Dienstag 30, März 1920
Unterhaltung unö Wissen
Seilage Oes vorwärts
Nocturne. Von Hans Heinrich Slrätner. Ich Hab» meinen Freund begraben. Er starb freiwillig, in Schönheit, heut» haben wir ihn begraben. Ich taste an meinen schwarzen Kleidern, und mir ist',, als müßt' ich endlich weinen, daß ein Lieben den lichten Menschen und den großen Künstler zerschlug. Bor einigen Togen noch war ich bei ihm in der Dämmerstunde. Ganz leise sprach er, als wenn ein Kind im Schlafe spricht. Di« laute Welt sollte nicht in das Geheimnis seines Lebens hineinhorchen. „Gerda!� Seine Stimme toste den Namen, feine Hände falteten stch. Das holz im Kamin knisterte leise, unwirklich. .Wie oft Hab' ich den Namen in die Abendluft gehaucht und in die Stille gelauscht, ob nicht Antwort käme. Wenn ich sie ge- funden in Erdenferne, dann kamen bleiche Finger und nahmen Stück um Stück von ihrem hohen Bilde, bis sie zu Fleisch erstarrte, und ich fühlte, daß sie in anderen Armen lag und unter eines anderen Küsten bebte. Ein Stöhnen drang oft zu mir her,«in Sträuben gegen seine L'ebe. Ich sah sie zuerst bei einer größeren Abendgesellschaft. Sie stand an einer Säule, da, blonde Köpfchen müde an den Marmor gelehnt. Sie sah In da» bunte Gewoge tanzender Paare. Ich bat um einen Tanz. Als ich den Arm um ihren Nacken legte, war'» mir, als müßt ich ste an mich reißen und ihr sagen: Dich Hab ich gesucht! Ich hielt Im Arm« mein Glück. Ein wesenloses Geben lag in ihren Augen. Wir sprachen ganz besonnen ein paar Säße. Sie sagte, daß ste aus Düsteldorf sei und nur zu Besuch hier weile. Nichts mehr. Dann verabschiedete ich mich und ging. Aber ein Bangen kam, als könnte sie leis wie ein Nachtsput entschweben. Ich ging in die Winternacht. Da wurde die groß« Sehnsucht meines Leben» geboren, nach Sternen. Aus der Nacht wuchs ihr Bild. Des Himmel» nachtgestirnter Mantel lag um ihr« Schultern. Selig lehnte ich mich an den Saum, wie e, die stillen Berge tm Ich rief nach Ihr so oft in sehnsuchtsschwangeren Nächten, daß ihre Lllienhände Trost mir brächten!" Mein Freund sprach mit seltsam ferner Stimme. Einen Augen- blick gähnte lautlose Dämmerung ins Zimmer. „Das Dunkel oerschlingt mich, zünde Licht an!" Es flammte auf und gab uns Wirklichkeit. Er strich mit der Hand durchs wirre Haar und über die Stirn, als müßte er alle» Traumhaft« ab- streichen. Dann sagte er ruhig und klar: „Wochen hörte ich nichts von ihr. Mein verstand zerfaserte da« Erlebnis der paar Minuten. Ich hatte fcilr wohl sonderbare Abhängigkeiten vorgetäuscht. Schließlich wußte ich bei meinen literarischen Träumereien gar nicht mehr, wa» ins real« und was ins künstlerische Bewußtsein gehört«. Do erhielt Ich«Inen Brief von ihr Sie hatte Bücher von mir gelesen. Es war ein Brief, in dem kein Wort von Liebe stand, ober in.grenzenlos«? Hingabe an meine Werke, an mich geschrieben war. Sonderbarerweise stand keine Adresse in dem L-ref. heute Weih ich das Warum.... Um ste zu treffen, kündigte Ich schon für die nächste Woche einen Vortragsabend in Düsteldorf an. Der Abend kam. Auf meinem Tisch lagen zwei Rosen. Ich konnte aber die Geliebte nicht im Saal errtdecken. Allerdings war der Saal Halboerdunkelt, da auf meinem Tisch zwei Kerzen brannten. Ich los aus eigenen Werken, mehr weiß Ich nicht. Nach der Borlesung kamen ein paar Freunde zu mir, dann kam ste. Die Lichter im Saale tanzten. Ich küßte ihr« Hand—— küßte den Goldreif an ihrer rechten Hand. Traum und Wirklich. keit woben ineinander. Ich tonnte nicht begreifen, daß ste oer, heiratet war. Sie stellte mir ihren(Betten, einen Offizier, vor Cr sprach vornehm und bat mich, den Rest de» Abends in seinem heim zu oerbringen. Ich sagte zu und bemerkte gequält, mir grau« doch vor den kalten hotelwänden. Das Auto wartete unten. Der Herr Gemahl war begeistert von meiner Kunst. Ich kämpfte mit den Tränen, daß mein Traum so häßlich in die Wirklichkeit hinüberNang. Dann fühlt« ich«ine weich« Hand zitternd auf meinen Händen. Der Offizier wohnt« mit seiner Gattin in einer kleinen Villa der Dorstadt . Wir stiegen aus. Mich fror. Ich sank in«inen Sessel, Schlafen und nicht wieder erwachen... In unendlicher Ferne hörte ich den große» schönen Mann mit seiner Frau sprechen. Ich fühlte, wie scdesmal Blutwcllen an mein Herz brandeten, aber e, war, als löge ich tief begraben unter grünem Rasen. Ich lag lange in Ohnmacht, hernach konnte ich di« Bitte de« Offiziers, fein Gast zu sein, nicht abschlagen. So tastete ich hinter einem tanzenden Licht her, das ein Diener vorintrug. Eist spät am Morgen erwacht« ich. Auf dem Tisch« standen zwei Rosen. Ich schloß die Augen wieder und wollte nicht wach sein. Da hörte Ich Stimmen, man hotte einen Arzt konsultiert. Der Offizier bat mich, noch einige Tage sein Gast zu sein, bis ich ganz genesen sei. Er verabschiedete sich, er hatte Dienst. Der Doktor sprach von Ueberanstrengung, von Nerven. Ich war seelisch zu- sammcngebrochen. Der erst« tiefe Riß in mir, an dem ich ewig kranken werde!" Mein Freund schlug die müden Augenlider hoch, sah mich an. als wollte er sich überzeugen, daß er Verstehen fand«. Ich nahm seine Hand. Cr sprach hastig weiter: ,.Ich Neidete mich an und ließ mich der gnädigen Frau melden. Sie kam mir entgegen, bleich, als hätte sie zur Nacht geweint. Wir tranken Kaffee. Es kam jene Ruhe über mich, die vom Begehren nicht angetastet wird. Dann führte st« mich in ihr Zimmer. Auf dem Tisch lagen meine Werk«. Sie wies stumm aus einige Flecke und sagte tonlos: Tränen! Ich fühlte ihre Arme an meinem halse, Lippen auf meinem Munde." Mein Freund schwieg. Die Heiligkeit jener Stund « wollt« stch nicht in abgegriff«ne Wort« fügen Ich verstand ihn. „Mittag» kam ihr Gatt« zurück. Wir speisten zusammen und ich bot. mich verabschieden zu dürfen. Ein Zittern lief durch ihren Kdrper, dann ging ste HInou». Nach einer Weile kam ste wieder und entschuldigte sich leichthin. Der Offizier ging bald fort. Da mein Zug nachmittags fuhr, verabschiedeten wir un», sehr herzlich. Ich errötete in dem Bewußtsein, ihn betrogen zu haben. Ich stieß da» Weib zurück, wehrte den verlangenden Lippen. Ich mußte gehen, wollt« ich ihr nicht ganz erliegen. Wie welker Flieder an der Laub«, so lehnte ste an mir. Ich mußt« niederknien und ihr sagen: Gerda, ich habe dich lieb, nur dich! Dann ging ich. Ihr Schluchzen klang hinter mir her. Ich wandte mich um. ste lag zerbrochen auf dem Teppich. Unten auf der Treppe begegnet« mir der Gatte. Ich hört« seine Worte nicht, fand mich nicht wieder in dem Aufruhr meiner Seele.
Die Dlutsprobe.
(Sic deoilchvaNaval« ReiA»(ag»fTaftion«ah« einen Antrag an, daß sie nnt tdnblfilige arisch» wesiaite» z» INiiglieder» habe« darf.)
Genosse dr. Moses, öer einzige praktizierenöe)lrzt Oes Reichstags, untersucht Sie Seutschuotionaten flbgeorSneten auf Semikolken. Wie ein Sterbender kam ich zu Hause, zerschlagen, lebensmüde. Der Arzt schüttelte den Kopf. Am anderen Morgen ein Briefl Don dem Gatten. Si« hatte olle» gestanden, als er sie schluchzend auf dem Teppich gesunden. Ich lächelte nur Ich war ja längst tot, wenn da» herz auch noch pochte. Ich schrieb ihm mit zitternden Händen, im Bett. In den nächsten Tagen kam wieder«in Brief, von ihm. Er schuldigt mich nicht an, erwartet aber, daß ich nie wieder in da» Leben seiner Frau trete, spricht vom großen Künstler... Dielleiht war ich der einst. In mir ist alle» tot. Manchmal bricht namenloses Weh aus mir. So werd ich einst verbluten müssen. Es ängstigt mich. Ich möchte vorher sterben..." So starb er freiwillig, in Schönheit. heute haben wir ihn begraben.
Cin Jubiläum. Der Sonfekklonsarbeikerslreik im Zahre lSSS. In der sozialen Bewegung der Lohnarbeiterllosse«wachen zum selbständigen Leben durchweg zuerst bessergestellte Schichten de» Pro- letariat». Sie können noch über ihre soziale Lage nachdenken und ihnen kommt dann der scharfe Gegensatz zwischen Bourgeoisie und Proletariat klar zum Bewußtsein. Es war ein Ereignis von ge- waltiger sozialer Tragweite, als in England John Burns zuerst die Dockarbeiter gewerkschaftlich organisiert, und w aussichtsreiche Lohnkämpf« führte. Don nicht geringerer sozialer Bedeutung aber war d« Streit der Konsektionsarbeiter und Arbeiterinnen Deutsch- land», die bis 189(5 In ganz unmenschlichen Verhältnissen vegetierten. Deutsche Sozialdemokraten haben sich das geschichtliche Verdienst er- worden, die größte sozial« Elendsschicht Deutschlands in Bewegung gesetzt zu haben. Schon im Dezember 1899 sprach Johannes Timm In einer öffentlichen Versammlung über die von den Ar. bcitern und Arbeiterinnen der Bekleidungsindustrie zu stellenden Forderungen. Am LS. Oktober 1891 tagte in Berlin eine von den Städten Berlin , Stettin , Breslau , Frankfurt a. M., Danzig . Erfurt und Kottbu» beschickte Konferenz der Konsektionsarbeiter. Am 22. und 2S. August 1894 befaßte sich der Verband der Schneider und Schneiderinnen auf seinem Kongreß in Erfurt mit diesen Fragen. Am 13. Januar 1895 tagte eine Konferenz der Konsektionsarbeiter in Berlin und im Mai 189S trat der Verband der Schneider und derinnen mit der messerscharfen Anklageschrift de» Genossen nne» Timm„Da» Sweating-System in der deutschen Konsek- tionsindustne" hervor. Durch zahlreiche Versammlungen wurde end- lich die breite Mass« wachgeirommelt und empörte sich über di« so- zialen und hygienischen Mißstände dieses sogenannten„Schwitz- E y st« m»". Der sozialdemokratisch« Angriff gegen die kapitalistische Aus- beutung erfolgte mit einer solchen hestigkeit und einem io durch- schlagenden Erfolge, daß selbst di« notionalliberale Partei, die reinste Verkörperung de» Kapitalismus , die Fahne der Groß-Konfektionäre verlieh. Am 9. Februar 1896 war in 14 überfüllten Versamm- lungen der Streik gegen die Groß� Konfektionäre proklamiert worden. SO 000 Schneider und Schneiderinnen traten in den Ausstand. Die Entrüstung über das gesundheitsmärderische„Schwitz-Sysiem". da» von den Groh-Konfektionären treibhausartig gefördert wurde, war allgemein. Zwischen Arbeiter und Unternehm« hatte sich«ine Schicht von Zwischenmeistern,(oaenannten„Sweatern, geschoben, di« in schamlosester Weise die Näherinnen ausbeuteten. Die Arbeiterinnen mußten damals noch für folgende' „Eine anständig«, eine» M-tsich— arten oder gar handgreiflich! Abserttaung bei Empfangnahme und Abliesern der Ardeiten. Bei --------—------ ja mi„jj,
Schnei Ioham
de»
nationalliberalen Abgeordneten von heyl über die Maßnahmen ein.
welch« die Regierung zum Schutze für Gesundheit und Sittlichkeit und gegen die Ausbeutung d« Arbeiterinnen durch da» Truck-
System zu«greifen beabsichtige, heyl schildert« die Sweater, dia nicht Sachverständige, sondern Leute aus allen Berufen: Droschken-- kutscher, Dienstmänner, Gärtner usw. seien, di« das Elend rückstchts- los ausbeuten. Berliner Mäntelnäherinnen verdienten 4 bis 5 M.. bei besser« Leistungsfähigkeit S bis S Mk.. ab« ste feien 7 bis
teien, um ste zu Anschneidenden Maßnahmen aufzupeitschen. Auch Genosse Dr. Adolf Braun , der Redatte»»? de»„V o r w ä r t s", unterstützte den Streit wirtsam und machte da» Blatt durch zahl- reiche Artikel zum Kampforgan der Konsektionsarbetter und-arbeite» rinnen. riß ___________..,.W Handelsministers von Berlepsch gegenüber den Opfern des Sweating. Systems. In seinem Auftrage bemühte sich der Geheimrat König um eine persönliche Aussprach« mit dem Streitleiter Johanne» Timm. Neu und eigenartig war auch die Stellung der Polizei. Als die Streikenden große Ballen zugeschnittener Ware, di« an Streik. brecher zur Verarbeitung weitergegeben wurde, ins Wasser warfen, drehten sich d,e Schutzleute um und grisfen nicht ein
einen fortgesetzten Kleinkrieg gegen die Errungenschaften des Massen- ausstand«». Der„Vorwärts ist daher noch bis in den April hin- ein mit Berichten über diese Lohnbewegung gefüllt, die sich über ganz Deutschland erstreckte. In Berlin erhielt die Bewegung am 21. März 1896 einen gewissen Abschluß durch«ine Milgliederver. sammlung de» Schneideroerbandes, in welcher der Streikleitung ein. stimmig das Dertrauen ausgesprochen wurde. An d« kontradik- torischen Enquete üb« di« sozialen Verhältnisse der Konfettionsar- better. deren Ergebnisse zum Teil w die Dnöffentlichungen d« Reichskommission für Arbeiterstatisttk übergingen, wirkte auch Prof. Werner Sombart mit- D« Konsektionsarbeit erstreik leitet« gewiss«maßen ewe neue Phase in der sozialen Geschichte Deutschlands «in. Dies« durchweg von Sozialdemokraten geführte Streit gewann unsere Partei die größten Sympathien in allen Teilen de» deutschen Dolte«. die nicht d« direkten wirtschaftlichen und geistigen Hörigkeit des Kapitalismus verfallen waren. Mft Recht tonnte d«„Vorwärts" üb« diese Bewegung schreiben:..Wir haben in der Geschichte der sozialen Kämpi» Deuifchland» schon Arbeit»«inktellungen zu verzeichnen, die in gleich« Weise das öffentliche Int«esse«regten, wie der Streik der Kan» fcktionsschneid« und Näherinnen Deutschlands . Noch nie haben stch aber in Deutschland die öffentlich« Meinung, die Presse aller Par- teien. ja. selbst die ob««n Organ« der Regierung so ruckhaltlos auf die Seite der Arbeiter gestellt, wie in dem gegenwartigen Kampf« der Arbeiter in der Konfettion. Wir müssen schon ins Ausland gehen, um vergleichbar« Erscheinungen zu finden, wir müssen auf England, den Dockarbefterstreit. zurückkommen, um ähnlich« Bar- gang« anzuführen."_ Vögel ol» Höheabewohn«. In Kolumbien sowie in den Anden von Ecuador und Peru lebt der Kondor in hohen von ZflOO di» 5000 Meter sowie auch die haubenent«. und in Reu-Granada die Bekassine. Fern« beobachtet man in Tibet in höhen bis zu 5900 Meter noch mehrere Raubvögel. Wildgänse und Steinhühner. D« «ztfi««•£\KhAnfi*mnfitt«rTr tahtttl tr ItT Wtttl
bis der
-Uli jCUJU JUCIV�IUU� 0"--— JT--- zu 4700 Meter hoch vorkommt, während in Kolumbien Wied« Regenpfeif« noch in höhen bis zu 4000 Meter angetroffe» wird. Selbst d« Kostbri pflegt sich in jene« Ländern m hohen von mehr als 4000 Met« aufzuhalten. Sander« Büch« auf einen lag. Gin« statistisch« Berechnung hat ergeben, daß in Deutschland im Laus« des letzten Jahres etwa 26 000 Bücher erschienen, was«in« Produltion von nahezu 100 Büchern am Tage gleichkommt. Jedenfalls kann stch de? Deutsche nicht beklagen, daß«» ihm an Lesestoff mangelt, eh« wohl an dem nötigen Geld, stch da» täglich erscheinende«Schechundert auch schassen, und an Zeit.«» zu lesen.