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Abendausgabe

Nr. 261+43. Jahrgang Ausgabe B Nr. 128

Bezugsbedingungen und Anzeigenpreife Find in der Morgenausgabe angegeben Redaffion: SW. 68, Lindenstraße 3 Fernsprecher: Dönhoff 292-297 Tel.- Adresse: Sozialdemokrat Berlin

Vorwärts

Berliner Dolksblatt

10 Pfennig

Sonnabend

5. Juni 1926

Berlag und Anzeigenabteilung: Gefchäftszeit 9-5 Uhr

Berleger: Borwärts- Verlag GmbH. Berlin SW. 68, Lindenstraße 3 Fernsprecher: Dönhoff 292-297

Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

Sturmflut für die Fürsten .

Ein Massenaufgebot an Geld und Papier.

Bergehoch häufen sich bei uns die Flugschriftender| Fürstenknechte. Aus allen Teilen des Reiches gehen fie uns zu und liefern dadurch den Beweis, daß die ver­armten" Fürsten und ihre Diener sich den Kampf um ihren Milliardenbesig wirklich etwas tosten lassen.

In einer einzigen Berliner Druckerei- es ist dieselbe, in der das Blatt der christlichen Gewertschaften, Der Deutsche" gedruckt wird!- find Flugschriften in Auflagen hergestellt worden, die in die vielen Millionen gehen. Einige dieser Flugblätter haben wir von fachmännischer Seite im Preise auskalkulieren lassen und dadurch festgestellt, daß allein dieser einen Druckerei Beträge von 250-000 bis 300 000 Reichsmart gezahlt werden müssen. Wahr­scheinlich werden die Ziffern aber viel höher. Und da handelt es sich nur um Aufträge in einer einzigen Druckerei. Gleich zeitig aber werfen die Rotationsmaschinen in Berlin und Breslau , in Königsberg und Münster , in Nord und Süd und Best und Ost ungezählte Papiermengen hinaus, alle bedruckt mit Lobpreisungen der Monarchie" und mit chamlofen. Beschimpfungen jener 12% mi lionen Wähler, die durch Boltsbegehren den Bolts­ntscheid über die entschädigungslose Enteignung der Fürsten verlangt haben.

Dife Haltung hat dem Blatte nun den Zorn der rechtsstehenden Dortmunder Tremonia" zugezogen, die fategorisch erklärte, das Frankfurter Blatte habe sich außerhalb des 8entrums ge stellt! Ob sich die Zentrumswähler, besonders aus den Arbeiterkreisen und aus den Schichten des durch Inflation verarmten Mittelstandes eine solche Behandlung gefallen lassen werden, wird sich am 20. Juni zeigen!

Die Auslegung der Stimmlisten. Die Feststellung der Zahl der Stimmberechtigten. Amtlich wird gemeldet::

Beim Boltsentscheid am 20. Juni find mur diejenigen Bersonen stimmberechtigt, die in eine Stimmliste oder Stimmfartei eingetragen oder einen Eintragungsschein befizen. Das Verzeichnis der Stimm­berechtigten wird in allen deutschen Gemeinden in der Zeit vom 6. bis 13. Juni zur allgemeinen Einsicht öffentlich ausgelegt. Jeber Stimmberechtigte ist befugt, Einsicht in diese Listen zu nehmen und Unrichtigkeiten zu beanstanden mit der Wirkung, daß fehlende Stimmberech tigte nachgetragen, zu Unrecht eingetragene Personen ge strichen werden. Die Eintragungen in die Stimmliften und Stimmfarteien bilden die Unterlagen für die Ermittlung der Ge­Dieser Eifer zeigt, daß die Reaktion mit einem Siege samtzahl der Stimmberechtigten im ganzen Reiche, des Boltsentscheids rechnet. Deshalb bieten sie alles die für die Bewertung des Abstimmungsergebniffes ausschlaggebend auf, um den gefürchteten Sieg abzuwehren. Bei der Einzeich ist. Es würde daher erwünscht sein, wenn die Bevölkerung von der nung zum Volksbegehren haben die Leute geschwiegen. Möglichkeit, durch Einsichtnahme in die Stimmlisten und Stimm­Sie glauben, wenn sie in ihren großen und fleinen Blättern farteien an deren Bereinigung mitzuwirken, weitgehend Ge­das Volksbegehren totschweigen würden, dann wäre der Wille des Volkes tatsächlich tot. Die 12% Mil- brauch machen würde. Unabhängig davon, ob der einzelne fich an der Abstimmung beteiligen will oder nicht. lionen Einzeichnungen haben ihre Angst hervor gerufen. Jetzt überschwemmen sie das Land mit einer Sturm­flut von Papier und Lügen!

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Woher stammt das Geld für dieses Massenaufgebot? Die Industrie, die den Arbeitern die Löhne abzwadt, 3a hit auch diesen Boltsbetrug. Das nachstehende Rund fchreiben eines Arbeitgeberbundes sagt alles: Lipp. Arbeitgeberbund. Rundschreiben Nr. 38/26.

Detmold , 26. Mai 1926.

An unsere Mitglieder!

1. Betr. Urteil Urlaubsregelung bei Kurzarbeit.... 2. Betr. Für stenenteignung.

Der Westfälisch- Lippische Wirtschaftsbund übersendet uns das ( von uns schon zitierte! Red. d. Borwärts") als Anlage II bei Gefügte Rundschreiben, von dem wir Kenntnis zu nehmen bitten. Bir müssen es den Mitgliedern überlassen, ob sie auf Grund dieses Rundschreibens uns oder dem Wirtschaftsbunde direkt Mittel zur Verfügung stellen wollen. Der Auffassung des Wirtschaftsbundes, daß mit der Frage der Fürstenenteignung das Problem der Soziali­fierung in unmittelbarem Zusammenhange steht und insofern diese Frage für die Industrie von besonderer Bedeutung ist, schließen wir uns voll und ganz an. Es wird unseren Mitgliedern noch in Er­innerung sein, daß ein bekannter demokratischer Reichs­tagsabgeordneter die Enteignung der Fürstenvermögen nur um des­willen ablehnte, weil es sich um die Enteignung einer einzelnen Gruppe von Personen handelt, daß er aber für eine restlose Ent eignung und Sozialisierung des gesamten Grund­besiges unbedingt eintreten würde.

Lippescher Arbeitgeberbund. gez. Dr. Hoffmann, Syndikus.

Ganz ähnliche Bettelschreiben sind in anderen Teilen des Reichs an die Industriellen verschickt und mit entsprechenden Summen beantwortet worden. Der Landbund, die Organi fation der hungernden Agrarier, läßt sich nicht lumpen. Er rerweigert zwar dem Reich die Steuern, dafür aber wirft er Unsummen zur Propaganda gegen den Volkswillen aus!

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Clermont- Ferrand .

Ein Nachwort zum französischen Parteitag.

Bon Rudolf Breitscheid .

Mit Absicht habe ich einige Tage verstreichen lassen, ehe ich ein paar Bemerkungen über die Eindrücke niederschrieb, die ich auf dem französischen Parteitag von Clermont- Fer­ rand gewann. Es ist für den Ausländer nicht leicht, den Ber­lauf solcher Kongresse vollständig gerecht zu beurteilen. Man mag die Verhältnisse in der anderen Partei noch so gut tennen, man wird immer geneigt sein, den heimischen Maßstab an sie anzulegen oder doch an der Oberfläche der Dinge haften zu bleiben, während es doch unsere Pflicht ist, der Tatsache Rech­mung zu tragen, daß jedes Mitglied der Internationale seine eigene Daseinsbedingungen hat, die wechseln, je nach der Geschichte, der wirtschaftlichen Struktur und dem Temperament des einzelnen Landes. Wir deutschen Sozia­listen find stolz auf die theoretischen Grundlagen unserer Bar­tei, auf den Umfang und die Fertigkeit unserer Organisationen, auf die Disziplin, auf unsere Presse usw. Unsere Bruder­parteien haben andere Vorzüge. Wir können unsere Tugen­ben miteinander vergleichen, aber wollen es nach Möglichkeit vermeiden, sie gegeneinander abzuwägen. Wir sollen nicht über einander richten, uns nicht in die inneren Angelegenheiten der anderen Gruppen einmischen, und das einzige Recht, das wir uns vorbehalten, ist, ein Wort der Warnung zu sprechen, wenn eine Partei Gefahr läuft, ihre eigene Aktionskraft und damit die der Internationale zu schwächen.

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rade die Disziplin im Mittelpunkt der Debatte, also etwas, Rein äußerlich gesehen stand in Clermont- Ferrand ges was uns Deutsche ganz besonders interessiert. Drei Tage lang wurden die Fälle" besprochen, von denen die wichtigsten waren, daß Genosse Poisson, selbst Mitglied des Partei­vorstandes, als Leiter der Genossenschaften einen Aufruf zur Beteiligung an den freiwilligen Beiträgen zur Stützung des Franken unterschrieben hat, obwohl der Parteivorstand diese ganze Aktion mit Recht- als falsch und zwedwidrig be= Für die Stadt Berlin hat das Hauptwahlamt des Magistrats zeichnet hatte, und daß der Provinzialverband der Marne bei bereits am gestrigen Freitag durch Säulenanschlag auf einer Nachwahl entgegen dem Beschluß des Parteivorstandes die bevorstehende Auslegung der Stimmliften hingewiesen. Bom ein Kartell mit den Radikalen eingegangen war. Die am heutigen Tage an bis zum Schluß der Auslegungsfrist am nächsten Schluß angenommene Resolution verurteilte diese Verstöße Sonntag, den 13. Juni, veröffentlicht jedes Bezirtsamt mider die Ordnung der Partei gegen eine nicht unbeträchtliche durch Säulenanschlag für den Bereich eines minorität, die sich teils enthielt, teils auch mit Nein stimmte. jeden Berliner Bezirks die Lokale, in denen Für uns sind diese Disziplinwidrigkeiten schwer verständ­die Stimmlisten in Berlin ausliegen. Jeder Bähler lich, und wir sind erstaunt, daß nicht der ganze Parteitag in hat dadurch die Möglichkeit, festzustellen, wo er sich von seiner Ein- ihrer Berurteilung übereinstimmte. Aber hier gibt es eben tragung in die Stimmlifte überzeugen fann. Aus ber amtlichen Unterschiede zwischen der französischen Partei und der unseren, Bekanntmachung geht hervor, daß die Stimmlisten diesmal eine die wohl beachtet werden müssen. Der organisatorische ganz besondere Bedeutung haben, da sich aus der Sum- 3usammenhalt ist drüben weniger fest als in mierung der Stimmlisten im ganzen Reich die Zahl der Stimm Deutschland , und der Wille zur Unterwerfung unter die Be­berechtigten ergibt. Da 50 Proz. der Stimmberechtigten zur Anschlüsse der Instanzen ist geringer ausgebildet. Es fehlt, nahme des Bolfsentscheids notwendig sind, ist es von großer Wichtig möchte ich sagen, die Tradition der Disziplin. Der stark indi­feit, zu verhindern, daß durch falsche und unberechtigte vidualistische Charakter der Franzosen verleugnet sich auch nicht Eintragungen die Zahl der Stimmberechtigten fünftlich er bei den Mitgliedern der Sozialistischen Partei. Und viele von höht wird. denen, die jetzt über die Schuldigen zu Gericht saßen, haben bei anderen Gelegenheiten selbst schwer gesündigt und fündigen bis zum heutigen Tage. Sie haben, um von anderem zu schweigen, gelegentlich gegen ausdrücklichen Beschluß der Fraktion mit den Kommunisten gestimmt, sie haben feinerzeit, als bei der letzten Präsidentenwahl die Partei sich Was aber für Painlevé einsetzte, für Doumergue votiert. das Wichtigste ist: unter diesen strengen Richtern befindet sich Maurin, der die radikalfte Richtung vertritt, die Einheits­front mit den Kommunisten predigt und zur Erreichung seines Biels nicht nur ein eigenes Blatt herausgibt, sondern inner­halb der Partei eine Art von Sonderorganisation geschaffen hat.

Ausnahmezustand über Posen.

Gegen deutsch - irredentistische Agitation? Warschau , 5. Juni. ( WIB.) Der Ministerrat hatte den Minister des Innern ermächtigt, über Posen und Pomme­ rellen den Ausnahmezustand zu verhängen. Ueber Pommerellen wurde tatsächlich der Ausnahmezustand verhängt.

Dem Kurjer Warszawski" zufolge, erklärte Ministerpräsident Bartel in einer Unterredung, daß der Ausnahmezustand in Pomme­ rellen auf Grund von Vorstellungen des Thorner Wojwoden Wachowiat erlaffen worden sei, der dieses Verlangen mit der umstürzlerischen Agitation deutscher Chauvi. nisten und anderen Staatsrücksichten begründete. Die Verord­nung verbietet die Abhaltung von Versammlungen und Umzügen unter freiem Himmel, verlangt für Bersammlungen in geschloffenen Räumen die vorherige Anmeldung und die Bewilligung durch die Behörden und sieht das Recht der Einschränkung des Straßenver­fehrs in den Abend- und Nachtstunden vor. Ueberdies wird den pommerellischen Behörden das Recht gegeben, ausländife 3eitungen zu fonfiszieren oder zu verbieten, wenn deren 3n­halt die Sicherheit des Staates oder die öffentliche Ruhe und Sicher­

Für die Scharfmacher von Schlot und Halm heißt es: Schlösser und Millionen gehören den Drohnen! Den Kriegsopfern und Sozialrentnern aber foll im besten Falle bas Asyl für Obdachlose offen stehen! In nur zwei Wochen soll die Entscheidung fallen. Berheit gefährden. doppelt und verdreifacht deshalb die Werbearbeit für den Boltsentscheid. Dem papierenen Meer der Fürsten­fnechte stellt gegenüber die eiserne Entschlossenheit, den Willen des Volkes zum Siege zu führen!

Das Zentrum maßregelt. Eine unbequeme Zentrumszeitung wird abgeschüttelt. Die Tatsache, daß sich Hunderttausende von Zentrumswählern für das Gesetz über Fürstenenteignung ausgesprochen haben, ist dem rechten Flügel der Zentrumsleitung außerordentlich peinlich. Deshalb wird jezt mit allen Mitteln politischen Drudes darauf hingewirft, daß wenigstens die Zentrumsprese sich für den Fürstenraub und gegen den Boltswillen ausspricht.

Blätter, die diesem Drud auch nur einen leisen Widerstand ents gegensetzen, werden nach Noten gerüffelt. Die" Rhein- Mainische Bolkszeitung", das Frankfurter Zentrumsorgan, hat in aller Vor­ficht doch immer wieder darauf hingewiesen, daß das Gesetz über entschädigungslose Enteignung immer noch besser sei, als wenn die Fürstenhäuser und Maitressen durch die deutschen Gerichte alles zugesprochen erhielten und das Bolt betrogen wurde,

PPS. und Bereidigung Moscidis. Warschau , 5. Juni. ( WTB.) Der Obmann des sozialistischen Klubs Dr. Maret erklärt das Fernbleiben der Sozialisten von der gestern im alten Rönigsschloß vorgenommenen Ber­eidigung des neuen Staatspräsidenten damit, daß die Sozialisten darauf Wert gelegt hätten, daß die Legalisierung der geschichtlichen Tat des Marschalls Pilsudski im Landtagsgebäude statt finde. Die Berlegung des Schmurattes in das Schloß hätte als Bestreben aufgefaßt werden müffen, die gefeßgebenden Rörperschaften zu übergehen, wozu die Sozialisten niemals ihre Zustimmung geben könnten.

Das Reichskabinett hat, wie schon angekündigt, jetzt neuerlich den früheren Reichsfinanzminister v. Schlieben zum Bräsidenten des Landesfinanzamtes Sachsen ernannt.

Die Reichsregierung hat durch ein offizielles Schreiben an die Reichsbahn betont, daß sie sich ihre Entscheidung über die Wahl des Nachfolgers für Dr. Descr durchaus vorbehalte.

Vor dem Portal der nordamerikanschen Gesandtschaft in Monte­ video ist eine Bombe explodiert. Es wurde niemand verlegt, auch der angerichtete Sachschaden ist nur gering. Die Beweg gründe zu dem Attentat fonnten noch nicht fargestellt werden.

Aber man hatte den Eindrud, als ob sich die strengen Richter von Clermont- Ferrand des inneren Widerspruchs, in dem sie sich bewegten, gar nicht bewußt seien, und man würde ihnen zweifellos Ünrecht tun, wenn man sie etwa der Heuchelei bezichtigen wollte. Es war ihnen wahrscheinlich selbst nicht flar, daß sie die Disziplinbrüche deshalb so hart beurteilen, weil es Vertreter der anderen Richtung" waren, die sie be gangen haben. Damit aber kommen wir zu der Hauptfache: es war ein Richtungsstreit, der in Clermont ausge fochten wurde. Alles andere war Beiwert.

Drei Tendenzen" rangen miteinander: 1. die schon kurz charakterisierte Maurin sche; 2. die von 3yromsti, Baul Faure und Brade geführte, deren Resolution auch Léon Blum beitrat, ohne daß er wohl innerlich mit ihren Zielen übereinstimmte; und 3. die, die im wesentlichen durch Re= naudel, Grumbach, Marquet und andere repräsen­tiert wird. Die Gruppe Maurin ist schon geschildert. Es ver­dient als Symptom gewertet zu werden, daß zum erstenmal seit dem Spaltungsparteitag von Tours die Annäherung an die Kommunisten auf einem französischen Soizalistentongres einen Fürsprecher fand, aber diese äußerste Linke, die kaum mehr in den Rahmen der Partei hineinpaßt, und die zum Glück recht unbeträchtlich ist, mag einstweilen beiseite gelassen werden. Der Hauptstreit wurde zwischen den beiden anderen Fraktionen ausgetragen, und er gab dem Kongreß sein Ge= präge.

Was ist der wesentliche Unterschied zwischen den beiden? Man kann sagen, die Frage der Beteiligung an bür­gerlichen Regierungen oder ihre Unterſtügung. Offiziell stand dieses Problem in Clermont nicht zur Debatte. Es ist bei früheren Gelegenheiten, wenn man so will, geregelt worden. Aber in Wirklichkeit haben sich an ihm die Geifter geschieden, und da die früheren Entscheidungen auslegungs­