Sonntag 16. Mai 1926
Aus der Film- Welt
Erziehung und Film.
Von Alice Simmel
Das in Borbereitung befindliche Gesetz zum Schuße der Jugend gegen Schmutz und Schund lenkt erneut die Aufmerksamkeit auf die jedem Erzieher bekannte Tatsache, daß Neigungen und Interessen des Jugendlichen sich ganz besonders den Produktionen zuwenden, die der Gebildete als" Sound" abtut. Gleichviel ob es sich um Bücher, Bilder oder Filme handelt. Daß hierbei der Film, der ohne Anstrengung eigener Phantasie deutlichste Anschauung gibt, den be= vorzugten Platz genießt, ist flar. Erst fürzlich ergab eine Umfrage, die sich unter anderem mit dem Interessenkreis der gewerblichen Lehrlinge einer Mittelstadt beschäftigte( Professor Ernst Stern , Gießen), daß die geistigen Interessen der Jugendlichen sich fast ausschließlich auf den Film, den Abenteuerroman und sonstige Schundliteratur fonzentrierten. Troßdem an der Boltsschule die Kenntnis guter Literatur vermittelt, auch Klassifer gelesen wurden, war fo gut wie nichts im Gedächtnis der Jungen haften geblieben, ja felbft der Name Goethe nicht allgemein bekannt.
Soll man nun über den geistigen Tiefstand der Jugend flagen? Die Beschäftigung mit flassischer Lektüre zu fördern suchen, wie dies häufig vorgeschlagen wird? Wichtiger wäre zu untersuchen, warum die Neigungen der Jugendlichen so ausschließlich in diese Richtung gehen und ob es Sinn und 3wed hat, an dem Kulturideal des Gebildeten, humanistisch Erzogenen, diese Jugendlichen bilden zu
wollen.
Man darf sich nicht darüber täuschen, daß vom Lebenswer? selbst der bedeutendsten schöpferischen Menschen nur ein fleiner Teil als ewig" anzusehen ist. Das weitaus meiste ist zeitlich bedingt, aus einer bestimmten Epoche entstanden und hat nur zu dieser Be ziehung. Die„ ewigen Werte" gehen in das Geistesleben des Volfes über, werden Gemeingut aller dadurch, daß gewisse grundlegende Begriffe und Anschauungen von der Menge akzeptiert und verstanden werden, ohne daß der einzelne jemals ein Wort aus den Berken dessen gelesen zu haben braucht, der erstmalig diese Werte geprägt hat. Go erhielt durch Luthers Bibelübersetzung die deutsche Sprache ihre Grundlage, durch Goethe ihre Vervollkommnung und ungeheure Bereicherung. Dürfen wir doch nicht vergessen, daß Goethe noch lateinische Borlesungen hörte. Der Durchschnittsdeutsche spricht dieses vervollkommnete Deutsch , ohne zu ahnen, wem er diese Fülle von Ausdrudsmöglichkeiten verdankt. Die wahre Wirkung des schöpferischen Menschen auf die Masse entsteht also nur durch das Lebendigwerden der von ihm geschaffenen Werte, nicht aber dadurch, daß der junge Mensch, der die Boltsschule verläßt und in eine Handwerfslehre geht, dann auf der Berufsschule. Theaterstücke von Lessing , Goethe, Schiller lieft. Bir dürfen uns nicht darüber täuschen, daß feine Beziehungen zu Sherlod Holmes weit lebendiger sein werden als zu Torquato Tasso, den wir ihm schon ins Sherlock Holmijdje übersehen müßten, damit er sich überhaupt damit beschäftigt.
Was ist es nun, was den männlichen Jugendlichen( die etwas anders gearteten Neigungen der weiblichen Jugendlichen sollen uns hier nicht beschäftigen), der sonst die Indianerromane verschlang, 34 begeisterten Anhängern der Räuberromantik gewisser Filme macht? Einmal ist es die Flucht aus der Mechanit der Realität. Diese wird vom Abenteuerfilm nicht dadurch negiert, daß er, wie das Märchen, eine unreale Welt gibt, die der Jugendliche eben als Märchen" ablehnt, sondern es wird eine übersteigerte Realität gezeigt, in der das Unmögliche immerhin noch möglich sein tönnte. Die in der Pubertätszeit wachsenden Kräfte des Jugendlichen suchen unflar eine Entladung. Einen Gegenstand, fich an ihm zu messen. Seine Phantasie wendet sich mit Vorliebe irrealen Zielen, von dem Schein der Wirklichkeit umgeben, zu. Man täuscht sich so über seine eigenen Kräfte und erspart sich die Demütigung des Miß erfolges. Berlangen doch die Erwachsenen gar nicht das Erreichen des Zieles, ja sie halten das Scheitern der phantastischen jugendlichen Bläne, die gar nicht ernst genommen werden, für selbstverständlich. Der Jugendliche wird sich lieber das Ziel setzen, einen 6. Erdteil zu entdecken oder nach dem Mond zu fliegen, und seine Interessen und Bhantasien in diese Richtung lenken, als seine Kräfte auf ein reales Ziel, etwa das Bestehen eines Eramens, das Erringen einer Stelle zu richten. Hier wird der Erfolg erwartet, der Mißerfolg tadelnd quittiert.
Neben der verständlichen Flucht des Jugendlichen vor der Mechanik des Lebens liegt also in seinem Hinneigen zum Abenteuer außerdem das Ausweichen vor eigener Verantwortung. Eine große Kraft verpufft so ins blaue, und Aufgabe der Er ziehung müßte es sein, diese energievolle Hingabe des Jugendlichen ernsthaften Zielen zuzuführen. Gerade der Film, indem er der ei gung des Jugendlichen ohnehin entgegenkommt, könnte der beste Lehrer sein. Jedoch sollte er statt alberner Räuberromantik einmal die Phantastit der Realität zeigen. Es ist eine größere und abenteuerlichere Aufgabe, aus dem Chaos der heutigen Mensch
heit wahre Gemeinschaft zu machen, als vom 40. Stod eines Wolfenfrazers auf eine vorüberfahrende Elektrische zu springen. Die Phantastik der modernen Technik nicht durch eine Reise um die Welt in acht Tagen mit Flugzeug, Eisenbahn und Auto zu zeigen, sondern dem Jugendlichen klar zu machen, wie umwandelnd die Technik, im Dienste aller angewandt, auf das Gemeinschaftsleben, die gesamte Arbeit wirken könnte. Lehrfilme, die einen fleinen Ausschnitt aus dem menschlichen Leben zeigen, interessieren den Jugendlichen wohl für eine Stunde, reizen aber seine Phantasie nicht. Aber meitgesteckte, abenteuerliche Ziele, dennoch in der Realität wurzelnd, entfesseln abenteuerliche Biele, dennoch in der Realität murzelnd, entfesseln seine Kräfte, reizen zum Handeln.
Täuschen wir uns nicht darüber, daß der Elan des Jugendlichen nur furze Zeit dauert. In wenigen Jahren wird er ein ruhiger Bürger, fern aller Abenteuerromantif, sei es im Film oder Leben. Es gilt, diese furze Periode des Kräfteüberschusses erzieherisch aus zunugen und wenigstens etwas in die spätere stumpfe Lebensepuche hinüberzuretten.
Falsch ist es, zu meinen, der Jugendliche sei heute oberflächlicher, wahrer Bildung unzugänglicher als früher. Nicht nur der Jugendliche, sondern auch die große Masse der Erwachsenen ragiert immer nur auf das ohne Anstrengung Unterhaltende, Anspruchslose. Zu Goethes Lebzeiten waren die Theater voll bei Kotzebue und leer, wenn Goethe gespielt wurde. Man darf sich den Ablauf des täglichen Lebens nicht nach Literaturgeschichten vorstellen.
Es hat feinen 3med, ein abftraftes Bildungsideal aufzurichten und von der Masse zu verlangen, sich an ihm zu entwickeln. Ber erziehen will, muß die Neigungen und Instinkte der zu Erziehenden seinem Erziehungsideal nuzbar machen, sonst wird er mit dem testen Willen nicht verstanden werden, erfolglos bleiben. Der ungeheure revolutionäre Elan der Räuber wird einen Schlofferlehrling fesseln fönnen, bei der Braut von Messina wird er einschlafen. Die Möglichkeiten des Films, der tatsächlich das Hauptinteresse großer Kreise ist, müssen erzieherisch ausgewertet werden. Es ist dies fruchtbarer als die Ablehnung eines neuen, jetzt freilich oft schlechten Mittels. Aber es fommt niemals auf das Mittel an, sondern nur darauf, was aus dem Mittel gemacht wird.
Die Filme der Woche.
„ Gier nach Geld." ( Ufa- Palast am 300.)
Als der Film am Freitag das erstemal wiederholt wurde, fam es zu einem Skandal während der Aufführung. Der Film konnte nicht zu Ende gespielt werden, das Publikum verlangte sein Geld zurück und bekam es auch. Der Film ist bereits abgesetzt, und an seiner Stelle wird Barieté" gegeben. Warum war nun ein Teil der Besucherschaft über den Film so empört? 3meifellos spielen neben den sachlichen Gründen auch persönliche mit. Es ist ein amerikanischer Durschnittsfilm, wie wir ihrer schon genug gehabt haben. Aber andere sind unbeanstandet durchgegangen, marum dieser nicht? Gewiß ist er in manchen Partien sehr naiv und in anderen sehr utriert. Manchmal hat man den Eindruck, daß er ins Tragikomische überschlägt, obwohl das sicher nicht beabsichtigt war. Aber über diese ästhetischen Bedenken hinaus haben sicher andere Motive mitgespielt: man wollte seine Unzufriedenheit mit den ewigen Amerikanern einmal deutlich zeigen. Und weiter dürften bei den Eingeweihten auch gewiffe nationalistische Instinkte mitgespielt haben. Der Regisseur des Films, Erich von Stroheim , ist ein öfterreichischer Deserteur, der sich durch die Herstellung antideutscher Heßfilme drüben hervorgetan haben soll. Wir haben dieselbe Er scheinung im Drama wie im Roman gehabt. Man hat den Franzosen Claudel von der Bühne und den Spanier Ibanez vom Büchermarkt ausschließen wollen, weil sie gleichfalls gegen Deutsch land eine feindliche Stellung eingenommen hatten. Genau wie auf anderen Gebieten muß man eine solche Haltung auch im Film ab. lehnen. Die einzige entscheidende Frage bleibt: Taugt der Film etwas oder nicht?
Der Film ist nach einem Roman von Frank Norris gearbeitet. Zeider ist mir das Original nicht zugänglich, und ich fann nicht feststellen, inwieweit die Filmbearbeitung das Original ent. stellt hat. Frank Norris ist jedenfalls nicht der Erstbeste; er war einer der ersten großen amerikanischen Realisten, die im Gefolge 3olas auftraten. Sein großer, unvollendeter Romanzyklus„ Das Epos des Weizens" hat seinerzeit auch in Deutschland berechtigtes Aufsehen erregt. Es war ein starker sozialer Einschlag in diesem fühnen und nur mit Details überladenen Wurf. Die Gier nach Geld" spielt in dem San Franzisko vergangener Tage. Der Manuskriptverfaffer will an einer Tragödie aus dem Alltagsleben zeigen, wohin der Dämon Geld führen kann. Hier fragt der fritische Beobachter, warum dieses moralische Erempel gerade in der klein bürgerlichen Welt aufgerichtet werden soll, in einem Lande, we alles nach Gold drängt und die großen Haie doch viel gefährlicher find als die kleinen Opfer. Dieser biedere Zahnarzt, der sich im reiferen Alter in eine bereits etwas angejahrte Jungfrau verliebt, sie sich von feinem Freunde abtreten läßt und dann an ihrer schmutzigen Geldgier zugrunde geht, ist aus einer anderen Belt als der heutigen.
Beilage des Vorwärts
Auch die Trina, die aus fleinen Verhältnissen kommt und durch ihren Glückstreffer in der Lotterie zu 5000 Dollar gelangt und nun zu einem exemplarischen Geldhamsterer wird, ist ein Typ aus ver gangenen Tagen. Sie erinnert an Figuren aus den Anfängen der realistischen Literatur. Der Regisseur sezt diesen Stoff um in eine minigem Behagen wird ein Schützenfest und vor allem die EheHandlung, die zunächst sehr breit in Kleinmalerei verläuft. Mit überschritten. Auch die Mittelpartie ist viel zu breit ausgezogen und fchließung geschildert. Hierbei wird oft die Grenze des Zuträglichen besonders das übergeschnappte Augenspiel der Trina, die sich mit ihren Silbermünzen ins Bett legt, gibt zu unfreiwilligem Lachen Anlaß. Nachdem der Mann dann durch die Habgier seiner Frau und die Machinationen feines ehemaligen Freundes in den Sumpf des Alkoholismus geraten ist, begeht er an seiner Frau einen Raubmord und flieht dann mit dem großen Dollarjack und seinem Bogelbauer in die Salzmüfte. Sein Freund, gleichfalls von der Gier Todes, denn das vielgeliebte Gelb ist hier zu nichts müße. Der nach Geld erfaßt, seht ihm nach und beide sterben eines elenden symbolische Schluß, der sicher bei Norris von ergreifender Wirkung gewesen ist, verpufft bei den Besuchern des Ulfapalaftes. Es wäre intereffant zu erfahren, wie dieser Film in Amerika aufgenommen worden ist.
„ Der dumme August des Zirkus Romanelli." ( Kapilol.)
Der Zirkus ist ein sterbendes Gewerbe. Trotzdem trägt jeder Film, der sich mit dem 3irfusmilieu beschäftigt, eine gewisse Garantie auf Erfolg in fich. Darum hat den dummen August fast jeder Künstler von Ruf schon gespielt. Reinhold Schünzel jedoch, mit anerfennenswertem Eifer zur Leistung, spielt den dummen Dummen Auguft. Im großen und ganzen ist es etwas Befreiendes und Er. freuliches, daß jeder Mensch mitunter tomisch wirtt, aber Schünzel lag an der Tragik der Komit. Zu Beginn des Films sehen wir Schünzel als Tagelöhner, der im Berein mit einem Hund ein Karussell Abschied von dem Hund, der ihm nicht folgen fann, ist filmisch ein zieht. Der kraftlese Mensch bricht zusammen, er muß gehen. Der Meisterwerk. Nun zieht ein von den Menschen entwürdigtes Menschenfind seinen Weg, das ganze Gebaren hilflos und komisch, doch es selbst merkt es nicht. Der Arbeitslose landet bei einem Schmierenzirtus als Auguft. Im selben Augenblick wird die Handlung plump, um eben den August unter allen Umständen in den Mittelpunkt zu rücken. Eine Dame der Gesellschaft verliebt sich in einen Kunstreiter, der seiner Braut untreu wird. Die will dieserhalb nicht mehr leben und läßt sich von dem August, dem sie eine scharfe Patrone in seinen Revolver schmuggelt, bei einer Pantomime erschießen. Schünzel legte feine Rolle so an, daß sie eine Befriedigung seines eigenen fünstlerischen Ehrgeizes wurde. Er brachte es zu einer durch und durch interessanten Leistung, die volle Beachtung verdient. Claire Rommer lich der Biola Jugend und Anmut und Pointner war der Mann, in den sich die Dame verliebt. Was sollte nur Elga Brink mit selcher Rolle anfangen, da doch diese Schauspielerin die gegebene Berförperung für ganz zarte Seelchen ist? Entflammt eine Dame in erster Liebe, so ist sie nicht so raffiniert und flieht gleich, und ist sie eine große Kofotte, so ist sie nicht so tolpatschig und läßt soundso viele Menschen Zeugen ihrer Liebe sein. Die Rolle ist beladen mit dem Ballast zu großer 11nwahrscheinlichkeit. Viktor Janson und Trude Hefterberg spielen den Herrn Zirkusdirettor und Frau als Typen, wie das Filmpublifum fie liebt und die Wirklichkeit sie höchst selten fennt. Man läßt ein ganzes Zirkusprogramm abspielen, es ist an und für sich recht nett, aber für den Film zu lang. Der Regisseur Georg Jacoby leistete eine gute Arbeit. Ebenso machten sich die Photographen Otto Kantured und Guftav Preiß um den Film verdient.
„ Seine Frau- meine Frau." ( Richard- Oswald - Lichtspiele.)
e. b.
Das ist eine ganz amüsante Sache, wenn auch die Motive ein wenig abreagiert sind. Der burschifos- tölpelhafte Chefeind, der um wenig verbraucht sind. Der burschifos- tölpelhafte Chefeind, der um einen Strudel fataler Situationen und aus diesem pifanten Dilemma mit Bolldampf in eine nicht unsympathische Liebesalliance gerät. Hans Strom, ein smarter Aktivist im Anfurbeln eleganter Geschäftsmanöver, will bei einem Millionenauftrag die Bauterraingesellschaft unterbieten, die ihn durch ein Spizelfonsortium auf Schritt und Tritt bewacht. So schiebt er, Terry Brock, in der Rolle des Storm, mit Frau und Schwägerin nach Salifornien. Aus dieser fleinen Hochstapelei entwickeln sich für den unfreiwillig abenteuernden Brock jene gottgewollten Unannehmlichkeiten, die zu Liaison mit der charmanten Schwägerin Elly und dem üblichen legitimen Aus gang führen. Auf jene Elly hat auch ein malitiöser Lebevetter mit der unaussprechlichen Ohrfeigenvisage sein Auge geworfen. Das ist ein Knabe, der sich abwechselnd mit Sport und Frauen amüsiert. Indessen: dem harmonischen Ausgang der kalifornischen Reiseaffäre fann auch seine Routine nicht im Wege stehen. Das fechsaftige Stück bietet manche drastische Situation von echter Komit, das ganze atmet einen gemütlich ausgewalzten Humor. Den Mann, den man so unversehens ins Leben stößt, spielte Reginald Denny . In seinen blond- fehnigen Breiterfträterallüren ein wirklich hübscher Bursche, sehnig und smart. Das füße Mädel mimte Laura La Plaute, troz des Namens eine Schauspielerin, die nicht nur ein diskutables Geficht hat, sondern auch zu spielen versteht. R. K. B.
KON LINON
Neben der Qualität
spielt gerade in der heutigen Zeit auch der Preis eine Hauptrolle. Daß die
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sich seit Jahrzehnten die Gunst wirklicher Kenner erhalten hat und täglich neue Anhänger findet, ist kein Geheimnis, sondern das Resultat sorgfältigster Fabrikation und sachverständiger Tabakmischungen.
Jeretlis
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