Solange in dem kleinen Freistaat Schaumburg-Lippe eine sozial- demokratische Mehrheit bestand, wurde von allen bürgerlichen Leuten die Frage des Anschlusses an Preußen als eine Partei- fache erklärt. Weil die dortige Sozialdemokratie bereit war, über die staatliche Selbständigkeit und den Anschluß an ein andere» Land mit sich reden zu lassen, wurde sie als„national nicht genügend zu- verlSssig' betämpftl Jetzt, nachdem die bürgerliche Mehrheit >Ve völlige Unfähigkeit bewiesen hat, und die Selbständigkeit des Landes in größter Gefahr ist, wird die Frage des Anschlusses als eine überparteiliche bezeichnet! Am kommenden Sonntag, dem K. Juni, soll nun eine Art Voltsentscheid über die Ein- gliederung Schaumburg-Lippes in das preußische Staatsgebiet statt- finden. Auf Grund der Reichsverfassung soll die Gliederung des Reiches in Länder unter möglichster Berücksichtigung des Willen» der be- teiligten Bevölkerung durchgeführt werden, um so der Wirtschaft- lichen und kulturellen Höchstleistung des Boltes zu dienen. Um- gruppierungen der Gebiete können erfolgen durch ein verfaffungs- änderndes Reichsgesetz oder, wenn die unmittelbar beteiligten Länder zustimmen, durch ein einfaches Reichsgesetz. Der Abstimmung am Sonntag kommt mehr die Bedeutung einer Befragung über den Anschluß zu, als einer Entscheidung. Das wird auch schon dadurch bestätigt, daß als Wille der Bevölkerung die Mehrheit der gültig abgegebenen Stimmen angesehen wird, während sonst die Reichsversassung vorsieht, daß zum Beschluß einer Gebiets- änderung drei Fünftel der abgegebenen Stimmen, mindestens aber die Stimmenmehrheit der Wahlberechtigten erforderlich ist. Trotzdem aber hat die Abstimmung am Sonntag eine besondere Be- deutung, denn es soll durch sie der Wille der Bevölkerung sestgestellt werden. Deshalb lautet auch die Fragestellung auf dem Stimmzettel: Soll Schaumburg-Lippe an Preußen angeschlossen werden?" Die Wähler haben daraus mit einem„Ja" oder mit„Rein" zu antworten. Mit Rücksicht auf den Wert der Befragung hat die Landes- reglerung eine Denkschrift herausgegeben. Danach hat Schaum. burg-Lippe einen Flächeninhalt von 340 Quadratkilometern. Die ortsanwesende Bevölkerung bestand am IS. Juli 1925 aus 11 138 Haushaltungen mit zusammen 48 SSV Personen, von denen 24 259 als im Hauptberuf erwerbstätig festgestellt wurden. Im Lande sind zwei Städte, 92 Dörfer und 13 Gutsbezirke. Die Städte haben eine selbständige Berwaltung. Die Dörfer sind in die Kreise Bückeburg und Stadthagen zusammengefaßt. Der durchweg frucht- bare Boden des Landes ist überall ausgenutzt und wird von Bauern und Arbeitern bewirtschaftet. Ein großer Teil der Bevölkerung ist im einem Bergwerksbetriebe beschäftigt, der zum Bergamt Obernkirchen gehört. Bon den Anteilen an diesem Werk besitzt Preußen vier Sechstel und Schaumburg-Lippe zwei Sechstel. Bor kurzem hat der frühere Fürst sein Sechstel an Preußen verkauft und damit Preußen die absolute Mehrheit gesichert!! Die Wirtschaft- lichen Verhältnisse im Lande sind leidlich entwickelt, doch herrscht auch hier infolge der allgemeinen Wirtschaftskrise größere Rot. Entsprechend vereinbarten Richtlinien zeigt Preußen gegenüber Schaumburg-Lippe ein starkes Entgegenkommen. Für die beiden letzten Jahre hatte der Kleinstaat einen Fehlbetrag von weit über 800 000 Mark. Aus dem l isherigen Lande soll ein p r e u, ßischer Kreis gebildet werden mit dem Namen Schaumburg- Lipp«. Der Anschluß ist beabsichtigt an die Provinz Hannover , weil auf diese Weise sich die Organisationsfragen am einfachsten
regeln lassen sollen. Die Städte werden dann selbsttlndtge Städte im Sinne der hannoverschen Kreisordnung, d. h., sie führen die Geschäfte der allgemeinen Landesverwaltung und der Polizei un- mittelbar unter dem Regierungspräsidenten, sind aber, was die wirl- schaftliche Selbstverwaltung anlangt, Teile des Kreistommunaloer- bandes. Bis zur neuen Prsvinziallandtagswahl in der Provinz wählt der Kreis zwei Provinziallandtagsabgeordnete für sich. Der Kreistag besteht aus 24 Abgeordneten. Sollte sich am K. Juni die Mehrheit der Bevölkerung für den Anschluß an Preußen aussprechen, so würde ein Staatsver- trag zwischen Preußen und Schaumburg-Lippe abzuschließen sein, der alles weitere zu regeln hat. * In Mecklenburg-Schwerin , noch wie vor dem Kriege die Hochburg junkerlicher Reaktion, fällt am Sonntag die Ent- scheidung über die Zusammensetzung des künftigen Landtages. Die vorzeitigen Landtagswahlen— das Mandat des Land- tags lief bis zum Frühjahr 1927— hat der Landbund, der unter der Führung des Kapp-Putschisten Dr. Wendhausen steht, er- zwungen. Den Großagrariern war infolge der Dorteile und Liebe»- gaben, die ihnen di» Regierung Brandenstein in den letzten zwei Iahren zugeschustert hatte, der Kamm so geschwollen, daß ihre Unverschämtheit im Fordern überhaupt keine Grenzen mehr kannte, so daß selbst die deutschnationale Regierung schließlich erklären mußte: Bi» hierher und nicht weite«! Als die Regierung B r a n d e n st« i n ihr Amt antrat, übernahm sie von dem Kabinett de» Genossen Stelling bare 6 Millionen als Ueberschuß. Die neue Regierung wird als Folge der junkerlichen Mißwirtschaft eine Schuldenlast von rund 10 Millionen vorfinden. Dennoch hat der Landbund seine Regierung— von Brandenstein stand vorher selbst an der Spitze des Mecklenburgischen Landbundes — zur Strecke gebracht, als si« nicht mehr willfährig war. Hinter der Regierung standen bisher 27 Abgeordnet«(19 Deutschnationale, 13 Völkische und 5 Bolksparteiler): di« Opposition setzte sich zusammen aus 15 Sozialdemokraten, 9 Kommunisten, 2 Demokraten und einem Wirtschaftsparteiler. Nicht weniger als neun Wahllisten bewerben sich jetzt um die Stimmen der Wähler, darunter auch die Hausbesitzer und Mieter mit eigenen Listen. Die Aussichten für die Linksparteien sind sehr günstig. Die Rechte hat in ihrer zweijährigen Herrschaft völlig abge- wirtschaftet. Alle Lasten wurden den Aermsten der Zlrmen aufgebürdet. Für die Arbeitslosen bekam die Regierung zwar 1?» Millionen Mark, ausgegeben hat sie nur 91 000 Mk. Klein- rentner, Kriegsbeschädigte und Kriegerhinterbliebene hat sie mit der Mietzins st euer belastet und deren Erträgnis bis zu 85 Proz. für Staatsausgaben verwandt. Dafür wurden dem Großgrundbesitz nicht nur die Steuern geswndet, sondern weit- gehende Kretiite gewährt. Andererseits tobt im Lager der Rechten der größte Zer« setzungstampf. Von den Völkischen haben sich die National- sozialisten gespalten, beide zusammen befehden im Wahlkampf rück- sichtslos die Deutschnationalen. Somit besteht die Hoffnung, daß auch Mecklenburg-Schwerin nach zweijähriger Unterbrechung wieder«ine von fortschrittlichem Geiste erfüllte republikanische Regierung erhält, die Mecklenburg aus den Klauen des Landbundes reißt und zum B o l k» st a a t im Rahmen der deutschen Republik macht.
Berlepsch. TerGünderderGFsellschaft für Soziale Reform gestorben. Auf seinem Gute Seebach im Kreise Langensalza ist der frühere preußische Hondelsminister Freiherr von Berlepsch im 84. Lebensjahre gestorben. Berlepsch' Name bedeutete lange Zeit ein Programm. Denn dieser aus der alten preußischen Berwaltungskarriere stammende, noch zu Bismarcks Zeiten zum Handelsminister in Preußen er- nannte Mann hatte lange vor den meisten seiner Amtsgenossen die Notwendigkeit begriffen, durch sozialpolitische Gesetzesmaß- nahmen der Arbeitskraft größeren Schutz zu gewähren und dadurch der Wirtschaft wie dem Staat zu dienen. Aber gerade durch diese Richtung seiner Tätigkeit zog er sich den Zorn der Scharfmacher im Lager der Schwerindustrie in einem so hohen Maße zu, wie kaum ein anderer Minister der Kaiserzeit. Ihm galt das brutale Wort, daß dem Minister„der Herr-im- Hause-Standpunkt in» Auge gerückt" werden müsse. Gegen ihn intrigierten die Scharsmacher so lange und so betriebsam, bis er, im Jahre 1896, von seinem Ministeramt zurücktreten mußte. Aber er gab das Rennen nicht auf, sondern widmete sich nun als Privatmann ganz der Propaganda für Sozialpolitik. In der Gesellschaft für soziale Reform, zu deren Mitgründern er gehörte, hat er jahrzehntelang eine eifrige und erfolgreiche Werbearbeit für den sozialen Gedanken geleistet. Ihm gelang es auch vor dem Kriege schon, die Gewerkschaften zur Mitarbeit an dieser Gesell- schaft zu gewinnen. Seine Tätigkeit war vollkommen frei von dem Standes- und Klassendünkel, der sonst die Bureaukroten jener Zeit zu beherrschen pflegte. Und der Haß, der ihm aus den Kreisen der Schwerindustriellen entgegenlohte, hat ihn von den Resten solchen Dünkels sicher noch früher befreit, als das ohnehin gescheheir wäre. Es gab ehemals sehr wenige Politiker aus dem bürgerlichen Loger, die für die soziale Entwicklung und soziale Notwendigkeiten Verständnis aufbrachten. Wenn In den letzten Jahrzehnten der Ge- danke der sozialen Verpflichtung gegen die Art>eitsbienen immer mehr Raum auch in der Vorstellungswelt des Bürgertums gewann, so Hot Freiherr von Berlepsch ein sehr große» Verdienst daran. Sein Name wird deshalb auch in den Kreisen der sozialdemokratisch denkenden Arbeiterschaft einen guten Klang behosten. Das Ende einer tzetze. Vorlaufiger Abschluh im Nordhäuser Sparkassenprozefi. Das Kesseltreiben gegen den sozialistischen Landrat Knodt» Nordhausen , das von den Deutschnationalen, vaterländischen Ver» bänden, vom Landbund und von allen bürgerlichen Ordnungsparteien im Sommer 1924 gegen den verhaßten politischen Gegner und Gründer des Reichsbanners im Gau Thüringen mit den verwerf- lichsten Mitteln eingeleitet und betrieben wurde, hat in neun- tägiger Sitzung des erweiterten Schöffengericht» sein vorläufiges Ende gefunden. Sämtliche Behörden stellten dem Landrat das allerbeste Zeugnis aus. Der Vertreter der Regierung, ein ehemaliger deutschnationaler Landrat, nannte den Genossen Knodt einen mutigen Verwaltungsbeamten, der als echt sozialistischer Landrat seine Hauptaufgabe darin gesehen habe» den von der wirtschaftlichen Rot am meisten bedrückten Ständen» Arbeitern, Handwerkern und Mittelstand, zu helfen. Er sei neue Wege gegangen, selbst auf die Gefahr hin, mit der Disziplinar- behörde in Konflikt zu kommen. Aber niemals hätte diese Diszi- plinarbehörde nach dem Staatsanwalt geschrien. Auch seine Spar- k a s s e n p o l i t i k sei daraus eingestellt gewesen, an damals noch leistungsfähigen Handels- und Industriefirmen zu verdienen, um B e- triebskapital für di« notleidende Masse zu schaffen. Mit dem durch di« Inflatton notwendig gewordenen bankmäßigen Arbeiten sei selbstverständlich auch«in Risiko verbunden. Wenn Geschäfte abgeschlossen wurden, die sich später als Berlustgeschäste herausstellten, so sei da» zwar bedauerlich, niemals ober von dem Landrat beabsichtigt gewesen. Die ehrenvolle Absicht, stets das Beste für seinen Kreis im Auge gehabt und nie im' Sinne des ß 266,2 StGB, gehandelt zu haben, mußten ihm selbst seine poli- tischen Gegner bezeugen. Eine ganze Anzahl von Sachverständigen kam übereinstimmend zu der Ueberzeugung, daß für die Geschäfts- fühnmg der Sparkasse die Direktion, niemals aber der Landrat ver- antwortlich gemacht werden könne. Trotzdem kam das Gericht zur Verurteilung des Landrats und feiner beiden Direktoren, weil es über den 8 266 hinweg eine Rcichsgerichtsentscheidung zur Begründung heranzog, wonach die Angeklagten zu verurteilen sind, wenn sie auch nur mit der Möglich- keit einer vorübergehenden Gefährdung von Vermögenswerten rech- nen konnten. Von 24 Fällen wurde Landrat Knodt in 20 Fällen freigesprochen, in 4 Fällen anstatt einer verwirkten Gefängnisstrafe von 6 Wochen zu einer Geld st rase von 1260 Mark ver- urteilt. Di« beiden Sparkossendirektoren erhielten an Stelle einer verwirkten Gefägni»strafe von 10 Wochen 5 Tagen bzw. 22 Tagen eine Geldstrafe von 750 bzw. 330 Mark. Das Urteil hat bei der gesamten Bevölkerung großes Aufsehen erregt, weil man nach der Beweisaufnahme und dem Plädoyer des Staatsanwalts, über dessen Anträge da» Gericht in seinem Urteil über das Dreifache hinausging, allgemein mit dem Freispruch samt- licher Angeklagten rechnete. Der Verteidiger des Landrats Knodt, Rechtsanwalt Dr. Oskar Cohn-Berlin . hat Berufung eingelegt. Dauernunruhen in polen . Verzweiflungsakte der fast Landlose«. Warschau , 2. Juni. (0<k.) Die Maloorgänge in Warschau sind nicht ohne beuurohigende Nachwirkungen in der Provinz ge- blieben, vou wo mehrere Fälle von ernsten vauernunruhen gemeldet werden. Zu den zentralen Wojewodschaften Sjelze und Lublin «st es. wie die„Rzeczpospolita" meldet, zu widerrechtlicher Besetzung und«usholzuug staatlicher Forsten durch die Bauern gekommen, ja sogar zum versuch einer Auf- teilung von privatgütern. Im Vezirk Sjelze sind sechs Gutshäuser von Bauern völlig ausgeplündert worden. In den beiden genannten Wojewodschaften ist zur Wiederherstellung der Ordnung Militär eingesetzt worden. Au» mehreren Orlschaslen in den polnischen Ost marken wird über Verweigerung der Steuerzahlougeu durch die Lauer« berichtet, was auf kam- munistijche Propaganda zurückgeführt wird. Wir geben die vorstehende Meldung mit Vorbehalt wieder, zumal das als Quelle angegebene Blatt keineswegs pilsudskifreundlich ist. also möglicherweis« eine Tendenzmeldung vorliegt, die zeigen soll, wie der Umsturz alle Bande frommer Scheu gelöst habe. Immerhin ist es durchaus möglich, daß die verelendeten Zwergbauern nun den Versuch machen, die Boden- resorm selbst durchzuführen. Moseistis Vereidigung. Warschau . 2. Juni. (MTB.) Es mußte von der Absicht, di« Vereidigung des neuernannten Staatspräsidenten Jgnaz M o s e i f t I im alten Königsschlosse vorzunehmen. Abstand genommen werden, » kÄ jprausjtellte, daß der groß« jkmpfangssaal nicht alle
Teilnehmer fassen kann. Somit wird die Feier morgen mittag im Sejmgebäude abgehalten werden. Es wird angenommen, daß di« Regierung Bartel morgen zurücktreten werde, doch hält man es für wahrscheinlich, daß Bartel wiederum mit der Kabinettsbildung betraut wird, obgleich Bartel mit Rücksicht auf seinen schlechten Gesundheitszustand darauf gern verzichten möchte. Gelegentlich der zu erwartenden Umbildung des Kabinetts sind auch Versuche im Gange, Skrzynski für das Außenministerium, das jetzt bloß durch einen Leiter besetzt ist, zu gewinnen.
Frankreich und üer Russenvertrag. Locarnodebatte im Senat. pari», 3. Juni. (Eigener Drahtbericht.) Auf der Tagesordnung der Donnerstaafitzung des Senats stand als erster Punkt die Rati- fikation der Locarno -Verträge. Die Ratifikation wird von der Senatskommission für auswärtige Angelegenheiten empfohlen. Se- nator L e m e r y beantragte trotzdem die Vertagung der Erörterung bis zum Eintritt Deutschlands in den Völkerbund. Zur Begründung seines Antrages führte er aus: Für unsere Sicherheit gibt es drei Mittel: 1. materielle Zwangsmaßnahmen, damit Deutch- land sich entwaffnet. 2. Drohungen mit schrecklichen Sanktionen, 3. ein Bündnis mit Deutschland , welches an sein Rechtsgefühl appelliert. Die erste Lösung ist die Rhein - grenze. Sie wurde in Versailles verworfen. Die zweite ist ein Sichcrheitsvertrag mit England und Nordamerika , den die Ver- einigten Staaten ablehnten. Das dritte Mittel sind die Verträge von L o c a r n o. Sie bieten aber keine größer« Sicherheit als der V e r f a i l l e r Vertrag, da Deutschland in ihnen nur verspricht, einen T e i l der Verpflichtungen von Versailles durchzuführen. Auch die Schiedsgerichtsverträge find nichts Neues, da sie im Statut des Völkerbundes vorgesehen sind. Es gibt einen Geist von Locarno . Indem Deutschland sich zu ihm bekennt, bricht es mit seiner traditio- nellen Mystik, die auf dem Glauben gegründet ist, daß Macht vor Recht geht. Aber die Lage ist vollständig verändert worden durch die Unterzeichnung de» deutsch-russischen verlrage» vom 24. April 1926. Dieser Vertrag stellt den Versuch einer Offen- sive gegen den Völkerbund dar. Deutschland und Rußland vereinigen sich gegen den Völkerbund. Deutschland sagt zu Rußland : Ich werde dich in Genf vor den Richtersprüchen des Bundes schützen, wenn diese dir gefährlich werden. Artikel 1 des deutsch - russischen Vertrages beraubt den Völkerbund seines moralischen Prestiges, Artikel 2 nimmt ihm seine Schiedsgerichtsbarkeit, Artikel 3 macht seine einzige Waffe, den wirtschaftlichen und finanziellen Boykott, zunichte. Dank den deutschen Bundesgenossen haben die Sowjets nichts mehr vom Völkerbund zu befürchten. Kurzum, der deutsch -russische Vertrag ist ein Versuch, das Werk des Völkerbundes zu neutralisieren. Wenn ich einen Beweis dafür brauche, so würde mir dafür der einmütige Beifall genügen, den die deutschen Nationalisten und Kommunisten dem Vertrage gezollt haben. Wir wollen nicht, daß Frankreich der Narr sei. Die Schneide der Sichel ist gegen den Oelbaum gezückt. Erst muß Deutsch- land sich feierlich und öffentlich über seine Absichten äußern. Dazu wird sein Eintritt in den Bölkerbund ihm Gelegenheit geben. Erst dann werden wir den Vertrag ratifizieren. ZNinisterprasidenl Briand erwiderte: Ich widersetze mich einer Vertagung. Sie kommt einer Vernichtung der Locarno -Verträge gleich. Wenn Sie oertagen, kann ich nicht mehr länger an meinem Platze bleiben. Jetzt ist der Augenblick, wo der Senat die Verträge bt» auf den Grund durch-
debattieren muß. Wir dürfen Deutschland durch die Nichtratisikation keinen V o r w a n d bieten, sich aus dem Völkerbund zurückzuziehen. Das wäre katastrophal. Ich wiederhole: Wenn Sie die Ber- tagung beschließen, gibt es keine Locarno -Verträge mehr! Der ehemalige Unterrichtsminister im Kabinett Herriot , Franyoi» Albert, erklärt: Der deutsch -russische Bertrag ist ein s ch w e r e r R ü ck s ch l a g. Ich weiß nicht, ob der Minister- Präsident aus ihm Bertrauen für die Zukunft schöpft. (Brland nist: Aber ja!) Man sagt, Deutschland habe sich im Grade seiner wachsen- den Isolierung an Rußland angeschlossen, aber nach Locarno ist Deutschland nicht m'e h r isoliert. Die übrigen Mächte haben Locarno ratifiziert, bevor der Vertrag mit Rußland bekannt wurde. Wir stehen vor einer neuen Situation. Auch unsere auswärtige Kommission hat die Verträge gutgeheißen, als der deutsch - russische Bertrag noch nicht bekannt war. Die Sitzung wird dann unterbrochen. Nach Wiederaufnahme lehnt der Senat mit großer Mehrheit den Vertagungsantrag Lemery ab, worauf der Berichterstatter L a b r o u s s e die Ratifikation der Locarno -Verträge empfiehlt. TNIllerand sagt: Diplomat sein heißt: von zwei liebeln das kleinere wählen. Die Uebel der Locarno-Verträge sind groß. Locarno ist geboren aus dem Versagen der Dereinigten Staaten Bringen die Locarno -Verträge die Garantie, die Amerika nicht gebracht hat? Noch weiterer Debatte wurde die Weiterberatung auf Freitag nachmittag vertagt._ Äopö George abgelehnt. Mit Tank von der britischen Arbeiterpartei. London , 3. Juni. (Eigener Drahtbericht.) Die vielerörterte Frage der politischen Zukunft Lloyd Georg«», dessen Verbleiben bei den Liberalen unmöglich geworden ist und von dem allgemein behauptet wird, daß er nunmehr Anschluß an die Arbeiterpartei suchen werde, gab am Donnerstag Mac- d o n a l d Veranlassung, dem einstigen Führer der Liberalen deutlich abzuwinken. Es könne höchstens, so erklärte Macdonald, die Rede sein von einem Anschluß an die K o m m u n i st e n, die Arbeiter- Partei sei eine viel zu solide und ernste Organisation, als daß eine so flatterhafte politische Erscheinung wie Lloyd George in ihr einen Platz finden könnte. Die sauren Trauben. London . 3. Juni. (WTB.) Lloyd George stellt formell in A b- rede, daß er die Absicht hätte, der Arbeiterpartei beizutreten. Taktischer Sieg Lloyd Georges? London , 3. Juni. (WTB.) Heute nachmittag fand«ine von Lloyd George „zur Erwägung der Haltung der Partei gegen- über der Lage im Kohlenbergbau" einberufene Sitzung der l i b e- ralen Parlamentspartei in einem der Ausfchußzimmer des Unterhauses statt. Nach Schluß wurde eine verein- barte Mitteilung ausgegeben, worin es heißt. Sir John Simon, Runciman und Sir Godfrey C o l l i n s feien nach einer sehr eingehenden Erörterung der politischen Lage ersucht worden,„die Meinung der Versammlung Lord Oxford zu über- Mitteln". Die Sitzung vertagte sich bis nächsten Dienstag. Es herrschte der Eindruck vor. daß das Ergebnis und die Vertagung der Zusammenkunft bis Dienstag einen taktischen Sieg für Lloyd George bedeute,