. Zu dieser.Ab- findung" trägt jeder gern bei. Ueberhuupt wird viel Sinn für Humor offenbart. So würdevoll sich die juirgen Reichsbanner- kameraden, die sich zu einem karikaturistischen Propagandazug zu- sammenlaten, vorkoinmen in ihrer Rolle als Kriegeroereinler mit hohem Zylinder auf dem Kopf und einem famosen blaubrilligen Lindström-Ludendorff an der Spitze, so sehr freute sich auch das Publikum über diese Demonstration und das mitgeführte Plakat: .Wir geben alles den Fürsten ". So mag denn die Kühnheit der Fürftenansprllche im Lichte der Karikatur noch so manchen bisher abseits Stehenden zur Einzeichnung zum Volksbegehren veranlaßt haben. Besonders deutlich wird das in der Turnhalle der Cäcilienschule am Nikolsburger Platz, wo der feudalen Lage der Schule entsprechend, viele Leute zu Fuß und per Auto zur Ein- Zeichnung erscheinen,.denen man det jar nich ansieht", wie der wackere Schilderträger am Eingang vorm Schulhaus erklärt. In der Turnhalle U h l a n d st r a ß« 92 ist das Publikum wieder ganz pioletarisch, sieht so müde schon aus, wie das graue brüchige Häuser- werk, das in dieser Gegend wohnt. Hat man am Nikolsburger Platz sich vor allem schon aus demokratischer Gesinnung und beleidigtem Rechtsempfinden heraus vielfach zur Einzeichnung eingefunden, so spürt man hier in der ilhlandstraße deutlich, daß es schön die nackte wirtschaftliche Not ist, die die Leute zur republikanischen Pflichter- süllung antreibt. Dle sich nicht cinzelchnm können. In den Wahlämtern des Bezirks hat In den letzten Tagen ein Ansturm von Tausenden eingesetzt, die sich Wahlscheine be- sorgen wollen. Die überaus komplizierte Bestimmung des Ein»
schreibeverfahren», daß Leute, die bei der letzten Stadtverordneten- wähl nicht in Berlin wählten, sich Wahlscheine besorgen müssen, hat eine Unsumme kaum notwendiger Mühe für sehr viele zur Folge gehabt. Auf einem Wahlamt des Westens traf der Schreiber dieses am Dienstag eine Frau, die vor einiger Zeit aus Ostpreußen zugezogen ist. Sie war mit ihren beiden kleinen Kindern er- schienen, um noch in letzter Stunde die nötigen Einzeichnungsforma- litäten zu erledigen. Man zuckte bedauernd die Achseln. Mit dem Bedauern war es allerdings nicht so schlimm..Sie müssen sich einen Schein aus Ostpreußen besorgen lassen!".Bon heute auf morgen?" sa�t die Frau.„Ich lag krank zu Bett, sonst hätte ich das alles schon viel früher erledigt." Noch ein Achselzucken.„Bitte der Nächste," sagt der Beamte. Der nächste ist ein S ch u p o w a ch t- meister, der vor sechs Wochen aus Westpreußen nach Berlin oer- setzt wurde. Auch Ihm wird eine negative Antwort zuteil..Sie müssen sich mit ihrer Hestnat in Verbindung setzen."„Jetzt noch? Ja, warum erschweren Sie denn das alles so unnötig. Ich bin doch in Berlin gemeldet." Draußen sogt mir der republikanisch« Schupo- Wachtmeister mit einiger Erleichterung:.Gestern bin ich aus dem Lazarett gekommen. Ich war krank. Läßt sich das denn gar nicht anders machen?" Vielleicht ließe es sich. Aber die Be- amten der Wählämter handeln schließlich nur nach ihren Instrut- tionen. Und die sind leider so. Dorfidyll bei Verlin. Ein Bauerndorf in der letzten Dorortsverkehr»« s p h ä r e— also nicht ganz unberührt von dem Verkehr mit der rote» Stadtbevölkerung. Vor allem aber fehlt die Gutsherrschaft, die ja das größte Interesse daran hat, die Dorfinsassen auf gläubige Welt- anschauung nationalreaktionärer Richtung zu kontrollieren. I m ganzen ISO Männlein und Weiblein, die wohlberech- tigt sind und im allgemeinen auch den Begriff der Wahlpflicht in sich aufgenommen haben. Nur zuletzt hatte wohl dieser oder jener sich gesagt,„ach, auf deine Stimme wird es nicht ankommen" und er war zu Hause geblieben. Diesmal hat aber der Funke des Volks- begehrens gezündet. Zwar konnte keine Versammlung stattfinden, aber die kleine Zahl entschlossener Republikaner sorgte für m ü n d? liche Ausklärung. Kriegsbeschädigte und Siedler sind da im Dorf heimisch geworden— ihre Ersparnisse sind zu Wasser geworden, und man kann leicht verstehen, daß in ihrem Herzen keine Freude ist bei dem Gedanken an die Ansprüche der Fürsten.„Mögen sie doch auch arbeiten, wie wir alle"— so hört man fast jeden sagen, den man ins Gespräch zieht. Auch die Scheu, daß man diesmal öffentlich seine Meinung zum Ausdruck bringen muß, hat sich ange- sichts des lawinenbaften Anschwellens der Bewegung verflüchtigt. Die, die in den ersten Tagen sich nicht recht herantrauten, haben es In- ■— i— i ii ii i
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Irgend etwas In seinem Herzen zweifelte an seiner Kraft. Und seine böse Lust brannte darauf, dieses Etwas in seinem Herzen zu überzeugen, daß er seinen Vorsatz ausführen werde. Onkel Moses murmelte vor sich: „Ob sie will oder nicht, sie muß Kinder haben." Jemand trat an seinen Schreibtisch. Der Onkel hob die Dra''en und sah Maschas Vater, Aaron, bleich und erschrocken vor sich sieben: er spähte nach allen Seiten, ob kein Lauscher in der Nähe wäre. „Onkel, es war ein Mißverständnis. Das Mädel hat dann die ganze Nacht geweint. Sie weiß nicht, was eigcnt- lich über sie gekommen ist." Der Onkel wußte, daß Aaron log, daß er all das nur deshalb sagte, weil er um sein Brot Angst hatte. Das war ihm jetzt angenehm zu hören. Er steckte den Kopf in den Brief, ließ Aaron reden und tat, als hörte er nichts. „In ein paar Tagen wird sie wieder nüchtern fein; dann soll der Onkel kommen. Alles wird wieder gut fein." „Ruhe, darüber ist nicht mehr zu sprechen. Habe keine Angst. Ich werde dich nicht vor die Türe setzen, wenigstens vorläufig nicht, solange du keine andere Beschäftigung hast. Aber du begreisst ja, dich und deine Leute aushalten wie bis- her— davon kann keine Rede sein. Mascha bedeutet für mich jetzt gar nichts, sie sagt selbst, daß sie mich nickt liebt. Ich habe gar nichts gegen sie, ich wünsche ihr das Allerbeste. und wenn du einmal die M'tgist für sie brauchst, sclbstverständ- lick, wie jeder von meinen Landsleutcn... Aber du begreifft, daß es besondere Begünstigungen nicht mehr geben kann. Wenn du bei mir bleiben willst, so mußt du wieder in die Werkstatt: wenn nicht, so werde ich dir gute Empfehlungen geben" .Onkel, was spricht der Onkel da? Es ist doch gar nichts geschehen. Das Mädel wird doch blamiert— was spricht der Onkel da?" Dem Onkel tat es wohl. Er legte den Brief weg und bsickte Aaron an. „Sam!" Sam lief herbei. .Wie hat er doch zu Haus« geheißen?" d«r Onkel deutete auf Aaron. Sam traute seinen Ohren nicht-, zögernd antwortete«: .Ich glaube... Gorgel." „Gorgel ist gut," der Onkel erhob sich und verließ den Laden, ohne Aaron eines Blickes zu würdigem
.Sam, die Bestellung für Baltimore muß bis zum Ersten geliefert werden, verstanden?" .Yes, Onkel." Der Onkel trat auf die Straße. Er wußte nicht, was er anfangen sollte. Die böse Lust brannte noch in ihm. und um sie zu kühlen, ging er zu der Frau vom Restaurant, was er nicht mehr getan hatte, seit er mit ihrem Manne übereinge» kommen war. Er nahm sie in ein separates Zimmer, setzte sich nahe zu ihr, und beide aßen gebratene Enten und tranken Likör dazu. Der Mann, welcher jetzt des Onkels Häuser- administrator war, mußte die Leckerbissen auftragen und beide bed'enen, und Onkel Moses ließ sich von ihm die Schuhe aus- zieljen. Er betrank sich— was selten vorkam— und blieb die ganze Nacht bei der Frau... 13. Mascha kommtzum Onkel. .Was soll nun werden, Rosa, was?" Aaron Melnik weinte. In seinem Heim herrschte tiefe Verstimmung. Seit ein paar Tagen waren die Zimmer nicht ausgeräumt. Man aß und schlief nicht. Die jüngeren Kinder kamen vom Lande zurück. Cilli, welche als Kind, als Aaron noch in der Hopkins- ftreet wohnte, so gern Kino gespielt hatte, war jetzt ein er- wachsenes Mädchen und besuchte das Lyzeum-, sie hatte schon selbst den Ehrgeiz. Braut zu werden, und wehklagte und weinte deshalb am stärksten, daß die Schwester sie unglücklich mache. Die anderen Kinder, welche nun im Wohlstande aufgewachsen waren und nur noch wie im Traume sich der Armut in der Hopkinsstreet erinnerten, fühlten das Unglück mehr als sie es verstanden. Sie weinten nicht, doch sie gingen kindisch be- kümmert und ernst umher; ihr kindlicher Kummer machte mehr Eindruck auf Mascha als des Vaters Tränen. Die kleine Lea, Maschas jüngstes Schwesterchen, das von Kindheit auf ge- wöhnt war. die„American Lady" zu spielen, und unaufhör- lich das Englisch im Hause korrigierte, blickte mit ihren Kinder- äugen Mascha an. Mascha war Leas Ideal, und sie fand keine Worte. Sie fühlle, wenn Mascha so handelte, so mußte es so sein. Der Vater ging hilflos und schwach wie seine Kinder mit verbundenem Kopf in der Wohnung umher und rang unauf- hörlich die Hände: .Was soll nun werden, was?" Den Juden schreckte die Armut, welche ihm bevorstand. In seinem Leben besaß er gar nichts, weder Glauben an sich selbst noch Energie, nur die Gunst des Onkels, welche er mit dem Glück feiner Tochter erkauft hatte— und diese Gunst stand in Gefahr: gefährdet war sein Erwerb, sein Leben, sein
tägliches Brot, seine Wohnung. Er sah sich wieder in den Abgrund versinken, aus dem er sich erhoben hatte. Er verlor das Gewicht, um welches er in der Zeit, da es ihm gut ging, zugenommen hatte, und sah wieder aus, wie zur Zeit, da er in der Werkstätte beim Onkel arbeitete. Nur Maschas Mutter, Rosa, ergab sich nicht. Erst lachte sie über den ganzen Vorfall— das Mädel hat sich etwas in den Kopf gesetzt, wenn sie es überschlafen chat, wird sie wieder nüchtern wsrdenl Doch als sie sah, daß das Mädel es über- schlafen hatte und doch nicht nüchtern wurde, da erklärte sie Mascha, daß sie kein Recht mehr habe, zurückzutreten. „Jetzt trittst du zurück? Zu spät, liebe Tochter! Vier Jahre lang hast du ihn bei der Nase herumgeführt. Er hat sein Leben deinetwegen geopfert: er hätte das schönste und beste Mädchen heiraten können, nicht eine Schnorrerin, wie du, der er ein Kleid zum Anziehen hat kaufen müssen! Jetzt willst du zurücktreten? Jetzt, wo er so viel Geld in dich hinein- gesteckt und so lange auf dich gewartet hat, jetzt willst du nicht? Zu spät, liebe Tochter, zu spät. Du hättest zurücktreten müssen, wie er den ersten Dollar für dich ausgegeben hat, wie du noch klein warst, ehe er noch deinem Vater einen ordentlichen Ver- dienst gegeben hat. damals in der Hopkinsstreet. In der Hopkinsstreet hättest du nein sagen dürfen, jetzt nicht." „Ach, Rosa, es ist ja ohnedies zu spät. Der Onkel will nichts mehr hören und von nichts mehr wissen," warf Aaron ein. Mascha sah ein, daß die Mutter recht hatte, doch sie fühlte nicht schuldig. Alles war ohne ihr Wissen so gekommen. ls sie ein Kind war, hatte sie nicht gewußt, was es bedeute, zu heiraten. Erst jetzt hatte sie es empfunden. Und am meisten hatte sie erschreckt, daß sie immer, immer mit dem Onkel würde zusammen fein müssen, immer mit ihm gehen, immer bei ihm sein. Sie haßte den Onkel nicht, im Gegenteil, sie hatte ihn recht gern, und sie war ihm sehr dankbar, doch es war ihr langweilig mit dem Onkel. Und sie hatte Furcht vor der Langeweile. .Was bin ich denn schuld, Mutter? Ich bin nicht schuld!" „Wer ist also schuld? Ich? Für mich hat er Geld aus- gegeben? Mich hat er ins Lyzeum geschickt? Mir hat er Musiklehrer gehalten? Dir hat er sein Leben geopfert. Er hätte eine Lady bekommen können, eine kirst class American Lady. Wen er nur wollte, hätte er kriegen können. Aber er hat nicht geheiratet, sondern auf dich gewartet— wie stellst du dir das vor, erst hast du ihm den Kopf verdreht, und jetzt willst du nicht? Mit wem treibst du dein Spiel? Glaubst du, er sei deinesgleichen? Weißt du, wer der Onkel ist? Weißt du das?" kFortsetzung folgt.),