Abendausgabe
Nr. 20543. Jahrgang Ausgabe B Nr. 101
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10 Pfennig
3. Mai 1926
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Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands
Der englische Großkampf.
Ultimatum der Regierung.
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Alle Verhandlungen abgebrochen.
London , 3. Mai. ( Eigener Drahtbericht.) Der englische| erwähnten Handlungen, die bereits stattgefunden haben, wie auch Ministerpräsident Baldwin verhandelte in Gegenwart des gesamten eine fofortige und bedingungslose Zurückziehung Ministerrats am Sonntagabend nochmals mit dem Generalrat der der Generalstreitorder verlangen." Gewerkschaften. An diesen Verhandlungen nahmen später auch auf Wunsch einzelner Minister das Exekutivkomitee des Bergarbeiterverbandes teil. Die Besprechung dauerte bis 1 Uhr nachts und wurde dann ergebnislos abgebrochen, weil die Regierung einen Berzicht auf die Generalstreitparole von den Bergarbeitern fordert, ehe sie in den Lauf der Dinge praktisch eingreife! Damit scheint der Beginn des Generalstreits am heutigen Abend fast unvermeidlich.
In einem Manifest, das nachts nach den Verhandlungen des Generalrats mit der Regierung veröffentlicht wurde, wird die Enlwicklung der Lage nochmals in ihren Einzelheiten geschildert und darin erwähnt, daß immer noch die Möglichkeit zu einer Einigung bestehe, wenn die Regierung die Forderung, von vornherein einer Cohnkürzung zuzustimmen, zurüd. ziehe und dafür Sorge trage, daß die Aussperrung der Bergatbeiter aufgehoben werde.
„ Daily Mail" fann am Dienstag nicht erscheinen, da die Seher und das übrige Personal fich geweigert hat, einen die Ation der Gewerkschaften in maßloser Weise angreifenden Artikel erscheinen zu laffen.
Kampfmaßnahmen der Regierung. Condon, 3. Mai. ( WTB.) Kurz vor Mitternach gab der Minister des Innern eine Mitteilung aus, in der erklärt wird: England müsse sich auf den Generalstreit gefaßt machen. Die Regierung unternehme alle Schrifle, um die Berforgung mit Lebensmitteln, Brennstoffen und Beleuchtung aufrechtzuerhallen und werde für den Schuh aller in diesen Industriezweigen Beschäftigten forgen. Refrutierungsämter für freiwillige Helfer würden eröffnet werden. Alle loyale Bürger würden aufgefordert. fich bereitzuhalten, um der Regierung Beifland zu leiffen. Weitere Bekanntmachungen werden für den heutigen Tag angekündigt. Auf der Sitzung des Bollzugsausschusses der Parlamentsmitglieder der Arbeiterpartei wurde gestern abend beschlossen, daß heute eine Debatte über die Krise verlangt werden soll, wenn bis zum Augenblick des Zusammentritts des Parlaments feine Regelung erfolgt ist.
Der Generalraf des Gewerkschaftskongreffes sandle heute früh eine Antwort an den Ministerpräsidenten, in der er sich beklagt, daß seine aufrichtige Bemühung, eine ehrenhafte Regelung zu erreichen,„ durch das unerhörte Ultimatum der Regierung" zunichte gemacht worden ist. Offiziell wurde erklärt, daß die Berhandlungen zu Ende feien.
Baldwins Ultimatum.
London , 3. Mai. ( Eigener Drahtbericht.) Amtlich wird mitgeteilt, daß das Scheitern der Verhandlungen über den Kohlenkonflikt durch folgenden Brief des Premierministers Baldwin an den Vorsitzenden des Gewerkschaftskongreffes Artur Pugh befannt gegeben wurde:
Die Regierung Seiner Majestät ist der Ansicht, daß feine Lösung der Schwierigkeiten in der Kohlenindustrie, die für alle Beteiligten zugleich durchführbar und ehrenvoll wäre, gefunden werden fann, es sei denn durch eine aufrichtige Annahme des Kommissionsberichts. In dem Ausdrud„ Annahme des Berichtes" find sowohl die Reorganisation der Kohlenindustrie, die sofort in Angriff genommen werden müßte, enthalten, wie auch die noch später zu erwartenden Ergebnisse dieser Reorganisierung, die einstweilen durch eine vorübergehende Angleichung der Löhne und der Arbeitszeit zu erreichen wären, um in der Zwischenzeit eine wirtschaftliche Fortführung dieser Industrie zu ermöglichen.
Wenn die Bertreter der Bergarbeitergewertschaften bereit gewesen wären, flipp und klar zu erklären, daß sie diesen Borschlag annehmen, so würde die Regierung bereit gewesen sein, die Verhandlungen zum Abschluß zu bringen und für weitere zwei Wochen die Zuschüsse fortzuzahlen. Aber seit den Unter redungen, die zwischen den Ministern und den Vertretern der Gewerfichaften stattgefunden haben, hat die Regierung erfahren, daß nicht nur bestimmte Instruktionen
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die von den Bertretern des im Sinne der ProklaGeneralrats der Gewerkschaften ausgehen mierung des Generalstreiks auch für die lebenswichtigsten Industrien und Betriebe ergangen find, sondern daß darüber hinaus schon bestimmte handlungen in diefer Richtung vorge nommen wurden, namentlich ein grober Eingriff in das Gebiet der Pressefreiheit.
Ein folches Unternehmen enthält eine& ampfanjage an die ver faffungsmäßigen Rechte und an die Freiheit der Retion. Aus diesem Grunde muß die Regierung Seiner Majestät, bevor sie die Verhandlungen wieder aufnehmen Lann, von den Gewerkschaften jomohl eine Berurteilung der
Diefe letzten Worte beziehen sich, wie der amtliche engje Funkdienst hinzufügt, auf die in der vergangenen Nacht erfolgte Arbeitsniederlegung durch die Buchdrucker der " Daily Mail" als Protest gegen einige Stellen eines Leitartikels, der heute früh in diesem Blatt erscheinen sollte und den sich der Chefredakteur zu ändern weigerte. Infelgedessen konnte der„ Daily Mail" heute früh in London nicht erscheinen, dagegen ist die in Manchester gedruckte Ausgabe des Blattes erschienen.
Die Antwort des Generalrats.
London , 3. Mai. ( WTB.) Die Antwort des Generalrats des Gewerkschaftskongresses auf die Entscheidung der Regierung besagt, Gewerkschaftskongresses auf die Entscheidung der Regierung besagt, es fei nichts Ungewöhnliches, daß Arbeiter in Verteidigung ihrer Interessen als Lohnempfänger die Arbeit einstellen. Der be= sondere Zweck des dahingehenden Beschlusses im gegenwärtigen Fall sei, den Arbeitern dasselbe Recht zu sichern wie den Unternehmern, nämlich, daß die Verhandlungen außerhalb der Atmosphäre des Streifs oder der Aussperrung geführt werden. Was einen schweren Eingriff in die Freiheit der Presse" angehe, so habe der Generalrat keine Renntnis davon und könne dafür keine Berantwortung übernehmen. Er ergreife wirksame Maß nahmen, um irgendwelche disziplinwidrigen Handlungen zu verhindern. Der Rat bedauere, daß ihm keine Gelegenheit gegeben worden sei, die angeblichen Zwischenfälle zu untersuchen und sich dazu zu äußern, bevor die Regierung fie zum Vorwande nahm, um die Einigungsverhandlungen abzubrechen. Die Deffentlichkeit merde die wahren Absichten der Regierung nach dem über stürzten und beklagenswerten Beschluß in dieser Sache beurteilen und werde es mit dem Generalrat beklagen, daß seine aufrichtigen Bemühungen um eine ehrenhafte Regelung durch das unerhörte ultimatum der Regierung zunichte gemacht wurden.
Londoner Pressestimmen. London , 3. Mai. ( WTB.) In Leitartikeln und spaltenlangen Berichten befaffen sich die Blätter mit dem drohenden Generalftreif, Die letzten Ereigniffe, das Ultimatum der Regierung und der Abbruch der Berhandlungen konnten nur von einigen Blättern noch unter den Die liberalen Blätter tritifieren die Haltung der Regierung durchweg abfällig. Blond Georges Blatt„ Daily Chronicle" fagt, wenn die Katastrophe eintrete, müsse natürlich jeder Bürger bei der Aufrechterhaltung der Ordnung mitwirken. Das brauche aber nicht über die Tatsache hinwegzutäuschen, daß der verhängnisvolle Konflikt nicht ausgebrochen wäre, wenn die Regierung rechtzeitig und entschieden eingegriffen hätte, statt eine zweideutige Haltung einzunehmen.
Die radikale Daily News" erhebt Einspruch gegen den Verfuch, die industrielle Krise als eine revolutionäre Beme gung hinzustellen. Was die Regierung betreffe, so habe sich Bald.
| win erst am legten Mittwoch, zwei Monate nach dem Bericht der Kohlenkommission auf Berhandlungen eingelaffen. Das einzige, was die Regierung wirklich getan habe, sei gewefen, forgfältige Vorsichtsmaßnahmen für den Fall eines Streits zu treffen, statt ihn zu verhindern.
Auch die liberale ,, Westminster Gazette" macht Baldwin Unsicher heit und Untlarheit zum Vorwurf.
Das Arbeiterblatt„ Daily Herald" erklärt, Baldwin habe sich zum Werkzeug der Schwerindustrie gemacht, und ermahnt die Arbeiter zur Einigkeit, zu Bertrauen zu ihren Führern und Vorsicht gegenüber Spionen.
,, Daily Expreß " sagt, wenn die organisierte Arbeiterschaft es auf eine Kraftprobe ankommen lasse, könne der Ausgang nicht zweifelhaft fein. Ein Generalstreit werde fehlschlagen.
Daily Telegraph " mißt dem Generalrat des Gewerkschaftsfongresses die Schuld an der unglücklichen Wendung der Dinge bei und spricht von dem politischen Charakter, den ein industrieller Konflikt erhalten habe.
Situationsbericht der Regierung.
London , 3. Mai. ( Reuter.) Bisher ist es nirgends zu Störun gen der öffentlichen Ordnung gekommen. Mit Ausnahme der einen Million Bergarbeiter gehen alle friedlich ihrer Beschäftigung nach. Das plögliche Scheitern der Vermittlungsversuche hat im Lande große Enttäuschung hervorgerufen. Von dem Generalstreit wurden 1½ Millionen Arbeiter des Transportgewerbes und der damit zusammenhängenden Betriebe betroffen. Die Be hörden sind damit beschäftigt, die den außergewöhnlichen Umständen angemessenen Maßnahmen und Vorkehrungen zu treffen. Tausende von freiwilligen Arbeitern sind bereits angeworben und die Re frutierung weiterer Hilfskräfte ist im Gange.
Der englische Bergbau.
Der englische Riefenkampf, der schon durch seine Ausdehnung ein Ereignis von gar nicht abzuschäßender Tragweite ist, wird durch den Umstand gekennzeichnet, daß die Unternehmer ihn provozieren, weil sie den Rückstand, in den Europa durch den Krieg geraten ist, durch die Berelendung der Arbeiterschaft wettzumachen suchen. Wenn zu Beginn des kapitalistischen Maschinenzeitalters die Arbeiter oft ihrer Wut durch Zerstörung der Maschinen Luft machten, fo erinnert das Vorgehen der Unternehmer Europas gegen wärtig an dieses primitive Mittel geistig Rückständiger. Die Unternehmer wollen die immer wieder versäumte Modernisierung der Betriebe nochmals hinausschieben, gegen den amerikanischen Maschinismus anfämpfen, indem sie die Arbeiter länger arbeiten lassen und niedriger entlohnen.
Dieses Kapitel ist uns auch in Deutschland reichlich bekannt. Wie es aber besonders im englischen Bergbau, der im Zentrum des großen Kampfes steht, im Vergleich zum deutschen Bergbau aussieht, dafür bietet ein jüngst veröffentlichter Bericht englischer Bergarbeiter einen interessanten Einblid. Vor einigen Wochen hat die englische Zeitung„ Daily Mail" acht Bergarbeiter nach Deutschland auf eine Studienreise
Das Bodenreformgeseh.
Beratung im Reichstag. - Beschluß des Aktionsausschusses.
Im Reichstag steht am Dienstag der Bericht des 11. Ausschusses| Allgemeiner Deutscher Beamtenbund( Dr. Bölter), ( Wohnungswesen) über den Antrag der Abgg. Brodauf, Deutscher Beamtenbund( Remmers), Deutsche Woh. Roch- Weser u. Gen. betr. Vorlegung eines Bodenreformgesetzes nungsfürsorge A.-G. für Beamte, Angestellte und Arbeiter ( Dr.- Ing. Wagner), Heimstättenamt der Deutschen Beamtenschaft zur Beratung. Berichterstatter ist der Abg. Silberschmidt. Es handelt sich um ein Gesetz, das von großer Bedeutung für die E. V.( Johannes Lubahn ), Arbeitsgemeinschaft der Fachgewerkdeutsche Volkswirtschaft überhaupt, insbesondere aber für unsere schaften( Dr. Beume), Reichsverband der KleingartenSozialpolitif ist, um ein Gefeß, das den weitesten Rahmen für unsere vereine Deutschlands ( Förster), Reichsbund der Kriegsgesamte Boden, Siedlungs- und Wohnungspolitik bildet, und eine beschädigten, Kriegsteilnehmer und Kriegerhinterbliebenen großzügige Lösung der Wohnungsfrage ermöglichen soll. Das At( Stadsholt), Gemeinnüßige Reichsbund- Kriegersiedlung G. m. b. H. tionsfomitee für Boden, Siedlungs- und Woh( Maroke, Pfändner), Märkische Scholle( Schluckebier), Deutsches nungspolitit richtet einen dringenden Appell an den Heim( Schadewald), Reichsbund Deutscher Mieter( Friz Reichsarbeitsminister.. Durch den Obmann des Aftions- Dzient), Bund Deutscher Mietervereine, Geschäftsstelle Berlin tomitees ist heute dem Reichsarbeitsminister der nachstehende, ein-( Gramfe), Gruppe Nord, Gemeinnüßige Siedlungs- G. m. b. 5. stimmig gefaßte Beschluß des Attionsfomitees übermittelt worden:( Siebenhaar), Bund Deutscher Bodenreformer( Victor Road).
,, Das Aktionskomitee für Boden-, Siedlungs- und Wohnungspolitik beschließt, der Reichsregierung mitzuteilen, daß das Aktions fomitee von ihr die baldige Einbringung des Bodenreformgefeßzentwurfes des Ständigen Beirats für Heimstättenwesen beim Reichsarbeitsminister vom 22. März 1926 beim Reichstag er wartet, und daß die dem Aktionskomitee angeschlossenen Organisationen für die Annahme dieses Gefeßentwurfes im Reichstag mit allen Mitteln energisch agitieren werden." Der Beschluß trägt folgende Unterschriften: Allgemeiner Deutscher Gewerkschaftsbund ( Leipart), Deutscher Gewerfichaftsbund( Bernard Otte, Dr. Brüning), Verband der weib lihen Handels- und Bureauangestellten( Dr. Frieda Blaß), Soziale Kommission der Deutschen Gewerkvereine H. D.( Alfred Lange). Allgemeiner freier Angestelltenbund( Aushäuser),
Hinter dem Beschluß des Aktionsfomitees stehen also die Bertreter von Millionen deutscher Arbeitnehmer. Der Ständige Beirat für Heimstättenwesen beim Reichsarbeitsminifterium hat in seiner Sizung vom 22. März 1926 seinen ersten Entwurf für das Bodenreformgefeß von 1920 nicht unwesentlich geändert. Der Wortlaut des revidierten Entwurfes, der vom Ständigen Beirat einstimmig angenommen worden ist, ist durch den Reichsarbeitsminister bereits den Landesregierungen zur Begutcchtung zugefchickt worden. Ein Zeichen, daß die Regierung selbst überzeugt davon ist, daß das Bodenreformgesetz kommen muß, und daß sie willens ist, diefer Notwendigkeit Rechnung zu tragen. Nunmehr fommt alles darauf an, daß der Reichstag der Regierung die Möglichkeit gibt, das Gejeh zu permirtlichen, t