Donnerstag
22. April 1926
Unterhaltung und Wissen
An den Grenzen des Kosmos.
Bon Ludwig Merryval, Hartberg .
Zwischen uns, die wir auf der Erdoberfläche hausen, und dem eigentlichen Kosmos, dem leeren Weltraum, wo die ewige Nacht gähnt, dehnt sich die Fülle der irdischen Atmosphäre. Rund tausend Kilometer did, nimmt sie nach außen zu rasch an Dichte und an Wärmegehalt ab. Sie gleicht einem riesigen Kissen, das uns vor der prallen Wucht der Weltraumstrahlen schützt. Diese durchziehen gleich wahren Todesstrahlen den leeren Raum zwischen den Blaneten und zwischen den Fixsternen. Schon in der Höhe unserer Gletscher wird ihr Dasein bemerkbar. Namentlich scheint ein gemaltiger Strom dieser unsichtbaren Strahlung aus dem Gebiet der Milchstraße zu fließen. Aber auch die Natur der Sonnenstrahlen ändert sich, wenn man in der irdischen Luft in die Höhe steigt: der Gehalt an ultraviolettem Licht nimmt rasch zu und allein schon megen dieser Strahlen märe ein Leben in der Höhe von 10 Kilo metern unmöglich.
Dort, wo die Luft aufhört und der Weltraum anfängt, muß sich eine Grenze finden. Der Engländer Heavyside hat den fühnen Gedanten gehabt, fich rings um die Erde an den äußersten Grenzen der Luft eine glastlare und triftallharte Schale, aus gefrorenem Stidstoff bestehend, zu denken. Der Flieger, der den Höhenreford erringen mill, braucht freilich bloß" 13 Kilometer hoch zu steigen. In dieser Höhe liegt gegenwärtig die Grenze der technischen Möglichkeit. Das flingt ziemlich harmlos dreizehn Kilometer! Kleinig
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teit bas, mo heute jeder Großstadtbemohner wöchentlich etwa hundert Kilometer zurücklegt, um nur seine Geschäftswege zu er ledigen! Aber lotrechte Kilometer sind fürwahr etwas ganz anderes als wagrechte, die auf der Erdoberfläche liegen! Schon bei 4 Kilometer( Jungfrauhöhe) wird die Luft ungemütlich dünn, die Tempe ratur bleibt ständig unter Null. Weiter hinauf muß der Mensch zur künstlichen Sauerstoffzufuhr greifen und auch der Flugzeugmotor muß füftlich auf Normaldruck gebrachte Luft zugeführt be tommen, da er so wenig wie der Mensch dafür gebaut ist, bei so geringem Luftdruck zu arbeiten. Bei zehn Kilometern steht der Druck der Luft auf dem sechsten Teil des Normaldrucks. In dieser Höhe ist die Temperatur ständig unter minus 80 Grad Celsius und weder Tageszeit noch Jahreszeit übt hierauf einen Einfluß aus.
Während des Steigens scheint der Horizont stets gleichzeitig emporzugehen. Bei zehn Kilometer sieht der Flieger ein Gebiet non 350 Kilometer Durchmesser und einen Flächeninhalt von über 100 000 Quadratkilometer Größe, mehr als die doppelte Schweiz . Bei einer Höhe von 16 Kilometer fann das ganze Deutsche Reich mit einem Blid erfaßt werden. Aber erst bei 6370 Kilometer würde die ganze Erde als einheitlicher Weltkörper erscheinen. Man wäre dann meit außerhalb der Erdluft. Bon acht Kilometer an wird ein träftiger Wind bemerkbar, der sich allmählich zum dauernden Orfan verstärkt. Er meht aus Often her und man erflärt ihn durch die Erddrehung. Die äußeren Schichten der Luft sind durch die bremsende Wirkung von Ebbe und Flut in ihrer Drehung hinter derjenigen der Erde zurückgeblieben. Die Erde dreht sich rascher von West nach Ost als die Luft über ihr. Diese scheint daher von Ost nach Best zu stürmen. Das meiß man fohon seit vielen Jahren aus den zahlreichen Aufstiegen der kleinen unbemannten Registrierballons. Unsere Höhenflieger haben nun den Ortan erlebt, den sonst nur noch die Mount Everest - Leute zu spüren befamen. Man schäßt seine Geschwindigkeit auf 300 Kilometerstunden und sie würde, genügen, einen Flieger, der sich diesem Strom überläßt, in unseren geographischen Breiten in dreieinhalb Tagen eine Reise um die Erde machen zu lassen.
John A. Macready stieg am 28. September 1921 auf mehr als 11 Kilometer in die Höhe. Der Aufstieg in derartige Entfernungen ift äußerst mühsam und langwierig. Aehnlich wie der Hochgebirgswanderer muß auch der Flieger fich an die merkwürdige Einfam feit der Höhen gewöhnen. Von oben gesehen wird alles Einzelne und Kleinliche zu einem Nichts. Wiesen und Felder verlieren fich in eine allgemeine Erdfärbung und nur die hellen Landstraßen leuchten als dünne Fäden hinauf. Der Flieger, der gegen die Grenze des Kosmos zustrebt, erlebt eine unirdische Einsamkeit. Selbst das Donnern des Motors flingt trostlos in die Dede und findet nicht den leisesten Widerhall. Die dünne Luft hat faum noch Tragfähigkeit und das geringste Nachlassen des Motors läßt den Flieger binnen wenigen Sekunden um Hunderte von Metern stürzen.
Troz fünstlicher Atmung setzen Störungen im Blutkreislauf ein. Sinnestäuschungen sind an der Tagesordnung, das Ablejen von Instrumenten ist unzuverlässig und muß, wenn irgend möglich, automatisch gemacht werden. Das Bewußtsein sezt sekundenlang völlig aus. Ein treibender Schneesturm erschreckt den Flieger, der
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Wer weiß etwas?
Bon Jaroslav Hulfa. ( Schluß.)
Der Haß wird aus einem zugefügten Unrecht geboren. Und er ist groß, wenn das Unrecht schmutzig, did, übermütig ist und sich mit dem Geld bläht, das an armen Teufeln verdient wurde. Der Haß ist die erste schöne Pflicht der Erniedrigten und Beleidigten, er ist ein eingeborener Instinkt der Armen und wartet nur auf den Anlaß, um sich auszutoben. Der Haß ist eine Pflicht, weil er der Reim einer fommenden Liebe ist. Und er hat auch seine volle Berechtigung. Und das erste ist das Recht der Rache.
Der alte Sturm gelangte nicht erst durch reife Ueberlegung zum Worte: Ich werde mich rächen! Es feimte in ihm. Es reifte in ihm wie ein Trost, es streichelte und verband die Wunde, die ihm durch diese Erniedrigung zugefügt worden war. Aber dann legte er sich die meitere Frage vor: Wie soll ich mich rächen? Dies war allerdings ein schwerwiegendes Wort, das einer reiferen lleberlegung bedurfte. Und er dachte darüber bei seiner Harmonika nach, modurch er noch mehr den Eindrud eines Blinden machte. Einem Reichen fann man nicht so leicht auf den Naden. Das war ihm bekannt. Aber er mußte auch, daß er ihm auf den Raden steigen mußte, um der eigenen Ruhe willen, um sich vor sich selber nicht erniedrigt zu fühlen.
3mei starte Dinge vereinigten sich in ihm: die erniedrigte Armut und der beleidigte ländliche Stolz, den er von seinen Vorfahren geerbt hatte und der durch den langjährigen täglichen Verkehr mit übermütigen Bauern genährt wurde. Er überlegte bei seiner Harmonila so lange, bis er sich zum Schlimmsten entschloß.
Ich werde den Lumpen erschlagen, weil ich mich an ihm nicht anders rächen tann. Alles andere würde an seinem Gelde scheitern. Aber vor dem Tode wird es ihn nicht retten. Der Mensch darf gegen seine Feinde nicht zartfühlend sein. Der Mensch darf sich nicht demütigen lassen.
Und jetzt stand feine Rede flar vor ihm. Wer einmal diese Schwelle überschreitet, der tehrt nicht wieder. Er darf nicht zurüd, um nicht vor fich selber als lächerlicher Schwächling dazustehen, um nicht zu den Worten zu berechtigen: wer wird sich etwas aus fo einem armen Tropf machen! Na, vielleicht ist's nicht so?
Der alte, schmache Sturm, das beleidigte Elend, der zermürbte Körper, der von dem gefühllefen Dorfe auf das Pflaster der noch gefühllojeren Stadt geworfen worden war, wurde start durch seinen Entschluß.
Wiſſen
Käsemaden.
Er hat uns in schlechten Geruch gebracht, Der üppige Käsefladen.
Nach außen war er falide Pracht, Doch innen war er schon längst verfracht; Es wimmelt nur so von Maden. Die Reichsbahnmade aus Frankfurt a. O. Die Volksopfermade aus Dresden , Die Aftenmade vom Knollbüro, Die Weber- und Sperlingsmaden en gros Sind unter allen die größten. Der fapitalistische Käse zerfällt!
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Ein Schauriges Menetefel! Man schaffe diesen Dred aus der Welt! Er stinkt nach Verwesung, er stinkt nach Geld. Was übrig bleibt, ist der Efel!
KAPITA
plöglich im dämmernden Tageslicht seinen Schatten auf die grotesk gefrorene Wolfe geworfen sieht. In jenen Höhen nähert sich der Flieger schon ein wenig dem dunklen Weltraum. Nur die sichtbaren Körper ergeben Helligkeit; je weiter die Erde entschwindet, desto meniger hell wird es. Merkt der Flieger, daß er nur noch wie auf einem Ozean treibt, dem Ostorfan preisgegeben, daß der Motor nichts mehr hergibt und der Höhenmesser schon längst nicht mehr Steigen zeigt, fühlt er seine Willenskräfte erlahmen, so weiß er, daß es Zeit ist umzukehren. Langjam muß er seinen Apparat fallen lassen, daß nicht der rasch zunehmende Luftdruck ihm Lungen und Haut zerreißt. Wer an die Grenzen des Kosmos will, muß fich trainieren wie ein Nordpolfahrer; er muß in jahrelanger Uebung einen Körper stählen, damit dieser dann in den wenigen Stunden des Refordfluges sein Letztes hergeben fann. Während eine Polarexpedition einige Monate, oft einige Jahre dauert, spielt sich der Höhenflug gleich einem Drama in wenigen Stunden ab.
Neues vom Gehörsinn. Jeder wahre Einblick in die Funktionen unserer Sinnesorgane vermehrt unsere Ehrfurcht. Früher meinte man, die Erkennung der Schallrichtung durch das Gehörorgan beruhe auf der Mitwirkung der Dhrmuscheln, auf Unterschieden der Intensität der Schallerregung im linken und rechten Ohre je nach der Schall richtung oder anderen naheliegenden Hilfsmitteln. Erst die Forschung der letzten Jahre hat das Zustandekommen der Richtungswahrneh mung aufgeflärt und dabei eine ganz erstaunliche Eigentümlichkeit
Ermorden, ermorden will er den feisten Wirt, um sich zu rächen, ihn, der außer seinem Gewerbe noch mit Vich Wucherhandel treibt, ermorden mill er ihn, um sich wenigstens ein wenig an dieser verdammten Beltordnung zu rächen, die für seine ganze Lebensarbeit auf den Feldern, Wiesen, in den Wäldern und Ställen nichts übrig hat als ein Almosen, wofür sie noch ein Lied auf der Harmonika und den Eindruck der Blindheit verlangt.
Morden will er, meil fie in seine früher geleistete Arbeit mit den Füßen stießen, weil sie ihm ein Almojen aus einem anzuzmeifeinden Mitleid mit seinem Unglück geben.
Ermorden will er, und er wird im Rechte sein! Und dann handelte der alte Sturm.
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Es war ihm bekannt, daß der Wirt jeden Donnerstag aufs Dorf ging, um Bieh zu laufen, das er dann in der Stadt mit Gewinn verkaufte. Er felgte ihm unauffällig, damit er wisse, welchen Weg er einschlage.
Und am nächsten Donnerstag wartete er, im Dickicht verborgen, bei einem Waldwege. Der Wirt fam des Weges.
L
Bellage des Vorwärts
des Gehörfinns entdeckt: seine äußerst feine Empfindlichkeit gegen fieinste Unterschiede in der Zeit der Erregung der beiden Ohren. senn ein Schall genau von vorn fommt, jo erreichen die Schallwellen die beiden Ohren gleichzeitig. Rüdi aber der Schall auch nur cin wenig nach der Seite, so ist der Weg zu dem einen Ohr fürzer als zu dem anderen, und auf Grund dieses Vorsprunges langen, die Schallwellen cher an. Auf diese Zeitdifferenz aber spricht das Gehörorgan an und unterscheidet danach die Richtungen und ihre Unterschiede. Es handelt sich dabei um geradezu phantastisch kleine Zeiten. Der größte Wegunterschied, der überhaupt vorkommen fann, wenn nämlich der Schall genau von der Seite fommt, führt bei einer Echallgeschwindigkeit von 340 Meter pro Sekunde immerhin erst zu einem Zeitunterschied von rund 0,0005 Sekunden; und bei den tleinsten überhaupt erkennbaren Richtungsunterschieden spielen die geradezu märchenhaften kleinen Zeiten von 0,00003 Sefunden eine Rolle: das heißt also das Schörorgan spricht noch auf einen Vor. sprung der Schallerregung in dem einen Ohre an, wenn dieser auch nur den dreißigtausendsten Teil von einer Sekunde ausmacht! Die fürzesten Reflegzeiten, die wir sonst beim Menschen kennen, betragen 0,03 Sefunden. Sie sind also noch tausendmal so groß als die ficinsten Zeitunterschiede, denen gegenüber das Gehörorgan empfindlich ist. Bisher hatten meder in der Psychologie noch in der Physiologie solche fleine Zeiten eine Rolle gespielt. Die physiolo gischen Grundlagen für diese Fähigkeit des Gehörfinns bleiben indeffen noch in Dunkel gehüllt.
herausfombiniert. Er war damals bei der Szene mit der Flasche bei dem dicken Birt anwesend gewesen und verstand das Rache funkeln im Auge des Greises. Später las er von dem Morde in den Zeitungen, die behaupteten, daß es sich um einen Racheakt handeln müsse, da kein Geld geraubt wurde. Auch das Leben des olten Sturm am Lande war ihm aus der Erzählung jenes Arbeitera follegen befannt, der damals gerufen hatte:" Sturm, mie fommen Sie denn her?"
Selbstverständlich erzählte er dies alles nur der Frau Böhm und vielleicht drei Bekannten. Er wußte, daß diese Leute schweigen würden, weil sie viel Haß in sich herumtrugen.
Nach seiner Erzählung jagte ein Monteur aus der Maschinenfabrik: llebrigens hatte er mit diesem Mord vollkommen recht. Sein Elend gab ihm das Recht hierzu! Und alle Armen haben dieses Recht, sie sollen sich deffen nur bewußt werden!" Und Frau Böhm, die gerne Sprichworte gebrauchte, setzte hinzu: Und seit jenem Tage berech Ja, wie sich einer bettet, so liegt er." nete sie dem alten Sturm den Ice erheblich billiger. Noch zwei Jahre lang ging der alte Sturm ins Kaffeehaus
Und die Rache reifte aus in einem gewaltigen Messerstoß in Sum Mohren". seinen Rücken. Er mudste nicht einmal.
Der Stoß war sehr gut geführt gewesen. Er hatte ihn sehr human niedergestochen.
Und der alte Sturm, der Mörder Sturm, nahm ihm nicht einmal das Geld ab, das für die Leiche vollkommen überflüssig war. Nur das Messer zog er aus der Wunde heraus. Und bei Nacht warf er es sehr vorsichtig in den Kanal.
Er führte weiter das Leben eines Bettlers. Nur eine Verände rung trat ein, daß er 3um Mohren" zu gehen begann.
Die Bolizei fonnte den Mörder nicht eruieren, und der alte Sturm schwieg.
Nicht einmal feinen Namen nannte er in dem Kaffeehaus, in das er täglich zu gehen pflegte.
Er spielte auf der Harmonika , im Winter pflegte er auf der niedrigen Mauer unweit des Grand Hotels zu fizen. Er ähnelte einer gegen harte Mauern und erleuchtete Fenster geballten Faust. Im Sommer hörte in der Vorstadt bei der Brüde vielleicht bloß die einzige Berfäuferin von fauren Gurken und von Limonade gern feiner Mufit zu. Er simulierte jetzt mirklich Blindheit, um nicht für die elenden Almojen danken zu müssen. Aber er hatte einen Trost in seiner Not: einmal, wenigstens einmal in seinem Leben hatte er fich gerächt!
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Eines Mittwochs aber fam er nicht. Auch die folgenden Tage fehlte er. Und in der Woche darauf, um 5 Uhr früh, als Frau Böhm die Semmeln und Kiefel zählte, überraschte fie ihre Gäste mit den Worten:„ Wißt Ihr, was Neues ist? Der alte Sturm ist gestorben!" Und sie reichte den verwunderten Gästen das„ Juustrierte Blatt", wo sich auf der vorlegten Seite eine elende Photographie des alten Sturm befand, mit der Aufschrift: Wer weiß etwas?
Mittwoch nachts wurde in der Nähe der Zidenizer Brücke ein total erfrorener Mensch aufgefunden, der am selben Tage im Spital zur heiligen Anna starb, ohne daß es möglich murde, seine Identität festzustellen. Wenn etwas Näheres über ihn befannt ist, wird er. fucht, dies dem Bolizei- Kommissariat mitzuteilen."
Die lange Nase" sagte:„ Wir fennen ihn wohl, aber was hat es für einen Wert, wenn mir es mitteilen, wer es war. Wir Armen kennen ihn. Die, welche ihm gedankenlos ein Almosen hingeworfen und sich nicht weiter um ihn fümmerten, fennen ihn nicht. Wir tennen ihn wohl und schätzen uns ihn. Nicht wahr, Frau Böhm?" Und sie antwortete: Ja, er war ein braver Mensch, die Erde werd ihm leicht!"
Und nachmittags, am selben Tage, war das Kaffeehaus ge schlossen, mit einer Reißzmede ein Stück Papier an der Tür befestigt, auf dem zu lesen war: Wegen eines Trauerfalles bis morgen vier Uhr früh ge ( Berechtigte Ueberfesung von 5. Reismann.)
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schloffen.
Dies alles hatte die lange Naje" in Erfahrung gebracht und