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Nr. 227 43. Jahrg. Ausgabe A nr. 116

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.Sozialdemokrat Berlin  *

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Zentralorgan der Sozialdemokratifchen Partei Deutschlands  

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Sonntag, den 16. Mai 1926

Die Volkspartei verhindert alles.

Adenauer gescheitert. gescheitert.

BTB. meldet: Reichspräsident von Hindenburg  empfing heute den Reichswehrminister Dr. Geßler zur Be­richterstattung über seine Fühlungnahme mit dem Oberbürger­meister Dr. Adenauer   und seine anschließende Bespre­chung mit den Mitgliedern der geschäftsführenden Reichs regierung.

Im Laufe des Abends richtete der Reichspräsident an ben Reichsjustizminister Dr. Marg das nachstehende Schreiben:

Sehr verehrter Herr Reichsjustizminister! Aus den Berichten, die der von mir mit der Klärung der politischen Lage betraute Reichswehrminister Dr. Geßler mir erstattet hat, habe ich ersehen müssen, daß eine Aenderung der parteipolitischen Berhältnisse und Zusammenfeßung entweder überhaupt nicht oder nur nach langwierigen, im Erfolge zweifelhaften Verhand­lungen erreicht werden könnte. Eine solche lange Regierungstrije verträgt aber die gegenwärtige Lage des Reichs nicht. Es erscheint mir daher zur Ueberwindung der gegebenen Schwierigkeiten und zur Lösung der vor uns liegenden Aufgaben notwendig, daß die bisherige Reichsregierung ihre Tätigkeit unter neuer Führung fortsetzt, und ich bitte Sie daher, Herr Reichsminister, als das älteste Mitglied der Reichsregierung und als Bertreter der größten in ihr enthaltenen Partei, das Amt des Reichstanzlers zu übernehmen.

Mit der Versicherung meiner ausgezeichneten Hochachtung bin ich Ihr ergebener gez. v. Hindenburg  .

Dr. Marg hat sich seine Entschließung bis Sonntag mittag vorbehalten.

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Die Zentrumsfraftion des Reichstags trat um 6 Uhr abends zu einer sehr langen Sizung zusammen, um zu den neuen Vorschlägen für die Regierungsbildung Stel fung zu nehmen. Es herrschte eine nach Lage der Dinge be­greifliche Erregung gegen die Bolkspartei, die das Steuer nach rechts herumreißen möchte. Das Zentrum hat, wie aus den Zieußerungen zahlreicher Redner hervor­ging, aber feine Neigung, fich zum Schleppen= träger der volksparteilichen Wünsche zu machen. Um 11 Uhr wurde die Fraktionssitzung auf heute vormittag 9 Uhr vertagt, ohne daß ein Beschluß gefaßt wurde. Es spricht jedoch alle Wahrscheinlichkeit dafür, daß die Fraktion ihrem Führer Dr. Marr nahelegen wird, den Auftrag zur Regierungsbildung nicht anzunehmen, mas auch seinen eigenen Wünschen entsprechen dürfte. Da gegen ist damit zu rechnen, daß das Zentrum von sich aus dem Reichspräsidenten   einen anderen Kandidaten spricht von Dr. Brauns, dem bisherigen Reichsarbeits­minister in Vorschlag bringen wird.

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Die Volkspartei brüstiert ihre Koalitionsgenossen. Das Nachrichtenbureau des BD3. verbreitet folgende Erklärung Adenauers  :

"

,, Wie die Bresse   bereits zutreffend gemeldet hat, ist der Ober­bürgermeister Dr. Adenauer aus Köln   auf Wunsch der Zentrumsfraktion des Reichstagès gestern in Berlin   eingetroffen zu Berhandlungen mit der Fraktion über eine Löfung der Regierungs­frise. Dr. Adenauer hat sich sofort dahin ausgesprochen, daß eine wirklich ersprießliche Regierung bei den außerordentlich schmierigen innen- und außenpolitischen Verhältnissen nur auf Grund einer festen Mehrheit im Reichstag möglich sei. Unter dieser Bor­aussetzung und zu dem Zmed, endlich eine Befestigung der politischen Verhältnisse zu schaffen, würde er einem etwaigen Rufe des Reichs präsidenten Folge geben. Auf Wunsch der Vertreter der Zentrums partei nahm er mit dem geschäftsführenden Reichskanzler, Herrn Reichswehrminister Dr. Geßler, der von dem Reichspräsidenten mit der Führung der Verhandlungen über die Regierungsbildung beauftragt ist, sowie mit Führern der Deutschen Volkspartei  und der Sozialdemokratischen Partei Fühlung. Die Fühlungnahme ergab, daß die Deutsche Volkspartei   weder für jetzt noch auch nach Erledigung der schwebenden Streitpunkte für ab­fehbare Zeit der Herbeiführung der Großen Koalition, der zurzeit allein möglichen Mehrheitsbildung, geneigt ist. Unter diesen Um­ständen erklärte Dr. Adenauer bei einer zweiten Unterredung mit

dem stellvertretenden Reichstanzler, daß er die Zentrumsfraktion des Reichstages gebeten habe, von dem Vorschlag seiner Person gegen­liber dem Reichspräsidenten   Abstand zu nehmen."

Die demokratische Reichstagsfraktion faßte in ihrer Sonn­abendsigung feinen formellen Beschluß. In der Debatte wurde aber übereinstimmend der Meimmg Ausdrud gegeben, daß die Große Roalition gegenwärtig wohl nicht durchführbar sein werde. Die Fraktion steht grundfäßlich auf dem Standpunkt, daß jeber Kanzler unterstügt werden müsse, der ein Kabinett auf der bisherigen Grundlage bilde und teine farmale Bindung nach rechts eingeht,

Mary Mary  

beauftragt.

fchen Preffe" beleuchtet nicht uneben die politische Schieber Der dem Zentrum nahestehende Reichsdienst der Deut tätigkeit der Deutschen Volkspartei Stresemanns:

Benn in der Deutschen   Boltspartei immer wieder und nun auch im Reiche das Experiment wiederholt wird, das im Jahre 1925 Stresemanns Außenpolitit erschwerte und in Preußen die dortige Stellung der Volkspartei hoffnungslos machte, so spielen dabei doch wohl immer wieder die nämlichen Spekulationen auf den sogenannten Rechtsflügel der Zentrumspartei   eine Rolle... Das Zentrum ist gerade jezt am wenigsten geneigt, den genannten Spekulationen in der praktischen Politik entgegenzukommen. Heute kann das Zentrum weder in der Frage der Fürsten   abfindung noch in der der Reichsfarben eine ausgesprochene Rechtspolitit machen. Die Deutsche Volks­ partei   wird aber nicht nur im Hinblick auf das Zentrum die Politik der Mitte fortsetzen müssen, sondern vor allem im Hinblick auf die Außenpolitit des volksparteilichen Führers Strese mann. Hier müßte man eigentlich annehmen, daß in der Volks: partei überhaupt keine Meinungsverschiedenheiten herrschen dürfen." Diese Annahme scheint uns durchaus irrig. Die Bolts­partei ist durch viel innigere Bande, als solche ideologischer Art, an die Freunde von rechts gebunden.

Glückliche Landung der Norge."

Im äußersten Norden Alastas. Bancouver, 15. mai.( WEB.) Die Norge" ist um zwei Uhr öftliche Zeit in Teller, nördlich von Nome  , eingetroffen und glatt gelandet.

Rom  , 15. Mai.  ( WIB.) Frau Nobile erhielt aus Nome  folgendes Telegramm: Glüdlich angekommen. Teller ( Alaska). Diese Reise scheint mir ein Traum. Küsse. Herz­liches Gedenken. Nobile. Ein anderes Telegramm erhielt die in Florenz   wohnende Schwester Elsworths. Amundsen   tele­graphierte an eine norwegische Dame in Florenz  , daß alles wohlauf sei.

Wiliamsburg( Birg.), 15. Mai.  ( WT.B.) Präsident Coolidge  , der zurzeit hier weilt, empfing einen Funkspruch von Lincoln Elsworth an Bord der Norge, wonach der Flug über den Nordpol   gelungen ist.

Die Landung wird bei dem Fehlen von Landungsmast oder Halle gewiß den Verlust des Füllungswasserstoffs be­deutet haben, so daß ein Wiederaufsteigen und Weiterfliegen nicht in Betracht kommt. Die Landungsstelle liegt aber nur 100 Kilometer von der ersten Weißenansiedlung Nome  . Bei Zurücklegung dieser Entfernung wird für die kühnen Luftschiffer, die tagelang über der Polarwüste durch die eisige Luft gesteuert und zum Schluß noch durch furcht baren Sturm abgetrieben und in höchste Gefahr gebracht worden sind, eine überhaupt nennenswerte Schwierigkeit taum bedeuten. Man wird ihnen gemiß fofort Flugzeuge und, wenn das die Schneehöhe oder gar Bereifung nicht verhindert, auch Autos entgegenschicken. Nahrungsmittel haben sie genug und in der Gondel auf festem Land werden sie es auch noch jo lange aushalten.

So ist denn Roald Amundsen   endlich gelungen, was er feit Jahren immer wieder versucht hat: den Nordpol   zu über fliegen. Kurz vor ihm hat Byrd dasselbe im Flugzeug ge­leiftet. Aber wenn nicht Be ar y seinerzeit doch vielleicht Recht gehabt hat noch hat feines Menschen Fuß den Nord­ pol   betreten oder, da dieser mathematische Punkt wohl im Waffer liegt, kein Boot oder Schlitten auf diesem Punkt ge­halten, um den sich unsere Erde dreht.

Der Arbeitsplan des Reichstags. Der Aeltestenrat des Reichstags beschloß, die Plenarsihungen nicht wegen der Regierungsfrise auszusetzen, sondern nach dem vorgenommenen Plan auch in der nächsten Woche Sizungen abzuhalten. Es ist beabsichtigt, noch zu erledigen den spanischen und portugiesischen Handelsvertrag in zweiter und dritter Lesung, den Nachtragsetat für 1925 und einige Anträge über die sollen mit der Beratung des Knappschaftsgesetzes begennen werden. Die Regierungserklärung wird, wenn überhaupt möglich, für Mittwoch oder Donnerstag erwartet.

Die Schuld am Zusammenbruch.

Außerdem

Im Untersuchungsausschuß zur Feststellung der Ursachen des Zusammenbruchs hatte am Sonnabend Abg. Scheidemann( S03.) Gelegenheit, an Hand der Aufzeichnungen seines Tagebuches feine Quffaffung, wie er fie in seinem Buche ,, Der Zusammenbruch" nieder gelegt hat, vorzutragen. Der Sozialdemokratie, jo faßte er seine Feststellungen zusammen, habe man die Regierung übergeben, als bie Oberfte Heeresleitung alles verloren jah.

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Für die Republik  !

Die Sozialdemokratie und die Regierungskrise. Herr Adenauer, der Kölner   Oberbürgermeister, war nicht lange in Berlin  . Gestern um drei Uhr nachmittag ist er nicht zu entdecken vermochte. Seine Erfahrungen hat er in fchon wieder weggefahren, weil er bei der Volkspartei irgendwelche Neigung, seinen Plänen entgegenzukommen, abdruden. einem Dokument niedergelegt, das wir an anderer Stelle

Wenn die Volkspartei die Behauptungen des Herrn Adenauer zu bestreiten versucht, so handelt sie nach einer altbeliebten Taftit. Sie will die Sozialdemokraten nicht in der Regierung haben. der Regierung haben. Sie will auch feine Mittelregierung mit einer offenen Tür nach links, sondern sie will eine Mittel regierung mit mehreren offenen Türen nach rechts. Bei alle­dem will sie aber doch um keinen Preis als die Schuldige erscheinen, wenn die Große Koalition, in der Herr Adenauer   und viele andere Bolitiker die einzige Lösung der Schwierigkeiten erblicken, nicht zustande kommt.

Die Unaufrichtigkeit ihres Berhaltens hat den lebhaften 3orn des Zentrums erregt. Das Zentrum merkt- und das müßte selbst ein Blinder mit dem Krückstock fühlen-, daß es in eine neue Rechts kombination hineinmanövriert wer­den soll. Gegen die Demokraten herrscht bei Zentrum und Bolkspartei stärkste Berstimmung, weil sie Luther   gestürzt haben. Aber auch zwischen Zentrum und Bolkspartei ist heftiger Streit.

Das Ganze heißt Arbeitsgemeinschaft der Mitte".

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Einstweilen liegt die Initiative beim abgedankten Kabinett. Es macht Borschläge über die Wahl des Reichs fanglers aus seiner Mitte. Brauns wurde in Erwägung gezogen, dann trat aber wieder Marr in den Vordergrund, der um 7 Uhr abends zum Reichspräsidenten berufen wurde. Er hat sich Bedenkzeit bis heute morgen ausgebeten.

Und um 11 Uhr vormittags tritt das Kabinett wieder zusammen, sei es, um Mary als feinen Herrn und Meister zu begrüßen, sei es, um über die Lösung der Kanzlerkrise noch einmal gründlich nachzudenken. Das zweite gilt als der wahr­fcheinlichere Fall. Man erwartet vor Montag feine Ent scheidung und macht sich auch auf eine noch längere Dauer des Rätselspiels gefaßt.

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Die Sozialdemokratische Partei   hat ihre grundfäßliche Bereitwilligkeit erklärt, an der Lösung der Krise positiv mitzuwirken und sie hält an dieser Erklärung feft. Ihr Entschluß ist in den Reihen ihrer Anhänger richtig verstanden worden. Wir befinden uns, deutlich erkennbar, in einem Zustand der Umschichtung der politischen Kräfte. Die Linksströmung wächst, und die Zeit scheint nicht mehr ferne, wo ein verfassungsmäßiges Regieren ohne Sozial­demokraten in Deutschland   überhaupt nicht mehr möglich sein wird. In der Zwischenzeit aber gilt es, die Augen offen zu halten und die verfassungsmäßigen Einrichtungen des Reiches zu schützen.

Dieses Ziel fann erreicht werden, entweder indem sich die Sozialdemokratie an der Bildung der neuen Regierung beteiligt oder indem sie zu ihr sonst eine Stellung ge­minnt, die ihr einen Einblick in die Entwickelung der Dinge und einen gewissen Einfluß auf sie gestattet.

Niemand kann erwarten, daß eine Regierung des Uebergangs, wie sie jetzt allein möglich ist, Reformen von einschneidender Bedeutung in Angriff nehmen tönnte. Niemand würde daher auch an eine Beteiligung der Sozial­demokraten an einer Rabinettsbildung unter den gegenwär­tigen Umständen übertriebene Erwartungen knüpfen. All­gemein aber ist die Einsicht verbreitet, daß ein Abruffchen der politischen Macht weiter nach rechts jetzt eine Gefahr wäre, die im Interesse der ganzen zufünftigen Entwicklung ver­mieden werden muß.

Bei den Deutschnationalen besteht im Augenblick eine besondere Neigung, auf die Pläne jener Bolksparteiler einzugehen, die am liebsten jetzt schon eine neue Rechts­regierung etablieren möchten. Nur der landbündlerische Flügel möchte gern an die Macht, um die handelspolitischen Interessen der Großlandwirtschaft wahrnehmen zu können. Die andern rechnen mit der Abneigung des Zentrums, eine Roalition mit ihnen einzugehen, und sind überdies im Zweifel, ob sie ihre Ziele überhaupt noch auf verfassungsmäßigem Wege erstreben sollen.

Und in der Tat- tann man Fraktionskollegen des Herrn Sugenberg zumuten, noch einmal einen Eid auf die republikanische Reichsverfassung zu schwören? Gewiß, für den frisch- fromm- fröhlichen Butsch von heute Aber ihre auf morgen sind die wenigsten von ihnen. Spekulation ist darauf gerichtet, daß sich das parla­mentarische System durch die Zersplitterung der Par teien und die unheilbare Schwäche der Mitte eines Tages als undurchführbar ermeisen wird und daß infolgedessen Ber midlungen eintreten werden, die ihnen gestatten fönnten,