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Nr. 137 43. Jahrg. Ausgabe A nr. 69

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Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

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Dienstag, den 23. März 1926

Das durchlöcherte Steuerprogramm.

Luther- Reinhold auf dem Rückzug.

Die Borgänge im Steuerausschuß des Reichstags haben begreiflicherweise großes Aufsehen er­regt und zu politischen Kombinationen der verschiedensten Art geführt.

Die ursprüngliche Absicht der Reichsregie rung war, durch die Senfung der Umsatzsteuer um vier Behntel eine Erleichterung der allgemeinen Wirtschafts­lage infolge Senfung der Preise, Förderung der Ausfuhr und Steigerung des inneren Bedarfs herbeizuführen. Daher schlug die Reichsregierung die Senfung der Umsatzsteuer vor und nicht eine Gentung der veranlagten Steuern, z. B. der Einkommensteuer. Daher wehrte sie sich auch von Anfang an dagegen, daß statt der Ermäßigung der Umsatzsteuer eine Er­mäßigung anderer Verbrauchssteuern vorgenommen werde. Wiederholt haben infolgedessen Dr. Luther und Dr. Rein hold die Senkung der Umsatzsteuer in dem von der Regierung vorgesehenen Ausmaß als den wesentlichsten Teil ihres Wirt­schaftsprogramms bezeichnet.

Run plöglich ist das alles nicht mehr wahr. Was bis gestern als die große neue Idee der Reichsregierung Derfündet wurde, ist begraben, und alles, was bisher als falich und widerfinnig bekämpft wurde, wird nun gepriesen, als ob man das bereits feit Wochen getan hätte. Herr Dr. Luther, der so oft in den letzten Jahren gegen soziale Forderungen den starten Mann gespielt hat, ist über Nacht seiner befferen leberzeugung untreu geworden und hat unter dem Drud gröbster Steuerdemagogie fein und Reinholds schönes Pro­gramm in die tiefften Taschen seines Gewandes verfentt.

Wenn jetzt statt der Senfung der Umfaßsteuer auf 0,6 Broz. eine solche auf nur 0,75 Proz. vorgeschlagen wird, so ist das nicht nur ein Unterschied im Grade. Die Erfahrung hat vielmehr gelehrt, daß je nach dem Grad der Senkung der Umfagsteuer die Wirkung ganz verschieden ist. Und während man hoffen konnte, daß eine erhebliche Sentung der Umsatzsteuer zu einer Ermäßigung der Preise und zu einer Belebung der Wirtschaft führen werde, ist von einer geringen Sentung der Umsatzsteuer eine solche Wirtung nicht zu er warten. Noch schlimmer aber ist, daß der Rüdzug der Regierung erzwungen wurde durch die völlige Aufhebung der

Die Billigungsformel. Reichstag und Genfer Tagung. Ueber die Billigungsformel, die die Regierungs­parteien zur Genfer Frage im Reichstag eingebracht haben, wurde erst in den späten Nachmittagsstunden eine endgültige Einigung erzielt. Der Antrag lautet:

Der Reichstag billigt die Erklärung der Reichsregierung und die Haltung der deutschen Abordnung in Genf .

Er bedauert den den berechtigten deutschen Erwartungen nicht entsprechenden Ausgang der Genfer Berhandlungen.

Der Reichstag erwartet von der Reichsregierung die als­balbige Erwirtung von Garantien dafür, daß die Rückwirtungen des Bertragswertes von Locarno , insbesondere im befeßten Gebiete, mit größter Beschleunigung einer den berech tigten deutschen Forderungen Rechnung tragenden Lösung zugeführt und so bereits vor dem Eintritt Deutschlands in den Böller bund die Erklärungen wirksam werden, die zwischen den am Vertrag von Locarno beteiligten Mächten in Genf über Aufrechterhaltung und Fortführung der Locarno - Bolitit vereinbart worden find.

Der Antrag ist von den Vertretern des Zentrums, der Volkspartei, der Demokraten und der Bayerischen Boltspartei unterzeichnet.

Die sozialdemokratische Fraktion des Reichstages hat dieser Billigungsformel zugestimmt. Bevor die Billigungsformel von den Regierungsparteien im Reichstag eingebracht worden ist, wurde sie der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion im Ur. tegt vorgelegt. Die Fraktion gab dem Anirag unter der Bor­aussetzung ihre Zustimmung, daß in ihm, wie es in dem Urtert nicht der Fall war, direkt vom Bölferbund gesprochen wird. Die Regierungsparteien erklärten sich mit dieser Aende rung einverstanden, so daß die Fraktion im Plenum für die Billigungsformel stimmen wird.

Der weitere Verlauf der geftrigen Reichstagssigung bot feine besonders aufregenden Momente. Keinem Redner gelang es, das Haus von der etwas schläfrigen Nachmittagsstimmung zu befreien, in die Graf eft arp es hineingeredet hatte. In feinem Augenblid mögen mehr als 40 bis 50 Abgeordnete im Saale gewefen fein; oft aber waren es weniger. Es fprachen noch Raas( 3.), v. Rheinbaben( Bp.), Stoeder ( Komm.), Graf Bernstorff( Dem.) und Graf Lerchen. feld( B. Bp.). Heute beginnt die Debatte um 11 Uhr mit bem Grafen Reventlom( Bölt.), dem Cenoffe Breit­heid folgt. Man hofft, fchon gegen 2 Uhr nachmittags zur Abstimmung zu fommen

Weinsteuer und der Schaumweinsteuer und der Berschiebung der Erhöhung der Biersteuer bis zum 1. Januar 1927. Denn den Winzern bringt die Aufhebung der Weinsteuer feinen Nugen. Sie entzieht ihnen aber die bisher aus Reichsmitteln gewährten Unterstügungen und Kre­dite und verstärkt die Konkurrenz der Auslandsweine, schädigt fie infolgedeffen. Die Beseitigung der Erhöhung der Biersteuer gar, die von dem Braugewerbe längst einfaltuliert ist, wovon ihre glänzenden Gewinnziffern beredtes Zeugnis ablegen, ist nur durch die parteipolitischen Bedürfnisse der Bayerischen Volkspartei hervorgerufen.

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Der Prozeß Matteotti .

Randbemerkungen zum bisherigen Zeugenverhör. ( Bon unserem nach Chieti gesandten Berichterstatter.). Chieti , 20. März.

Die Verhandlung war ganz von dem Berhör der von dem Vertreter der Anklage vorgeladenen Zeugen ausgefüllt. Bei der durch das Urteil der Boruntersuchung bedingten Be­schränkung des Anflagebereichs kann sich das Berhör nur um den materiellen Tatbestand drehen, sowie um die Art und Weise der Berhaftung der Angeklagten und um die Auf­findung der Leiche. Wir haben also im wesentlichen die Augenzeugen der Vergewaltigung des Opfers, dann die Po­lizeibeamten, denen es oblag, der Berdächtigen habhaft zu werden, und die Leute, die die Leiche fanden.

Also nichts ,, Sensationelles". Trotzdem ein sensations­Es ergibt sich also, daß die Reichsregierung lüfternes Bublifum; auf den reservierten Plähen an achtzig ihrem eigenen Programm ben Krieg ange: Beibsbilder, die sich an den Angeklagten nicht fatt ſehen fagt hat. Sie 30g aus mit der Absicht, die Wirtschaftsfrise fönnen und in stummer Ovation an ihren Zügen hängen. fönnen und in stummer Ovation an ihren Zügen hängen. burdy Steuerfenfungen zu überwinden. Und sie ist jetzt im nicht ein Schaudern, ja nicht einmal ein Intervall des Ernstes Begriff, heimzukehren mit Geschenken an einzelne und der Sammlung fam über dieses Publikum, als die Knaben Gruppen der Wirtschaft, hat dabei aber ihr allgemeines Bazzotti und Mascagna die grauenhafte. Szene beschrieben. Biel vollkommen preisgegeben. Bei dem Zusammenprall jach nur den Abgeordneten Farinacci ergriff eine plötzliche licher Erwägungen mit bestimmten Gruppeninteressen haben Kampfgier, als wolle er mettmachen, was er im Schüßen­die letzteren den Sieg davongetragen. Beil die bürgerlichen graben verpaßt. Er suchte die Kinder in Widersprüche zu Barteien nicht den Mut haben, den aufgeputschten Winzern zu Scheibe des Autos getan haben, wenn er durch den Knuff in verwickeln. Wie tonnie Matteotti einen Fußtritt in die sagen, daß die Aufhebung der. Weinsteuer ihnen teinen Mugen bringt, wird diese Steuer einfach beseitigt. Weil die den Magen ohnmächtig geworden war. Er hatte eben mieder Bayerische Bolkspartei den Mächtigen im Braugewerbe die Verteidigung die kleinen Beugen zu verschüchtern, indem sie Atem geschöpft," sagte der Kleine ruhig. Weiter sucht die hohe Dividende weiter garantieren möchte, zieht die Be- barauf hinweist, daß der eine von einem Stoß in den Magen, feitigung der Weinsteuer die Beseitigung der Erhöhung der der andere von einem Stoß in den Leib spricht. Das Berhör Biersteuer nach sich. Um das Loch au stopfen, das daburch hinterläßt einen bitteren Gefchmad, wie man auch nicht ohne zu der andere von einem Stoß in den Leib spricht. Das Berhör in die Reichskaffe gerissen wird, soll die Senkung der Umiah Widerwillen auf die Herren Beamten bliden fann, die der fteuer im geringeren Maße vor fich gehen. Sonderintereffen Gewalijat aus der Ferne beiwohnten und ihrer Bürgerpflicht werden auf solche Art über das Gemeininteresse gestellt. damit genugtaten, daß fie fich fagten, es fönnte sich um einen Scherz, um eine Kinofzene oder um die Verhaftung eines Verbrechers handeln. Jedesmal, wenn ein Zeuge auf die Gewalt zu sprechen kommt, die von den fünf Individuen am Lungo Tevere Analdo da Brescia an Matteotti verübt wurde, deutet Poveromo seine Freude durch ein freches Grin­deutet Poveromo feine Freude durch ein freches Grin

Das ist als Standpunkt der Sozialdemokratie auch dem Das ist als Standpunkt der Sozialdemokratie auch dem Reichskanzler Dr. Luther in einer Besprechung, die gestern abend auf seinen Wunsch abgehalten wurde, zur Kenntnis gebracht worden. Es wird sich zeigen, ob sich die Regierung weiter von den Regierungs parteien führen lassen will, statt felber zu führen. Ein solches Verfahren ist schon an und für sich bedentlich, aber wenn die Regierungsparteien nicht einmal über die Mehrheit verfügen, wirft es geradezu fatastrophal.

"

Zu dieser haben die Bölkischen einen Antrag ein­gebracht, der der Regierung das Vertrauen des Reichstags" ausspricht. Es ist anzunehmen, daß das Haus diefen Antrag, der ein findisch- unwürdiges Manöver ist, durch Uebergang zur Tagesordnung erledigen wird. Aeußerstenfalls fönnte aber die Regierung selbst um Ablehnung bitten, da sie auf eine ,, Bertrauenstundgebung" von dieser Seite verzichte.

Die Millionen gegen Fürstenmilliarden.

Fast 7 Millionen in 16 Wahlkreisen. gebnissen von 10 Wahlkreisen( Berlin , Westfalen- Süd, Köln­Gestern abend wurden zu den bisher vorliegenden Er­Aachen, Düsseldorf - Oft, Düsseldorf - West, Pfalz , Dresden Baugen, Leipzig , Württemberg, Baden) se ch s weitere befannt. Bergleicht man die Zahl der Eintragungen mit der Zahl der Stimmberechtigten und der Zahl der bei der letzten Reichs tagswahl am 7. Dezember 1924 auf Sozialdemokraten, Unab­hängige und Kommunisten, so ergibt sich folgendes Bild:

Rahl der Eintragungen

Brozentfak der Stimmberechtigten Dom 7. Dez. 1924

Broz der Stimmen, dieauf SPD., USB. u. Kommuniften am 7. Dea 1924 entfallen find 74

Bahltreis

6. Bommern 9. Oppeln. 12. Thüringen .

205 559

18,9

147 830

18,7

144

562 523

40,0

121

16,1

144

50,0 38,3

21. Koblenz - Trier . 119 056 30. Chemnitz - 8ridau 577 165 83, Hessen- Darmstadt 325 756

129 130

Rechnet man das Ergebnis in den bisher gemeldeten Wahlkreisen- 4 872 396- zu den hier aufgeführten hinzu, so ergibt sich eine Gesamtzahl von

6809785 Eintragungen in 16 Kreisen. Es stehen noch 19 Wahlkreise aus, in denen bei der leigten Reichstagswahl für Sozialdemokraten, Kommunisten und Un abhängige zusammen 6 627 027 Stimmen abgegeben wurden. 627.027 Es ist sicher damit zu rechnen, daß diese Rahl zumindest erreicht, mahrscheinlich aber zum Teil wesentlich überschritten wird. Man tann demnach mit einer Gesamtzahl der Eintra­gungen von rund 13,5 Millionen rechnen!

Teilergebnis aus Ostpreußen . Königsberg , 22. März.( WTB.) In den vier oftpreußischen Regierungsbezirken wurden bisher 132 672 Eintragungen für das Boltsbegehren gezählt; einige Bezirke stehen jedoch noch aus.

fen an

amnestierten früheren Angeklagten Aldo Butato. Ein Sehr animiert wird die Verhandlung beim Berhör des fümmerliches Bürschchen, grüßt er herzlich seine Gefährten im Käfig und tritt dann geziert mit dem faschistischen Gruß vor den Präsidenten. In seiner Eigenschaft als Angeklagter hatte er ausgesagt, von Panzeri als eine Aussage Bove­romos erfahren zu haben, daß Matteotti im Auto ver­ichleppt, dann getötet und begraben worden wäre. Jetzt zieht er die Aussage zurüd; nicht ẞoveromo, sondern Dumini hätte Banzeri informiert; nicht getötet wäre Matteotti, sondern gestorben! Poveromo, den ja die ganze Sache nichts angehen sollte, will absolut das Wort, und sein Verteidiger hat große Mühe, ihn halbwegs ruhig zu halten.

Der Präsident hält dem Putato entgegen, daß er selbst gejagt hätte: Das Verbrechen schien mir noch ernster, als ich erfuhr, daß man den Kadaver nadt ausgezo­Berbrechen bezeichnen? Es entsteht ein Tumult, bei dem der gen hatte." Wie fann man einen natürlichen Tod als Oberstaatsanwalt ausruft: Das ist fein gemeiner Prozeß." worauf Farinacci entgegnet: Heute ist es ein gemeiner Brozeß," natürlich, ohne darin die Wahrheit einzuschließen, die in unserer Sprache der Doppelsinn des Wortes enthält. Es folgen zwei Polizeifonfidenten, die bei der Berhaftung Violas behilflich waren. Einer von diesen, Giunchedi, der nicht den Eindruck geistiger Normalität macht, will von Biola die folgenden Worte gehört haben: Wenn es zum Prozeß tommt, werde ich sagen: laßt mich einen Augenblick mit dem Ministerpräsidenten sprechen."

Mit leichtem, zartem Schritt geht die Verhandlung über die Aussage des Polizeikommiffärs Jantuffi meg, der Dumini am Abend des 12. Juni beim Bahnhof Termini in Rom per­haftet hat. Gleich nach der Berhaftung äußerte Dumini den Wunsch, mit dem General de Bono zu sprechen. Dieser wurde gerufen und erschien. Bei der halbstündigen Unterredung zwischen dem Generaldirektor der Polizei und dem eben Ber­hafteten war niemand zugegen. Nachher ließ de Bono durch den Milizgeneral Sacco das Gepäd Duminis in das minifterium des Innern bringen, obwohl der Polizeibeamte ihm vorstellte, daß die Dienſtvorschriften ihm, dem Bolizeibeamten, die Bewachung des Gepäcs zur Pflicht machten. Nach einer bis anderthalb Stunden wurde das Gepäck dann diesem zuständigen Beamten wieder übergeben und in seiner Gegenwart geöffnet; er hatte den Eindrud, daß es vorher nicht geöffnet worden wäre. Die Bedeutung dieser Episode dürfte den Geschworenen taum zum Bewußtsein ge tommen sein; jedenfalls hat sich in diesem Sinne niemand Mühe gegeben.

In bezug auf die Richtlinien der Verteidigung ist während des Zeugenverhörs zu der schon in unserem ersten