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Dienstag

27. April 1926

Unterhaltung und Wissen

Worte von Ellen Key  .

Die Liebe ist fittlich auch ohne gefeßliche Ehe, aber diese ist unfittlich ohne die Liebe.

( Ellays.)

Der Kapitalismus ist im Innersten ebenso lebenzerstörend und ebenso feindlich gegen die Kultur des Individuums mie der Mili­tarismus, der ja in gleicher Weise eine reiche Straftentwidlung für einzelne Persönlichkeiten ermöglicht, aber gleichzeitig die Mehrzahl zu Herdenmenschen herabdrückt. ( Essays.)

Daß die Frauen nun zu bekennen wagen, daß fie erotisch Sinne haben, während die Männer nun zu erfahren beginnen, daß sie erotisch Seele befizen; daß die Frau Gefühle von dem Manne ver langt und er von ihr Gedanken das ist das große Glüdszeichen der Zeit. Die modernen, feinfühligen Jünglinge leiden wohl ebenso sehr wie ihre Schwestern darunter, nur als Geschlecht, nicht als Persönlichkeit und persönlich geliebt zu werden.

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( leber Liebe und Ehe.")

Nichts ist weiser als der Wille der heutigen Frau, das Leben mit eigenen Augen zu sehen, nicht wie die Frauen früherer Zeiten nur mit denen des Mannes.

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( leber Liebe und Ehe

Man hält die Menschennatur für gar zu einfach und wider. standsfähig, wenn man annimmt, daß ein Lebensversuch den an­deren ablösen würde, sowie man die Scheidung freigabe. Das Leben selbst, nicht das Gefeß, zieht in diesem Falle die unübersteig­lichen Grenzen. Für tiefere Naturen, die fich aus einem Lebens verhältnis losgeriffen haben, ist das Leid dabei oft so groß gewesen, daß es für immer die Farben des Lebens gebleicht hat.

( leber Liebe und Ehe

Rein Berhältnis zeigt beffer als die Ehe, wie Sitten und Ge fühle den Gefeßen, in deren Hut fie fich ausgebildet haben, um Jahrhunderte veraneilen tönnen.

( leber 2iebe und Ehe

Jede Sittlichkeitspredigt an die Jugend, welche nicht zugleich die Gesellschaft verurteilt, die die Unfittlichkeit begünstigt und die Berwirklichung der Jugendliebe unmöglich macht, ist mehr als eine Dummheit, ist ein Verbrechen.

( lleber Siebe und Ehe)

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Weil jede Belle", die mittelbar oder unmittelbar den Gesell­fchaftsorganismus aufbaut, eine männliche oder weibliche ist, ist es undenkbar, daß nicht eine höhere Organisation der Gesellschaft schließlich mit Notwendigkeit diesen ihren zweigeschlechtlichen Charat ter ausdrücken muß. So wie die Familie der erste Staat"- muß sich auch der endliche Staat als eine Einheit des männlichen und des weiblichen Prinzips darstellen.

( Ueber Liebe und Ehe")

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Nach meiner Auffassung des Wortes ist es im Gegenteil die Liebe, die bei der relativen Schwächung des Triebes   und durch die missenschaftliche Klarheit über denselben gewinnen wird. Die Menschen werden dann nicht mehr den Trieb mit der Liebe ver­sechseln, in der derselbe allerdings immer vorhanden ist, aber in der­selben Weise, wie z. B. die Skulpturen des Höhlenmenschen in tenen eines Michelangelo   gegenwärtig sind. Der Mensch wird dann crft mit allen Kräften seines ganzen menschlichen Wesens lieben fönnen, wenn die Liebe nach dem schönen Wort des Amerikaners Thoreau nicht nur eine Glut, sondern ein Licht ist"; er wird dann erst einsehen, welchen Reichtum das Leben durch die Liebe erhalten fann, wenn diese ein menschenwürdiges Glüd wird, dadurch, daß fie ein tünstlerisches Schaffen ist, ein religiöser Kult und schließ lich ein Ausdrud der vollzogenen Einheit der Liebenden in cinem neuen Besen, einem Wesen, das einftmals wirklich für das Leben wird danken können. ( Das Jahrhundert des Kindes.)

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Erst wenn man die Erziehung des Kindes auf die Gewißheit cründet, daß Fehler nicht versöhnt oder ausgelöst werden können, fondern immer ihre Folge haben müffen, aber gleichzeitig auf die Gewißheit, daß fie in einer fortgelegten Evolution umgewandelt werden können, durch langsame Anpassung an die umgebenden Ber hältnisse, erst dann wird die Erziehung anfangen Wissenschaft, Stunft u werden. Man wird dann allen Wunderglauben in bezug auf die Wirkung plöglicher Eingriffe aufgeben. Man wird nach dem Prinzip der Unzerstörbarkeit der Mat- rie auch auf psychologischem Gebiet handeln und niemals glauben, daß eine Seelenanlage ausgerottet, sondern nur eines von beiden: herabgedrückt oder zu einem höheren Wert erhoben werben fann. ( Das Jahrhundert des Rindes.")

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Die meisten modern Dentenden sprechen freilich gar viel von Persönlichkeit, verzweifeln aber, wenn ihre Kinder nicht ebenso find wie alle anderen, wenn sie nicht fix und fertig bei ihrer Nach femmenschaft alle von der Gesellschaft verlangte Tugend vorweisen Fönnen! Und darum dressieren sie die Kinder, ihre Natur zurüd zuhalten um fie dann als Grwachsene wieber loszulaffen! Noch ohnt man faum, wie neue Menschen gebildet werden. Darun fommen noch immer im selben Kreislauf die alten Typen wieder; bie tüchtigen Kerle, die füßen Mädchen, die ehrfamen Beamten usm. Aber neue Inpen mit höheren Idealen, Wanderer auf ungefannten Wegen, Denfer ungedachter Gedanken, fähig zu den Berbrechen. die neue Bahnen brechen die erstehen felten unter diesen Wohl­( Das Jahrhundert bes Rindes.)

cizogenen.

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Die törperliche Züchtigung hat ben Charakter, den fchon Mittel greift, mit einem Mufiler vergleicht, der sein ungeftimmtes Comenius treffend angab, wenn er den Erzieher, der zu diesem Instrument mit Fäusten bearbeitet, anstatt Ohr und Hand zu brauchen, um es zu stimmen!

Auf all die unzähligen feinen Brozeſſe im Seelenleben des Kindes, auf die dunklen, zusammengefeßten Berläufe, die bebenden, empfindlichen Gefühle wirken diese brutalen Eingriffe zerreißend, verwirrend und deshalb ohne alle feelisch erziehende Macht! Um wirklich zu erziehen, muß in erster Linie nach den zwei, trei ersten Lebensjahren der bloße Gedanke an einen Schlag aus den Möglichkeiten der Erziehung ausgelöscht werben! Am besten ift es, wenn die Eltern schon vor der Geburt des Kindes an be­schließen, niemals zu Schlägen zu greifen. Denn wenn sie mit dem bequemen Mittel anfangen, seßen sie es dann oft gegen ihren früheren Borfa fort, weil fie es Lersäumt haben, während des Gebrauchs der bequemen Methode ihre Intelligenz zu entwickeln. Mit einem Menschen, der dies nicht einfieht, fällt es mir eben so wenig ein, von Erziehung zu sprechen, wie es mir einfallen würde, init einem Rannibalen von der Friedensfrage zu reden.

( Das Jahrhundert des Kindes.)

Stelle an die Kräfte des Kindes und an feine Selbstbeherrschung proportionell zu dem betreffenden Entwidiungsstadium weder größere nody geringere Ansprüche als an die Erwachsenen, aber

Luthers   Eiertanz.

KOMPRO

Slave

MPROMISS

REICHS. REGIERUNG

KON PRO

MIST

Beilage des Vorwärts

KOM PROMISS

I

KOMPROMISS

VOLKSENTSCHEID

Solch Eiertanz ist leider allemal Für den Artisten eine arge Qual.

Und auch Herrn Doktor Luther macht die Nummer Des Fürstenkompromisses schweren Kummer. Er wird bei seinem Dauerbalancieren

bringe auch den Freuden des Kindes, feinem Gefchymad, seiner Ar­beit, jeiner Zeit dieselbe Achtung entgegen wie der eines erwachfenen Menschen! Die Erziehung wird so eine unendlich viel einfachere und unendlich viel schwerere Kunst als die jeßige Erziehung mit ihrem gefünftelten Dasein und ihrer doppelten Moral, einer für die Kinder und einer für die Erwachsenen, einer Moral, die oft streng für das Sind und lag für die Erwachsenen ist, ebenso wie umgefehrt. Dadurch, daß man zu jeder Stunde das Kind sa behandelt und be­tradytet, wie man den erwachsenen Menschen behandelt und be trachtet, wird man die Erziehung sowohl von den brutalen Will fürlichkeiten wie von den verhätschelnden Schußmaßregeln befreien, die fie jetzt verunstalten.

( Das Jahrhundert des Kindes.)

In dem Kinde schlummert ein Gefühl, daß die Pflichten der Menschen sehr zufammengefeßt und von moralischer Ratur find: anstatt dessen lehrt man es, daß die vornehmste Pflicht im blinden Glauben besteht, in Gebeten, im Ausfprechen gewiffer Borte bei einem gewissen Anlaß, in dem Verzehren von Bein und Brot, das Gottes Fleisch und Blut vorstellen soll. Wir meinen, daß all dies feine ernsthafte Sache ist, und dennoch ist die Einpflanzung dieser Lehren die mir Religionsunterricht nennen das größte Ber brechen gegen das Kind, das man fich überhaupt denken fann! ( Das Jahrhundert bes Rindes")

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Frühjahrs- Zoologie.

Von L. Loeste.

Bom Barnim und vom Teltow  , den diluvialen Hochgeländen,

die Berlin   einfreifen, ist durch Monate Regenwasser in das Spreetal  frei. Im Tale der Spree   aber sammelten sich die Wasser, und in hinabgeflossen. So blieben die höher gelegenen Kiefernforste waffer. den Mischmäldern der Niederungen, so zwischen Blößensee und Nauen  , halten die Gräben den Segen nicht, und überall gligert ein Gemisch von Tümpeln, überschwemmten Fußwegen und imitierten Baltseen auf, die feine Karte nennt: ein Baradies für Frösche und Molchfänger! Bandervögel brechen mitten im Marsch und mitten in der Strophe mit Dissonanzen ab, denn ein überschwemmter Beg hat beides gehemmt und das Hindernis muß erst genommen werden Das alles ficht teinen echten Molchfänger an. Ihre weißen Stätscher an langen Stangen beleben die Baldlandschaft. Blecheimer tragen fie in den Händen, und wie der Bussard über dem Balde nach Beute treift, so durchspähen und durchsieben die Wasserzoologen

jeden Graben.

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Noch manchen kompromißentwurf verlieren, Und sicher find am Schluß der Tanzerei Die allermeisten Eier doch entzwei. Der Vorhang fällt: Das Volk hat keine Zeit, Es will ein ernstes Stück, den Volksentscheid!

Riemen verbreitert( daher der Name Riemenfuß) und sie sind un unterbrochen, ohne die geringste Pause, in rhythmisch welliger Be­wegung, die den Bogen eines Kornfeldes im Winde vergleichbar ist. Dieje Tier gehen nie zu Boden, ruhen sich niemals aus und man sieht sie niemals fressen. Mit dem Wasser, das sie durch ihre Kiemenfüße strudeln, nehmen sie dessen Sauerstoff und vermutlich auch mitroskopisch fleine Algen als Nahrung auf. Bei vorsichtiger Behandlung kann man die zarten Tiere daheim einige Tage beob­achten und über eine Schöpfung der Natur staunen, die in dieser Weise nicht ihresgleichen bei uns hat.

Die braunen Grasfrösche sind, wie alle Froscharten, ins Waffer gegangen, um Hochzeit zu machen. Während der männliche Molch fich durch einen tammartigen Rüdenschmud und expreffionistische Farben ein heroisches Aussehen gibt und der Stichling noch bunter erblüht, läuft der Grasfrosch vor Liebe pflaumenblau an. Wo sie in Menge halben Leibes aus dem Wasser schauen, gibt das im Berein mit dem Gequate ein humoristisches Bild. weise fressen verliebte Frösche nicht, und es verspricht uns bas wachsende Gewimmel schwärzlicher Larven leider ein gesegnetes Müdenjahr.

Bir minden uns, durch all diese Näffe, langsam aus dem Walde wieder heraus. Dabei erhaschen wir noch manches Bild. Bon Stamm zu Stamm fliegende Spechte. Ein Rudel friedlich äfender Rehe. Das Gemimmel wiedererwachter Ameisenhaufen. Die durch die Annäherung unserer Hände gereizten Tierchen besprizen uns mit Ameisensäure. Was wollt ihr hier? scheinen fie zu rufen. Und fie behalten Recht. Denn bald darauf rasselt der Zug uns in unferen eigenen Ameisenhaufen zurüd.

Zwölftausend deutsche Gelehrte. Kürschners Deutscher Gelehr

ten- Kalender, der im vorigen Jahre vem Literatur- Kalender ab­gezweigt wurde, ist in diesem 2. Jahrgang bereits auf den doppel­ten Umfang des Mutterunternehmens angewachsen. Gegenüber fönlichkeiten, die sich gelehrter Tätigkeit widmen, eine imponierende 6000 im Jahre 1925 umfaßt er nun über 12 000 Namen von Ber Der einzelne Ar­Heerschau deutscher wissenschaftlicher Arbeiter. tifel des von Dr. G. Lüdite unter redaktioneller Leitung von Dr. Hans Jaeger   bei Walter de Gruyter   u. Co. in Berlin   heraus gegebenen Werkes enthält die Adresse, akademische Laufbahn und die wissenschaftlichen Arbeiten des Verzeichneten, die jetzt auch die wich­tigsten Zeitschriftenauffäße und Beiträge zu Sammelwerken mit ein­schließen. Eine begrüßenswerte Neuerung ist das Berzeichnis der Belehrten nach Fachgebieten. Es ist zu hoffen, daß alle, die um Auskunft ersucht werden, sich mehr und mehr der Bedeutung des grundlegenden Nachschlagewerkes bewußt werden, damit das omi­nöfe Beichen(), das die Richterfüllung des Fragebogens durch den Betreffenden angibt, in den folgenden Jahrgängen völlig ver.

Ichwindet.

Unter dem zahllosen Kleingetier, das fte bergen, ist auch eins der merkwürdigsten Geschöpfe unserer Fauna, ber Riemenfuß ( Branchipus), ber zum Geschlecht der Kleintreble gehört. Da die Tiere bis zwei Bentimeter lang werden, jo fann man sie,& B. in den Gräben des Briefelang, unschwer im Wasser dahinschweben sehen. Leicht fann man sie, obwohl sie durch einen Schlag des Schwanzendes bisweilen tudweise davonschießen, mit Hilfe des Rät schers in ein Glasgefäß mit Wasser befördern. Die rötlichen, faft völlig burchfichtigen Tierchen schwimmen stets auf dem Rüden. Die Beine, auf jeder Seite etwa ein Dugend, sind zu blättchenartigen| Dant 2. Klaffe abzustatten.

Wurst wider Wurst. Als Whistler   auf der Münchener Großen Runftausstellung einige feiner Werte ausgestellt hatte, geschah es, daß die Jury, die feine Bedeutung noch nicht recht erkannt hatte, ihn nur mit einer Medaille 2. Klaffe auszeichnete. Der wigige Meister antwortete nach Uebersendung der Medaille mit einem furzen Brief, indem er schrieb: Ich erlaube mir, Ihnen meinen