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Nr. 179 43. Jahrg. Ausgabe A nr. 91

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.Sozialdemokrat Berlin  

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Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands  

Redaktion und Verlag: Berlin   SW. 68, Lindenstraße 3 Fernsprecher: Dönhoff 292-297.

Sonnabend, den 17. April 1926

Vorwärts- Verlag G.m.b. H.  , Berlin   SW. 68, Lindenstr.3

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Regierungsparteien und Fürstenfrage Die englische Bergbaukeife.

Wo bleibt das Enteignungsgesetz?- Einigung über das neueste Kompromiß.

Die Regierungsparteien haben am Freitag in Gegen-| wart des Reichskanzlers ihre Berhandlungen über das Fürsten   abfindungskompromiß beendet, so daß der Entwurf jezt umgehend den Mitgliedern des Rechtsaus schusses zugeleitet werden kann. In bürgerlichen Kreisen hofft man, die Beratung über das Kompromiß im Rechts­ausschuß mit wechselnden Mehrheiten bald beenden zu fönnen.

Diese Hoffnung ist trügerisch. Der Kompromißentwurf ist der Deffentlichkeit in seinem Wortlaut bisher zwar nicht übergeben, aber nach allen Einzelheiten, die über seinen In halt zu vernehmen sind, scheint es, daß zwischen dem letzten Kompromiß und dem jezigen als neu bezeichneten Entwurf ein wesentlicher Unterschied nicht besteht. Die Rufammenfeßung des Richterfollegiums, in deffen Händen die Entscheidung in strittigen Fragen liegen soll, ist im Vergleich zu dem bisher im Rechtsausschuß beratenen Kompromiß entwurf nicht geändert. Auch eine allgemeine Rückwirkung des Gefeßes in bezug auf die bereits abgeschlossenen Verträge ist nicht vorgesehen; fie foll, wie bisher, nur auf Antrag beider Barteien möglich sein. Mit Ausnahme des§ 8 des neuen Entwurfes, der angeblich den vom preußischen Finanzminister geäußerten Bedenken in wesentlichem Maße Rechnung zu fragen versucht, dürfte der Unterschied zwischen dem legten Kompromiß und dem als neu bezeichneten Entwurf überhaupt nur in der Formulierung bestehen. Er foll, soweit es fich um die als Privat- bzw. Staatseigentum zu betrach tenden Bermögensobjekte handelt, wesentlich flarer sein, als es in dem bisher zur Debatte stehenden Kompromiß der Fall war.

Ein endgültiges Urteil über den neuen Entwurf, der von der Regierung als verfassungsänderndes Gesetz betrachtet wird, ist natürlich erst möglich, wenn er in seiner Formulierung vorliegt. Immerhin scheint schon heute, daß die große Bolksbewegung für die entschädigungslose Enteignung bis heute auf die bürgerlichen Parteien feinen besonderen Eindruck gemacht hat. Jedenfalls zeigt auch das neue Kompromiß nach allem, was man bisher von ihm hört, nicht den geringsten Willen, dem Bolls empfinden wenigstens zu einem großen Teil Rechnung zu tragen.

Dieser mangelnde Wille kommt auch in der Behandlung des Bollsbegehrensgesetzes zum Ausdrud. Die Regierung zeigt feine Eile, das Enteignungsgeseh dem Reichs­tag zuzuleiten. Sie mag sich vor jedem Berzögerungs­

versuch hüten!

Der Inhalt des neuesten Kompromisses. Ueber den Inhalt des neuen Entwurfes für die Fürstenabfindung erfährt der Sozialdemokratische Pressedienst folgendes: Als Staatseigentum gilt, was das Fürstenhaus oder seine Mit

Musolini braucht Land".

Und läßt Truppen an der Somali- Küfte landen! Der italienische   Diktator verabschiedete sich am Donners­tag vor seiner Abfahrt von Tripolis   mit einer Rede, in der er zum Schluß fagte: Wir brauchen Land, weil wir finderreich sind und finderreich sein wollen."

Inzwischen hat die Tripolis  - Aftion bereits ihre prat tische Auswirtung erfahren. Aus Rom   wird ge­meldet, daß eine Abteilung italienischer Truppen an Bord eines Transportdampfers unter dem Schutz eines Kreuzers von von Mogadischu  ( Italienisch Süd- 50= maliland) abgegangen und im Gebiet von Nogal( nörd­liche Zone des Somalilandes) gelandet ist, um dort die un­mittelbare italienische   Herrschaft herzustellen. Die Expedition richtet sich also gegen das legte noch unabhängige Gebiet Afrikas  , das Kaiserreich Abessinien. Mit welchem Er­folg und unter welchen Auswirkungen, bleibt vorläufig ab zuwarten.

Deutschland   und Polen  .

Wie sind die Vertragsaussichten?

Einer Meldung aus Warschau   zufolge hat die polnische Regie rung ihrem Berliner   Gesandten ein Memorandum über die Liqui­dationsfrage und die Handelsvertragsverhandlungen zur Uebergabe an den deutschen   Außenminister zugesandt. Gleichzeitig foll der poinische Gesandte beauftragt worden sein, Stresemann dringend au bitten, die Berhandlungen über den Handelsvertrag und die Liquidationsfrage so schnell wie möglich zu Ende zu führen. Bisher wurde die Wiederaufnahme der deutsch  - polnischen Handelsvertragsverhandlungen für die zweite Aprilhälfte erwartet.

glieder erworben haben: a) auf Grund von Handlungen, die sie nur fraft ihrer staatsrechtlichen Stellung vornehmen konnten oder sonst auf Grund des Bölfer, Staats- oder sonstigen öffentlichen Rechts mit Ausnahme der unter Zustimmung einer Volksvertretung ver­fassungsmäßig zustandegekommenen Gefeß: b) gegen Leistungen, die sie nur fraft ihrer staatsrechtlichen Stellung bewirken fonnten.

Ais Privateigentum des Fürftenhauses oder seiner Mit­glieder gilt, was sie auf Grund eines privatrechtlichen Titels erworben haben: a) mit privaten Mitteln; b) unentgeltlich( in Erbgang, als Mitgift, auf Grund privater Schenkung oder aus ähnlichen Bründen).

Im§ 6 wird bestimmt, daß eine Auseinandersetzung, die nach der Staatsumwälzung zwischen dem Lande und einzelnen mit gliedern des vormals regierenden Fürstenhauses oder über einzelne Bermögensstüde erfolgt ist( Teilauseinandersetzung), das Reichs­fondergericht nicht bindet. Ist zwischen dem Lande und dem Fürsten­haus oder eignelnen seiner Mitglieder über das Eigentum oder ein sonstiges Recht an einzelnen Vermögensstücken ein rechtskräftiges Urteil ergangen, so bleibt es maßgebend, auch wenn es mit einer Teilauseinandersetzung zusammenhängt. Das Reichssondergericht fann jedoch auf Antrag einer Partei von einem nach der Staats­umwälzung ergangenen rechtsträftigen Urteil abweichen, wenn es mit 3 weidrittelmehrheit feststellt, daß das Urteil auf Gründen beruht, die mit den Borschriften der§§ 5 und 8 unver­einbar find.

In dem bisherigen§ 8 des neuen Gefeßentwurfes wurde gesagt, daß 3ivillisten, Kronfideikommißrenten und Renten ähnlicher Art entschädigungslos fortfallen. Jezt wird in dem§ 8 des neuen Ent­wurfs bestimmt: Zivillisten, Kronfideikommißrenten, Krondotations­renten und ähnliche Renten fallen, soweit sie von dem Lande dem Fürstenhaus oder einzelnen seiner Mitglieder zur Bestreitung der Hofhaltung oder sonstiger mit ihrer Stellung verbundener Aufwen­bungen gewährt wurden, entschädigungslos fort. Im übrigen gelten fie als Privateigentum des Fürstenhauses. Ihr Kapitalwert ist in Anwendung der Grundsäße des Gesetzes über die Ablösung öffent­licher Anleihen vom 16. Juli 1925 in Höhe des Einlösungsbetrages eines Auslosungsrechts festzusetzen, das für eine Altbefizanleihe im Nennbetrag des 25fachen Jahresbetrages der Rente zu gewähren fein würde. Der Kapitalwert ist der Vorschrift des§ 34 Abs. 1 des genannten Gesetzes entsprechend zu verzinsen und in 30 Jahresraten zurückzuzahlen. Das Reichsfondergericht fann auf Verlangen des Landes die Leistung in eine einmalige Kapitalabfindung umwandeln. Diese Bestimmung ist für die Abfindung des Hohenzollernhauses einen Entgelt dar für den seinerzeit dem Staate überlassenen von besonderer Bedeutung. Ein Teil der Krondodationsrenten stellt Domänenbesig. Für diesen Teil der Krondodationsrenten hätte nach

den bisherigen Bestimmungen von Preußen eine Entschädi­gung von 70 Millionen gewährt werden müssen. Da nach den neuen Bestimmungen des§ 8 die Bewertung der Krondotations: renten mit den Bestimmungen des Aufwertungsgefeßes in Einklang gebracht wird, reduziert sich diese Summe auf 12% Proz., also auf etwa 8 Millionen Mart, die in 30 Jahresraten zurückzuzahlen wären.

Ob dieser Schritt der polnischen Regierung in Berlin   Aussichten auf einen besseren Berlauf der Berhandlungen eröffnet, tann im Augen blid nicht beurteilt werden, zumal die polnische Bertretung in Berlin  über den Inhalt des Memorandums bis jetzt nichts mitteilt. Auch muß berücksichtigt werden, daß die deutschen   Vorschlagslisten von Ende Januar 1926 in der polnischen Presse eine Beurteilung er­fahren haben, die die Aussichten auf eine Verständigung bedeutend vermindert. Die Auffassung des polnischen Kabinetts soll sich start mit den Darlegungen der polnischen Bresse decken.

Der Ueberfall auf Vandervelde.

Offiziöse Beschönigung.

Brüssel, 16. April.  ( Belg  . Tel.- Agent.) Der Zwischenfall von vorgestern abend, bei dem Minister Bandervelde von Teil­nehmern einer nationalistischen Bersammlung schwer belästigt sein foll(?), hat nur ganz geringfügige Bedeutung. Bandervelde ist auf der Straße von einigen Manifestanten umringt, aber sofort von der Polizei befreit worden.

Schüffe in die Wohnung Anseeles.

Gent  , 16. April.  ( Eigener Drahtbericht.) Ein Bädermeifter feuerte furz vor Mitternacht drei Schüsse durch die Fenster der Wohnung des sozialistischen   Eisenbahnministers Anseele, der fich indessen gar nicht in Gent   befand. Möbel wurden beschädigt, der Attentäter wurde verhaftet. Nach Ansicht der Behörden handelt es sich um einen Geistestranten.

Eine internationale Paßtonferenz beginnt am 12. Mai in Genf  . Ihre Aufgabe ist die Milderung der europäischen   Baßschitanen, vor allem die allgemeine Aufhebung der Visa.

Der Bericht der englischen Kohlenkommission.

Von Heinrich Löffler.

Nachdem im Sommer des vergangenen Jahres die be­fannte Bereinbarung für den englischen Bergbau abge= schloffen war, gab es in Deutschland   Leute, die von einem großen Sieg der englischen Bergarbeiter redeten. In Wahr­heit war nur eine Notlösung gefunden worden, die von den Bergarbeitern nicht abgelehnt werden konnte. Freude haben die Nächstbeteiligten dabei nicht gehabt. Sie wußten, daß der Konflikt nicht beseitigt, sondern nur vertagt wurde. Jetzt steht man im englischen Bergbau wieder dort, wo man bereits im Juli 1925 gestanden hat. Bor dem Konflitt.

Wahre

Bon der Bergarbeiter- Internationale aus gesehen, war die in England getroffene Vereinbarung vom llebel. Der einfichtsvolle englische   Bergarbeiterführer Frank Hodges brachte das in einem Auffaz, den er am 30. Januar 1926 in der Bergarbeiter- Zeitung" veröffentlichte, wie folgt zum

"

Ausdruck:

..Die staatliche Unterstützung der englischen Kohlenindustrie hat eine vorübergehende Entlastung gebracht, weil ihre Absatzgrenze zurüdverlegt wurde in Gebiete, die allmählich in den Bereich. des deutschen   Exporthandels fielen. Kein Mensch, der auch nur international denkt und fühlt, kann über diese Methode der Gewinnung von Märkten erbaut fein. Die Sachlage in England hat im Auslande in erster Linie zur Folge, daß die Bergleute der Kohle produzierenden Länder die Unterstützung der britischen Kohlenindu­strie als einen feindlichen, die wirtschaftlichen Inter­eifen der Bergleute aller Länder schädigenden att betrachten. Nur der Sturz des Franken hat Frankreich  für den Augenblick vor einem tatsächlichen Dumping mit fünstlich verbilligten Kohlen bewahrt. Die Kohlen­industrie in Belgien  , Deutschland   und Frankreich   genießt solchen Schutz der Regierung nicht und die Unternehmer dieser änder verlegen sich deshalb auf Lohnherab­fegungen und Arbeitszeitverlängerungen."

Hier sind die internationalen Rückwirkungen der eng­lischen Staatssubventionen klar herausgearbeitet. Der Berg­bau und die Bergarbeiter der Kohle gewinnenden Staaten, die mit England auf den internationalen Absatzplätzen zu­sammentreffen, müssen sie so empfinden. Deutschland   erleidet darüber hinaus noch Berlufte bei seinen Kohlenpflichtliefe­rungen nach dem Versailler Vertrag, weil es nunmehr auf Reparationskonto nur eine Gutschrift in der Höhe des mit staatlichen Mitteln gesenkten englischen Preises erhält. Bei den gegenwärtigen Lieferungen handelt es sich um einen Gründen hatten die Bergarbeiter anderer Länder keine Ber­Betrag von 3 bis 4 Millionen Mark im Monat. Aus diesen anlassung, die Regelung für die englischen Bergarbeiter, die am 1. August 1925 in Kraft trat, als einen Sieg zu feiern.

Neben der Gewährung von Staatszuschüssen sah diese Regelung die Bildung einer Kommission vor, welche die Lage des Bergbaus prüfen und Vorschläge für seine Sanierung machen sollte. Ihre Ernennung erfolgte Anfang September durch Regierungsverordnung. In einem 295 Seiten starken Bericht gibt die Kommission Aufschluß über ihre Tätigkeit. Sie hat felbst 25 Bergwerke befahren und weitere 42 in den verschiedensten Bezirken von staatlichen Bergwerksbeamten prüfen lassen. Die Prüfungsergebnisse wurden in 33 Sigungen beraten und dazu noch 76 Sachverständige vernommen. Es ist unstreitig große Arbeit geleistet worden und der Bericht fann seinen Eindruck nicht verfehlen. Die Regierung hat zwar eine Erklärung abgegeben, daß sie ihn annimmt, aber feine Borschläge wird sie nicht alle befolgen. Sie kann es faum, wenn sie nicht den Streif heraufbeschwören will. Es wird nämlich verlangt, daß die Subventionen endgültig am 30. April aufhören sollen. Im Bericht wird ausgeführt, daß der Staatszuschuß vom 1. Auguft bis 31. Dezember 1925 über 21 Schilling je Tonne oder 17 Proz. des Grubenpreises betragen habe. Bon Januar bis März 1926 soll der Zuschuß fogar 3 Schilling je Tonne betragen haben. Demnach hat sich die Lage des Bergbaus unter den Subventionen nicht ge­beffert, sondern verschlechtert. Etwas anderes war faum zu erwarten. Subventionen wirten nun einmal nicht als Antriebsmotor und Erneuerer. Ohne Subventionen murde ein Gewinn von 1 Schilling 6 Bence erzielt. Ueber Selbstkosten und Erlöse enthält der Bericht u. a. folgende Einzelangaben:

Schottland  . Northumberland Durham

..

Erlös ohne Berl. ohne Staats. Gewinn mit Staatszufch. Staatszusch. zuschuß Staatszusch

Gelbft foften

Schilling

Schilling Schilling Schilling Schilling

16,24

14,40

1,84 3,35 1,51

15,97

12,98

2,99 3,84 0,85

17,10

14,16

2,94 3,64 0,70

20,71

17,51

8,20 4,55 1,35

0,94 8,67 2,78

2,45 8,96 1,51

Süd- Wales u. Mam mouth. Lancashire  . Cheshire  n. Nord Staffs.. 20,35 19,41 Andere 19,17 16,72 Für eine Reihe anderer Bezirke ist die Höhe des Staats­zuschusses nicht angegeben, so daß es zwecklos ist, fie zu ver­