Nr. 163.
Erscheint täglich außer Montags. Preis pränumerando: Vierteljährlich 3,30 Mart, monatlich 1,10 Mt., wöchentlich 28 Pfg. frei in's Haus. Einzelne Nummer 5 Pfg. Sonntags: Nummer mit illustr. Sonntags- Beilage, Neue Welt" 10 Pfg. Post- Abonnement: 3,30 Mt. proQuartal. Unter Kreuz band : Deutschland u. DefterreichUngarn 2 Mt., für das übrige Ausland 3Mt. pr. Monat. Eingetr. in der Post- Zeitungs- Preisliste für 1895 unter Nr. 7128.
Vorwärts
12. Jahrg.
Insertions- Gebühr beträgt für die fünfgespaltene Petitzetle oder deren Raum 40 Pfg., für Vereins- und Bersammlungs- Anzeigen 20 Pfg. Inserate für die nächste Nummer müffen bis 4 Uhr Nachmittags in der Expedition abgegeben werden. Die Erpedition ist an Wochen tagen bis 7 1hr Abends, an Sonnund Fefitagen bis 9 1hr Vormittags geöffnet.
fernsprecher: Amt 1, Nr. 1508. Telegramm- Adresse: Sozialdemokrat Berlin !
Redaktion: SW. 19, Benth- Straße 2.
Parteigenoffen!
Auf unserem letzten Parteitage in Frankfurt a. M. wurde Breslau als der Ort bestimmt, in welchem unser nächster Parteitag stattzufinden habe.
Nachdem es nun unseren Breslauer Genoffen gelungen ist, ein geeignetes Lokal zu beschaffen, so hat die Parteileitung in ihrer letzten Sigung beschlossen, den diesjährigen Parteitag auf die Tage vom
6. bis 12. Oftober 1895 nach Breslau zu berufen.
Das Lokal, in welchem der Parteitag tagen wird, der Beginn
der Vorversammlung, sowie die Tagesordnung werden später
rechtzeitig bekannt gemacht.
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Parteigenossen! Es ist der erste Parteitag, seitdem wir eine fozialdemokratische Bewegung in Deutschland haben, der im Diten des Reiches stattfindet. Dieser Umstand und der weitere, das in Breslau ruht was sterblich war von Ferdinand Lassalle ", dem Begründer des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins und unserem großen Vorfämpfer, sie werden unseren Genossen ein Ansporn sein, dafür Sorge zu tragen, daß der nächste Parteitag eine würdige Vertretung der sozialdemokratischen Partei Deutschlands sein wird. Daß die geographische Lage Breslaus den Genossen im Süden und Westen des Reiches bei der Beschickung größere Opfer auferlegt, wie wenn ein Ort in Mitteldeutschland gewählt worden wäre, darf kein Grund dafür sein, nunmehr den Parteitag spärlicher zu beschicken. Es handelt fich für die Partei um die Entscheidung und Beschlußfaffung über höchst wichtige Fragen, es fei hier nur an die Agrarfrage erinnert und diese Entscheidungen können nur von einem Parteitag getroffen werden, auf dem alle Partei- Orte entsprechend ihrer Stärke in unserer Bewegung vertreten sind.
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Dienstag, den 16. Juli 1895.
Parteigenossen!
Expedition: SW. 19, Beuth- Straße 3.
6. Erklärung der Religion zur Privatsache. Abschaffung aller Aufwendungen aus öffentlichen Mitteln zu kirchlichen und Nachfolgend veröffentlichen wir die Programmvorschläge, find als private Bereinigungen zu betrachten, welche ihre Angelegenreligiösen Zweden . Die kirchlichen und religiösen Gemeinschaften welche die Agrarkommission dem Parteitag zur Be- heiten vollkommen selbständig ordnen. rathung unterbreitet und die hiermit zur Diskussion der Parteigenoffen gestellt werden.
7. Weltlichkeit der Schule. Obligatorischer Besuch der öffentlichen Volks- und Fortbildungsschulen. Errichtung aus: reichender gewerblicher und landwirthschaftlicher Fach. Die Agrarkommission sah sich genöthigt, um ihren Vorschulen, Musterwirthschaften und Verfuchsstationen; Ab schlägen eine zweckmäßige Form zu geben, dieselben in den zweiten haltung regelmäßiger landwirthschaftlicher UnterrichtsTheil des bestehenden Parteiprogramms einzuarbeiten. Die Ab- kurse. Unentgeltlichkeit des Unterrichts, der Lehrmittel und der änderungen und Zufäße der Kommission sind durch fette Schrift in den höheren Bildungsanstalten für diejenigen Schüler und Verpflegung in allen öffentlichen Unterrichtsanstalten, auch hervorgehoben. Schülerinnen, die kraft ihrer Fähigkeiten zur weiteren Ausbildung geeignet erachtet werden.
Die Agrarkommissson wird unmittelbar vor dem Parteitag
noch einmal zu einer Berathung zusammentreten, um an der Hand der geübten Kritik und der etwa gemachten Abänderungsvorschläge zu prüfen, ob und welche Abänderungen sie noch an ihrem Entwurf vornehmen und dem Parteitag zur Annahme empfehlen soll.
beistandes. Rechtsprechung durch vom Bolle gewählte Richter. 8. Unentgeltlichkeit der Rechtspflege und des RechtsBerufung in Strafsachen. Enschädigung unschuldig Angeklagter, Berhafteter und Verurtheilter. Abschaffung der Todesstrafe. 9. Unentgeltlichkeit der ärztlichen Hilfeleistung einschließlich der Geburtshilfe und der Heilmittel. Unentgeltlichkeit der Todtenbestattung.
10. Stufenweis steigende Einkommen- und Vermögenssteuer zur Bestreitung aller öffentlichen Ausgaben, soweit diese durch aller Ertrags-( Real-) Steuern( Gewerbe-, Haus-, Steuern zu decken sind, und dementsprechende Beseitigung Grundsteuern n. r. w.). Selbsteinschätzungspflicht. Erbschaftssteuer, stufenweise steigend nach Umfang des Erbguts und nach dem Grade der Verwandtschaft.
Der zweite Theil unseres Parteiprogramms soll nach den Vorschlägen der Agrarkommission folgende Faffung erhalten: fratische Partei Deutschlands zur Demokratikirang alles Ausgehend von diesen Grundsägen fordert die Sozic.Idemtoöffentlichen Einrichtungen in Reich, Staat und Gemeinde, für die Hebung der sozialen Lage der arbeitenden Klassen und für die Verbesserung der Zustände in Gewerbe, Landwirthschaft, Handel und Verkehr, im Abschaffung aller indirekten Steuern, Zölle und sonstigen Rahmen der bestehenden Staats- und Gesellschafts- wirthschaftspolitischen Maßnahmen, welche die Interessen der ordnung zunächst: Allgemeinheit den Interessen einer bevorzugten Minderheit opfern. 1. Allgemeines gleiches direktes Wahl- und Stimmrecht mit 11. Abschaffung aller mit dem Grundbest vergeheimer Stimmabgabe aller über 20 Jahre alten Reichs- An- bundenen behördlichen Funktionen und Privilegien gehörigen ohne Unterschied des Geschlechts für alle Wahlen und( Selbständige Gutsbezirke, Vorrechte in VertretungsEinführung gefegliche Neueintheilung der Wahlkreise nach jeder vorrechte u. f. w.). Abstimmungen. Proportional- Wahlsystem; und bis zu dessen körperschaften, Patronatsrechte, Fideikommiffe, StenerVolkszählung. Zweijährige Gesetzgebungs- Perioden, Vornahme der Wahlen und Abstimmungen an einem gesetzlichen Ruhetage. Entschädigung für die gewählten Vertreter. Aufhebung jeder Wir richten deshalb an die Parteigenossen das Ersuchen, Beschränkung politischer Rechte außer im Falle der Entmündigung. überall rechtzeitig die Vorbereitungen zur Beschickung des Partei2. Dirette Gesetzgebung durch das Volk vermittelst des tages zu treffen und besonders auch die an den Parteitag zu Vorschlags- und Verwerfungsrechts. Selbstbestimmung und richtenden Anträge einer recht genauen Prüfung zu unterziehen. Selbstverwaltung des Volks in Reich, Staat, Provinz und GeParteigenossen! In Breslau ruhen unsere verstorbenen Gemeinde. Wahl der Behörden durch das Volt, Verantwortlichkeit und Haftbarkeit derselben. Jährliche Steuerbewilligung. noffen und Vorfämpfer Ferdinand Lassalle , Paul Reinders, 3. Erziehung zur allgemeinen Wehrhaftigkeit. Volkswehr Julius Kräcker und Max Kayser , in Breslau sollen in diesem an stelle der stehenden Heere. Entscheidung über Krieg und Jahre für die Weiter- Entwicklung unserer Partei entscheidende Frieden durch die Voksvertretung. Beschlüsse gefaßt werden. Parteigenossen, tragt dafür Sorge, daß der nächste Parteitag sich seinen Vorgängern würdig an die Seite stellt.
Mit sozialdemokratischem Gruß
Der Partei- Vorstand.
Feuilleton.
[ Nachdruck verboten.]
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Eine geschichtliche Erzählung von Michel Deutsch. Mit einem wehmüthigen Blick auf den Verwundeten verschwand Herr Rasimir in dem Korridor des Rathhauses. Florian hatte die Hand des Freundes erfaßt. Hans war aufs tieffte ergriffen. Mit aller Macht zog es ihn fort zu den kämpfenden Genossen aber wie founte er diesen Sterbenden verlassen, dem seine Gegenwart das Scheiden leicht zu machen schien? Er fühlte es förmlich, wie diese verlöschenden Augen auf ihm ruhten, als ob sie in ihm noch einmal die ganze Menschheit liebevoll umpfingen.
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Jetzt schien es Haus, als ob die Lippen des Scheidenden sich bewegten. Er legte seinen zurückfinkenden Kopf höher und neigte sein Ohr zu ihm herab.
gerichtlichem Wege. Schlichtung aller internationalen Streitigkeiten auf schieds
4. Abschaffung aller Gefeße, welche die freie Meinungsäußerung und das Recht der Vereinigung und Versammlung einschränken oder unterdrücken.
5. Abschaffung aller Gesetze, welche die Frau in öffentlichund privatrechtlicher Beziehung gegenüber dem Manne benach theiligen.
empor. Mit Gewalt richtete er sich vom Boden auf es war ihm, als sei ein Stück von seinem Jch dahingegangen. Dann aber faßte es ihn wie grimme Begier nach Vergeltung.
" Das ist Dein Sterbegeläut, Du Edler," sprach er bei fich. Wohlan denn, es soll ein Siegesgeläut werden." Zwei junge Burschen, die den Gefallenen erkannt hatten, traten auf Hans zu.
„ Sollen wir ihn fortbringen?" fragten sie. " Bringt ihn nach der Roßstraße," bat Hans, ins Gasthaus zur Silbernen Ente".
Entschädigungslose Aufhebung jeglicher Art nodj bestehender Erbunterthänigkeit und der aus derselben herstammenden Lasten und Pflichten.
12. Erhaltung und Vermehrung des öffentlichen Grundeigenthums( Staats- und Gemeinde- Eigenthums jeder Art, Allmend u. s. w.), insbesondere Weberführung des Beßhes der todten Hand( Korporations-, Stiftungs- und Kirchengüter), der Realgemeinden, der wälder, der Wasserkräfte n. 1. w. in öffentliches Eigenthum unter Kontrolle der Volksvertretung. Einführung eines Vorkaufsrechts der Gemeinden bezüglich der zur Zwangsversteigerung hommenden Güter.
13. Bewirthschaftung der Staats- und Gemeindeländereien auf eigene Rechnung, oder Verpachtung an Genossenschaften von Landarbeitern und von Kleinbauern oder, soweit hidh brides nicht als rationell rrweist, Verpachtung an Selbstbewirthschafter unter Aufsicht des Staates oder der Gemeinde.
14. Staatskredit an Genossenschaften, die alle Betheiligten umfassen, oder an einzelne Gemeinden für
Von neuem erdröhnte der Mund der Geschütze, Balken, Sparren und Steine flogen vom Boden auf. Hans wandte sich um und rief die Genossen, die zunächst standen, zusammen.
" Sind alle Eingänge verschlossen?" begann er. Sie waren verschlossen, wie man von allen Seiten bestätigte.
Und wenn sie uns hier auf den Hals kommen wohin geht der Rückzug?" fragte er gleichsam prüfend.
Der Rückzug?- Nein, den hatten sie nicht bedacht. Ausharren bis zum Ende, fiegen oder sterben das war ihre Losung gewesen.
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Mit freudigem Stolz blickte Hans auf das tapfere Hänflein.
Wenn Ihr alle so denkt," sprach er voll innerer Bewegung, dann müssen, müssen wir siegen."
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Während die beiden den Todten hinwegtrugen, stürmte Hans ins Rathhaus, an die Seite der Genossen. Wie er fie verlassen hatte, so fand er sie wieder: ein jeder auf seinem Posten, Auge und Büchse gleichsam in eins ver schmolzen und gespannt nach dem Feinde gerichtet. Ohne zwingendes Kommando, aus tiesinnerstem Drange, that jeder dieser Todesmuthigen seine Pflicht. Hans trat an zurückkehren," rief ein alter Graubart im schlichten TageBesser in Freiheit sterben, als in die Knechtschaft seinen Platz, den man offen gelassen, und steckte das halbe löhnerkittel, der beim Kirchbau am Betriplah Handlanger Sieg... Hoffnung... Volt"... glaubte Hans zu Dugend Patronen ein, das für ihn bereit lag. verstehen dienste that. Sie haben uns gefoppt, dreißig Jahr' und Det war'n Schluck Wasser uf'n Durscht, det Säckchen mehr ich mag's nicht länger tragen." ,, Lotte... Testament..." Dann unterbrach ein rauhes Gurgeln seine Worte und ein Zittern und Zucken Pulver," meinte sein Nebenmann. ging durch den hageren kleinen Körper. Einen langen, Wär's nur zehnmal so viel gewesen," versetzte Hans, Hand des Alten, der zum ersten Mal den Mund geöffnet Recht habt Ihr, Vater," sprach Hans und drückte die innigen Bruderfuß drückte Haus auf die von Blut und seine Büchse aufnehmend. Todesschweiß bedeckte Stirn. Dann fühlte er, wie Florian's Er warf einen prüfenden Blick nach der Straße. Wie hatte. Wir haben die heilige Pflicht, die Fauft, die uns Hand fich sanft von der seinigen löste. Der stille angewurzelt stand er da und starrte auf das jäh veränderte würgt, von uns abzuschütteln." Bild, das der Kampfplay darbot: Die Nathhaus- Barrikade," Hab' mich redlich für sie geschlagen," fuhr der Alte
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Schwärmer war zu den Todten gegangen.
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In wilder Erregung fluthete das Volk an den beiden dieses trotzige Bollwert, das der Grimm des beleidigten fort, an der Razbach unter Blücher , und bei Leipzig , und dem Todten und dem Lebendigen vorüber, während Volkes errichtet, war in Grund und Boden geschoffen. bei Waterloo, und sie haben's uns bitter gelohnt, galledie feindlichen Geschüße Salve auf Salve spieen. Mitter- Und da, zum Greifen nahe, stand die verstärkte Batterie, bitter. Und drüben bei den Potsdamern, da steht mein nacht schlugs von den Thürmen der Tag des Herrn war während die Garden dicht hinter der Geschützlinie hielten einziger Sohn- grüßt ihn von mir, wenn ich falle. Bracke hereingebrochen über die Stadt des frommen Königs, der und mit Ungeduld das Signal zum Angriff zu erwarten with heiß' ich." seine Landestinder mit Kartätschen und Granaten schienen. Der Zuruf der Wachtposten, die an den Fenstern auss ausgestellt waren, unterbrach den Alten.
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zusammenschießen ließ. Und plöglich, wie auf Und dieses Schauspiel vor Augen, hatten die Wackeren ein geheimes Zeichen, erdröhnten in gewaltigem da, denen zur Vertheidigung nicht viel mehr als ihre Fäuste Chor die Glocken der Kirchen und riefen ihr ehernes Sturm- geblieben, mit eisernem Muthe stand gehalten! Wie auch lied so mächtig in die Mondnacht hinaus, als ob sie immer die Würfel des Sieges fallen mochten: seine Ehre die Feste des Himmels von grund auf erschüttern wollten. hatte das Volt von Berlin auf diesem Punkte des Schlacht Das gellende Getön riß Sans aus seiner Trauer feldes glänzend gewahrt.
Die Garde kommt!" klang es jäh, und ein wüthendes Kleinfeuer bestätigte die Worte. Die Büchsen flogen empor, alles stürzte an die Fenster. Die Batterie war zurückgegangen sie hatte diesen Haufen Gestein überwunden, an dem der Ruhm der preußischen Bajonnete zu zerschellen