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Nr. 135 43. Jahrgang

7. Seilage öes vorwärts

Sonntag, 21. März 142»

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Git haben flch lang« genug gesträubt, sich als Proletarier zu bekennen. Der eine oder der andere fand vielleicht den Weg zum Proletariat, zu einer proletarischen Partei. Bei den meisten aber blieb es bei dem Stoßseufzer in seltenen lichten Momenten: Herrgott, man ist eigentlich auch nichts anderes als so'n armseliger Lohnsklave!" Denn damals, vor dem Kriege, waren sie diegeistigen Arbeiter", die Schoßhunde des Kapitalismus . Nicht von heut« auf morgen, doch langsam aber sicher lernten sie um. Und heute geht der Geistes- arbeiter ebensostempeln" wie der Handarbeiter: nimmt die Erwerbs- loseminterstützung und steht geduldig darum an. Ts ist sogar zu hoffen, daß er, wenn die neugelernte Lektion erst etwas fester sitzt, nicht der schlechteste Klassenkämpfer sein wird. Vorläufig will er wohl nur in das verlorene Paradies wieder hinein: die verlorenen Herrllch- leiten schweben ihm noch immer gleich einer Fata Morgana vor. Ach, sie sind unerreichbar gleich dieser trügerischen Luftspiegelung. Einer nach dem andern sieht die Fruchtlosigkeit seiner einsamen Wüsten» Wanderung ein. Und dann steht er eines Tages vor dem Arbeits- Nachweis für geistige Berufe. /lrbeitsbeschaffung ein Problem. Klosterstraße 3 9. Ein altes Gebäude, ausgetretene Treppenstufen: das ganze Haus dient als Arbeitsnachweis. Di« Geistesarbeiter haben nur«inen kleinen, bescheidenen Raum zu- gewiesen erhalten. Er unterscheidet sich höchst vortellhaft von den sonst üblichen Masienabfertigungssälen. Der Warteraum ist etwas dunkel: aber der Arbeitsuchende hat die Möglichkeit, mit dem Leiter

der Abteilung in einem abgeteilten Kabinett ruhig unter vier Augen sein« Chancen durchzusprechen, ihm seine Verhältnisse klarzulegen. Das ist wahrhaftig kein«ungerechte Bevorzugung" vor anderen Arbeitsuchenden. Denn das Menschenmaterial, das sich auf diesem Arbeitsnachweis zusammenfindet, ist so verschieden, daß jeder Fall ein« ganz persönliche Bearbeitung verlangt: nach Schema? könnt« dieser Arbeitsnachweis nicht einen einzigen Fall erledigen. Man höre, was alles hierher gehört: Juristen, Wirtschaftler, Diplomkaufleule, Mediziner, eehrpersonal. Apotheker. Chemiker, Diplomingenieure, Kunstmaler, Schriftsteller, Journalisten, Bildhauer, Prioatgelehrte, Bibliothekar«, Studierende aller Fakultäten, Schauspieler. Für alle die soll nun Arbeit gefunden werden. Arbeit:= Verdienst: denn es ist oft genug unmöglich, diesen Menschen ohne weiteres Arbeit in ihrem eigentlichen Beruf zu schaffen, einefeste Stellung" können viel« von ihnen Überhaupt nicht erreichen, was macht man z. V. mit einem Aegytologen, mit einem Ethnographen, mit einer Kapazität auf dem Gebiet der Schimmelpilzkunde? Jede Arbeitsbeschaffung wird hier zu einem schwierigen Problem, besonders, wenn der Ar- beitsuchend« in seinem Facheingerostet" ist. So ist die erste Aufgabe des Abteilungsleiters, m i t den Arbeitsuchenden und, wo die es selbst schon verlernt haben, für dies« Arbeitsuchenden zu denken. Den Ethnographen brachte man dazu, sich mit dem Rockefellerinstitut in Verbindung zu setzen. Er schrieb ein Buch über nordamerikanische Indianer und bekam dafür in der dicksten Inflation 600 Dollar damals ein Vermögen! Jetzt ist er endgültig saniert und hat wieder den Anschluß erreicht. Der Aegyptologe hatte Glück mit der Tutanchamon-Konjunkwr. Ihm konnte man daraufhin Vorträge und Aufträg« für Artikel verschaffen. Die Leiter des Arbeitsnachweises suchen ständig ihrenAbnehmerkreis" zu erweitern. Siereisen in Intellektuellen": allenthalben suchen sie neue Beziehungen anzu- knüpfen, um ihre Ware loszuwerden. Sie haben ja alles auf Lager! Man verlangt einen Arzt, möglichst Dermatologen zu einer Studien- reis« nach Arabien schon kann ergeliefert" werden, ebenso wie der Eugeniker, den«ine Krankenkasse verlangt. Juristen gibt es in allen Stadien der Ausbildung: sie sindgefragt". Die ,Laöenhüter�. Da ist zuerst mal das unglückselige Federvieh. Die Zourualisten kann man noch am besten unterbringen, nicht immer In ihrem eigenen Beruf freilich. Jedoch sind sie anpasiungssähig, sind als Propa- gandisten und Korrespondenten gut zu brauchen. Aber die Schrift- steller! Die Leute mit der poetischen Ader! Sie machen am liebsten aus jedem Geschäftsbrief ein Sonett oder einStimmungsbild" und sind drum, selbst wenn es einmal gelingt, sie in der Geschäftswelt unterzubringen, meist schnell wieder stellungslos. Ebenso unbrauchbar erweisen sich fast alle Philologen: die wenigsten können«ine Stellung als fremdsprachlicher Korrespondent wirklich ausfüllen, auch wenn sie die betreffende Sprache als Prüfungsfach mit I erledigten. Auch Schauspieler sind fast nur in Ihrem Berufe zu brauchen. Di« Pathetik ihrer Gebärden paßt schlecht zu anderen Dingen. Und die nüchterne Well des Kaufmanns ist ihnen ein Greuel. Einer oder der andere versucht es wohl mal aber bald kommt er wieder zum

Arbeitsnachweis. Und wird dann wettergeschleppt: Mal hier«inen Abend, mal da eine Woche im Engagement, heut im Kino, morgen auf dem Bockbierfest. Womit hilft man den anderen? Nun, es gibt Adressenarbeit: hier ist st« sogar, im Verhältnis zu den Adreß- bureaus, gut bezahlt. 7 S warf gibt es für 1000: im Adreßbureau gibt's nicht einmal die Hälfte. Dann sind.Notstandsarbeiten für Geistesarbeiter" geschaffen worden. Arbeit in Bibliotheken u. dergl. Eine große Buchhandlung hat 8 10 Bücherwagen mit den Arbeit- suchenden dieses Nachweises besetzt. Freilich ein recht schmaler Ver- dienst, denn bei der herrschenden Krise sind Bücher für die Mehrzahl früherer Käufer längst zum Luxus geworden. wunüerkuren unü hoffnungslose Zolle. Es ist jetzt schon besser, seitdem derArbeitsnachweis der Intellektuellen' weiteren greifen bekannt ist. Besser, well sich In- dustrie und Handel jetzt ganz gern an diesen Nachweis wenden, besser, weil die geistigen Arbeiter nicht mehr bis zum letzten, bittersten Ende warten, bis sie sich ihm anvertrauen. Denn wenn erst mal die Schale" mangelhaft geworden ist, die eigeneBleibe" aufgegeben werden mußte und als Wohnung das ominöseHotel zur Palme", Fröbelstraße 15, angegeben wird, dann ist es unendlich schwer, durch- greifend zu helfen. Manchmal gelingts, wie in dem Fall eines Juristen, dessen letzter Barbestand gerade für die Miete draufging, der Kostgänger am Freitisch im Prälaten.war, und der heute in einer sehr gut dotierten Stellung ist. In der Regel aber laufen diese Fälle weniger glücklich ab nach langem Hinschleppen muß dann die Hoffnung auf ein« der srüheren Lebensstellung auch nur einiger- maßen entsprechende Arbell aufgegeben werden. Kommt der Intellektuelle aber auch nur einigermaßen rechtzeitig, dann hat er als Arbeitsloser entschieden bessere Chancen als der Proletarier. Denn er hat einen Fonds an Wissen, geistigem Training, meist gute Umgangsformen: und dazu hat er dann diesen höchst individuell arbeitenden Arbeitsnachweis, freilich muß er bereit sein, oft mehrere Stufen von seinerHöhe", die ja nur eine imaginäre Größe ist, herabzusteigen. Die das nicht können, dieUnheilbaren", bleiben auch meist von selbst weg. Wer sind sie? Offiziere, die sich nicht daran gewöhnen können, daß ihnen hier keineExtrawurst" gebraten wird und andere Leute mit unheilbarem Standes- und Gelehrten- dunkel. Dann dieEingerosteten", die man schließlich auf die Wohl- fahrtspflege abschieben muß und die Leute, die im Krieg oder in der Inflationszeit irgendeine fixe Idee großwachsen ließen, wie jener Gelehrte, der 1923 noch von Kriegsersatzsuppen lebte: er hatte sie, aus Angst, zu verhungern, zentnerweise eingekauft. Die beschreibende Darstellung von Schimmelpilzen und die Bewirtschaftung seiner Suppenpuloer waren die einzigen Beschäftigungen, die ihm sinnvoll erschienen.... e- Der Arbeitsnachweis arbeitet vielleicht intensiver und für­sorgerischer. als irgendein anderer Groß-Berlins. Er ist wohl auch der einzige, dem z. B- ein« Anzahl Freitische nicht in der Volksküche, sondern in einem guten Restaurant zur Verfügung stehen.

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Gnkel Moses. Roman von Schalom Asch .

Der Onkel nahm sie wie das erstemal in das ungarisch« Restaurant mit. Er sprach von allem möglichen, nur nicht davon, weshalb Mascha zu ihm gekommen war. Mit keinem Wort war er ihr behilflich. Er wollte den Sieg voll aus- kosten, sie sollte ihn wirklich bitten und selbst aussprechen müssen, weshalb sie gekommen war. Cr hielt den Preis seines Sieges, als sie wieder in der neuen Wohnung waren, und er sie wieder in das blaue Zimmer führte. Der Onkel setzte sich auf das Bell wie«in Henker auf dem Holzklotz und>sagte: Nun, hier kannst du mir sagen, was du zu sagen hast!" Onkel, ich bin bereit, dich zu heiraten." sprach Mascha. Ist das wahr, bin ich plötzlich nicht mehr zu alt für dich?" Onkel..." Ich will offene Wort« hören und«in« klar« Situation sehen. Warum hast du früher nicht gewollt, und warum willst du jetzt? Haben dich vielleicht deine Eltern dazu g«. zwungen? Sage es mir offen." Aber Onkel, warum sprichst du so zu mir?" Ich will es wissen. Es muß doch einen Grund geben, warum du mich jetzt heiraten willst und früher nicht wolltest." Der Grund ist. daß... ich dich liebe!" sprach Mascha verschämt. Wie siebst du mich, wie den jroo6 cid nncle oder wie einen Mann, den man heiraten will?" Mascha hob ihre großen Augen zum Onkel auf und fragte: Warum fragst du mich solche Dinge? Du weißt e» ja selbst!" Ich weiß gar nichts mehr selbst. Früher hast du mich anders geliebt." Früher war ich ein Kind," antwortete Mascha leise. Und jetzt?" Mascha sah ihn an und erkannte den alten Onkel wieder. Sie erinnerte sich der Szene, da sie noch ein Kind war, und er ihren Vater vor ihren Augen verspottet hatte; ebenso wie damals wollte sie auf ihn losspringen und ihm ins Gesicht chreien:Biest, Hund!" Doch ein Gefühl der Rache an sich elbst zwang sie, still zu halten und die Pein zu dulden. Sie chwieg.>

Und jetzt?" fragte der Onkel noch einmal. Wie hast du mich jetzt lieb?" .Letzt liebe ich dich wie einen Mann, den man heiraten will," fest blickte sie dem Onkel in die Augen. Wie einen Mann," sprach der Onkel nach. Er ging auf sie zu, umarmte sie und küßte sie fest auf den Mund... Als Mascha den Onkel verließ, hatte sie das Gefühl, jetzt sei ihr alles erlaubt. Und sie war wirtlich zu allem fähig... Dritter Teil. 1. Mann und Frau. Mascha war schwanger.(Es war zwei Jahre nach der Hochzeit.) Onkel Moses zitterte um sie wie um ein kleines, schwaches Kind. Er hatte keine Ruhe in seinem Geschäft: alle Viertelstunden ließ er sich mit feiner Wohnung verbinden, fragte durchs Telephon nach Maschas Befinden und ermahnte sie:Mascha, mein Kind, please. bewege dich nur nicht!" Sobald er gehört hatte, daß alles zu Haufe in Ordnung sei, wurde er ruhiger, ging zu den Schneidern hinauf und scherzte mit den Landsleuten: Run, Schlojmele, warum schweigst du, singe uns doch deine Kedufcha vor." Seit der Onkel geheiratet hatte, war Tag um Tag mehr «ine sonderbare Aenderung in seinem Charakter zu merken. Nicht nur sein Verhältnis zu den Menschen war ein anderes geworden, auch sein Aeußeres hatte sich geändert. Sein Ge- sicht hatte einen viel menschlicheren Ausdruck bekommen; etwas Weiches und Hilfloses stahl sich zwischen die Fettfallen um seinen Mund und um die tiefliegenden Augen sein Gesicht hatte nichts Schreckhaftes mehr. Es war. als hätte eine weib- liche Hand in die Falten dieses Gesichtes Liebe gedrückt und Zärtlichkeit auf sie gehaucht, die Zärtlichkeit ihres Wesens; es war, als verbreite Onkel Moses den ganzen Tag die Liebe und Weichheit, die er aus einem geheimen Quell gesogen hatte. Onkel Moses lächelte, wahrhaftig, er lächelte seine Leute an. Onkel Moses war freundlicher geworden, und von Tag zu Tag verloren seine Leute mehr die Furcht und den Respekt vor ihm. Doch am stärksten war diese Veränderung an Onkel Moses zu merken, seit Mascha schwanger war. Gleich am ersten Tage war dies im Geschäft bei den Schneidern oben und bei allen Landsleuten bekannt geworden. Onkel Moses' Haltung, seine Unruhe, sein fortwährendes Telephonieren und sein gutes Lächeln hatten«« verraten. Hinter seinem Rücken begann

man, über ihn zu lachen, raunte einander allerhand Geheim- nisse in die Ohren und warf heimliche Seitenblicke aus Sam. Doch Sam ins Gesicht zu sehen, fürchteten alle. Sam schien jetzt die Zügel in die Hand genommen zu haben, welche Onkel Moses hatte fallen lassen. Onkel Moses verließ sich in Geschäftsdingen immer mehr auf Sam. Sam war nicht bloß derInsiäe man", sondern übernahm auch allmählich die Be- stellungen vqn draußen, Sam sah die Aufträge durch, Sam fertigte die Reisenden ab; nach und nach wurde Sam der wahre Herr im Geschäft, und alle hatten vor ihm viel mehr Furcht als vor dem Onkel. In der letzten Zeit hatte Onkel Moses sich mit Dingen zu beschäftigen begonnen, welche sich für einen Kaufmann, der Ansehen in seinen Kreisen beansprucht, nicht passen. Onkel Moses war fromm geworden, er beschäftigte sich mit der Schul' für die Landsleute und ging daran, das auszuführen, was er für die Hochzeit versprochen, aber nicht gehalten hatte nämlich den Landsleuten von Kusmin eine eigene Schul' zu kaufen. Bisher war er nur auf dem Papier derPräsi- dent" der Kusminer Landsleute gewesen. Doch nach der Hochzell begann Onkel Moses, sich in derSociety" zu be- schäftigen: er verwendete seine ganzen kaufmännischen Fähig- keiten und seine kaufmännische Erfahrung zugunsten der Society". Onkel Moses kaufte derSociety" einen neuen Platz für den Friedhof und verkaufte die Hälfte davon sofort einer anderenSociety". Der Gewinn dabei war so groß, daß die KusminerSociety" ihren Begräbnisplatz fast um- sonst hatte. Und jetzt war Onkel Moses damit beschäftigt, seine ganzen kaufmännischen Fähigkeiten zur Erwerbung einer Schul' für dieSociety" auszunützen. Durch einen Geschäfts- kniff hatte er bereits einen Platz für die Schul' halb umsonst bekommen, und jetzt unterhandelte er, um ihn gegen ein Haus einzutauschen. Der Erfolg tonnte nicht ausbleiben. Seit Onkel Moses sich mit der KusminerSociety" befaßte, wuchs und blühte sie, wurde reich und hatte bereits ein paar kleinere Vereine aufgesogen. Seine verdienstvolle Tätigkeit in Gemeindedingen machte ihn bald weit über die Grenzen der Kusminer Landsmannschaft hinaus berühmt. Alle mög- lichenSocietys" waren bemüht, Onkel Moses für größere Unternehmungen zum allgemeinen Wohl zu interessieren. Onkel Moses wurde Vizepräsident eines Greisenasyls, Kas- sierer einer Talmud-Thora und Direktor eines kleinen Spitals fein Ruhm als Philanthrop und Mann der Oeffentlichkeit wuchs in der ganzen Stadt. (Fortsetzung folgt! J