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Abendausgabe

Nr. 148 43. Jahrgang Ausgabe B Nr. 74

Bezugsbedingungen und Anzeigenpreife Find in der Morgenausgabe angegeben Redattion: S. 68, Lindenstraße 3 Fernsprecher: Dönhoff 292-297 Tel.- Adresse: Sozialdemokrat Berlin

Vorwärts

Berliner Dolksblatt

10 Pfennig

Montag

29. März 1926

Berlag und Anzeigenabteilung: Geschäftszeit 9-5 Uhr

Berleger: Borwärts- Berlag GmbH. Berlin SW. 68, Lindenstraße 3 Fernsprecher: Dönhoff 292-297

Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

Niederlage des Nationalen Blocks.

Paris stimmt gegen Millerand und Mussolini .

Paris , 29. März.( Eigener Drahtbericht.) Jm ehemaligen Parifer Wahlkreis Millerands fand am Sonntag eine Nachwahl zur Kammer statt, die unter der Parole für und gegen den Faschismus und Kommunismus von beiden Seiten mit größter Schärfe durch. geführt wurde. Im ersten Wahlgang hatte der Nationale Blod einen großen Vorsprung; an zweiter Stelle folgten die Kommu­nisten, dann die Radikalen und Sozialisten. Für die Stichwahl hatten die Sozialisten ihren Kandidaten zurückgezogen und empfohlen, gegen den Faschismus zu stimmen. Bei der Nachwahl siegte die kommunistische Lifte mit rund 63 000 Stimmen, während der Nationale Blod es nur auf 61 700 brachte.

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Der Bezirk, in dem gestern in Paris gewählt wurde, um faßt etwa ein Drittel der Hauptstadt, wobei die Pleinbürgerlichen Viertel und die Arbeiterviertel sich ungefähr die Wage halten. Das Ergebnis bedeutet einen Sieg für den Kommunismus, sondern eine Niederlage für die Reaktion. Oder, wie es der Quotidien" heute morgen ausdrüct: Stimmte Paris gestern für Lenin ? Nein! Aber gegen Mussolini !" Da die Radikalen und die Sozialisten für den ersten Wahlgang feine gemeinsame Liste aufzustellen vermocht hatten, so erhielten sie vor vierzehn Tagen weniger Stimmen als die Kommunisten, die selbst um 12 000 Stimmen hinter den beiden Vertretern des Nationalen Blocks zurückblieben. Einer dieser beiden Nationalisten war der intime Freund und Mitarbeiter mille rands: Paul Reynaud . So ging legten Endes der Kampf für oder gegen den ehemaligen Präsidenten der Re­publit, der seit einem Jahr immer mehr im faschistischen Fahr­waffer segelt.

Ein Opfer der Geschichte.

Kein nugloses Grab.

Lugano , 25. März 1926. Um den Prozeß Matteotti , nun er einen vorläufigen Ab­Angesichts der Gefahr, die ein Sieg der Faschisten im schluß gefunden hat, richtig einzuschäzen, muß man vor allen gegenwärtigen Augenblid bedeutet hätte, gaben nicht nur die Dingen vor Augen behalten, daß das ganze ihm zugrunde Sozialisten, sondern auch die Radikalen die Parole aus, liegende Ereignis sich über zwei verschiedene Phasen des herr­daß es im zweiten Wahlgang darauf ankomme, mille schenden Regimes erstreckt: die terroristische und die rand zuschlagen. Praktisch bedeutete dies die Aufforde- legalitäre. Als Matteotti ermordet wurde, wollte der daß diese Anweisung restlos befolgt wurde. Das nationa: zeigen, was er sich leisten konnte, wie gefährlich es war, ihn rung zur Stimmabgabe für die Kommunisten, und es scheint, Faschismus eine Kraftprobe liefern; er wollte den Gegnern listische Echo de Paris" überschüttet auch heute morgen Herriot zu reizen. Reinerlei Vorsicht, sondern unbedingtes Zutrauen und seine Freunde mit Vorwürfen, weil sie, die bisher unter auf die einschüchternde Macht seiner Gewalt. Die Rechnung der Knute Léon Blums gestanden" hätten ,,, nunmehr unter erwies fich als falsch. Der moralische Abscheu des ganzen die Knute Marcel Cachins geraten" wären. Wenn nun die Landes erschütterte die Grundlagen des Regimes und zwang Pariser Rechtspresse weiter behauptet, Paris sei auf diese Art seine Führer zu Zugeständnissen, zwang sie zu dem, was nicht ,, dem Bolschewismus verfallen", so ist das eine bewußte und in ihren Plan gehörte, zur Verhaftung der am meisten be= groteste Uebertreibung. Von den 63 000 Wählern, die für lasteten Schuldigen. die Kommunisten gestimmt haben, ist höchstens die Hälfte kom­munistisch gesinnt, wobei der Kommunismus für sie nur der Ausdruck einer allgemeinen unzufriedenheit mit der Teuerung, der Inflation und der Unfähigkeit des Parla­ments, eine flare Mehrheit in der Finanzfrage zu bilden, ist. Die übrigen siegreichen Stimmen sind Stimmen des Kartells der Linken.

Der englische Wahlerfolg.

Condon, 29. März.( EP.) Wie schon gemeldet, behauptete die Arbeiterpartei im Wahlkreis Bothwell das Mandat des verstorbenen Genossen Robertson mit Genossen Sullivan. Der fonservatie Kan­didat erhielt 8740 und der liberale 1276 Stimmen, die Arbeiter­partei hat ihre frühere Stimmenzahl um 3277 vermehrt. Die Wahlfämpfe drehen sich hauptsächlich um den Bericht der Kohlen. kommission, den die Arbeiterpartei bekämpft. Ihr Sieg ist ein Beweis dafür, daß der Bericht bei den Grubenarbeitern teine günstige Aufnahme gefunden hat.

Damit begann jenes Martten mit den Schergen und ihren direkten Auftraggebern, das vor den Assisen pon Chieti seinen Abschluß gefunden hat. Jeder Schuldige, jeder Mitwiffer stellte eine Gefährdung des Regimes dar. Jeder hatte erwartet, daß der Faschismus ihm Treue halten würde und sagen: ich habe das Berbrechen gewollt; es ist eine Episode der Revolution und gehört nicht vor die Richter. Aber das Regime hatte inzwischen eingesehen, daß es einer solchen Belastungsprobe enicht mehr gewachsen war. Es mußte der öffentlichen Meinung ein Zugeftändnis machen, es mußte dem Verbrechen ein wenigstens halbwegs gefeßlich scheinendes Nachspiel folgen lassen. Aber die Herren Angeklagten hatten nicht die geringste Lust, ihre Haut zum Ausfliden des Re gimes herzugeben. Die Mutter Duminis sagte ganz offen: Das ist gegen die Abmachung. In einem geheimen Brief, den ihm die Familie in den Aermel eines Paletots ein­genäht hatte, schreibt eine Schwester an Dumini:

,, Die Mutter meint, Du müßtest Dir eine tüchtige Summe hinter legen lassen, wenn Du freikommst, denn Dein Name ist in den Kot gezogen.

Dem Soldaten der Revolution. Deutschland zu pflegen. Das gleiche werde er von seiner Reise nach eine tüchtige Menge Geld aufzuwiegen. Man spricht von

Kranzniederlegung auf Wilhelm Liebknechts Grab. Eine stille Feier, aber eine Feier voll Andacht war die Kranzniederlegung auf dem Grabe Wilhelm Liebknechts durch Parteivorstand und Redak­tion des Borwärts". Schon in den frühen Morgen­stunden war das Grab geschmückt mit einem Kranz roter Rofen, aber auch feine Büste mar non Proletarierhänden mit bescheidenen Schneeglöckchen, roten Tulpen und Levkoien Besteckt.

Für den Parteivorstand

Sie verfolge den 3wed, die wirtschaftlichen Beziehungen mit Brag fagen fönnen... Er lege fich zwar Rechnung davon ab, daß sein Besuch in Berlin vielfach falsch ausgelegt werden würde. Man dürfe aber nicht überrascht sein, wenn zwei Länder, die die gleiche Sprache und die gleiche Kultur befäßen, ganz besonders herzliche Beziehungen unterhielten.

** Genfer Nachklänge.

In Polen und Spanien .

Der Auswärtige Ausschuß des Sejm hat am Sonnabend mit 17 gegen 5 Stimmen Strzynski das Vertrauen aus­

Es handelte fich darum, eine tüchtige Menge Rot durch einer Geldforderung Duminis in der Höhe von zwei Millionen Lire. Natürlich wäre die Regierung mit einem schlanken Freis spruch in der Boruntersuchung am billigsten davongekommen, aber dieser Ausweg war verrannt, einmal durch die Rücksicht auf die öffentliche Meinung im Ausland, dann deshalb, weil der Freispruch der Angeklagten jeden Tag die Wiederauf­nahme des Verfahrens gegen andere Beteiligte und somit einen neuen Standal ermöglicht hätte. Also galt es, eine juristische Formel zu finden, die einem der schwersten Ber­brechen, die das Strafgesetz vorsieht, durch eine unbedeutende Strafe eine scheinbare Sühne folgen läßt. Man mußte den die Ahn­

Crispien und Stelling die Büfte mit einem Kranz mit gesprochen und in einer Resolution die Regierung aufgefordert, Mord an einem Abgeordneten so ahnden, daß sich die Herren

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der Inschrift Dem Soldaten der Revolution". Genosse Adolf Braun , der unter Liebknecht Redakteur am Bor­märts" war, legte für die Redaktion des Vorwärts" einen Kranz nieder, der Dem Führer und Lehrer" galt. Es ist geweihte Erde, der Friedrichsfelder Friedhof. Zu feinen Toten gehören die besten Namen deutscher Partei- und Gewerkschaftstradition. Nicht weit von dem großen Führer und Kämpfer liegen sie: Ignaz Auer , Paul Singer , Hugo Haase , Luise Zieß und Legien. Ihnen allen galt ein stiller Gruß und heißes Gelöbnis, das in den roten Schleifen und Frühlingsblumen von Liebknechts Denkmal leuchtet.

Dr. Ramek in Berlin .

Reden beim Festessen. Reichstanzler Dr. Luther gab am Sonntag abend zu Ehren des österreichischen Bundeskanzlers ein Essen. In seiner Ansprache gedachte Dr. Luther der starken und wechselseitigen Kulturströme, die feit alter Zeit verbindend und befruchtend zwischen den beiden Staaten geflossen sind und Wiens als eines der fruchtbarsten Aus­gangspunkte deutscher Kultur. Er erinnerte an den großen Gedanken der Rechtsangleichung, die Handel und Wandel in den beiden Staaten möglichst unter die gleiche rechtliche Norm stellen will. Der Reichskanzler wies schließlich darauf hin, daß sich in den letzten zwei Jahren für beide Länder die allgemeine Lage zweifellos ge­beffert habe. Er gab der Hoffnung Ausdruck, daß die Entwicklung sicher und stetig zum Heile beider Staaten fortschreite.

In seiner Erwiderung betonte auch Bundeskanzler Dr. Ramet, daß die Wirtschaft der beiden Länder den Tiefpunkt einer schweren, Genesungs- und Anpassungsfrise bereits durchschritten haben. Die Beziehungen zu den fremden Staaten hätten sich bedeutend gebessert; wenn die Hoffnung nicht trüge, näherten wir uns unaufhaltsam einem von, allen guten Europäern" ersehnten Zustand eines auf wahrer Bölferverföhnung verankerten europäischen Friedens.

Ramek an Frankreich ).

Paris , 29. März.( Eẞ.) Bundeskanzler Dr. Ramet hat dem Biener Korrespondenten des Temps" ein Interview gewährt und barin erklärt, daß die österreichische Politik in aller Deffentlichkeit geführt werde. Die österreichische Regierung verfolge den geraden Beg und halte sich genau an die bestehenden Verträge. Sie wolle vor allem für ihre Staatsangehörige annehmbare Lebens bedingungen schaffen. In diesem Sinne sei seine Reise nach Berlin , die in erster Linie ein Höflichkeitsbesuch wäre, aufzufassen.

bei den jüngsten Genfer Debatten mit der Unterstützung Frankreichs zunächst einen ständigen Ratssitz verlangte, so geschah dies wohl nur, um dann wenigstens einen nichtständigen Sitz zu erhalten und dabei noch den Anschein zu erwecken, als zeige man Bescheidenheit und Entgegenkommen. Das abermalige Verlangen nach einem stän digen Sitz dürfte dem gleichen Zweck dienen, wobei allerdings gesagt werden muß, daß es nicht sonderlich sympathisch berührt, daß Polen dieses etwas plumpe Manöver wiederholt.

einen ständigen Ratssitz für Polen zu kämpfen. Diese Forderung ist wohl mehr ein taktischer Zug, denn ernst gedung gefallen ließen. Das war feine Kleinigkeit. Auf Mord meint. Denn hoffentlich bildet sich kein polnischer Politiker ein, steht lebenslängliches Zuchthaus. So hat die Voruntersuchung daß es möglich sein wird, im September jenen ständigen Ratssitz zu aus dem Mord Totschlag, der Bertreter der Anklage in Chieti erhalten, der im März Polen abgeschlagen wurde. Wenn Polen aus Totschlag Körperverlegung mit tödlichem Ausgang gea macht. Aber auch dabei wäre noch zu viel herausgekommen. Also mußte man den straferhöhenden Umstand, daß die Tat parlamentarischen Funktionen begangen worden war, aus­an einem Mitglied des Parlaments und auf Grund seiner schließen, mußte, außer den allgemeinen mildernden Um­ständen, die gegenseitige Mitschuld annehmen und mußte den Tod nicht allein von den Mißhandlungen, sondern von einer Nebenursache ableiten, nämlich einer Zuberkulose, an der Matteotti gelitten haben soll. Uebrig bleiben für die drei Berurteilten fünf Jahre, elf Monate und 20 Tage, von denen vier Jahre für die Amnestie und 21 Monate für die Unter­fuchungshaft abgehen. Rettoreft zwei Monate und 20 Tage. Es flingt wie ein schlechter Wiz, aber es ist blutige Wahrheit.

In San Sebastian hielt der spanische Außenminister Yanguas eine Programmrede über die Stellung Spaniens zum Bölkerbund, in der er betonte, daß das politische Ideal Spaniens dahin gehe, daß es überhaupt teine ständigen Sie im Bölkerbundsrat gäbe, sondern nur solche Size, die von der Ver­fammlung nach freiem Ermessen bestimmt werden. Yanguas er. flärte, daß Spaniens Forderung, gleichzeitig mit Deutschland einen permanenten Sitz zu erhalten, teine Spike gegen Deutschland enthalten habe, denit Spanien habe diesen Wunsch bereits 1921 zum Ausdruck gebracht. Andererseits habe ihm Dr. Luther in Genf versichert, daß die deutschen Bedenken lediglich grundfäß­lichen Charakter getragen hätten und nicht auf einer Bor­eingenommenheit gegen Spanien beruht hätten. Danguas fügte hinzu, daß es für den Geist ven Locarno nur vorteilhaft sein fönnte, wenn eine neutrale Macht einen ständigen Sitz im Rat haben würde und im Falle ven Konflikten zwischen den Locarno­mächten eine Vermittlerrolle spielen würde.

Bratianu löst die Kammer auf. Große Tumulte.

Bufareft, 29. März.( TU.) In der Kammer fam es aus Anlaß der Rücktrittserklärung der Regierung Bratianu zu äußerst heftigen Tumultszenen. Der Führer der Opposition, Madgearu, übte scharfe Kritik an der Politik der liberalen" Regierung, die an dem gegenwärtigen niedrigen Stand der rumänischen Währung schuld sei. Diese Angriffe riefen bei den Liberalen heftigen Proteft hervor. Bfuirufe übertönten minutenlang den Redner, der schließlich auf das Weitersprechen verzichten mußte. Hierauf verlas der Minister­präsident den Erlaß über die Auflösung der Kammer sowie die Ab­dankung der Regierung. Nach Berlefung des Dankschreibens des Königs an die Regierung Bratianu durch den Kammerpräsidenten Orleanu wurde die Tagung geschlossen.

Jezt kann das Ausland nicht sagen: seht, die Berbrecher find straffrei geblieben; für ein Wiederaufnahmeverfahren genügt es nicht, einen weiteren Schuldigen zu finden. An­bererfeits hat man sich die großen Kosten erspart, und die un­verkennbare Gefahr, Dumini und den Seinen auf die Hühner­augen zu treten, und hat die Schande der Ehrungen verhin­dert, die sonst den Freisprüchen von Faschisten folgen. Sofort wird nämlich niemand in Freiheit gefeßt, auch die Freige­( prochenen nicht, denn Biola muß eine Strafe von drei Jahren Malacria steht unter Prozeß wegen Unterschlagung. Die Zuchthaus wegen eine Einbruchsdiebstahls abbüßen und Apothese der Berbrecher und des Berbrechens, um deretwillen mancher nach Chieti gekommen war, ist somit unterblieben.

Was ist zum Prozeß nachzutragen? Es war wahrhaftig fein Sensationsprozeß: es war ein Schauspiel mit schlechter Regie, banal und gemein, hinter deffen Kulissen sich vielleicht ein wirkliches Drama abspielte. Nicht etwa in der Seele der Angeklagten; die ist nicht von dem Format, daß in ihr Platz märe für Tragit, aber vielleicht in der Seele des Präsidenten und des Staatsanwalts, die beide in dieser Auseinander­fehung zwischen Justiz und Parteiräfon sich als Abtrünnige fühlen mußten an ihrer großen Mission, aus Dienern der Ge rechtigkeit zu Bedienten von Interessen herabgewürdigt.

Während der Prozeß schwebte, soll Order aus Rom ge­kommen sein, schnell zu machen. Nun er vorbei ist, wird der Befehl kommen, nicht mehr über ihn zu sprechen. Es war in der Tat ein fümmerliches Turnier, das in Chieti vorge­i führt wurde Borte, Worte, Worte, nichts dahinter, teine

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