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Nr. 229 4A.?ahrgaag

1. Beilage öes Vorwärts

Dienstag, IS. Mai 1929

Zrühlingswarmer Tag. Wenn man von dem Bahnsteig der Hochbahn ins Freie bNtft, sieht man auf der einen Seite der Bahnhofshalle nichts als grüne Baumkronen. Sie verbergen die grauen, schmutzigen Häuserwände mit den grellbunten, riesigen Reklameaufschristen, die die ganze färb- los« Traurigkeit der Fassaden nur noch stärker fühlbar machen, und Überdecken mit ihrem Grün gütig das Durcheinandcrgehaste von Menschen und Autos in den Straßen. Und der gedämpfte Lärm, der durch das Blättermeer aufsteigt, dünkt dem. der eben aus dem For- tisfimo da unten herauskommt, wie wohltätiges Schweigen. Die Menschen aber laufen ungeduldig wartend aus dem Bahn- steigt hin und her. Drei Minuten warten heißt drei Minuten ver- lorene Zeit, die nun vielleicht an der Mittagspause gespart werden müssen oder die man wohl gar zum Dienst zu spät kommt. Ein Zeitungsdlatt Hilst manchem den ärgerlichen Aufenthalt verkürzen, und unruhig wandern die Augen zwischen der Lektüre und der großen Uhr. deren Zeiger, unberührt von aller Unrast, langsam und fast unsichtbar vorrücken, bis der Zug endlich einläuft. Wer hat Zeit für das grüne Meer der Baumkronen, das fremd und fernab da draußen sich dehnt? Wenn das zarte Gelbgrün der Blätter in das dunkle sommerlich« hinübergleitet, und da« sommersatte Blatt in flammenden Herbstfarben zum letztenmal aufjauchzt, wieviele sehen es überhaupt? Einzelne Tage find gesegnet. Roch»Ate und Regen erwacht plötzlich ein frühlingswarmer Morgen. Die Menschen fangen 0« zu lächeln und wissen nicht warum. Der plätschernd« Strahl de» Springbrunnens zieht die Blick« der vorübergehenden an. daß sie die Schritte hemmen, dem silbernen Wafferfaden zuschauen, der rhythmisch in das Becken niederrinnt, und wundervoll leere Augen- blick« hindurch an nichts anderes denken. Kinder scheinen schöner und Erwachsene besser an solchem reichen Tage. Da» sind die Stunden, die den Baumkronen zu ihrem Recht verhelfen. Unwill» kürlich schauen plötzlich alle auf dem Bahnsteige in einer Richtung, und st« wissen wohl garnicht. wohin sie eigentlich sehen. Aber ihre Blicke ruhen auf dem friedvollen grünen Meer, da» in diesem winzi- gen Ausschnitt Unendlichkeit vortäuscht, glückvolle Unendlichkeit von erwachender Natur, von Wiesen und Feldern und Wäldern. Und wenn man an ein« Aufgab« und einen Zweck aller Dinge glauben will, so ist es gewiß, daß diese Baumkronen dazu da sind, armen ge- hetzten und versorgten Menschen, die eigentlich nie Zeit für sie haben, in freundlichen Stunden«iue barmherzige Täuschung zu sein für ferne, wundervoll« Dinge._ Der eoSlose LLtzow-prozeß. Wichtiges pädagogische» Gutachten Dr. Andwscns. Anfang Februar hat der Lützow -Brogeß begonnen. Bor Ansang Juni darf man da» Urteil nicht erwarten. Es stehen außer den sechs Guiachten noch einige Zeugenvernehmungen, zwei Lokaltermin« in Buckow und Berta, die Reden des Staatsanwalt» und der vier Verteidiger bevor. Am Montag kam der erste pädagogisch« Sach- verständig«, der Leiter der Lietzsch«« Erziehungsheim« Dr. An- d r e f« n zu Worte. Seme Ausführungen waren eine tiesschürfende Auseinandersetzung mit dem Lützowschen Erziehungs- fystem. Dr. Andresen erscheint es immöglld), die Handlungen Lützows allein au» dem Sexualmativ heraus zu beurteilen. Es muß auch die allgemein« pädagogisch« Lag« und da» Milieu, in dem er zu wirken haue, berücksichnm werden, ver angeklagte unterlag stlbswerständlich den herrschenden Erzieliungsgrundiäycn. Di« heutig« Pädagogik stellt aber gewissermaßen eine Mischung zwischen der alten Zucht" und der moderne».Liebe, oSdagogit" vor. In Ha ub in da hatte». Lützow die letzter« kennengelernt, in Buckow verquickt« er dies« mit jener. Da er bei dem Knabenmaterial, das er »oriand, fein« Erziehung weder auf Ehrfurcht noch auf geistiger Haltung der Heimschul« gründen tonnte, so suchte er sein Heil in der Autorität de» Stock«. Insofern steht aber die Piuwelstras«, ein de- dingungslos zu verwerfend« Erziehungsmittel, unter Anklage, nicht Lutzvw allein. Denn geprügelt wird in rast ollen Volksschulen Deussch- landz und im größten Teil der höherenschulen. Selbst Lützows Maß-

l o f i g k« i t im Prügeln braucht nicht durch Sadismus oder Homo- sexualität erklärt zu werden, ebensowenig brauchen dies feine Zärtlich- keiten. Sie bedeuteten eine Uebersteigerung und B e r- zerrung der Liebespödagogit, die in den Erziehungs- Heimen herrscht. Dies«, die gewöhnlich atz Eros bezeichnet wird, und undenkbar ist ohne geistig-seelische Beziehung zwischen Lehrer und Schüler, kann sich in Zärtlichkeiten äußern, die d«r Liebkosungen sexueller Natur gleizusetzen ist. Sie brauchen deshalb noch nicht sexuell motiviert zu sein. Das Küssen mag als Geschmacklosigkeit betrachtet werden, es kommt aber hier und da vor. Der größte pädagogische Fehler Lüssows war, daß er auch bei den älteren Jungen sich keine Reserve aufzulegen verstand. Gerade gegenüber den Jungen, die im Pubertätsalter standen, in dem sie von einem Drang, sich vom Er- zieher loszumachen, beherrscht und vom Geltungsbedürfnis erfüllt sind, versuchte er sie in gleicher Weise zu behandeln wie die Kleinen. Zu sexuellen Deutungen und zur Renommisterei neigend, glaubten diese nun in Lüssows Handlungen sexuell« Untergründe sehen zu müssen. So erstand der Klatsch und Trassch, aus dem heraus vielleicht auch Weiß' Aussagen zu verstehen sind. Dr. Andresen weift in aller Au»- führlichkeit an verschiedenen Widersprüchen in der Aussage de» Weiß und an Hand einer ganzen Reihe von Kleinigkeiten nach, wie Weiß zu feiner Konstruktion hatte kommen können. Er warnt vor lleber» schötzung der Aussagen jugendlicher Zeugen. Auf Grund einer aus­führlichen Analyse von Lützows Persönlichkeit gelangt er zum Schlüsse, daß abgesehen vom zweifelhaften Falle Weiß, der ein« einmalige Entgleisung vorstellen kann, keine nnzüchttg« Handlung nachzuweisen sei. Heute kommen die zwei weiteren päda- gogisch« Gutachten. Das Spie! mit DoppelfelbstmoeS. «Der Freundin zum Gefallen". Man darf ruhig von einer periodisch auftretenden Doppelselbst- mordepidemi« sprechen. Rur selten erfährt man aber etwa, van den wahrenMotiven der gemeinsamen Tat. So ist man auch nicht imstande, abzuwägen, ob« für Doppeiselbstmörder subjektiv und objektiv wirtlich keinen anderen Au»weg gab. al» au» dem Leben zu scheiden. Um so größer« Beachtung verdienen aber die Fälle, wo beide Partner oder einer von ihnen am Leben ge- blieben ist, entweder weil absichtlich oder unbeachtigt der versuch mißglückt ist. oder weil im letzten Augenblick es überhaupt an Mut gefehlt hat. sich das Leben zu nehmen. Bon regelrechten Doppessebst- mord kann überhaupt nur dann dt« Rede sein, wenn beide Be» teiligten zu gleicher Zeit au» dem Leben scheiden, etwa durch Em- nähme van Gift oder durch gemeinsam« Ertränten n. a. m. nicht aber, wo der eine Partner den anderen auf dessen Wunsch zuerst tötet, um hinterher auch sich da» Leben zu nehmen. Mit welcher Frivolität aber jung« Menschen mit S e l b st- mord- und Doppelselbst mord ae danken spielen, ohne daran zu denken, daß da» Leben letzten End« dach auch Pflicht sein kann, und daß ihm unzählig« schöne Augenblick« ab- Zugewinnen sind, ohne sich zu überlegen, welche» Unglück st« über ihre Nächsten durch ihren selbstgewählten Tod bringen, bewies gerade der vor einigen Toqcn der im Landgericht verhandelt« Fall deslüjährigen Bäckergesellen P a u l B. Der junge Mensch hatte aar keinen Grund au» dem Leben zu scheiden, selbst nicht einen vermeintlichen. Seine Freundin JL , glaubt« für sich einen solchen in ihrer Schwongerlchaft zu sehen. Und was tat sie nun? Sie über- redete die ISjahrige P. gemeinsam mit ihr und dem B. au» dem Leben zu scheiden. All« drei besorgten sich ein« Flasche Lysol. außerdem Bier und Brause und begaben sich in den Wald. Hier sahen sie aber von dem Lysol ab, da er selbst mit der Braus« ver- dünnt, abscheulich schmeckt«. B. und Lotte K. erwogen dann, ob der ein« nicht von seinen Hosenträgern und die andere nicht von dem Mantelgurt Gebrauch machen sollt«. Der H. gelang« schließlich sie von ihrem Borhaben sich zu erhängen abzubringen. Dies» Neun- zehnjährig«, die in der Gerichtsverhandlung den ganzen Dnrgang mit einem Lächeln erzählte, gab zu. daß sie eigentlich überhaupt keinen Grund hatte, aus dem Leben zu gehen, und daß sie nur ihrer Freundin zum Gefallen eingewilligt hatte, mitzumachen. Bold darauf gelang es dann der K. auch wirk- lich den Paul B. dazu zu veranlassen, sie zu erschießen. Sich selbst das Leben zu nehmen, fehlte ihm der Mut. Das ganze aber

beweist, wie leichtsinnig die Jugend unter Umständen mit ihrem eigenen Leben und dem ihrer Freunde spielt. Ein in dieser Beziehung bemerkenswerter Fall wird auch aus Irdning in Oesterreich berichtet. Drei junge Arbester hatten be- schlössen, gemeinsam aus dem Leben zu gehen. Der erste wurde von den beiden anderen mit seiner Einwilligung aufgehängt. Im letzten Augenblick scheint ihm jedoch der Mut zum Leben zurückgekehrt zu sein und er steckte seine Hand zwischen Hals und Strick, um nicht zu ersticken. Die anderen beiden schlangen sich einen Strick um den Hals, reichten sich die Hände und sprangen ins Wasser. Der Erste hatte sich aber bereits frei gemacht, um die beiden anderen zu retten hielt er ihnen eine Stange hin. Die Bersuche, sie zu erreichen, miß- langen. Sie gingen unter. Alle drei hatten den Bauern de» Dorfes einen Brief hinterlassen, in dem sie sie aufforderten ihren Tod fest- lich zu feiern und sie dort zu suchen, wo sie zu finden sein weiden. Luch dieser Fall spricht Bände. Wohl können Verhältnisse eintreten, in denen die Pflicht zum Tod größer ist als die zum Leben. Wie oft mag aber dies der Fall sein? Die Leichtfertigkeit aber, mit der hier mit dem Leben gespielt wurde, wird jedem, der im Leben ein« sehr ernste Ausgabe sieht, mit Entsetzen erfüllen. OeisteSkost in Schulen der Republik . Wann wird man die Schulen der deutschen Republik von den alten Lehrbüchern der monarchischen Zeit befreien? Scharteken, die vom Geist übelster Monarchenverherrlichung erfüllt sind, müssen von der Schuljugend weiter benutzt werden, wie wenn nicht längst die Monarchie bei Ihrem Zusammenbruch sich in ihrer ganzen Kläglichkeit enthüllt hätte. Beispielsweise gibt man in Berlin im Friedrich». Realgymnasium(Mittenwalder Straße) den Schülern für den Gesangunterricht noch ein Liederbuch in die Hand, da» von monarchistisch-militaristischen Liedern wimmelt. Im achten Jahr der Republik werden zehn- jährige Jungen, die selber nichts mehr von der Monarchie kennen- gelernt haben, durch derarttge Lieder noch zur..Begeisterung" für die Monarchie erzogen. Es ist doch geradezu ein Skandal, daß in Schulen der Republik noch ein solches Buch geduldet wird, in dem die Schüler auch das Lied ,Lch bin ein Preuße" noch finden. Wie soll das auf die Schuljugend wirken, was sie in der letzten Strophe dies« Lied« liest? Es heißt da: D« Preußen Stern soll weithin hell erglänzen, Des Preußen Adler schweben wolkenan, D« Preußen Fahne frischer Lorbeer kränzen, D« Preußen Schwert zum Siege brechen Bahn! Und hoch aus Preußens Throne Im Glanz von Wilhelms Krone Beherrsche uns ein König stark und mild! Und jede» Preußen Brust sei ihm ein Schild! Bedeutet« nicht sLr jeden Republikaner «inen Schlag in» Gestchk, daß heute noch ein Schulbuch benutzt werden darf, in dem«Ine solche Strophe steht? Für Erwachsen« mag's geschichtlichen Wert Häven, zu sehen, wie toll einst Untertanentreue sich überschlug. Die Schuljugend aber vermag nach nicht ein solch« Machwerk von diesem höheren Stand- punkt aus zu betrachten, sondern ist wehrlos seiner Wirkung prei«- gegeben. Man möckste fast darüber lochen, daß den Kindern heut« noch derGlanz von Wilhelms Krone" vorgespiegelt wird. Wilhelm», dem die Krone in den Staub fiel, als er nach Holland desertierte! Doch die Lust zu lachen vergeht jedem, der die Ding« kennt und eine richtige Vorstellung davon hat. wie sehr gerade in den höheren Schulen die Monarchenverherrtichung ihre Wirkung tut. Hinaus, endlich hinaus mit dieserGeisteskost" au» d«n Schulen der Republik ! vi« Gegeukoudgetnmgen der Kommunisten. Am gestngen Abend veranstalteten die Kommunisten ihr« Gegenkundgebungen. die u» sprünglich, wie die der Deutschnattonalen. am Sonntag stattfinden sollten, aber nach dem Verbot auf Montag verlegt worden waren. Auf vier großen Plätzen, im Friedrichshain , Mortannenplatz, Witten » bergplatz und Brunnenplatz sammelten sich die einzelnen Trupps. Nach kurzen Reden formierten sich die Demonstrationszüge. In den Zügen wurden Plakate mitgeiührr mit Aufschriften.Rieder mit den Fürstenknechten',Seid wachsam für den Lolksenticht:id". Die De- monltranten auf dem Mariannenplatz zogen nach kurzer Ansprache durch die südöstlichen Straßen ab. Am Friedrichshain versammelten

Damile unter den Zedern. Don Henri Bordeaux. (Berechtigte llebersetzung von Z. Kunde.) Wie sie Omar« Namen gerufen hatte, suchten mein« Augen, ob er nicht käme. Und vielleicht trieb er jetzt sein Roß auf der Straße von Tripolis nach Bescherre zu wilder Eile an. Sie beschwor ihn so lebhaft herauf, daß»ch seinen Atem fühlt« und ihm wich. Ich dachte nicht mehr daran, ihm dieses Kind streitig zu machen, denn kein Haar, kein Atem ihres Körpers konnte ihm geraubt werden. Während ich ihre Worte vernommen hatte, ging auch mit mir eine Ver- änderung vor. Meine Liebe trat vor der ihren zurück. Sie hatte auf sich verzichtet. E« genügte ihr, zu dienen und zu vergessen. Und diese Umwandlung brachte mir«ine innere Beruhigung, auf die ich nicht gehofft hatte. Ich war glücklich und froh, die Schwierigkeiten waren überwunden und ich sah einen Weg des Lichtes vor mir. Oeffne jetzt die Tür." faate Damil«. Ich glaubte tatsächlich, daß sie Omar erwartete und ihre Bitte wunderte mich nicht. Er ist nicht da." entgegnete ich. O nein," sagte sie sanft,ich erwarte ihn nicht mehr. aber den... anderen. Du siehst, ich kann nur noch ihm ge» hören." Der andere, das war der Tod; sie hatte ihn nicht genannt. aber er war doch da. Worte noch, Vamile. Und ich schlug ihr vor, einen Pakt mit ihr zu schließen, Aer uns scheinbar verbände. Wenn sie sich zur Heirat er- klärte, so rettete sie das für den Moment: icb wollte ihr dann «ine Flucht ermöglichen, um sie Omar wiederzugeben. Sie begriff nicht sofort den Sinn meines Vorschlages. Ich mußte ihn präzisieren. Wie sie ihn verstanden hatte, nahm sie meine Hand und küßte sie. --La," sagte sie,du liebst jnirf). Stimmst du also zu, Pamile? Nein, ich kann es nicht. Cr würde glauben, daß ich dir gehört habe. Bin ich aber tot. dann zweifelt er nicht an mir." Dam» nicht der leiseste Verdacht in ihm auftauche, wies

hat auch die Liebe beeinflußt, die vordem oft nur eine solch« der Sinn« war und zur UedrrjötUgung und zum Ekel führte.

Der Ovfergedanke bedeutete eine Bervollkommnuna. Ich kam zu dieser Meinung, weil ich sie selbst so cmpkond Yamile sollte mir. alsbald den Beweis erbringen, daß der gleicbe Vor» gang, nur um so vieles verdisnstlicher, sich bei ihr vollzog. Und denn.. begann sie. aber vollendete den Satz nicht: es erschien ihr überflüssig, den Gedanken mitzuteilen. Ich beschwor sie, mir nichts zu verschweigen. Nun, es ist gerecht, daß ich sühne." Warum sühnen, ich hiett sie gar nicht mehr für schuldig. Konnte man für eine Liebe wie die ihrige noch den gewöhn» lichen Maßstab anlegen? Sie selbst hatte die Treu« gegen sich gewahrt. Jäber gewiß!" erklärte sie entschieden, als ich wider» sprach.Hobe ich nicht olles verlassen, um ihm zu folgen?" Du liebtest ihn? Ihre Antwort klang fast wie ein Selbstgespräch: Ich verleugnete meinen Glauben nicht, wie der Priester mir vorwarf. O, mein Gott, ich habe nichts verleugnet, weder meinen Glauben, noch meine Rasse, noch meine Berge. Man verleugnet nichts, wenn man liebt. Man liebt: das ist alles. Ist himmlisch! Und ich vergaß nicht das Gebet. Viel- leicht ist das zu tadeln. Aber ich war nur ein kleines Mädchen, das liebte. Vielleicht wird mir verziehen, weil ich ihn so siebte. Ich tonnte nicht auf ihn verzichten, wie sie das von mir verlangten. Nein, das war nlcht möglich. Ich bin zu glücklich gewesen: ich weiß es wohl. Vielleicht ist das nicht erlaubt. Dafür werde ich tapfer zu sterben versuchen. Ich bin noch so jung! Aber was wird mit ihm nach meinem Tode? Ich möchte nicht, daß er mich vergißt. Wenn er aber doch zn schwer danmter leiden müßte!" Sprach sie nicht von sich wie aus der Vergangenheit? Sie faltete die Händ j über der Brust: es war dieselbe Be» wegung wie jene auf dem Friedhof in Tripolis . Damals er- wartete sie die Rückkehr Omars: die gleiche Geste machte sie auch bei ihrer Verurteilung. Mein Gottl" stöhnte sie,ich komme. Nimm mich rasch zu dir. ehe mein Mut erlahmt!" Und dann sprang sie wie ein kleines Mädchen zur Tür, um sie zu öffnen. Ich mußte an unser« Kinderspiele w Be» scherre denken. Yamile!" Ich hatte einen Schrei des Entsetzens ausgestoßen und Tränen strömten aus meinen Augen. Sie kam zurück, und ihr Schritt hatte etwas Schwebendes, wie der Gang der Vögel, welche die Flügel noch nicht gespreizt haben und doch die Erde kaum berühren: ihre Hand glitt über meine Augen. Weine nicht, Khalll: ich habe keine Furcht. Weißt du nicht, daß alles ohne Bedeutung ist, wenn man siebt?"

Aber mein Schrecken hatte in ihr nochmals erweckt, was von zarter Schwäche und Liebe zum Leben in ihr war. Auch ihre Augen wurden feucht. Ich stand einen Moment unter d-m Eindruck ihrer Zärtlichkeit und ihres wiedererwachten menschlichen Gefühls. Doch sie hatte sich rasch gefaßt. Dieser Augenblick genügte ihr, davonzustürzen und sich ihren Hen- kern auszuliefern. Wie ich ihr nacheilte, war der Weg ver» sperrt. Die Richter oder Butros waren mißtrauisch gegen mich und hatten die Tür verschlossen. Die letzte Begegnung. Sie haben gewiß schon das nicht enden wollende Ge- brüll oerirrter Hunde in der Nacht gehört oder das Heulen der Schakale, die sich in Fallen gefangen haben? Ich bellte wie diese Hunde, ich heulte wie diese Schakale im Käfig, in dem man mich eingesperrt hatte. Die Tür, welche ich mit meinen Fäusten, mit den Füßen, mit dem Gewehrkolben ein» zudrücken suchte, war au» zu hartem Holz«, als daß sie nach» gegeben hätte, und das Zimmer hatte, wie das häufig in arabischen Häusern vorkommt, nur einen Ausgang. Jede Minute, jede Seklmde brachte Pamile dem Tode näher, ohne daß ich etwas für sie tun tonnte. Ein Augenblick des Schmerzes und der Ermattung, da ihre Hände mich kühlten. hatte uns für immer getrennt. Man mordete meine Gesiebte, nein, nicht meine, sondern die Omars, die ich mehr liebte al« mich selbst, und man hielt mich von ihr fern, zwang mich nutzlos, gegen unüberwindliche Schranken zu toben. Zwischen einem Schrei, einem Aufschluchzen hatte ich Pferdegetrappel auf der Straße gehört. Und dann nichts mehr. Wohin führte man sie? Wo würde die schreckliche Sache vollzogen? Manch- mal dämmte ich meine Raserei, um flehentliche Rufe durch die Tür dringen zu lassen, welche die Steine hätten er- weichen müssen. Vielleicht härte sie irgendein Vorübergehen- der, sieh sich rühren und öffnete mir. Nur fort und ihr zu Hilfe eilen! Meine Willensenergie war auf dieses einzige Ziel gerichtet und niemand kam, um dieser furchtbaren Foller ein Ende zu machen. Wie lange das währte? Ich hatte das Gefühl für die Zeit verloren. In meiner Vcrziveiflung kam es mir vor, als dauerte es endlos. Ich bin mir nie darüber klar geworden, wie lang« es gewährt hat. Plötzsich hörte ich. wie der Schlüssel im Schloß sich drehte: hinausdrängend prallte ich auf Muntaha. Wo ist sie?" schrie ich, ohne ihrer Blässe zu achten, und ich riß meine Augen in einer Vision des Entsetzens auf. Tonlos erwiderte sie: J8ei den Zedern, sie haben sie zu den Zedern geschafft." .Fortsetzung folgt.)