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e. 270 43. Jabeg. Ausgabe A nr. 138

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Zentralorgan der Sozialdemokratifchen Partei Deutschlands

Redaktion und Verlag: Berlin SW. 68, Lindenstraße 3 Fernsprecher: Dönhoff 292-297.

Freitag, den 11. Juni 1926

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Hindenburg hat eine Schlacht verloren.

Zentrum und Demokraten korrigieren Mary.

Für die sozialdemokratische Massenfundgebung am näch| ften Montag und für den Volksentscheid selbst konnte es feinen besseren Auftakt geben als die gestrige Reichstagssigung. Den politischen Ertrag der nun auch parlamentarisch abgeschlossenen Hindenburg Loebell Affäre tann man etwa so abschätzen: am nächsten Montag doppeltjopiel Demon stranten und am übernächsten Sonntag eine Million Stimmen mehr.

Die Erklärung der: Sozialdemokratischen Reichstagsfraktion ist Saz für Sah eine vernichtende Widerlegung der abgeflapperten Redensarten von Recht und Moral", die in dem unglücklichen Reichspräsidenten­brief zu lesen sind. Sie zeigt schlagend, auf welcher Seite Recht und Moral" sind und auf welcher Seite sie nicht sind. Hoffentlich gelingt es, diese Erklärung noch so zu verbreiten, daß jeder Mann und jede Frau in Deutschland sie kennen lernt. Dann wird sich die beabsichtigte Wirkung der Hinden­ burg - Plakate und-Flugblätter bestimmt in ihr gerades Gegen­

teil verwandeln.

Dann aber fam mit der Erklärung des Reichstanzlers Marr die Katastrophe. Kopfschüttelnd fragte man sich, wer denn dieses unmögliche Schriftstück aufgesetzt haben könne. Man riet allgemein auf den Staatssekretär Kempner. Oder sollte Herr Marr selbst...? Wir haben ihm neulich hier den ironisch gemeinten Rat gegeben, sich am Fürsten Bülow ein Erempel zu nehmen, er scheint diesen Rat ernst genommen zu haben. Nur die Novembersturm- Rede Bülows von 1908, die allenfalls ein passendes Muster abgegeben hätte,

die hat er übersehen.

Herrn Marr hatte man bisher allgemein ein Talent nachgesagt, das Talent beruhigend zu wirken. Davon war gestern nichts zu merken. Seine Erklärung mußte auf­peitschend wirken, weil sie zu rechtfertigen versuchte, was nicht zu rechtfertigen ist, weil es die Erklärung einer Regierung war, die glaubt, nur ein Amt und feine eigene Meinung haben zu dürfen, und die einem formalen Prinzip zuliebe Deckung des Reichsoberhauptes um jeden Preis das pein­liche Opfer des Intelletts brachte.

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Immer lauter wurde das johlende Entzücken rechts, immer stürmischer der Protest links, während sich den Ab­geordneten der Mitte bei jedem Sag die Haare vor Entsetzen höher fträubten.

Der gestrige Tag wäre ein schwarzer Tag der deutschen Geschichte geworden, wenn diese wenig würdige und wenig männliche Regierungserklärung bei der Mehrheit des Reichs­tags widerspruchslose Zustimmung gefunden hätte. Glücklicher weise war das nicht der Fall.

Die Regierungserklärung hat wiederum das Gegenteil von dem erreicht, was sie bezmedte. Sie sollte den Reichs­präsidenten decken, sie hat nur die Isolierung der Re­gierung herbeigeführt.

Es war ein parlamentarisches Erlebnis von außerordent licher Bedeutung, als sich Herr v. Guérard, der sonst auf dem rechten Zentrumsflügel steht, erhob, um namens der Zentrumspartei über den Hindenburg - Brief das gerade Gegenteil dessen zu sagen, was in der Regierungs­erklärung gefagt ist, und als nachher auch der Demokraten­führer Koch das Wort nahm, um gegen die Regierungs­erflärung zu polemisieren.

Nach Abgabe dieser beiden Erklärungen, von denen be­sonders die des Herrn v. Guérard durch ihre schneidende Schärfe allgemein auffiel, stand fest, daß die Mehrheit des Reichstags den Briefwechsel des Reichs präsidenten mißbilligt. Herr v. Hindenburg hatte eine Schlacht verloren und Herr Marg mit ihm!

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Es besteht kein Zweifel daran, daß Guérard und Koch ausgesprochen haben, was auch die Mitglieder des Kabinetts denken. Wir glauben nicht falsch unterrichtet zu sein, wenn mir annehmen, daß die beiden protestierenden Parteien auf Grund vorangegangener Fühlungnahme von der Regierung eine erkennbare Preisgabe der Loebellschen Treibereien er­martet hatten. Die Enttäuschung, die ihnen der endgültige Tert der Regierungserklärung bereitete, verschärfte den Ton ihrer Erwiderung.

Auf alle Fälle: der Reichstag hat gestern dem Reichs­präsidenten deutlich gesagt, daß er sein Verhalten nicht billigt und daß er von ihm in Zukunft mehr 3urüdhaltung und mehr Vorsicht in der Wahl seiner politischen Freund schaften erwartet.

Mit diesem Ergebnis tann man fürs erste zufrieden Jein, das Weitere wird das Bolt am 20. Juni zu sagen baben, um 20. Juni fällt die Entscheidung über die fünftige

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Abg. v. Guerard( 3tr.):

Gestaltung der politischen Machtverhältnisse in Deutschland . I in einem Teil der Abendausgabe mitteilten, im Reichstag Sie fällt gewiß nicht bei der Abstimmung über einen als gestern folgende Erklärung ab: Mißtrauensvotum" bezeichneten Leitartikel der Roten Fahne", den die Kommunisten dem Reichstag vorgelegt haben. Die Sozialdemokratische Reichstagsfraktion wird sich bei dieser politisch gänzlich belanglosen Abstimmung der Stimme enthalten.

Die Entscheidungen fallen jezt nicht im Reichstag, sondern im Volte selbst. Jede Ablenkung von dem Ziel des 20. Juni stiftet Verwirrung und ist schädlich!

Die Regierungsvorlage über die Fürsten abfindung geht in den Ausschuß. Auch die Debatte über fie entbehrte nicht des politischen Interesses. Herr Marr ver­tündete, daß im Reichstag unbedingt etwas zustande kommen müsse, falls der Boltsentscheid wie die Regierung es ja wünscht sein Ziel nicht erreicht. In diesem Fall will die Regierung für ihr Abfindungsgeset tämpfen und es nötigen­falls auch auf eine Reichstagsauflösung ankommen lassen.

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Nächst dem Sieg im Boltsentscheid ist die Reichstagsauf lösung für uns die zweitangenehmste Aussicht. Es judt einem in den Fingern, wenn man sich vorstellt, wie die Rechts­parteien bei Neumahlen unter der Fürstenparole Prügel beziehen würden!

Dazu bietet sich aber auch schon am 20. Juni Gelegenheit! Der Donnerstag war der Tag der parlamenta rischen Abrechnung. Am Montag treten in Berlin die Massen auf den Plan. Am Sonntag, den 20. Juni, fällt die große Entscheidung. Der Donnerstag mar gut, der Montag muß die Steigerung bringen, der übernächste Sonntag den frönenden Abschluß.

Es lebe der Kampf!

Nach den Ausführungen des Reichskanzlers gaben die Bertreter des Zentrums und der Demokraten, wie wir bereits

Die Zentrumsfraktion vermag nicht anzuerkennen, daß die An­gelegenheit des bekannten Briefes des Reichspräsidenten durch die lediglich auf die staatsrechtliche und verfassungsrechtliche Seite der Sache eingehende Erklärung des Reichstanziers erschöpft sei.( Leb­haftes hört! hört! links.) Der Brief des Reichspräsidenten ist an fich ein politischer Aft.( Sehr wahr! beim Zentrum und links.) Er behandelt die aktuellste politische Frage der Gegenwart, eine Frage von solcher Tragweite, daß sie das deutsche Volt in größtem Maße aufgewühlt hat.

Wir sind deshalb der Meinung, daß der Brief wegen der über­parteilichen Stellung des Reichspräsidenten besser nicht geschrieben worden wäre.( Sehr richtig! im Zentrum.) Unverant­wortlich, um feinen schärferen Ausdruck zu gebrauchen, ist das Vor­gehen v. Coebells und feiner Hintermänner. Das Wirken dieses Mannes ist geradezu voltsfeindlich( lebhafte zustimmung) und gefährdet die Integrität der Stellung des Reispräsidenten, was wir im 3ntereffe unferes Bater­landes auf das fieffte bedauern.( Lebhafter Beifall im Zentrum und links; große Bewegung im ganzen Hause.)

Abg. Koch- Weser ( Dem.):

Die deutschdemokratische Reichstagsfraktion vermag der Er­flärung der Reichsregierung nicht beizutreten. Sie hält an der Bismarcfchen Auffassung fest, daß der Repräsentant des Staates nicht ohne ministerielle Bekleidungs­stüde um Bismards Worte zu gebrauchen,- vor die Deffent­detes lichkeit treten dürfe, eine Anschauung, von der erst Wilhelm II. unter dem Einfluß unverantwortlicher und falscher Ratgeber ab­gewichen ist. Die Dedung der öffentlichen Aeußerungen des Re­präsentanten des Staates ist nicht etwa eine Forderung der Demo­fratie oder des Parlamentarismus oder des Liberalismus, sondern eine tonftitutionelle Forderung schlechthin.

Russische Auftragssperre.

Arbeiterschädigung durch Bankenraffgier und durch Sowjetpolitik.

Mostau, 10. Juni. ( Telegraphenagentur der Sowjetunion .)| Schädigung der deutschen Exportintereffen aus. Es ist Aufgabe Die Blätter veröffentlichen den Wortlaut einer Weifung Kyfofis an der Reichsregierung und der Reichsbank, hier endlich einmal das Handelskommiffariat, in der es beauftragt wird, Abhilfe zu schaffen. fofort einen Teil der auf Grund des deutschen Garantiekredits für Deutschland bestimmten Deutschland bestimmten Bestellungen an andere Länder zu vergeben.

Rytoff begründet seine Maßnahme mit Schwierigteiten beim Erhalt des den deutschen Firmen von feiten der Regierung garantierten langfristigen Kredites und mit den unvorteil­haften Bedingungen einiger deutscher Firmen. Das Volfs­tommiffariat wird jedoch angewiesen, die Bestellungen bei anderen Ländern nur zu solchen Kredit, Preis, Qualitäts­und Lieferungsbedingungen vorzunehmen, die nicht unvorteil hafter als die von Deutschland gestellten seien.

Die Annullierung der russischen Aufträge an Deutschland tommt nicht überraschend. Die Verhandlungen über die Kredit­gewährung haben lange Zeit in Anspruch genommen, ohne daß man zu einer Einigung gelangt wäre. Die deutschen Ban­fen und offenbar auch ein Teil der Lieferanten suchten die Reichsgarantie für den 300- Millionenkredit zu einem Bri vatgefchäft für sich auszunuzen. Es erregte mit Recht das Befremden der russischen Unterhändler, daß man trotz des geringen Risikos, das mit der Kreditgewährung infolge der Reichsgarantie verbunden war, 3inssäße verlangte, die man vielleicht bei rififoreichen Geschäften rechtfertigen fonnte, die aber in feinem Falle dem so oft betonten Streben der deutschen Industrie entsprachen, nun endlich den russischen Markt wiederzugewinnen.

Nun haben die Russen die fortgesetzte Verzögerung der Verhandlungen mit einer Rücknahme ihrer Bestellungen be­antwortet. Das ist für den deutschen Erport, aber auch für die Beschäftigung der deutschen Arbeiterschaft eine empfindliche Schädigung. Es ist zu verlangen, daß die Reichsregierung nun ihrerseits versucht, die Banken dazu zu bewegen, bessere Kreditbedingungen im Geschäft mit Rußland zu ge­mähren, als sie bisher in Aussicht genommen waren Die Tat fache, daß die deutsche Wirtschaft die harten Kreditbedingungen der deutschen Banten sich nur allzu willig hat gefallen lassen, anstatt energisch zu protestieren, wirkt sich jetzt auch in einer

Anders nimmt sich das Verhalten der Russen aus, wenn man ihre so oft gerühmte Rücksichtnahme auf die deutsche Arbeiterschaft betrachtet. Es bedeutet eine dem Sinn des deutsch - russischen Freundschaftsvertrages wider­sprechende Handlung, wenn Rußland nicht nur solche Aufträge ins Ausland vergibt, die es dort zu besseren Bedingungen unterbringen kann, sondern auch andere Bestellungen, für die es im Ausland die gleichen Bedingungen erhält wie in Deutschland . Das ist eine offenfundige Kampfmaßnahme, die sich mit aller Schärfe gegen die Arbeiterschaft der beteiligten deutschen Unternehmungen richtet. So verständlich das Auf­treten der Sowjetregierung vom russischen Standpunkt aus fein mag, so wenig wird sie jetzt noch in der deutschen kommu­ nistischen Presse für sich in Anspruch nehmen dürfen, daß ihre Importpolitif von irgendwelchen besonderen Rücksichten für die deutsche Arbeiterschaft geleitet sei. Auch das muß nachdrücklich festgestellt werden.

Ein amtliches deutsches Kommuniqué findet, daß von den

deutschen Interessenten nichts unternommen wurde, um diese Auf­tragssperre herauszufordern. Die amtliche Mitteilung meint ferner, daß die Russen ihre Aufträge troß ihrer Absage nach Deutsch­ land legen werden, da die Angebote anderer Länder in den Kredit, Preis und Lieferungsbedingungen auch nicht annähernd so günstig

sind, wie die deutschen Angebote. Man sieht also in dem russischen Vorgehen nur eine leere Best e.

Uns scheint die Haltung deutscher amtlicher Stellen doch etwas allzusehr nach jener Kraftmeieret auszusehen, die in unserer Handelspolitit schon unglaublich viel Unheil ungerichtet hat. Im übrigen bestätigt das amtliche Kommuniqué, daß die Banten tat­fächlich troß der Reichsgarantie den Russen teine besseren Kreditbedingungen einräumen wollten, als in anderen Fällen, wo feine Ausfallsgarantie des Reiches vorliegt. An diesem Punkte hätte eine behördliche Exportpolitif einzusetzen, um den un. nötigen Konflitt aus der Welt zu schaffen.