Nr. 208 43. Jahrg. Ausgabe A nr. 106
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Mittwoch, den 5. Mai 1926
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Der Riesenkampf in England.
Durchführung des Generalstreiks.- Aufruf zur internationalen Solidarität!
Der gigantische Kampf, der jetzt in England im Gange ist, tennt seinesgleichen nicht in der Geschichte Englands, ja der ganzen Welt. Man könnte höchstens den Generalstreit mit ihm in Vergleich stellen, der in Deutschland zur Niederwerfung des Kapp- Butsches durchgeführt worden ist. Aber dieser Vergleich kann nur für den Umfang und die Intensität des Streifs gelten, nicht für seinen Charakter, denn der deutsche KappStreit war ein politisches Unternehmen mit dem Ziel, die gewaltsam gestörten verfassungsmäßigen Rechtszustände wiederherzustellen, der englische Generalstreit ist aber in seinem Kern eine gewerkschaftliche Angelegenheit mit tiefen wirtschaftlichen Hintergründen.
Die Arbeiterschaft der ganzen Welt, vor allem auch die Deutschlands , verfolgt diesen Riefenkampf mit angehaltenem Atem. Unendlich viel hängt auch für sie von seinem Ausgang ab. Ein Fehlschlag in England würde in der ganzen Welt den Uebermut der kapitalistischen Kreise steigern, und mehr denn je würde die verhängnisvolle falsche Methode, in Lohnfürzungen und Arbeitszeitverlängerungen den Ausgleich für die Rückständigkeiten der wirtschaftlichen Organisation zu fuchen, als die allein maßgebende betrachtet werden. Umgetehrt muß ein Erfolg der englischen Bewegung Mut und Selbst vertrauen bei allen Lohn- und Gehaltsempfängern mächtig steigern und auf das Unternehmertum in allen Ländern als nachdrückliche Warnung wirken, den, Bogen nicht zu über spannen.
Der Ruf nach Solidarität, den die Bertreter der englischen Arbeiterschaft jezt an die arbeitenden Massen Deutsch lands richten, wird daher nicht ungehört verhallen. Deutsche und englische Arbeiter haben vier Jahre lang in den Schützengräben gegeneinander gelegen. Wie sehr hat sich seitdem heute in einem Vorkampf für die Interessen des Welt die Situation geändert. Die englische Arbeiterschaft steht proletariats und ruft die deutschen Arbeiter auf, im Kampf gegen einen gemeinsamen Gegner Pflichten gewerkschaftlicher Solidarität zu üben. Sie zu erfüllen gebietet den deut schen Arbeitern ihr eigenes Interesse mie ihre eigene Ehre. Der Ausgang eines Kampfes wie des gegenwärtigen hängt in erster Linie ab von dem reibungslosen Funktionieren der Organisation. Die Organisation, die ihn in erster Reihe führt, find die englischen Gewerkschaften, die mit den deutschen und den anderen Gewerkschaftsorganisationen zur Amsterdamer Internationale zusammengeschlossen sind. Alle notwendigen Maßnahmen werden also auf eng lische Anregung, nach gemeinsamer Beratung von der gewerk schaftlichen Internationale zu fassen und von den Landesorganisationen durchzuführen sein. Die internationale Drganisation fordert internationale Disziplin. Durch Disziplinlosigkeiten könnte man ihr höchstens Bären dienste ermeisen.
des Zentrums der Stadt zur Folge, so daß an den Hauptverkehrspunkten die Automobile und sonstigen Fahrzeuge bis zu einer Biertelstunde dichtgedrängt warten mußten. Während in den frühen Morgenstunden der Verkehr der Untergrundbahnen, Omnibusse und Straßenbahnen völlig still stand, ist es im Laufe des Tages einer der fleineren Untergrundbahngesellschaften gelungen, Züge in Zwischenräumen von 20 minuten abzulaffen. An eine auch nur einigermaßen genügende Bewältigung des Berfehrs ist nicht zu denken. Die größten Omnibusgesellschaften Londons , deren Berjonal organisiert ist, haben den Weisungen der Gewerkschaft Folge geleistet. Bemerkenswert ist, daß selbst die wenigen fahrenden Omnibusse trotz des Mangels an Berkehrsmöglichkeiten vom Publi
fum faum benugt werden. Die
Zeitungen find am Dienstag nicht mehr erschienen, Die einzige Nachrichtenquelle für die Deffentlichkeit ist der Rundfunt, durch den täglich fünfmal die amtlichen Reuter meldungen verbreitet werden. Da die Buchdruckergewerk. schaft die
Parole der Arbeitsniederlegung aus prinzipiellen Gründen auch auf die Arbeiterpreffe ausgedehnt hat, kann selbst der Daily Herald", das offizielle Blatt der Gemertschaften, nicht erscheinen. Das Fehlen einer offiziellen Informations quelle der Gewerkschaften wird auf allen Seiten beklagt.
Sämtliche Geschäfte Londons waren heute geöffnet. Es zeigte sich keinerlei Neigung des Publikums, Lebensmittel zu hamstern. Sn den Geschäften, die nicht der unmittelbaren Versorgung mit Lebensmitteln dienen, konnte eine allgemeine Rauf unfuſt feſtgestellt werden. Die Theater und Kinos spielen einst: weilen, wie sonst. Die Milch wird von Mittwoch an unter staat licher Kontrolle bewirtschaftet und von der zentralen Milchsamme!- ist mit amtlicher Zustimmung infolge der verteuerten Belieferung stelle im Hydepark an den Einzelhandel abgegeben. Der Milchpreis um 8 Cents pro Liter erhöht worden. Die Eisenbahner haben einen großen Teil der Milch und Lebensmittelzüge in die Personen bahnhöfe geleitet, um auf diese Weise es den Eisenbahngesellschaften unmöglich zu machen, mit Hilfe von Streifbrechern oder Soldaten Bersonenzüge abgehen zu lassen. Auf den Londoner Vorortstrecken ruht der Verkehr völlig. Dem Streit haben sich auch die Arbeiter der großen staatlichen Waffen- und Munitionsfabrik Woolwich und der Staatsdruckerei angeschlossen. Das Arsenal in Woolwich ist von einem starten Truppenaufgebot besegt; vor den geschlossenen Toren des Werkes stehen neben den Streitposten zahlreiche Militärposten. Das gleiche Bild bietet die Staatsdruckerei.
London , 5. mai, 1 Uhr morgens.( Eigener Drahtbericht.) Aus der Haltung, die der offizielle Sprecher der Regierung in der in der Admiralität ftattfindenden Pressekonferenz einnimmt, ebenso wie aus der Haltung des amtlichen Blattes, das heute morgen zum erstenmal erschienen ist, geht hervor, daß eine großemoralische Offensive gegen die gewerffchaftliche Arbeiterbewegung unter der Parole Schutz der Verfassung" eingeleitet werden soll. Aufzählungen von Beispielen angeblicher Nidftbefolgung der Streifparolen spielen eine große Rolle. Gerade die von der Regierung angeführten Beispiele beweisen jedoch, daß es sich um verschwindend kleine Gruppen von Arbeitern handelt, die man mit 2 Proz. fast schon zu hoch einschätzt. Ein von dea amtlichen Stellen mit besonderem Nachdruck angeführter Fall ist die
Nichtbefolgung der Streitparole der 10 000 Arbeiter der chemischen Fabrit Brunner- Mond in Sheffield . Hier handelt es sich aber um ein Unternehmen mit Gewinnbeteiligung der Arbeiterschaft, die zum größten Teil nicht organisiert ist.
Der Eisenbahnverkehr ist im wesentlichen praktisch völlig stillgelegt. 3m ganzen Norden Englands find nur einige Züge von freiwillen Hilfskräften gefahren worden, jedoch tein Eilzug.
Internationales Zusammenwirken.
Zürich , 4. mai.( Eigener Drahtbericht.) Das Sekretariat der Sozialistischen Arbeiterinternationale hat an den Internationalen Gewerkschaftsound in Amsterdam folgendes: Telegramm gerichtet:
„ Bei Ausbruch des größten gewerkschaftlichen Kampjes, den die Welt bisher gesehen hat, ist das sozialistische prole. schwere, gefahrvolle Ringen der englischen Arbeiter zum fiegreichen fariat aller Länder einig in dem heißen Wunsch, daß das Erfolg führe und einig in dem entschlossenen Willen, alle kraft auffchloffen, diese Aktion zu führen im feften Einvernehmen mit dem zubieten, um feine internationale Solidarität, moralisch und mateschloffen, diese Aktion zu führen im festen Einvernehmen mit dem Internationalen Gewerkschaftsbund, der die internationale Strategie dieses gewerkschaftlichen Kampfes zu bestimmen hat. Das Sekretariat der Sozialistischen Arbeiterinternationale hat heute den Bureaumitgliedern den Vorschlag unterbreitet, die Sihung des Bureaus vorzu verlegen und bereits am 11. Mai in Amsterdam abzuhalten. Wir bitten um fofortige Nachricht, zu welchem Zeitpunkt im Anschluß an diese Bureaujihung eine Fühlungnahme
riell, zu befunden. Die Sozialistische Arbeiterinternationale ist ent
mitdem Borstand des Internationalen Gewertschaftsbundes möglich ist.
Für das Sekretariat der SAJ.: Friedrich Adler ." ( Weitere Meldungen auf der dritten Seite.)
Ein Schlag gegen Schwarzrotgold.
Ein solcher Bärendienst wird den englischen Kämpfern zum Beispiel auch erwiesen, wenn die fommunistische Presse findisch renommiert, daß die in England völlig bedeutungslosen Kommunisten die eigentlichen Treiber des Kampfes feien. Flaggenverordnung der Reichsregierung. Der Ausgang des Kampfes hängt davon ab, auf welche Seite fich das englische Bolt mit seinen Sympathien stellt. Das englische Bolt lehnt die Bolschewierung Englands mit einer Mehrheit von Taufend gegen Einen ab und weil die Arbeiterfeinde in England das wissen, darum versuchen sie, den Anschein zu erwecken, als sei der Generalftreif eigentlich ein bolichemistisches Unternehmen. Wer dieje gründ lich falsche Behauptung unterstützt, unterstützt damit die Feinde der Arbeiter und fällt den Arbeitern in den Rücken.
Die englischen Arbeiter fämpfen in der Berteidi gung gegen einen Angriff des Unternehmertums. Ihr Ziel ist die Erhaltung ihres Lebensstandards, die möglich gemacht werden soll durch eine bessere Organisation der Urproduktion. Erreichen sie dieses Ziel, so wird der von ihnen erfochtene Sieg der gewerkschaftlichen und sozialistischen Bewegung der ganzen Welt zugute kommen. Darum sind wir alle an diesem Sieg brennend intereffiert, alle, jeder an seinem Platz, nach Kräften zu ihm beizutragen verpflichtet. Das können wir weder durch bloße Sympathiebezeugung noch durch eigen mächtiges Handeln, sondern nur durch überlegtes und diszipliniertes Tun in Reih und Glied der großen gewertschaftlich und politisch international organisierten Arbeiterbewegung.
London , 4. Mai. ( Eigener Drahtbericht.) Das Straßen bild Londons hat feit den heutigen Morgenstumden teine wesentlichen Veränderungen erfahren. Die Verwendung jämtlicher im Privatbesiz befindücher Fahrzeuge hatte in den Nachmittags stunden eine beängstigende Berstopfung der Straßen
Durch eine Verordnung des Reichspräsidenten follen die auswärtigen Miffionen, Botschaften, Gesandtschaften und Konjulate verpflichtet werden, neben der schwarzrotgoldenen Reichsflagge auch die schwarzweißrote Handelsflagge mit der schwarzrotgoldenen Gösch zu zeigen. Zugleich sollen die Reichsbehörden zur See, die bisher Schwarzweißrot mit dem Staatswappen führten, die schwarzrotgoldene Gösch annehmen. Die Verordnung foll vom Reichskanzler gegengezeichnet werden. Sie hat bereits die Zustimmung des Kabinetts gefunden.
In der demokratischen Reichstagsfraktion, die gestern nachmittag vom Reichsinnenminister Dr. Külz über diesen Borgang unterrichtet wurde, herrscht starke Erregung. Man sieht in der geplanten Verordnung einen Schlag gegen Schwarzroigold. Die Fraktion hat ihren Borsigenden Dr. Koch beauftragt, ihre Bedenken beim Reichskanzler geltend zu machen. Auch in der Fraktion des Zentrums herrscht über die geplante Berordung Unruhe. Nach einer Mitteilung des Nachrichtenbureaus der VD3. will das Kabinett mit Rücksicht auf die starken Bedenken zweier Regierungsparteien sich noch einmal mit der Angelegenheit beschäftigen.
Am Abend hatte der Reichsaußenminister Dr. Strese mann auch eine Unterredung mit Genossen Hermann Müller , der ihn über die Stimmung in der sozialdemokra tischen Reichstagsfraktion unterrichtete. Herr Stresemann wird nicht überrascht gewesen sein, als er erfuhr, daß in fozialdemokratischen Kreisen über den geplanten Streich gegen Schwarzrotgold helle Entrüstung herrscht.
Schwarzweißrot auf die Auslandsmissionen
Die neue Flaggenverordnung ist nach außen eine Schädigung der deutschen Interessen und nach innen eine Herausforderung der republikanisch gesinnten Bevölkerung. Es muß im Ausland den allerschlechtesten Eindruck machen, wenn auf den deutschen Missionen mit einemmal wieder die Flagge der deutschen Reaktion und des Kaiserreichs aufgezogen wird. Man denke an die Wirkung dieses Farbenwechsels in Frankreich , England, Amerika , wo Deutschland doch gerade nur von den Elementen Entgegenkommen erwarten kann, die mit seiner demokratisch- republikanischen Entwicklung sympathifieren. Man denke aber auch an die Wirkung in anderen Ländern, besondes in Desterreich, wo die schwarzrotgoldene Flagge des An= schlusses durch das gleichzeitige Aufziehen von Schwarzweißrot entwertet wird!
Mit dem Geist der Verfassung ist die Flaggenverordnung nicht zu vereinbaren. Das üble Kompromiß zwischen Schwarzweißrot und Schwarzrotgold für die Handelsslagge ist bekanntlich damit begründet worden, daß die schwarzrotgoldenen Farben auf See nicht so leicht zu erkennen feien wie die schwarzweißroten. Für die Beflaggung der auswärtigen Missionen tann diese Begründung unmöglich mit herange30gen werden. Darüber hinaus ist überhaupt das Verordnungsrecht des Reichspräsidenten in dieser Angelegenheit stark umstritten.
Der Reichspräsident und die Reichsminister haben geschworen, daß sie die Verfassung schützen wollen. Das Wesentliche zum Schutz der Verfassung scheint uns zu sein- und das hat man im Kabinett geflissentlich übersehen, daß man