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Nr. 22343. Jahrg. Ausgabe A nr. 114

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Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

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Freitag, den 14. Mai 1926

Kanzlerkandidat Geßler.

Der Reichspräsident beauftragt Geßler mit Reichskanzlergeschäften.

Amtlich wird mitgeteilt:

Der Herr Reichspräsident hat den Reichskanzler Dr. Luther in Genehmigung feines Antrages von seinem Amte als Reichskanzler entbunden und gleichzeitig den Reichs­wehrminiffer Dr. Geßler als den dienstälteffen Reichsminister mit der Stellvertretung des Reichskanzlers im derzeitigen ge­fchäftsführenden Kabinett beauftragt.

Reichspräsident von Hindenburg empfing Donnerstag vormittag Reichswehrminister Dr. Geßler und richtete an ihn die Frage, ob er auf der bisherigen Grundlage der koalition der Miffelparteien die Neubildung der Regierung übernehmen wolle. Dr. Geßler hat sich seine Entscheidung bis nach Fühlung­nahme mit den in Frage kommenden Parteien für heute mittag vor­

behalten.

Dr. Luther ist somit endgültig aus seinem Amte ge­schieden, während die übrigen Minister des zurückgetretenen Kabinetts noch einstweilen die Geschäfte weiter führen. Dr. Geßler, der als dienstältefter Minister ohnehin die Stellvertretung des Reichskanzlers zu übernehmen hat, ist jetzt noch besonders mit dieser Aufgabe betraut worden und hat außerdem den Auftrag erhalten, gewisse Vor­besprechungen zu führen, um zu erfunden, ob die Bildung einer neuen Regierung auf der Grundlage der bisherigen möglich sei. Geßler hat auch diese Borbesprechungen alsbald aufgenommen, jedoch, wenn wir recht berichtet sind, bisher jehr wenig Gegenliebe gefunden. Es ist wahrscheinlich, daß von den bisherigen Koalitionsparteien im besten Falle die Deutsche Volkspartei , und diese auch nur zu einem fleinen Teile, mit einer Kanzlerschaft Geßler sich abfinden würde. Dobei dürfte aber der volksparteiliche Führer, Dr. Strese imann, durchaus nicht von der Partie sein. Denn der Gegensatz zwischen dem Reichsaußen- und dem Reichswehr­minister gerade in den entscheidenden Fragen der Außenpolitif( Locarno und Gen) ist bekannt genug, als daß er bei einer Regierungsbildung durch Geßler ver­schwiegen werden könnte.

Die Demokraten haben bisher jede parlamentarische Berantwortung für den Fachminister" Geßler abgelehnt,

weil Geßler nicht als ihr Vertrauensmann im Kabinett saẞ. Es ist kaum anzunehmen, daß dies Verhältnis ein anderes werde, wenn Geßler wirklich vom Reichspräsidenten zum Reichskanzler ernannt werden sollte.

Die Sozialdemokratie fann in Herrn Geßler beim besten Willen nicht den Mann erblicken, der eine Politit in ihrem Sinne erfolgreich einleiten und durchführen fönnte. Ganz abgesehen von den Erfahrungen, die sie mit feiner Amtsführung als Chef des Reichswehrminifteriums zum Ueberdruß hat machen müssen, erscheint er aus persön­lichen wie aus politischen Gründen als ein taum möglicher Kanzler. Die einzigen, die ihn gegenwärtig wahrschein­lich gern sehen würden, sind zweifellos die Deutsch natio­nalen. Auf ihre Unterstüßung müßte sich ein Rabinett Geßler verlassen müssen. Daß es in diesem Falle aber wieder nicht dem Auftrage des Reichspräsidenten , ein Kabinett der Mitte zu bilden, entspricht, liegt auf der Hand.

So sehen wir bisher nicht, wie ein Rabinett Geßler das zur Amtsführung notwendige Vertrauen im Reichstage er= werben könnte, anders als durch Hilfe der Rechtsparteien. Die Entscheidung des Reichstags für Schwarzrotgold würde durch eine Rechtsregierung Geßler mit offener Kampf­anfage beantwortet. Die Stellungnahme der Sozialdemo­fratie ergäbe fich daraus ganz von selber.

Unabhängig von den Bemühungen Geßlers sind auch die vorläufigen Barteibesprechungen, zu denen das Zentrum die Initiative ergriffen hatte, fortgesetzt worden. Nachdem führende Persönlichkeiten des Zentrums am Mittwoch mit der Sozialdemokratie Fühlung genommen hatten, sind sie am Donnerstag an die Deutsche Voltspartei herangetreten. Dabei hat sich herausgestellt, daß die Aus sichten auf die Verwirklichung der Großen Koalition gleich Null find. Die Volkspartei stellt, wie der Sozialdem. Pressedienst" erfährt, die Bedingung, daß die Sozial­demokraten auf den Boltsentscheid, d. h. auf die Propaganda für die entschädigungslose Enteignung der Fürsten verzichten! Das ist natürlich überhaupt nicht zu diskutieren.

Kämpfe in Warschau .

Pilsudski beherrscht die Stadt Die Telephonsperre in und mit Polen hält noch immer an; feit Mittwoch 7 Uhr abends, fann man vom Ausland Bolen nicht telephonieren und, wie wir erfahren, ist auch der Fernsprechverkehr zwischen den Städten Bolens ein­gestellt. Diese verkehrs- und pressefeindliche Maßnahme Briegerischen Charakters hat das Militär verhängt au­erst das Sitocstische", d. h. etwa die rechtsgerichteten Offi­hiere und aufrechterhalten wird sie anscheinend auch von den unbedingten Anhängern des Marschalls.

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die Regierung das Präsidentenschloß. sparnisse. Aber gespart werden müßte vernünftigerweise auch an der Armee, die 40 Proz. des Budgets erfordert. Ob für solche Ersparnisse der Marschall zu haben ist, der fürchtet, ein schwaches" Polen würde bald die Beute Rußlands sein - obwohl Moskau Polen bereits die gegenseitige Garan­tierung der Grenzen angeboten hat- ob Pilsudski die Heeres ausgaben vermindern will, ist fraglich. Daraus aber, daß die Sozialisten immer seine Wiederversehung in den aftiven Dienst gefordert haben, sollte man es eigentlich schließen. Die zweite Gruppe der Linkenforderungen betrifft die Buerkennung ausreichender Rechte an die Minderheits­völker Polens . Ob Pilsudski diese Forderungen teilt, ent­zieht sich unserer Kenntnis.

Denn inzwischen scheint das eingetreten zu sein, was ohnehin sehr wahrscheinlich war: daß nämlich faum eine Macht in Polen jo start ist wie der Name Joseph Bil­juditi. Er gilt einmal als der Schöpfer des Staates, als der Bater seiner Wiedergeburt nach den 150 Jahren der staatlichen Nichtexistenz; ohne ihn wird faum eine grundfäß liche Entscheidung im Staate getroffen. Geschieht es doch, wie bei der Einsehung der Regierung itos, fofieht man ja, wie das ausgeht. Freilich, angefangen haben offenbar jene Rechtsradikalen mit ihrer nächtlichen Be­Schießung der Marschallvilla in Sulejuwet, die sozusagen das Nationalheiligtum ist.

Nach den kümmerlich ins Ausland gelangenden Nach richten scheint der zu erwartende Uebergang der Macht an Bilsudski vollzogen und die kaum eingesetzte Rechtsregie­rung Witos , noch vor ihrer Sünden Maienblüte, erledigt zu sein. Ist es aber fo, dann ist jetzt die Frage, was der alte Verschwörer gegen die zaristische Fremdherrschaft, der Frei­heitstämpfer und spätere Legionenführer im Weltkrieg, preu­Bifche Staatsgefangene in Magdeburg und schließlich Mar­fchall des Bolenheeres, mit der Macht anfangen wird; ob er versucht, diktatorisch zu regieren was auch die ehemalige Bartei Pilsudstis, die der polnischen Sozialisten, auf ihrem Neujahrstongreß, gleichzeitig mit der Bekundung ihrer Ver­ehrung für ihn, entschieden abgelehnt hat oder ob er nur den Forderungen der Linksparteien Nachdrud geben will. Diefe Forderungen sind vor allem finanztechnischer Natur, fordern eine scharfe, antitapitalistische Steuerpolitit und Er

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Jedenfalls würde eine Diktatur Pilsudski , ganz ab­gesehen von der Rechten, dem Willen der Linksparteien, vor allem der Sozialisten, nicht entsprechen aber einer Rechts diftatur gegenüber würde sie gewiß als das fleinere Uebel erachtet werden.

Blutige Kämpfe in Warschau .

WIB. meldet: Von der polnischen Grenze erfahren wir aus zuverlässiger Quelle: Mittwoch nachmittag ist es in Warschau zum Ausbruch der Revolution und zu Straßentämpfen gelommen. Es gab viele Tote und Verwundete. Pilsudski - Truppen haben das Schloß, das Ministerpräsidium und das Ministerium des Aeußeren befeht.

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Ende des Generalstreiks?

Noch keine Wiederaufnahme der Arbeit. ( Von unserem Korrespondenten.)

Condon, 13. Mai. ( Durch Telephon.) Man darf sich im Ausland durch die Meldung vom offi­ziellen Abbruch des Generalstreifs nicht darüber täuschen laffen, daß sich in den letzten 24 Stunden neue Entwid­lungen vollzogen haben, die eine glatte Rückkehr zur Arbeit in Frage stellen. Der Generalstreif war vom Generalrat der britischen Gewerkschaften in dem Augenblick abgebrochen worden, als er seinen Höhepunkt erreicht hatte. Die Disziplin auf der ganzen Linie war noch un­gebrochen, die Reserven waren nicht verbraucht. Der General­rat hat im Gegenteil durch den in letzter Stunde erfolgten Auf­ruf eines Teiles der zweiten Linie gezeigt, daß er über die Möglichkeiten verfügte, seine Front noch weiter aufzurollen. Der Transportarbeiterführer Bevin fonnte deshalb in der Besprechung, in der der Generalrat dem Ministerpräsidenten Baldwin den Abbruch des Generalftreifs mitteilte, mit Recht darauf hinweisen, daß der Entschluß des Generalrats nicht als ein Zeichen der Schwäche, sondern der Stärke zu be­trachten sei.

Der Generalrat hat den Streit abgebrochen, weil er sich davon überzeugt hatte, daß in den Besprechungen mit dem eine brauchbare Basis für die Fortführung der am 2. Mai ab=

Borsitzenden der Kohlenkommiffion, Sir Herbert Samuel, gebrochenen Verhandlungen gefunden worden war. Dieses Memorandum fieht eine Fortführung der staatlichen Zuschüsse zwei bis drei Monate vor. Für die Schlichtung aller zukünf­bis zum Abschluß der kommenden Berhandlungen, also für tigen Streitfragen wird ein Schiedsgericht vorgeschlagen. Eine Verhandlung über Lohnherabsegungen soll bis zur Sicherung der Reorganisation überhaupt ausge= fchloffen sein. Als bemerkenswerter Punkt der Einigung ist ein besonderer Sájuk, der infolge der Reorganisation des Bergbaus arbeitslos werdenden Bergleuten gegenüber sämtlichen arbeitslosen Arbeiterschichten eine materielle Bor= zugsstellung gibt, gesichert worden.

nahme dieser Basis entschlossen, weil er zu der Ueberzeugung Der Generalrat der Gewerkschaften hat sich für die An­gekommen ist, daß sie unter den gegebenen Umständen das höchstmaß des Erreichbaren darstellt. Objektiv ge­fehen bedeutet dieses Memorandum einen, wenn auch kleinen Fortschritt gegenüber den vor dem Streit erörterten Rom­promißvorschlag insofern, als sie das Gutachten unter Heraus­arbeitung für die Bergarbeiter günstigen Punkte präzi­siert. Die eine Vorbedingung für die Durchführung dieser Borschläge war, daß es der Autorität des Sir Herbert Samuel gelingen werde, die Regierung zu einer Annahme dieser Borschläge zu veranlassen, die andere Voraussetzung ist die Annahme der Borschläge durch die Bergarbeiter.

Hier treten die außerordentlichen Schwierigkeiten des Memorandum nicht gebunden, sie nimmt gegenwärtig eine Augenblics ein. Die Regierung hält sich an das Samuelsche abwartende Stellung ein. Auf der anderen Seite haben die Bergarbeiter in ihrer Erekutivsizung vom Mittwoch das Memorandum verworfen. Das bedeutet aber, daß trotz des Abbruchs des Generalstreifs die Aus­perrung der Bergarbeiter fortdauert und die Bergarbeiter entschloffen zu sein scheinen, ihren Kampf allein fortzuführen. Die auf Freitag einberufene Dele­giertenfonferenz der Bergarbeiter wird die letzte Entschei­bung bringen.

Die Tragik der Situation liegt darin, daß es den Berg­arbeitern aller menschlichen Voraussicht nach nicht gelingen wird, allein Bedingungen zu erreichen, wie sie der Einsatz von Millionen nicht erreichen konnte. Die andere außer ordentliche Schwierigkeit der gegenwärtigen Situation ift noch ernster. Bedeutet sie doch nicht mehr und nicht weniger als die Möglichkeit, daß der gegenwärtige Streif, wenn auch nicht mehr als ein vom Generalrat zentral geleiteter Generalstreit, sondern als die Summe von Einzelstreifs der am Generalrat beteiligten Gewerkschaften fortdauert. So undurchsichtig die Lage am Donnerstagabend ist, so un­verkennbar ist, daß die Unternehmer, insbesondere der Eisen­bahnen und sonstigen Transportunternehmungen, aber nicht nur diese, entschlossen zu sein scheinen, die bisherigen Ver­träge mit den Gewerkschaften als durch den Streik abgelaufen zu betrachten und die Wiederein= stellung der Arbeiter von einer Reihe von Bedingungen abhängig zu machen wünschen, die für die Gewerkschaften unannehmbar sind. Einzelne Unternehmergruppen haben den Arbeitern neue Verträge vorgelegt, die durch die Ein­führung einer Saftbarkeitsklausel die Möglichkeit aller zukünftigen Sympathieſtreits ein für allemal un, möglich machen sollen, also den gesamten Charakter der nach jahrzehntelangen Rämpfen durchgefeßten Arbeitsver­träge untergraben würde. In anderen Fällen haben die Den spät nachts eingetroffenen neuesten Situationsbericht Unternehmer die Gelegenheit benutzt, den Arbeitern nie­fiehe im Innern dieses Blattes. drigere Löhne als die vor dem Streif geltenden anzu­

Geringes Interesse in Paris .

Paris , 13. Mai. ( Eigener Drahtbericht.) Die Ereignisse in Bolen nehmen das Interesse der französischen Deffentlichkeit nicht über mäßig in Anspruch. Die franzöfifchen Blätter weisen zum größten Teil darauf hin, daß die Nachrichten aus deutscher Quelle stammen und find deshalb in ihrer Erörterung äußerst vorsichtig. ( Eigenartige Herzensallianz, bei der der eine Bruder nicht erfahren fann, was der andere tut. Red. d. B.)

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