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Vkeastag 20. fipril l92H

Unterhaltung unö ÄNissen

Sellog» Oes vorwärts

Diamanten unö Sklaven. Don Hans Otto Henel . .tueiin der angehende New-Dorker Millionär seinen nicht- geschäftlichen Gefühlen einen Sehnsuchtswunsch erlaubt, so geht der :n neunundneunzig von hundert Fällen aus einen vornehmen Platz in der Metropolitanoper. Nicht etwa, well er dort die teuersten Dirigenten, die beseeltesten Musiker, die goldhaltigsten Kehlen, die »assigsten Tänzer und die prunkvollste Ausstattung der ganzen Well bewundern möchte, nein, diese unwägbaren Schätze verursachen ihm kein Herzklopfen. Aber die Metropolitanoper bietet allabendlich ein anderes Schauspiel, das nicht seinesgleichen auf dem Erdball hat und den Dollarjäger, der über das erste Hunderttau end hinaus ist, mit magischer Gewalt anzieht: das diamantene Hufeisen. Die Sehnsucht nach ihm ist beim amerikanischen Geldbürger o stark wie beim deutschen Spießer der Wunsch, einmal einem leibhastigen Fürsten ins Angesicht blicken, oder gar mit ihm in demselben Räume weilen zu dürfen. Die Logen, die das Parkett der Metropolitanoper im Hufeisen- rund umsäumen, sind bei Beginn der Vorstellung noch gähnend leer. Ihre Inhaber legen keinen Wert darauf, ein Kunstwerk von Ansang bis zu Ende aufzunehmen. Wenn es ihnen überhaupt um die Kunst ginge, würden sie sich vielleicht das Orchester für lumpige paar tausend Dollar nach chrem Palaste bestellen, wo sie genießen könnten, ohne von den Leutchen des ersten und zweiten Ranges beglotzt zu werden, denen ihr ärmlicher Besitz von einer oder zwei Millionen ün neidischen Gesicht geschrieben steht. Natürlich haben es auch die Hufeisenleute ganz gern, wenn ihre mit den erlesensten Speisen genährten Körper durch die wehmutsvollen Melodien von Tristan und Isoldes Liebestod«in bißchen wollüstig angeregt werden. Aber in erster Linie kommen sie doch hin. um sich zu zeigen, um gesehen zu werden. Deshalb auch erscheinen sie erst gegen Ende des zweiten Aktes. Wenn Tristan verwundet in Kurwenals Arme sinkt und der Vorhang das helle Bild der Szene dunkel abschließt, dann strahlt plötzlich das Hufeisen der Parkett- und Baltonlogen die Beleuchtung des Riesenraumes in tausendfältigem Gesunkel zurück. Und auf den oberen Rängen zücken jetzt die ärmeren Leute die Operngläser, um die fabelhaften Millionen zu begaffen und zu beneiden, die als Diamanten die Stirnen, Hälse, Schultern, Brüste und Arme der Goldfürstinnen schmücken;* Die jungen Mädchen, die ihre schönen und raffiniert gepflegten Glieder von den geschlissenen Steinen überblitzen lassen, die Frauen, deren reife Schönheit vom Diomantengefunkel beleuchtet wird, die Matronen, die ihre fragmentarischen Reize schamlos in Gold und Edelstein fasten keine denkt dabei an eine Verschönerung im ästhetischen oder künstlerischen Sinne. Das natürlich Schöne, also Iugendanmut und frauliche Reise und Matronenwürde, sind kaum beachtete Werte in einer Gesellschaft, die ihren Rang nach dem Kapitalbesitz mißt. Die Größe ihre» Kapital» ist der eigenlliche Schmuck, der die Damen des diamantenen Hufeisens ziert, und diese Schönheit wollen sie zeigen. Mit Säcken Goldes oder Bank- noten und Schatzanweisungen können sie sich nicht behängen. Man tauscht das stinkende Geld gegen ein Ding, das seinen Wert bei diesem Tausche voll behält, das wenig umfänglich ist und doch den Kapitalbesitz seines Trägers weitleuchtend verkündet, ein Dingchen. da» zu den kostbarsten Erdengütern gehört, weil es selten ist: den Diamanten. Diamanten sind der augenfälligste Wertmester des Besitzes. Wisten In New Park und anderswo die Damen, die ihren per- sönlichen Wert durch die mehr oder mindere Fülle ihrer Diamanten bestimmen, daß kaum ein anderes Mineral so viel Blut und Tränen unzähliger Menschen, ja Untergang und Ausstieg ganzer Völker oerursacbt hat wie der Diamant? Sie sollten es wissen, denn seinen hohen Preis verdankt dieser Edelstein nicht nur seiner Seltenheit, sondern hauptsächlich der Mühseligkeit seiner Gewinnung. Aber das wäre ja für jene Gesellschaft nur ein Grund mehr, sich mit dem Werte ihres Besitzes zu brüsten. Ober der Mensch, der als erster den glitzernden Steinchen die Bedeutung des Schmuckes beilegte, geahnt hat, welchen Fluch er damit über seine Menschenbrüder brachte? Wo der Diamant gefunden wird, in Vorderindien, Borneo , Brasilien , Südasrika, Südwestafrika, Nordamerika , im Ural, ist er zur Ursache furchtbarer Ausbeutung der habgierigen Eroberer gegen die Urbevölkerung geworden. Nur um den kostbaren.Schmuck* für reiche Leute zu beschaffen, sind viele Tausende friedfertiger Menschen unterdrückt, geknechtet, vertrieben, getötet worden. Ge< miß, der Diamant wird auch als Nutzmineral verwandt, zum Glas- schneiden. Gravieren, als Kopf für Härtebohrer, aber dieser Ver- brauch kommt quantitativ gar nicht in Frage im Verhältnis zu seiner Verwendung als Schmuckstein. Das Land mit dem reichsten Diomantenvorkommen stt heute Südasrika, wo die ersten Funde I8S7 bei Kimberseq gemacht wurden. Die politisch« Geschichte Süd-

afrikas ist seit 75 Jahren durch den Diamanten entscheidend becin- fluht worden, und Kenner der dortigen Verhältnisse behaupten, daß der Diamant das Schicksal des ganzen europäischen Kolonisations- shstems werden würde. Die Kolonisierungsmethoden der Buren und Engländer gegen die südasrikonischen Eingeborenenstämme, die aus sriedlichen Acker- dauern und Viehzüchtern bestanden, nahmen erst wirklich barbarische Formen an, als die Eindringlinge neben Gold auch Diamanten entdeckten. Beide waren Diebe an der Urbevölkerung und zwangen die Bcstohlenen noch, ihnen bei der Bergung des Raubes behilflich zu sein, indem sis sie in den Diamantenwäschereien um ein

der glückliche Geheimrat.

»O, wie wohl ist mir, daß ich Eurer Masestät unwandel­bare Treue bewahrt habe. Wäre ich eiu räudiger Repu­blikaner, würde gewiß Herr Geßler ein zornig Zluge aus mich werfen und Amt, Ehre und Gewinn wären gar bald verloren."

kärgliches Brot arbeiten ließen. Nachdem sich Buren und Engländer 1893 im sogenannten Burenkriege über die Beute auseinandergesetzt hatten und da» mächtig« England ganz Südafrika geschluckt hatte, begann mit dem Anfange des 29. Jahrhunderts die schamloseste und unverhüllteste Sklaventragödie unserer Zeit. Bisher hatte es den Schwarzen immer noch freigestanden, in den Diamantenminen zu arbeiten. Die an ein ungebundenes Leben gewöhnten Menschen hielten das aber meist nicht lange aus, sondern kehrten bald zu ihren Tieren und Feldern zurück. Jetzt aber wurden sie systematisch um ihre ursprünglichen Existenzmittel gebracht, zu Veräußerungen chrer Herden und Weideplätze um billiges Geld getrieben, und mußten nun wohl oder übel zu Arbeitssklaven und Proletariern in unserem Sinne werden. Anfänglich taten sie das Selbstverständlichste und liehen manchen von den Steinen mitgehen, denen ihre Ausbeuter einer so blödsinnigen Wert beilegten. Aber die britische Regie führte strenge Kontrolle ein. Wenn die farbigen Arbeiter nach Arbeitsschluß die Mine verließen, wurde jede Falte ihrer Kleidung und alle Ritzen, Spalten und natürlichen Löcher des Körpers unter- sucht. Trotzdem wurden nach wie vor Diamanten ausgeschmuggelt. In hohlen Zähnen versteckte man sie. in selbst zugesügten Wunden wurden sie eingeheitt oder auch verschluckt, um außerhalb der Mine aus natürlichem Weg« dem Körper wieder entzogeg ju werden. Die europäischen.Kulturmenschen* haben jegt ein System aus-

geklügelt, ,das für den schwarzen Arbeiter es gibt nur schwarze Arbeiter in den Diamantminen das Entwenden von Steinen praktisch bedeutungslos, ja unmöglich macht. Man hat die vielen tausend Neger, die in den Minen arbeiten, in Reservaten zusammen- getrieben, in denen sie eingeschlossen sind und von regulärem Milttär scharf bewacht werden. Zwischen Arbeitsplatz und Wohnung kommt der Neger mit niemand als den Schergen der Grubenbesitzer zu- sammen. Und wenn er den größten Diamanten der Welt fände und zu sich steckte, er nützt ihm nichts. Es fei denn, daß er ihn an einen weißen Besucher um wenige Schillinge verkaufen könnte. Aber es ist selbstverständlich, daß sich die Minenbesitzer auch dagegen schützen. Nur sehr selten bekommt ein Neger Urlaub, und dann muß er die kniffligsten wissenschaftlichen Untersuchungsmethoden(Röntgen- strahlen usw.) über sich ergehen lassen. Entdeckt man einen Stein s°

bei ihm, so wandert er auf lange Jahre in das Separatzuchthaus der Diamantminen. Die vollkommene Versklavung der schwarzen Volksstämme wird damit beschlossen, daß die Neger dem Weißen gegenüber faktisch rechtlos sind. Der Europäer darf sich gegen den Minensklaven alles erlauben, nur eines nicht: er verfällt schwerster Strafe, wenn er dem Neger«ine Waffe zukommen läßt. Die englische Regierung weiß, daß auch der schwarze Proletarier sich dse Sklaverei nicht mehr gejallen läßt, wenn er erst einmal im Besitz ausreichender Waffen ist. Vorläufig aber gibt es noch viele Taufende wehrloser Sklaven in der Sonnenglut Südafrikas , damit die Misses allabendlich in der Metropolitanoper zu New Pork prahlen können. Zu New Park und auch anderswo.______ Aprllmeteore» Wer bei günstiger Witterung in den Nächten vom 18. bis 29. April dem Himmel eine Zeitlang seine Ausmerk- samkeit widmet, der wird bald hier, bald dort eine der leuchtenden Raketen des Alls aufblitzen, lautlos dahinschießen und verlöschen sehen. Im Gegensatz zu anderen Nächten, in denen man gewöhn- l'ch nur zufällig eine» Meteor, eine Sternschnuppe bemerkt, wenn man nicht längere Zeit eine bestimmt« Himmeisgegend scharf be- obachlet, kann man in den angegebenen Aprilnächten, namentlich in späteren Stunden, verhältnismäßig oft das Schauspiel genießen, vurch das nach allgemeinem Volksglauben ein gleichzeitig gehegter Wunsch in Erfüllung gehen soll. Bei dem periodischen, alljährlich um dieselbe Zeit wiederkehrenden Sternschnuppenfoll des April strahlen die Meteore, wenn man ihre Bohnen nach rückwärt« ver- längert, aus dem Sternbilde der Leier(lateinisch: l�yrs) aus. das abends tief im Nordosten steht: sie werden deshalb Lyriden genannt. Mit dem der Erde im August begegnenden Sternschnuppenschwarm der Perseiden und den im November auftretenden Schwärmen der Leoniden und Andromiden(Bieliden) bilden die Lyriden einen der Hauptmeteorströme des Jahres. Er ist von ollen seit oltersher am längsten bekannt und wird nach Newtons Untersuchung(1863) schon im Jahre 687 v. Chr. von chinesischen Chronisten und auch später noch oft erwähnt. Für die Körperchen des Lyridenschwarms fand Weiß Bahnelemente, die lehr nahe mit denen des Kometen 1861 I übereinstimmen, der eine Umlaufzeit um die Sonne von 415 Jahren besitzt. Wie bei den anderen großen Meteorschwärmcn ergab sich auch bei diesem die enge Zusammengehörigkeit mit einem Kometen, dem er früher angehört hat. Cr ist schon durch den störenden Ein- fluß eines ihm nahegekommenen großen Planeten in eine veränderte eigene Bahn abgelenkt worden. Nach einer Untersuchung von Niehl leuchten die Meteore dieses Schwarmes in einer mittleren Höhe von 113 Kilometer über der Erde auf und verlöschen in einer nntt- leren Höhe von 89 Kilometer: ihre Geschwindigkeit beträgt 59 bi» 69 Kilometer in der Sekunde. Da noch niemals eine Sternschnuppe die Erdoberfläche erreicht hat, vielmehr alle in bedeutender Höhe durch die starte Erhitzung infolge der Luftreibung vergasen, müssen diese Körperchen sehr klein sein man schätzt ihr Gewicht auf wenige Gramm oder Teile eines Gramms, während die hell­glänzenden Meteore oder Feuerkugeln weit schwerere Körper sind und daher die ganze Atmosphäre durchschlagen, um als Stein- oder Eisenmassen(Meteoriten) auf den Erdboden niederzugehen. Das älteste Slenographlebuch. Es dürft« heute kaum noch de- kannt sein, daß die modernen Kur�schrtftsysteme bereits uralte Vor- läuser haben. Die älteste geschichtliche Kunde von der Verwendung von Kurzschristzeichen geht aus Tiro. einen Sklaven des römischen Politikers Cicero im vorchristlichen Jahrhundert, zurück, der die so- genannten �ironischen Noten* erfand. Freilich ist das älteste, uns heute noch vorliegende Dokument einer Stenographie erheblich jün- geren Dalums. Im Jahre 1588 erschien in England ein kleines BändchenCharakterie* von Timothy Bright . das den Untertitel führt;Eine Kunst des kurzen, leichten und geheimen Schreibens durch Zeichen.* Don diesem Werke sind heute nur noch jpei Exemplare bekanitt. Eins davon wurde in diesen Tagen bei einer Londoner antiauarischen Versteigerung zum Preise von 19 299 M. an einen Amerikaner verkauft.

wer weiß etwas! Bon Jaroslav Hulka.

Wenn es Sommer wäre, würde man sagen können, ein großer bunter Schmetterling hat sich auf die Mauer eines grauen Hauses niedergelassen. Aber es ist Januar und deshalb muß man er» kennen, daß es sich bloß um das Aushängeschild des Aasfeehauses Zum Mohren* handelt dieses sticht so verführerisch hervor, gibt aber nicht einmal die Hälfte jener guten Sachen(weil es sie auch gar nicht besitzt), die da in bunten Bildern ausgemalt sind. Das Kaffeehaus steht ein wenig seitlich vom Grünmarkt in Brünn . Und trotz der Dame in Seide und des um«in Stockwerk höheren Herrn mit einem Zvlinder, die gleichgültig an ihm vorbei- gehen, weil sie es nicht beachten, um mit Verachtung an ihm vor- überzugehen, lebt das Kaffeehaus dennoch. Bon vier Uhr früh bis zwölf Uhr mitternachts. Es dient nicht zur Unterhattung, sondern ist«in Bedürfnis. Dadurch ist es über jene prunkvollen Kaffee- Häuser erhaben, wo sich bei Tage faule Leute bei den Billards lang- weilen und bei Nacht die Musik vor Weinflaschen, Begierden und betrunkenen Köpfen spielt.Zum Mohren* kommen die Leute, um etwas zu essen und sich zu wärmen. Sie kommen auch her, um sich auszuruhen. Nur manchmal, zeitig in der Früh, finden verspätet? Bummler hier ein Asyl und leben die Nacht mit einer Schale Schwarzen zu Ende, gleichgüttig gegen die erwachte Arbeit, die sich hier mit Kaiiee stärkt. Jeden Morgen, bald nach dem Aufschließen, bringt ein ver- schlafener. weißer Bäckerlehrling auf seiner Schuller einen Korb duftender Semmel und Gipfel hierher. Er ähnell einem sellcnen Baume, auf dessen Zweigen gutes Obst wächst, das mit gierigen Blicken betrachtet wird. Die Inhaberin des Kaffeehauses. Frau Anna Böhm, überzählt dann aufmerksam das gebrachte Gebäck, während der Bäckerbub Inzwischen bei sich denkt::Gott , wie fein schlief- sich'» noch!" Bald nachher gleicht das Kaffeehaus einem einzigen großen Munde. Alles ißt... Die breithüftigen Derkäufennnen von Butter, El«r, Zwiebeln und Hülsenfrüchten, ein paar scherzende Elektriker,«ine schmuddelig«, einem Hadernballen ähnelnde Alte, die davon lebt, daß sie sell den frühesten Morgenstunden alle Papier «, Knochen und Abfälle sammelt« «in dicker Polizist, der wie eine verschmierte Null aussieht, ledige Arbeiter au» den Fabriken der Vorstadt, die zur Arbell gehen all« essen, wärmen sich die Hände an der warme» Porzellanschale

und versenken ihre Augen in ihr Inneres. Von Zeit zu Zeit trill jemand herein und bringt feuchte Kälte mit herein. Wegen dieser Kälte wird sein Hereintreten mit den haßerfüllten Augen aller An- wesenden begrüßt. Aber die gute Frau Böhm tritt zum Eilige- tretenen mit der freundlichen Frage:Was ist gesällig?", und dann bringt sie das Verlangte, indem sie mit den Schlüsseln und dem Kleingelde in ihrer weißen Schürze klapcrt. In dieses Kasseehaus pflegte jeden Morgen zeitig auch der alte Sturm zu kommen. Er setzte sich nieder, trank einen Tee und sah ruhig eine Stunde lang hier. Dann erhob er sich und ging fort. All dos geschah schweigend. Und sein Schweigen war ein tiefes und trauriges. Bei anderen schweigsamen Leuten sprechen wenigstens die Augen, irgendwelcher Zug im Gesichte oder Bewegungen. Bei ihm sprach nichts. Er machte den Eindruck einer Leiche, die in einer großen Stille begraben wurde. Er nannte niemandem von den Gästen seinen Namen, und Sturm nannten si� ihn wegen solgendem: Ins Kaffeehaus begann öfters ein junger Monteur aus der Ersten Brünner Maschinensabrit zu kommen. Als er den Greis zum erstenmal erblickte, fragte er:Sturm, wie kommen Sie hier- her?* Er antwortet« ihm:Sie müssen sich irren, ich heiße nicht Sturm!* Er hieß also nicht Sturm, gut! Aber es hindert« niemand daran, ihn gesprächsweise so zu nennen. Oesters wurden auch Versuche gemacht, hinter lein Schweigen zu kommen. Aber alle schlugen fehl. Man konnte daher über ihn hunderterlei Dinge denken. Mit der gleichen Berechtigung wahre und unwahre. Eine Sache nur konnte man mit aller Gewißheit behaupten, daß er sehr arm war. Sein Anzug war sehr schadhaft, Nnd Tag für Tag pflegte er seinen Tee mit Brot ohne etwas anderes zu verzehren. Daß er sich jemals eine Semmel gegönnt hätte, konnte sich niemand erinnern. Er war einmal sehr reich, behaupteten die einen. Er war immer arm, behaupteten die anderen. Andere zuckten mit den Achseln: möge er sein, was er wolle, aber jetzt war er sehr unglücklich. Dieses Unglück machte all« freundlich gegen ihn. Sein unbe» kannte? Unglück rührt« sie, das Rätselhafte daran interessierte sie. Er war ein romantisches Schicksal, zu welchem sie die Lösupg suchten. Ende Januar geschah nachstehende Begebenheit. Ins Kasseehaus kam ein Harmonikaspieler. Nicht etwa, um sich hier Geld zu oerdienen, sondepn einfach. well er essen wollte. Ein satter Magen verursacht«in« fröhliche

Laune, und der Harmonikaspieler wollte seiner Zufriedenheit Aus- oruck verleihen. Gr begann zu spielen. Musik tut immer und überall ihre Wirkung. Man sagt, daß sie erfrischend wirkt und die Menschen weich stimmt. Viele Gäste begannen ihren Kasse« mit den Gesten von Weintrinkern zu trinken. Als der Harmonikaspieler zu Ende gespielt hatte, sprach ihn der alte Sturm an: Ich bitte Sie, leihen Ei« mir die Harmonika!" Und dann begann der Greis zu spielen. Ein paar Gassenhauer und einige einfache Volkslieder. Alle Gäste hörten gespannt zu. Sie suchten in den Liedern einen verborgenen Sinn. Eine feist« Aertäuserln, die den Geruch ihres ganzen Derkaussstandes mit sich in den Kleidern herumtrug, faßte sich ein Herz und fragte: Ja, können Sie denn spielen?* Und der Greis antwortete diesmal:Jawohl!* Die Antwort gab den anderen auch Mut. Irgend jemand fragte: Spielen Sie gerne?* Und auch darauf antwortete er:Heute Hab' ich wieder mal gerne gespielt.* Frau Böhm fragte freundlich: Und wieso?* Ach so! Heute habe ich wieder einmal zu meiner eigenen Freude und zu eurer Unterhaltung gespielt. Ich spielte die Lieder nicht als Bitte um«in Almosen. Ich bin nämlich ein Bettler. Ott bekomm' ich zu hören:Daß Sie, Baterl, so betteln können!* Jetzt im Winter verdiene ich wenig. Die Leute ziehen ungern die Hände aus den erwärmten Taschen. Und die ihre Hände nicht in den Talchen haben, besitzen wieder nichts. Im Sommer spiel' ich in der Vorstadt. Bei der Brück« auf der linken Seit«. Da verdien' ich mir mehr!* Dann, offenbar von der ungewöhnlich langen Rede ermüdet, stützte er seine Ellenbogen auf den Tisch und zeigte überhaupt keine Lust weiterzuploufchen. Er ging auch viel früher fort, als es sonst seine Gewohnheit war. Irgend jemand sagt«:Wo er wohl spielen gelernt hat?* Und Frau Böhm, die mit Vorliebe Sprichworter verwendete, sprach: Die Not hat Dalibor geigen gelehrt.*') Di« rußig, alt« Papier » samlerin meint«:.Wenigsten» kann er diese». Sonst müßt««r im Armenhaus fein, und da» möchte ich ihm, dem armen Teufel, nicht wünschen!* In ihrer Stimme war mehr Schrecken als Mitleid. (Fortsetzung folgt.) ') Dalibor. tsch«chisch« sagenhafte Figur,«in eingekerkerter Ritter, der wundervoll Geige spielte.(Oper von Smetana .)