Nr. 129< 4Z. Jahrgang
1. Seilage öes vorwärts
Vonnerstag, 18. März 1928
Das Brandenburger Tor wurde von Langhans erbaut, und zwar unter der Regierung Friedrich Wilhelms II. , des.Viel- geliebten*. Eigentlich ist dieser Name nicht ganz richtig, es müßte wohl besser des„Vielgeliebthabenden* heißen. Denn der„Dicke Wilhelm*, wie ihn die Berliner auch nannten, hatte in dieser Branche einen ziemlichen Umsatz. Bekannt und berüchtigt ist Wilhelmine Enke , der Trompetertochter, die spätere Gräsin Lichtenau. Aller Zorn der offiziellen Geschichtsschreiber wurde über Wilhelmine aus- gegossen. Neben ihr stand dje unglückliche Julie von Voß , die von der eigenen Familie dem Könige verkuppelt wurde. Sie sollte den König aus den Banden der vulgären Wilhelmine befreien! und als Julie noch jung an der Schwindsucht starb, führten dieselben Adels- kreise dem Vielgeliebten die schöne Gräfin Dönhoff zu. Sie bekam zur Ausstattung gleich 200 000 Taler. sie sorgte für Ihre liebe Ver- wandtschaft--- und in allen Staatsangelegenheiten mußte erst ihr Rat eingeholt werden. Aber die Gräfin Julie v. Voß und die Gräfin Dönhoff waren ja beileibe keine gewöhnlichen Mätressen! Sie waren dem Könige— zu Lebzeiten seiner rechtmäßigen Ge- mahlin—„zur linken Hand* angetraut, hotten den„Segen der Kirche*. Denn sie waren Aristokratinnen, und die Ente war eine Trompetentochter: das ist natürlich ganz was anderes. Darum gab das hohe Konsistorium seinen Segen. Der„Vielgeliebte" zog 1734 als„ruhmgetrönter Sieger* nach dem Feldzuge, den die deutschen Fürsten gegen die französische Revolution führten, als erster in das Brandenburger Tor ein. Zugunsten der französtschen Emigranten, deren sich die Nation wie eines Ungeziefers entledigt hatte, hatte er in dem erfolglosen Feldzug Tausende deutscher .Landeskinder* hingeopfert. Dafür begrüßte ihn auch bei seiner Heimkehr die zu diesem Zweck gedichtete Hymne:„Heil dir im Siegerkranz ...*. Der zweite Einzug, den das Brandenburger Tor sah, war der Einzug der Sieger aus den Befreiungskriegen. Sie waren nicht gezwungen, wie die armen gepreßten Rekruten des„Vielgeliebten*. ste waren auf den„Ruf ihres Königs* freiwillig zu den Waffen geeilt. Sie glaubten, für die Rechte des Volkes zu kämpfen. Der König hatte es ja schriftlich gegeben in Wien . Das war ein Königs- wort, auf das das Volk baute, bis ihnen 1848, nach 38 Jahren schlimmster Reaktion, doch der Geduldsfaden riß!— Andere Steine werden uns erzählen, wie das Volk die Erfüllung dieses Ver- sprechens:„Es soll eine Repräsentation des Volkes begründet werden* erzwingen muhte. ») Siehe auch Nr. 125 des„Vorwärts* vom IS. März.
Aber es kam ein Tag— ein Tag, an dem das Volk zum ersten Male zeigte, daß es mundig war, daß es genug hatte von der Hohenzollernherrlichkeit. Das war der 18. März 1848. Wie das immer geht; das Versprechen Friedrich Wilhelms III. war ein paplernes versprechen geblieben. Das Volk hatte 1813 bis 1815 die verfahrene Karre des preußischen Gottesgnadentums In höchster patriotischer Begeisterung aus dem Dreck gezogen. Es war dafür durch 33 Jahre der Reaktion belohnt worden. Aber das Berliner Bürgertum trug noch immer die Kette, die Friedrich Elsenzahn dem Berliner Bären umgelegt hatte, unsichtbar um den Nacken. Es wagte höchstens, gehorsamst zu petitionieren. Es muhte ein neuer Kämpfer auftreten, um von Friedrich Wilhelm IV. die Erfüllung des alten Versprechens zu erzwingen. Das kaum entstandene In- dustrieproletariat war es, das auf den Berliner Barrikaden den vor 33 Jahren ausgestellten Wechsel präsentierte. Berliner Barrl- k a d e n! Wer kennt heute noch ihre Stelle? Wer denkt heute nach daran, wenn er durch die Breite Straße geht, daß an
ihrem unteren Ende, an der Gertraudteystraße, eine der größten Barrikaden Berlins stand? Wer waren ihre Verteidiger? Proletarier, Maschinenbauer von den Borsigschen und Egellschen Fabriten vor dem Oranienburger Tor. Die Barrikade wurde zwei- mal vergeblich gestürmt. Erst der dritte Sturm, der nach einer Vor- bereitung von 27 Artillcrieschüssen unternommen wurde, gelang. Noch steht das Haus mit dem Durchgang zur Nlühlendammlchleufe, das damals den Flügel der Barrikade bildete. Hier fiel Hermann von Holtzendorf, der eine der beiden Studenten, die unter den Opfern des 18. März find. Er siel nicht im Kampfe, er hatte sich gar nicht daran beteiligt. Als die Soldaten die Privatwohnung seines Onkels im Köllnischcn Rathause stürniten, wurde der durchaus königstreue junge Mann verhaftet und nachher zur„Vereinfachung des Transportes" nach berühmten Mustern von den begleitenden Soldaten erschossen.— Die Liste der Opfer beweist deutlich, wie recht der zeitgenössische Schriftsteller Aug. Braß mit seiner Behauptung hatte:„Das Bürgertum hätte wohl gern die Früchte einer Revo-
lution gehabt, aber dje Revolution selbit wollte es nicht." Auch davon reden die Steine— die Steine auf dem Friedhos der März- gesallenen. von 184 Gefallenen gehären nur 6 den sogenannten gebildeten Ständen an, und von diesem halben Dutzend wurde winde- stens noch einer„aus Mißverständnis* erschlagen. Von den anderen sind einige wenige Meister, meist Angehörige der Schützengilde, die am Eingänge der Neuen Königstraße eine famos orgonisterto Barrl- kade verteidigte. Ihre beiden kleinen Böller aus dem Schützenhav« sprachen ein vernehmliches Wort mit. In Ermangelung von anderer Munition hatte man sie zwar mit— Murmeln geladen. Aber doch toten sie, so gut es ging, ihre Pflicht. Die Barrikade beherrschte de« Aleranderplotz bis zu der vom Militär eroberten„Mehlsockbarrlkade". die in der Gegend der heutigen Stadtbahnübersührung am Abschluß der Kolonaden der„Königsbrücke" lag. Auf allen anderen Barrl- koden Berlins aber kämpfte das Proletariat, an der Oberwall- und Zagerstrahe, bei der Eroberung des Zeughauses der Garde. Lnndwehr (Lindenstr. 4, neben dem„Vorwärts") und auf den vielen kleinereu Barrikaden im Zuge der Friedrich-, König- und Frankfurter Straße. Und es siegte. Die Früchte der Revolution aber kamen nicht ihm, sondern, freilich auch nur in bescheidenem Maße, der Bourgeoisie Zpgute. Kaum hatte der König — wieder einmal— an„Seine lieben Berliner " eine mit schönen Morien gespickte Proklamation los- gelassen, so fanden sich die„Gutgesinnten" wieder zusammen. Die neuen Kampfgenossen schienen dem Bürgertum doch nicht recht bündnisfähig. Um Gottes willen! Nur Ruhe jetzt. Versöhnung und Frieden mit dem erhabenen Herrscher! Die revolutionär« Geste der„Leichonparade" aus dem Schloßplatz hatte das Bürgertum tief erschreckt. Der König war gezwungen worden, entbläßten Hauptes dem vorbelzuge der Leichen des IS. März beizuwohnen! Laut hatte
S7f
a verstand nicht, was die Mutter meinte. Sie ver- tand nicht, wieso sie dem Onkel den Kopf verdreht hatte, ver- 'tand nicht, was sie dem Onkel angetan hatte, daß er so böse ein durfte. Ihr schien es, daß weder Ma noch Pa den Onkel richtig kannten: wenn ste zu ihm ginge und ihm alles sagte, dann würde der Onkel alles sofort in Ordnung bringen, wie ex stets tat, wenn es einen Kummer gab. „Ich werde zum Onkel hingehen, ich werde ihm alles sagen: ihr werdet sehen, der Onkel wird wieder gut werden,* sagte Mascha. „Zu spät, zu spät, er will nichts hören und von nichts misten," erwiderte Aaron weinerlich. „Ach was, zu spät, gar nichts ist zu spät!* schrie Rosa ihren Mann' an.„Was plärrst du mich an? Narr?" Sie gab ihrem Mann einen Nuff.„Laß st« nur zum Onkel gehen, er wird ihr schon die Narrheiten aus dem Kopf schlagen: geh, klingle den Onkel an. ruf den Onkel an," schrie sie Aaron an. „Was stehst du hier wie ein Golem aus Lehm?" Aaron gehorchte seiner Frau. Er sah-in, daß sie recht hatte wie immer. Mit Herzklopsen lief er zum Telephon. Der Onkel ließ lange am Telephon auf sich warten. Zu- erst hieß es, er sei beschäftigt: dann kam der Be- scheid, er sei nicht da und man sei ihn suchen gegangen. Schließlich aber schien es dem Onkel selbst nicht Ruhe zu geben, und er ließ Mascha anrufen. Als er Maschas Stimme am Telephon hörte, wurde er weicher. Cr verabredete mit ihr, ste möge um sechs Uhr abends ins Geschäft kommen, von dort werde er sie nach einem„netten behaglichen Plätzchen* führen, wo st- es gemütlich haben könnten. Gegen sechs Uhr abends ging Mascha nach des Onkels Geschäft. Sie trug ihr ziegelfarbenes Herbstkleid im englischen Schnitt: auf dem Kopf einen breiten, dunklen Filzhut, wie er damals Mode war. Sie wartete nicht vor der Tür auf den Onkel, wie sie es sonst zu tun pflegte, sondern trat sofort ein. Sam lief ihr entgegen, begrüßte sie freundlich und eilte, ihre Ankunft dem Onkel zu melden. Der Onkel sah mit einem Reisenden in seinem Privatkantor, welches sich in einem Per» schlag in einem Winkel des großen Geschäftslokals befand: dort stand die Kasse und dort saß der Buchhalter mit dem Onkel. Der Onkel ließ sich nicht stören und trug Sam auf. er Möge Mascha einen Augenblick zurückhalten, er würde bald
kommen. Er klopfte auf die Scheibe seines Kontors und rief: „Hallo, Mascha, I am reaü� rn a Minute." Sam spürte, daß etwas zwischen dem Onkel und Mascha vorgefallen sein müsse, und dachte, wie iminer die Sache stünde, wäre es am besten, den Rat seines Vetters Manes zu befolgen:„Sei nett zu Mascha, sie hat dich jetzt in der Hand.* Mascha gefiel ihm, seit der Onkel ihr sein Interesse zuwandte. Und Sam nutzte jede Gelegenheit, die sich ihm darbot, um mit Mascha näher bekannt zu werden und ihr seine Verehrung zu beweisen. Jetzt lobte er unaufhörlich das Kleid, welches ihr der Onkel als Modell gekauft hatte, und fügte hinzu: wenn sie der Inhaber eines großen Kleiderhauses in Chicago in dem Kleid sähe, könnte er, Sam, ein paar Dollar verdienen. Er würde sofort einen Auftrag bekommen, den würde er einem seiner Freunde, einem Damenkleiderkonfektio- när, verkaufen. Und dann gab er zu, wenn er Mascha als Modell hätte natürlich beispielsweise—, so würde er bald vom Onkel weggehen und Damenkleiderkonfektionär werden: denn alles, was Mascha anziehe, das habe an ihr„«lixrnt;?* (das war das größte Kompliment, welches Sam'einer Lady machen konnte). Doch der Onkel ließ Sam nicht lange fein Vergnügen. Er kam bald aus dem Privatkontor. warf, ohne ein Wort zu sagen, mit gerunzelter Stirn einen kurzen Blick auf Sam, und auch ohne zu Mascha ein Wort zu sagen, faßte er sie untern Arm und verließ mit ihr den Laden. Als sie auf die Straße traten, begann Mascha: „Onkel, bist du sehr böse auf mich?" Der Onkel antwortete nicht. Er hielt sie fest am Arm u,.d ging mit ihr den Gehsteig weiter, wobei er schwer gegen den Menschenstrpm ankämpfte, der aus allen Ecken, aus allen Geschäften herausströmte und zur Hochbahnstation eilte. Es war die Stunde, da die Geschäfte geschlossen wurden, und die Straßen wurden schwarz von Menschen. Auf dem Weg« konnten Mascha und der Onkel kein Wort wechseln. Der Onkel zog Mascha mit sich. „Wohin gehen wir, Onkel?" fragte Mascha. „Willst du nicht mit mir essen?� sagte der Onkel, ohne ihr ins Gesicht zu sehen. „Gern." „So komm." Sie bogen in eine schmale Gasse ein. Dort befand sich ein bekanntes ungarisches Restaurant, in welches nun der Onkel Mascha führte. Der Wirt kannte den Onkel: er wies ihnen einen Platz in»wer Ecke an. wo sie ungestört waren- Der Onkel bestellte das Esten und ungarischen Wein,__
Beim Eessen blieb der Onkel weiter ernst: er schwieg. sah Mascha kaum an und war in Gedanken versunken: doch er aß mit Appetit und trank viel Wein: ab und zu forderte er auch Mascha zum Trinken auf. „Onkel, richte es doch ein, daß alles wieder gut wird. Du kannst das immer so gut," begann Mascha plötzlich und legte ihr« schmale Mädchenhand auf die des Onkels. „Was soll ich wieder gut machen?" „Du weißt ja. Bei uns ist es jetzt so traurig-- Pa weint und Ma weint." „Warum weinen sie?" fragte der Onkel verwundert. „Ist etwas geschehen?" „Sie fürchten, du würdest Pa entlassen." „Warum soll ich denn Pa entlassen? „Du weißt ja, warum," sagte Mascha schamhast. Dan» sie einen Augenblick; aber plötzlich hob sie ihre großen lugen auf, sah dem Onkel frei und kindlich ins Gesicht und sprach mit kindlicher, aber siäzerer Stimme: „Ich liebe dich, Onk�l. Ich liebe dich sehr. Ich liebe dich mehr als Pa und mehr als Ma Vielleicht bist du zu anderen Leuten schlecht, doch zu mir bist du immer gut gewesen, immer sehr gut, und ich werde dich immer lieblzaben, werde nie etwas auf dich kommen lasten, ich liebe dick). Du bist mein teurer, teurer Onkel." „Schweige. Mascha, schweige!" Der Onkel sprach es halb vor sich.„Trink, trink, please." „Ich kann nicht." Mascha setzte das Glas an ihre Lippen und stellte es sofort wieder nieder.„Listen. Onkel," begann sie und errötete zum erstenmal, während sie mit dem Onkel sprach, und ihre Augen erglänzten in einem feuchten Schimmer, „ich habe bisher nicht gewußt, was heiraten heißt. Jetzt weiß ich es. Und ich glaube... und ich glaube, daß für uns beide eine Heirat... nicht gut ist... es wird nicht gut sein... Ich werde bei dir zu Hause wie eine Tochter mit dir sein. Ich werde dich lieb haben, wie man einen teuren, teuren Onkel lieb hat, aber nicht so wie du willst. Meinst du es nicht auch?" Der Onkel schwieg: er trank wieder ein Glas Wein und forderte Mascha zum Trinken auf. „Trink. Mascha, please, trink." Oon't. Onkel, ftoB't," erwiderte Mascha und nahm dem Onkel das Glas weg.„ich mag es nicht, daß du trinkst. Ich liebe es nicht— don't, don't, antworte mir, please, antworte mir. Warum sprichst du heute nicht mit mir?* Der Onkel blickte sie an und begarat freundlich und liebe- voll zu lächeln» �;..(Fortsetzung folgt), j