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Nr. 214 43. Jahrg. Ausgabe A nr. 109

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Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

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Sonnabend, den 8. Mai 1926

Helft den englischen Kameraden!

Ein Aufruf der

Der Bundesausschuß des ADGB. faßte gestern nach einem Bericht Leiparts und lebhafter Aussprache zum Streik in England einstimmig folgenden Beschluß:

Der Bundesausfchuß erklärt einmütig feine volle Bereit. willigkeit, die englischen Gewerkschaften in der erfolgreichen Durch. führung ihres großen Kampfes nach Möglichkeit zu unter­flühen. In der Erkenntnis, daß der Ausgang des Kampfes auch auf die Zukunft der deutschen Arbeiterklasse entscheidenden Einfluß haben kann, ruft der Bundesausschuß die Arbeiter Deutschlands auf, froh der eigenen schwierigen Cage ihr Bestes zu fun, um den englischen Arbeitsbrüdern Hilfe zu leisten und so auch in diesem Falle die altbewährte

internationale Solidarität

durch die Tat zu beweisen. Der Bundesvorstand wird ermächtigt, die von ihm vorbereitete allgemeine Sammlung schnellstens zur Durchführung zu bringen. Die Orisausschüffes des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes im ganzen Reich werden verpflichtet, die für diesen 3wed beffimmfen

Sammelliften des Bundes fofort in Umlauf zu setzen. Andere Sammelliften als diejenigen des Allgemeinen Deutschen Ge­wertschaftsbundes find in jedem Falle zurüd. zuweisen. Alle Gelder find zwed's Uebermittlung an den Inter­nationalen Gewerkschaftsbund an die Bundestaffe des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes in Berlin abzuliefern.

Im Anschluß an den vorstehenden Beschluß sprechen die unter­zeichneten Borstände hiermit die bestimmte Erwartung aus, daß alle Mitglieder der angeschlossenen Gewerkschaften und darüber hinaus die Gesamtheit der deutschen Arbeiter und Angestellten der an fie gerichteten Aufforderung zur Unterstühung der eng­lifchen Streifenden mit ganzer Opferwilligkeit entsprechen werden.

Sammelliften find von den Ortsausschüssen in Empfang zu nehmen und die eingehenden Gelder an diese zur weiterleitung abzuliefern.

Berlin , den 7. Mai 1926.

Die Bundesvorstände des Allgemeinen Deutschen Gewerk­ schaftsbundes und des Ullgem. Freien Ungestelltenbundes. An der Tagung hatte auch ein Vertreter des AfA- Bundes teilgenommen, der sich mit dem gesamten Beschluß einver­standen erklärte und den Aufruf sogleich mitunterzeichnete.

Verschärfung in England.

Die Regierung spielt mit der Militärdiktatur. V. Sch. London , 7. Mai. ( Eig. Drahtbericht.) Die allgemeine gierung hat Militär nach Ostlondon und nach den Bezirken Battersea und Clapham gelegt, was erbitternd wirken muß. Sie hat ferner eine Kundgebung an die bewaffnete madht gerichtet, in der fie fagt, daß alle Afte der bewaffneten Macht, die von dem ehrlichen Willen diffiert seien, die Zivilbehörden zu unterstühen, die Billigung der Regierung jetzt und in 3u­funft finden werden. Die Bedenklichkeit dieser Kundgebung liegt auf der Hand; fann fie doch nur zu leicht als Ermächtigung zu Uebergriffen gedeutet werden.

Die Gewerkschaften stehen vor wichtigen Ent­scheidungen. Das nationale Transportfomitee, ein Organ des Generalrats der Gewerkschaften, fordert alle lekalen Komitees auf, fämtliche bisher erteilte Transportbewilligungen einer nochmaligen Prüfung zu unterziehen. Diese Maßnahme wird durch drei Momente bedingt: 1. Durch die Weigerung der Re­gierung, das Angebot der Gewerkschaften auf Uebernahme der Lebensmittelversorgung der Bevölkerung anzunehmen; 2. durch den Mißbrauch, der mit den bisher erteilten Transportbewilligungen getrieben worden ist; 3. durch die Haltung gewisser politischer Or­gane, welche die bisher erteilten Bewilligungen als illegal be­zeichnet haben. Es muß mit der Möglichkeit einer Re­vision der bisherigen Streit parole gerechnet werden, daß nämlich die zweite Linie, d. h. die bisher nicht zum Kampfe aufgerufenen Gewerkschaften in die Streifbewegung einbezogen werden, soweit sie nicht infolge Strom- oder Materialmangel be­reits ohne Arbeit sind.

Außerdem hat die Regierung alles 3eitungspapier be. fchlagnahmt, um das Weitererscheinen des British Worker" zu verhindern.

Im Hauptquartier der Arbeiterpartei lehnte man eine Stel­lungnahme zu diesen Maßnahmen mit der Begründung ab: wir für unser Teil wollen alles vermeiden, was die Gemüter noch mehr erregen fönnte. Provokationen überlaffen wir aus schließlich der Gegenseite. Bisher hat der große Kampi den Charakter eines riesigen Wirtschaftskampfes und unblufigen Bürger­

Gewerkschaften.

frieges gehabt. In diesen vier Tagen ist niemand ums Leben ge­fommen und nur wenige find bei Zusammenstößen verletzt worden. Diefe vier Tage haben sogar weniger Opfer geloftet, als sonst vier Tage Arbeit in den Bergwerken und auf den Schienen erfordern. Aber wenn jetzt der Bürgerkrieg blutig werden follte, so wird die europäische Arbeiterschaft auch ihr Urteil darüber fällen und die europäische Arbeiterschaft auch ihr Urteil darüber fällen und dieses Urteil würde nicht zugunsten der konfervativen Regierung

ausfallen.

Der Stand des Kampfes.

V. Sch. Condon, 7. Mai. ( Eigener Drahtbericht.) Bisher ist jebe offizielle Aussprache vermieden worden, für die nur das Berhandlungskomitee zuständig ist. Aber eine offizielle Aussprache fann jederzeit beginnen, wenn die Regierung irgendeine Form findet, ihre ultimative Forderung des Streifabbruchs wieder preiszugeben und, wenn die Gewerkschaften die Ueberzeugung ge winnen, daß die Regierung in der Kohlenfrage unparteiisch auf der Grundlage des Berichts verhandeln will. Das verlangen die Gewerkschaften, das ist das Ziel ihrer Aktion: durch die wirtschaft liche Waffe des Streifs Berhandlungen zu erzwingen und damit das brutale Diftat der Bergherren aufzuheben, wonach am 1. Mai die Löhne gefürzt werden.

Gegenwärtig verhandeln Macdonald, Henderson und Thomas mit Baldwin über die Papierbefchlagnahme, um deren Aufhebung zu erwirten. Der British Worker" teilt die Regierungsmaßnahme in seinem heutigen Leitartikel mit und be zeichnet fie als Provokation und zugleich als eine Gefahr, weil dadurch aufreizenden Gerüchten freier Lauf gegeben wird. Weiter bringt British Borker

eine Erklärung des Generalrats der Gewerkschafter, der die umlaufenden Gerüchte über bereits erfolgte Verhandlungen der Arbeiterführer fategorisch zurückweift; es feien feinerlei offizielle oder inoffizielle Schritte unternommen worden. Die Erklärung formuliert den Standpunkt des General rats wie folgt:

Wir sind jederzeit bereit, in Borbesprechungen( preliminary discussions) einzutreten mit dem Ziel der Aufhebung der Aus­fperrungsbefanntmachung der Bergherren, der Beilegung des all­gemeinen Stillstandes( general stopping) und der Wiederauf­nahme der Verhandlungen zur vollen Beilegung des Konflikts. Solche Vorbesprechungen müßten frei von irgend einer Bedin­gung fein."

Sodann wiederholt die Erklärung furz den Standpunkt der Gewerkschaften über die Schuldfrage und den reinen gewert­[ chaftlichen, vollkommen unpolitischen Charakter des Streifs. Im allgemeinen ist

die Streiflage unverändert.

Fine Rückkehr von Organisierten zur Arbeit ist nirgends eingetreten, sondern es zeigt sich eher eine gewisse Tendenz nicht aufgerufener Berbände, sich der Bewegung freiwillig anzuschließen. Der General­rat der Gewerkschaften hat alle Mühe, solche wilden Streifs" zu verhindern. Des weiteren wird aus zahlreichen Städten gemeldet, daß Unorganisierte den Gewertschaften neu bei. getreten sind und sich dem Streit angeschlossen haben. Der allgemeine Niederbruch in den betroffenen Industrien wird felbft von den Regierungsparteien zugegeben, dagegen behaupten sie bedeutende Fortschritte im Berkehrswesen. Richtig ist, daß eine ganze Anzahl von Zügen verkehrt und daß der Rotverkehr der Londoner Autobusse und Untergrundbahnen zugenommen hat. Aber diese Besserung übersteigt feineswegs die Erwartungen der Gewerkschaften, die genau wußten, daß es möglich sein würde, mit Hilfe von Erwerbslosen und Freiwilligen einen Notverkehr einzurichten. Der Güterverkehr ruht dagegen voll ständig mit Ausnahme der Lebensmittelzüge, die von den Ge­werkschaften zwar nicht selbst befördert, aber nicht gehindert werden. In diesem Punkt herrscht aber innerhalb der Transportarbeiter verbände noch immer feine Klarheit und Einheitlichkeit.

Vorwärts- Verlag G.m.b. H., Berlin SW. 68, Lindenstr.3

Boftichedtonto: Berlin 37 536 Bankkonto: Bank der Arbeiter, Angestellten unb Beamten, Wallstr. 65: Diskonto- Gesellschaft, Depofitenkaffe Lindenstr. 3.

England im Ausnahmezustand.

Reifenotizen.

( Mit Flugpost verspätet eingetroffen.)

V. Sch. London , 5. Mai, abends.

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nach Blissingen ist nur mäßig besetzt. Die meisten Engländer, Berlin , Montag, den 3. Mai, abends. Der D- 3ug nach Bliffingen ist nur mäßig besetzt. Die meisten Engländer, die Deutschland in diesen Tagen verlassen mußten, haben es naturgemäß vorgezogen, vor der Schicksalsstunde Montag Mitternacht in London einzutreffen. Nur wenige haben sich verspätet und reisen erst heute abend ab. Wenn man sie aber fragt, ob sie glauben, daß man Schwierigkeiten haben wird, um von der englischen Rüfte bis nach London zu ge langen, so lachen sie einen beinahe aus." Manche Züge werden bestimmt verfehren, besonders solche, die die Ver­bindung mit dem Kontinent aufrechterhalten." Aber die Streifparole der Eisenbahnergewerkschaften läßt nur Ausnahmen für die Lebensmittelzüge zu?"

,, Es find nicht alle Eisenbahner in der Gewerkschaft!" Rosendaal, Dienstag, den 4. Mai, morgens. Die holländischen Blätter enthalten ausführliche Berichte über die große Unterhausdebatte, aber wenig tatsächliche Meldungen über die Streifbewegung. Diese hat allerdings erst um Mitternacht offiziell eingesetzt. Nur eine Meldung des Nieuwe Rotterdamsche Courant" befagt genug: Heute abend wird der Dienst der Dampferlinie Hoek van Holland­Harwich eingestellt. Harwich eingestellt." Das ist nämlich eine englische Linie. Die holländische Zeeland - Linie Vlissingen- Folkestone ver fehrt weiter. Die Zuversicht der englischen Reisenden hat einen ersten Stoß erhalten...

"

Blissingen, Dienstag mittag. Alles in allem dürf ten nur etwa 30 bis 35 Passagiere an Bord der Princes Juliana" sein. Dafür doppelt so viel Bostfäde und eine Un zahl von großen Risten mit frisch geschlachtetem holländischen Fleisch. Sicherlich ist in der gegenwärtigen Situation die Frage der glatten Beförderungen des geschlachteten Biehs nach London für die britische Regierung die wichtigste Auf­gabe. In zweiter Linie kommen die Postsäcke. In dritter Linie die Passagiere.

Vor der englischen Küste, Dienstag nachmittag. Die See ist recht bewegt, aber dem geschlachteten Bieh in den Kisten dürfte das faum geschadet haben, und darauf tommt es im Intereffe des englischen Staates mehr an, als wie es den 30 bis 35 Passagieren ergangen ist. Die Felsen­füfte von Dover wird sichtbar. Bald sieht man die Stadi felbft, an der man in etwa 300 Meter Entfernung vorbei­fährt, sehr deutlich: der Hafen ist seltsam leer und leb­Ios, tein Kran rührt sich, tein Schornstein raucht.

tennbar.

Folkestone , Dienstag, 7 Uhr abends. Noch ehe der Dampfer geftoppt hat, ist der ganze Ernst der Lage klar er­bar neben der Landungsbrücke abfahrtbereit zu liegen Der Londoner Expreßzug, der sonst unmittel pflegt, ist nicht sichtbar. Die Eisenbahnstation ist wie ausge storben. Auf der Landungsbrücke stehen einige elegante Herren und Damen und winken englischen Passagieren zu. Inzwischen kommen die Einwanderungs- und Zollbeamten an Bord. Plößlich taucht ein Schwarm von Männern in abge­rissenen Kleidern unter Führung eines Mannes in Dienst, uniform auf: es sind typische Arbeitslosengestalten, wie sie aus englischen Wahlplakaten seit Jahrzehnten befanni find. Dieser erste Kontakt mit England bringt einem sofort die eine ungeheure Erschwerung zu Bewußtsein, die dem Streit der Gewerkschaften entgegensteht: das Heer der Arbeitslosen, dieser ersten und bedauernswertesten Opfer der fapitalistischen Wirtschaftsordnung, kommt dem Kapitalis. mus als Streitbrecher zu Hilfe: das ist die Reserve­armee, wenn das Hauptheer rebelliert. Die Versuchung ist auch zu groß: feit Monaten, seit Jahren vielleicht arbeitslos und auf eine fümmerliche Erwerbslosenunterstützung ange­wiesen- und plötzlich winkt ihnen die Aussicht auf Arbeit und Lohn! Und doch ist das Solidaritätsgefühl auch unter den Arbeitslosen nicht erloschen: nur ein Bruchteil von ihnen hat sich gemeldet die meisten haben der Versuchung wider standen und begnügen sich weiter mit der Unterſtügung. Immerhin: der Schwarm, der sich inzwischen verteilt hat, Die Stimmung der Streifenden und ihrer Führer ist nach genügt, um die Löschungsarbeiten, wenn auch nicht ganz wie vor sehr zuversichtlich und entschlossen. Mit be- glatt und sachverständig wie sonst, zu verrichten. Die Paßkontrolle Dollzieht sich schnell und rei­fonderem Stolz wird auf die vorbildliche Ruhe im ganzen Lande und auf das durchschnittlich sehr freundschaftliche Werbungslos. Die Schwierigkeiten, die man mir als Sonder. berichterstatter eines sozialistischen Blattes als wahrscheinlich den Streitenden und der hältnis zwischen in Aussicht gestellt hatte, sind nicht gemacht worden. Vielleich Polizei hingewiesen. ist der sehr liebenswürdige Immigrations- Offizier", an den ich geraten bin, in seinem Herzen Arbeiterparteiler? Ei fragt mit deutlicher Ironie nach der voraussichtlichen Dauer meines Aufenthalts.- ,, Das wlli ich gern genau sagen, wenn Sie mir mitteilen fönnen, wie lange der Streif dauern wird." Als Antwort überreicht er mir lächelnd die grüne Landungskarte, ohne die fein Ausländer den britischen Boder betreten darf.

Papier nur für Provokation. Die Liberalen brandmarken die Regierungshete. London , 7. Mai. ( TU) 3m Unterhaufe fand heute eine Debatte über die Regierungszeitung British Gazette statt. Der Ciberale Kennworthy warf der Regierung vor, daß der Jahalt diefer Zeitung. deren Chefredakteur wohl Winston Churchill sei, nur dazu beitrage, die Leidenschaften zu entflammen und zu Repreffalien herausfordere.

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Auf englischem Boden, 7% Uhr abends. Die eleganten Herren und Damen, die ihre Berwandten von weitem begrüßt haben, find Londoner , die ihnen mit ihren