fr. 149 43.Jahrgang
foot of e
gainnolepildus ni
1. Beilage des Vorwärts
helauert
Geht man heute durch die Bezirke der Außenstadt, fällt einem als erstes die rege Bautätigkeit auf, die dort entfaltet wird. Bei vielen Wohnungsuchenden werden sich da die Hoffnungen, erneut beleben, und auch mancher, der in dem Besitz einer eigenen Wohnung ist, mird erleichtert aufatmen. Wie hoch sind nun die Mieten dieser neuen Wohnungen? Davon hängt ja legten Endes alles ab. Und leider, das muß gleich eingangs gesagt werden, stellen fich die Mieten für diese Wohnungen so hoch, daß sie der Mann mit schmalem Einkommen nicht bestreiten kann.
12000 neue Wohnungen.
Im Jahre 1926 werden in Berlin voraussichtlich 12 000 ohnungen hergestellt werden. Diese 3iffer ist sehr niedrig im Bergleich zu der Zahl der in Berlin fehlenden Wohnungen, die in den amtlichen Stafiffifen auf 100 000 angegeben sind. Nach dem Be völkerungszuwachs und der Zahl der Eheschließungen entsteht in Berlin ein jährlicher Bedarf von 16.000 Wohnungen, so daß also trog der Steigerung der Bautätigkeit in diesem Jahre noch nicht einmal soviel Bohnungen gebaut werden als nötig mären, um die zukommenden Wohnungsuchenden unterzubringen. Daraus ergibt fich, daß die Wohnungsnot in Groß- Berlin sich immer noch im steigenden Stadium befindet. Den Hauptteil an der Förderung der Bautätigkeit fällt der Wohnungsfürsorge gesellschaft Berlin zu. Die Aufgabe der Gesellschaft ist die gemeinnügige För derung des Wohnungs- und Siedlungsmefens. Eine eigene Bautätigkeit entfaltet fie nicht, vielmehr überträgt sie gemeinnützigen Gesellschaften, zu denen auch die städtischen Gesellschaften gehören, den Wohnungsbau unter Zahlung von Zuschüssen. Bestimmt find diese mit den Zuschüssen der Wohnungsfürsorge hergestellten Wohnungen für Minderbemittelte, Kriegsbeschädigte und finderreiche Familien. An Ausländer dürfen sie nicht abgegeben werden. Mit
47]
Onkel Moses.
Roman von Schalom Asch . Schlojme, wohin gehst du? Ich lasse dich nicht gehen!" fchrie Chane Rosa und faßte Schlojme beim Rock. Marsch, marsch, nach Hause. Juden, kommt!" Und die Landsleute marschierten hinaus, um des Onfels Werkstätte zu stürmen.
6.
Sam erwartete diie Landsleute und hatte alle Vorbereitungen zu ihrem Empfang getroffen. Er hatte den Better Prat, und durch seine Bahldienste für diese Partei war er gut Manes, den Agitator, aufgesucht. Der war ein heißer Demo Freund mit dem Richter, mit den Polizeikommissaren und allen Spizen" feines Distrikts. So oft es in der Verwandt fchaft irgendwelche unangenehme Affären gab, lief man zum Better Manes. So suchte ihn auch Sam auf. Manes hielt freilich nicht viel vom Onkel und hatte auch wenig von dem reichen Oheim; doch als er hörte, daß des Onkels Geschäft in Gefahr fei, und daß die" Sozialisten" den Onkel ruinieren wollten, da erwachte in ihm das verwandtschaftliche Empfinden. Die ganze Verwandtschaft des Onkels war stolz auf dessen Vermögen und hielt es für eine Ehre, etwas für den Onkel tun zu können. Manes eilte sofort zum Polizeichef und erzählte ihm von den Ruhestörern". Der Polizeichef schichte eine Batrouille, um die Landsleute zu empfangen.
"
Als Schlojmele, der Botengänger, und die Landsleute vor die altpertraute Werkstätte des Onfels tamen, in der sie Tag um Tag, feit fie in Amerika waren, gesessen hatten, da trat ihnen eine Straßendirne entgegen, welche plötzlich irgendwo cufgetaucht war, und umarmte Schlojmele.
Schlojmele erschrat. Er wollte sich aus den Armen des Beibes befreien und mit den Landsleuten in die Werkstätte hinaufgehen, um die Arbeitswilligen mitzunehmen. Doch die Frau hielt ihn am Aermel fest und schrie:
Polizei, Polizei, er hat mich beleidigt!" Plötzlich waren Polizisten mit Knütteln in den Händen da, Detektive in Zivil und verdächtig aussehende Weiber, welche die alten Juden an den Bärten und Schläfenlocken zogen. Was ist geschehen?" fragte ein Polizeisergeant.
"
Er hat mich beleidigt. Er hat mir ein schändliches Anerbieten gestellt," rief die Dirne und hielt den armen Schloj mele beim Rod, dessen Schläfenloden vor Angst zitterten. Das war das Signal. Sofort fausten Knüttel auf die Köpfe der Landsleute nieder. Einige begannen davonzulaufen und ließen eine Schläfenlode oder ein Stück Bart in den Händen der Straßendirnen; andere famen mit zerbeulten Köpfen davon; wieder andere, unter ihnen Schlojmele, wurden
Der neue
Dienstag, 30. März 1926
Wonungsbau.
>
nugen von privaten Bauunternehmern gebaut, zu denen aus allgemeinen Mitteln nur ein Zuschuß in Höhe von 6000 m. für eine Ginzimmerwohnung aus der Hauszinssteuer gezahlt wird. Die monatliche Miete beträgt hier für eine Zweizimmerwohnung 65 M., wo noch hinzukommt, daß der Mieter einen Baukostenzuschuß zu zahlen hat in der Höhe von etwa 1000 m. pro Zimmer. Nun Höhe von 100 m. zu erfolgen, so daß der Mieter einer Zweiwird zwar Ratenzahlung gewährt, aber diese hat monatlich in der aimmerwohnung 100 m. Bautostenzuschuß und 65 M. Miete
den ihr für das Jahr 1926 zur Verfügung stehenden Mitteln tann die Gesellschaft den Bau von 4800 Wohnungen betreiben. Davon entfallen auf Neukölln 1312, Pantom 748, Reinickendorf 622, Span dau 610, Lichtenberg 348, Weißenfee 263 und Röpenid 145. Der reſtliche Teil entfällt auf die westlichen Stadtbezirke. Ein erheb. licher Teil der Wohnungen ist in der Bollendung begriffen und steht der Besichtigung jederzeit offen. Auskunft und nähere Be zugsbedingungen fönnen von den Bezirksämtern eingefordert werden. Bei allen diesen Wohnungen ist vom Mieter ein Baufostenzuschuß nicht zu zahlen. Die Miete beträgt für eine Einzimmerwohnung mit Zubehör 45 bis 60 m. monatlich, für eine Zweizimmerwohnung mit Zubehör 60 m. und für eine Dreizimmer- zent der Bevölkerung unerschwinglich ist. Kein Wunder, daß ein wohnung 90 m. monatlich.
Zu teuer!
Das sind Mietfummen, die der Arbeiter bei seinem jetzigen Eintommen nicht bezahlen kann. Aber diese Wohnungen sind noch nicht die teuersten. Da werden noch eine ganze Reihe von Woh
8-423
Gebrauchsfertig Zugang an Wohnungen abgenommene Dauerneubauten in Dauerneubauten
Z
4027
3460
3052
2626
2356
2248
2736
1922 23 24 1925 1922 23 24 1925
blutig geschlagen, auf die Polizeistation geführt, begleitet von Polizisten und Straßendirnen, von Schimpfworten und Schlägen. Eine Viertelstunde später mar nichts mehr von den Landsleuten zu sehen, und vor der Werkstätte des Ontes Moses mar es still und ruhig; nur da und dort lag eine abgerissene Hutkrämpe oder ein Aermel im Straßenschmutz.
Onkel Moses war im Geschäft, als sich dieser Borfall ereignete. Er sah den Vorgängen draußen zu. Seine Lands leute, feine Kameraden aus der Kindheit waren es. die dort draußen vor seinem Geschäfte unbarmherzig geschlagen wurden. Es war Schlojmele, der Dorfgeher, sein Chederkamerad, der, blutig geschlagen, auf die Polizeiftation geführt wurde, derselbe Aaron Schachliner, Onkel Moses ' einstiger Lehrer, ein Mann Schlojmele, mit dem sich Onkel Moses noch heute duzte; Reb vor dem man noch heute Ehrfurcht hatte, wurde an den Schläfenloden geriffen. Andere Freunde und Verwandte hatte Ontel Mofes nicht, außer denen, welche so unbarmherzig vor feiner Tür behandelt wurden; er begriff nicht, wie das gekom men war. Nie hatte er sich vorstellen können, daß so etwas geschehen könnte. Es war ihm, als befände er sich selbst mitten unter den Landsleuten, die da geschlagen wurden. Ganz Kusmin war dabei. Onkel Moses lief zu Sam, welcher bleich und mit bebenden Nasenflügeln dastand.
Was geschieht hier bei mir? Was tuft du? Wer hat dir das befohlen? Stop! Augenblicklich stop!"
1
Sam fah ihn an. In seinen Augen lag etwas, was der Onfel in niemandes Augen gesehen hatte. Nur die andern hatten es bisher in des Onfels Augen gesehen:
" Onkel, mischen Sie sich nicht ein, please."
Wer hat sich nicht einzumischen? Ich bin hier der Herr." Wenn Sie der Herr sind, all right; zahlen Sie mir meinen Geschäftsanteil aus, und ich werde selbständig ein Geschäft führen, wie ich es perſtehe."
Der Onkel erschrat. Zum erstenmal fühlte er es flar, daß eine Macht ihm über den Kopf gewachsen war. Er fürchtete sich, allein zu bleiben, erschrat vor der Energie und der Kraft, welche aus Sams Augen und Antlig sprühten und fühlte
feine Schwäche.
-
Aber, was tuft du, Sam? Du läßt Menschen schlagen?" Der Onkel unterdrückte seinen Zorn.
„ Geschäft!" Das war das einzige Wort, welches Sam antwortete.
,, Aber, Landsleute, Verwandte?"
,, Es gibt keine Verwandtschaft, es gibt feine Landsleute mehr, sie sind Angestellte, Arbeiter. Ich werde nicht mit ihnen in die Schul gehen und mich nicht mit ihnen hinfezen, um mir Geschichten aus der Heimat anzuhören. Ich kenne feine Berwandtschaft, bei mir muß gearbeitet werben."
165 M. zu entrichten hat. Da die Abzahlung des Baukostenzuschusses in zwei Jahren erfolgt sein soll, so bezahlt der Mieter zwei Jahre lang in jedem Monat dieje enorme Summe, die für 80 ProTeil der Wohnungen, die bereits im November 1925 bezugsfertig waren, jeht noch leersteht. So in der Kaiser- Friedrich- Straße in Bankow in einem Häuserblock mit 91 Wohnungen etwa die Hälfte. Die neuhergestellten Wohnungen haben allerdings gegenüber den alten Mietfasernenwohnungen den Vorzug der hygienisch besseren Bauart. Vom vierstöckigen Haus ist man auch jetzt noch nicht abe gegangen, aber es kommen in Forffall die Quergebäude und Seitenflügel, die ja in den Mietfasernen die Brutstätten der Proletarierfrankheiten sind. Die Höfe sind groß und gartenähnlich angelegt, und auch an einem Spielplatz für die Kinder fehlt es nicht, was heute um so höher einzuschäzen ist, da bei dem steigenden Verkehr die Straße immer gefährlicher wird. Die Wohnungen selbst find weit und geräumig, möglichst so gebaut, daß jede Wohnung eine Sonnenseite hat. Elektrische Beleuchtung, Bad und Kammer hat selbst die Einzimmerwohnung. Diesen Anforderungen entspricht 3. B. die„ Gartenstadt Atlantic" am Gesundbrunnen , die nach dem Bauprogramm 550 Wohnungen baut und von denen jetzt 340 bis auf die Auspuharbeiten fertiggestellt sind. Die Wohnungen können schon jetzt gemietet werden, wozu allerdings die nette Summe von 1800 M. Mieteporauszahlung erforderlich ist, die in Raten abgezahlt werden kann.
Ber tann diese Wohnungen mieten? Darüber tann fein 3meifel bestehen: der Arbeiter mit seinem niedrigen Einkommen fann es nicht. Er wird knapp die Miete bezahlen können, und mo nimmt er den Baukostenzuschuß her? Die erleichterten Zahlungen in Monatsraten ändern nichts an der Tatsache, daß monatlich, je nach der Größe der Wohnungen, immer noch 100 bis 180 m. gezahlt werden müssen. Das monatliche Einkommen eines unge lernten Arbeiters in der Berliner Industrie beträgt etwa 140. Nicht viel höher ist das monatliche Einkommen der unteren Angestellten und Beamten, das im besten Falle 220 M. erreicht. Für diese Gruppen tommen also diese Wohnungen gar nicht in Frage. sondern vielmehr nur für die, die ziemlich did in der Wolle fizen. Bei diesen ist aber die Wohnungsnot nicht sehr groß, denn mer Geld hat, hat sich schon längst eine neue Wohnung beschafft. Um die neuen Wohnungen für jeden bezugsmöglich zu machen, muß eben zum Mittel der allgemeinen Lohnsteigerung gegriffen werden. Es hat feinen Zwed, Wohnungen zu bauen, die leerstehen, sondern der Zweck soll doch der sein, die herrschende Wohnungsnot zu mildern und zu beseitigen.
Der Onkel versuchte noch einen Einwand. " Aber, Sam, bedenke
"
" Onkel, I'm tired of it!" unterbrach ihn Sam, ich habe meine Art, das Geschäft zu führen, und der Onkel hat seine Art gehabt. Ich wünsche nicht gestört zu werden. Und idy will dem Onkel die Wahrheit sagen es wäre vielleicht besser, wenn wir auseinander gingen. Ich will endlich beginnen, auch für mich etwas zu tun. Ich habe schon zu lange für einen anderen gearbeitet. Ich will nun anfangen, auch ein wenig für mich auf eigene Verantwortung zu arbeiten.
Der Onkel schwieg. Er wurde bleich und traurig. Er fühlte Einsamkeit rings um sich. Es war ihm, als sei ganz Er wollte Mascha den Kummer erzählen, der ihn betroffen Rusmin auf die Straße geworfen und er mit. Wortlos verließ er das Geschäft und ging nach Hause. hatte, und hatte Sehnsucht nach einem guten tröstenden Wort. Er wollte sein Kind sehen, es tüssen und sich seiner freuen, so wie stets, wenn er Merger gehabt hatte, in seinem Familienleben die Ruhe wiederfinden. Doch er fand das Kinderzimmer, wo sich Mascha mit dem Kinde aufhielt, verschlossen. Rosa gab ihm einen Wint:
,, Mofes, laß sie jetzt allein. Sie ist erregt." Durch die Tür hörte er Mascha. schluchzen. ,, Warum meint sie? Was ist geschehen?" Der Onfel erschrat. ,, Sie weint wegen der Landsleute; sie hat gehört, daß sie geschlagen wurden. Sie wird sich bald beruhigen.
Mascha, Mascha, dear, please, Mascha!" bat der Onkel an der Tür.
Mascha antwortete, nicht. Sie lag im Kinderzimmer, den Kopf in des Kindes Kissen gepreßt, und meinte bitterlich. Sie haßte jetzt alles, nicht nur ihren Mann und Sam, auch ihr Kind, das durch fie beide entstanden war, haßte sie. Sie haßte sich, daß fie sich ihnen für ein Stück Brot verkauft hatte, haßte ihre Eltern, daß sie sie dazu getrieben hatten. Ihre Jugend erstand vor ihren Augen mit der Armut in der Hopkinsstreet, und Mascha schien es, daß sich seither nichts geändert hätte; auch sie gehörte zu den Landsleuten, welche in der Werkstatt des Onkels fronten und in Sams Gemalt Sams Hände gegeben worden, als Erbe des Onkels. In dem übergegangen waren. Zusammen mit ihnen war sie in Kampf der Landsleute gegen den Onkel sah sie ihren eigenen Kampf. Auch sie wollte sich befreien von Onkel Moses und von Sam. Auf der Straße vor der Werkstätte des Onkels war auch fie geschlagen worden. Sam hatte sie für den Ontel zusammen mit allen übrigen Landsleuten geschlagen. Ja, auch sie wollte streiken, helfen, den Kampf, den großen Kampf zu gewinnen, sich zusammen mit allen Landsleuten vom Onkel und von Sam zu befreien.. ( Fortsetzung folgt.)