Nr. 270 ♦ 4Z.�ahrga«g
1. Heilage öes Vorwärts
5reitag, 11.Iun;ig2H
Der Jall Seufter vor den Stadtverordneten. Laugsamer Fortgang der Haushaltberatung.— Debatte über das Schulwesen.
Drei Fraktionen der Berliner Stodtverordnetenver» fammlung, die sozialdemokratische, die kommunistische und die deutschnationale, sorgten gestern durch Anfragen und einen Antrag für die sofortig« Besprechung der aufsehenerregenden N o r d s ü d- bahnaffäre, bei der die Stadt so schwer geschädigt worden ist. Der sozialdemokratisch« Redner, unser Genosse Reuter, hob her- vor, wie sehr da» von der rechtsstehenden Presse auch zu einer Schädigung des Ansehen» der Stadt Berlin aus» geschlachtete Vorkommnis lehrt, dost gegenüber gewissen „Jnterefsenvertretern� Vorsicht geboten ist. Uebri- gen» wäre, fügte er hinzu, die Beurteilung dieses Skandals durch die bürgerliche Presse viel schärfer gewesen, wenn der in ihn ver- wickelt« Stadtverordnete Be u st e r nicht zur Deutschen Volks- partei, sondern etwa zur Sozialdemokratischen Partei gehörte. Don Entstehung und verlauf der Angelegenheit gab der Kämmerer Karding eine eingehende Darstellung. Do» Wesentliche ist unseren Lesern aus den im.Vorwärts" schon veröffentlichen Mitteilungen bekannt. E» bedurste nicht mehr der Einsetzung de» Untersuchung?- ousschusses, den die Kommunisten beantragt hatten. Jetzt gibt es Arbeit für den Staatsanwalt.— In der Haushaltberotung. die dann fortgesetzt wurde, gab es ein« längere Debatte über das Schulwesen. Hier fordert« Genosse K a w e r a u eine Plan- Wirtschaft für da» Schulwesen und einen inneren Ausbau der Volks- schule, die nicht zu einer �lrmenschule" herabgedrückt werden dürfe. » In der zweiten Sitzung der Stadtverordneten in dieser Woche wurde vor Eintritt in die Tagesordnung der besoldete Stadtrat Dr. Ausländer, der der Kommunistischen Partei angehört, durch den Oberbürgermeister eingeführt. Die vom.Vorwärts" bereits ausführlich gemeldete Sorrupllonsaffäre de» volksparteilichen Stadtverordneten Reust er veranlasste unsere Fraktion, folgend« Anfrage zu stellen: Durch die Press« werden Nachrichten über ein« di« Stadt de- treffende Korruption»afsär« verbreitet, an welcher der Stadtverordnete Beusler<D. Vp.) beteiligt sein soll. Wir fragen, inwieweit diese Angaben zutreffen und was der Magistrat in dieser Angelegenheit unternommen hat. Die Kommunisten verlangten in einem Antrag die Einsetzung eines neungliederigen Untersuchungsau»- schuf scs, der noch vor den Ferien zu berichten hätte. Bei der Verlesung der Anfragen und Antrage schallt von link» ein Zwischenruf durch den Saal:.Don städtischen Geldern macht euch frei allein di« Deutsche Dolksparteil" (Schallendes Gelächter.) Die Deutschnationolen haben eben- falls-in« auf den Fall bezügliche Anfrage eingereicht. In der Be- gründung der kommunistischen Anfrage wies Stadtv. Gäbet (Komm.) darauf hin. dah gerade die Volkspartei es war. die seinerzeit ein Verfahren gegen den kommunistischen Stadtrat S t o l t betrieben hat. obwohl dieser sich nie etwa» zuschulden kommen ließ. Gäbet wies weiter darauf hin. daß Veuster als Mitglied einer.nationalen" Partei sein Geld im Ausland angelegt habe. Als Stadto. Pastor koch(Dnat.) als Begründer der deutschnationalen Anfrage davon spricht, daß er unbedingte Sauberkeit in der slädlischen Verwaltung verlangen müss«, quittiert di« Link« mit Lachen und Zurufen, die erkennen lassen. daß sie Pastor Koch nicht für den Mann hält, der da» Recht hätte, von Sauberkeit im öffentlichen Leben zu sprechen. Als Redner unserer Fraktion sprach Genosse Reuter: Die Verfehlungen des Stadtverordneten Beuster, der Mitglied des Aufsichtsrats der Nordsüdbahn war, waren uns Stadtverordneten, die wir in der Verwaltung der Nordsüdbahn tätig sind, seit zwei Monaten bekannt. Da aber bereit» die polizeiliche Untersuchung schwebte, ist die Sache als vertraulich behandelt worden. Wir Sozialdemokraten
denken nicht daran, aus diesem kriminellen Fall eine positische Ange- legenheit zu machen. Aber dem hugcnbergschen.Lokal-Anzeiger" bleibt e» vorb«. hallen, durch die Art. wie die Angelegenheit ausgemacht wurde. Sladt und Stadtverordnete zu schädigen. Es hat wenig Sinn, den Fall Beuster der Volkspartei als solcher anzuhängen; wie groß wäre aber das Geschrei gewesen, wenn statt des volkspartetlichen Mitgliedes des Aufstchtsrates etwa der sozialdemokratische sich solche Versehlungen und solche Un- treue gegen seine Mandatgeber hätte zuschulden kommen lassen. Nicht die 10000 M., die der Stadt verloren gingen, sind das Be- klagenswerte, sondern die Schädigung des guten Rufe» der Stadtverordneten. Angesicht? des Falles Beuster wird die sozialdemokratische Fraktion die Tätigkeit gewisser Interessenten- Vertreter der Rechtsparteien in Zukunft anders beurteilen müssen als bisher.— Stadtkämmerer Karding gab als Magiftratsv«rtreter eine knappe, präzise Darstellung der Tätigkeit de» Grundstücksmakler» Schmidt. Die Einzelheiten sind bereits zum größten Teil durch den.Vor- wärts" mitgeteilt worden. Bei der Grundstückoermittlung in Tem pelhof ist von der Nordsüdbahn ein Kaufpreis von 599 000 M. gezahlt worden. Später hat sich dann herausgestellt, daß von diesem Betrag der Käufer n u r töl) 000 M. erholten hat. Schmit hat also an einer einzigen GrundstücksvermiMoag rund 150 000 JB. verdient.(Hört! hört! link».) Schmst ist als Makler und Vertrauensmann der Stadt dienstbar, gewesen, hat für seine Tätigkeit Provision erhalten und hat sich durch seine Verfehlungen des Betruges' und der Untreue schuldig gemacht. Gegen ihn ist deswegen ein Strafverfahren eingeleitet worden; seine Verhaftung ist erfolgt, als er im Be- griff stand, nach der Schweiz zu reisen. Der Kämmerer teilte ferner mit. daß über da» gesamte Vermögen Arrest verhängt ist. Inzwischen ist zwischen Schxnit und der Nordsüdbahn ein Der- gleich geschlossen worden, nach dem der größere Teil des Geldes der Stadt wieder zurückgewonnen werden konnte. Vor kurzem ist die Untersuchung auch auf den Stadtverordneten Beuster au-gedehnt worden.— Mit der Abgabe einer Er» k l ä r u n g durch den Vorsitzenden der volksparteilichen Fraktion Schwarz, in der mitgeteilt wurde, daß Beuster aus der Fraktion ausgetreten ist, schloß di« Debatte. — Die Versammlung setzte nun- mehr die Beratung de» Stadkhaushallsplaue, fort. Gegen einen vom Magistrat eingesetzten Betrag von 18 000 M. al» Vergütung für die Seelsorge in den städtischen Krankenanstalten, wandte sich neben den Kommunisten auch Genosse Reuter. Er betonte dabei, daß sich unsere Fraktion nicht gegen die Seelsorge selbst richte, sondern nur gegen die Bezahlung durch die Stadt. In der Abstimmung wurde dann auch die Streichung des Betrags durch die Linke beschlossen. Lei der Beratung weiterer Etattitel ereignete sich ein Zwischenfall. Aus einem Zuruf, den der Kommunist üaedicke an unsere Genossen richtete und einer krästigen Antwort durch den Genossen Klose, kam es zu Tätlichkeiten zwischen beiden. Wegen des Tumull» schloß der Vorsteher. Genosse haß. die Sitzung. Bm dem sofort zusammengetretenen Aeltestenrat bedauerten die beiden beteiligten Stadtverordneten die Vorgänge und entschuldigten sie mit ihrer Erregung. Nach Wiedereröffnung der Sitzung teilie der Dorsteher den Ausgang der Verhandlungen des Acltestenausschusses mit und rief wegen der Störung der parlamenta- rischen Ordnung die beiden Stadtverordneten zur Ordnung. Damit war der Zwischenfall erledigt. Bei der Beratung des Etats- t-tels
Unterricht. Bildung. Kunst forderte Genosse Dr. Kawerau eine Planwirtschaft im Schul- wesen. Es kann nicht angehen, daß sich Bezirke in der Schaffung von besonders eingerichteten höheren Schulen zu übertreffen suchen, um sich gegenseitig die Schüler abspenstig zu machen. Der Ausbau der Volksschule ist dringend nötig, die Volksschulen dürfcu nicht weiter Armenschulen bleiben. Unsere Fürsorge gilt auch den Junglehrern. Wo sollen bei dem ständigen Wechsel die Junglehrer die Arbeitssreudigkeit hernehmen? Zu verlangen ist auch, daß mehr als bisher die Junglehrer angestellt werden. Jetzt kommt es oft genug noch vor, daß Lehrer, die über sieben Jahre im Amte sind, immer noch als„Junglehrer" betrachtet werden und auf eine Anstellung warten, obwohl sie in- zwischen an Lebensjahren erheblich zugenommen und Familien ge- gründet haben. Mit Freuden haben wir Sozialdemokraten begrüßt, daß die Stadtverordneten einmütig eine Erhöhung des Schulgeldes on höheren Schulen ablehnten, wodurch verhütet wurde, daß der Besuch einer höheren Schule noch mehr als bisher ein Vorrecht der besitzenden Kreise wurde. Genosse Kawerau betonte, daß ein Fünftel der preußischen Schüler in Berlin unterrichtet werden. Da- durch ergeben sich von selbst Rückwirkungen im Schulwesen auf Preußen. Der Redner bemängelte die Unterstützung der privaten Unterrichtsanftalten durch die Kommune, um so mehr, als von dem deutschnationalen D e t h l e f f s e n die Privatlyzeen als Reprä- scntationssihulen der von ihm vertretenen Kreise bezeichnet wurden. In Charlottenburg hat selbst das Bezirksamt die Uebcrslüssigkeit von drei der bestehenden sechs Privatlyzeen anerkannt, trotzdem werden alle Lyzeen aufrechterhalten. Wir werden alle Schulsragcn nach sachlichen Gesichtspunkten prüfen. Zu Beginn der Sitzung hatte die sozialdemokratische«Fraktion folgend« Anfrage eingebracht: Durch eine Verfügung de» Herrn Oberbürgermeisters ist die Vertretung des Bürgermeisters Scholz in der Weife geregelt worden, daß sie zunächst von dem Stadtrat Wege, da- nach von dem Stadtrat Dr. Richter und dann vom Stadtrat L e n e ck e übernommen worden ist. Wkr fragen an, nach welchem Gesichtspunkt der Herr Oberbürgermeister diese Vertretungen geregelt hat.— Alle genannten Stadträte geHöven der deutschnatio- nal«» beziehungsweise der volksparteilichen PaHei an.
Sein eigenes Sraftwerk der Reichsbahn. Wie erinnerlich, hatte vor kurzem die sozialdemokratische Stadt- verordnetenfraktion den Magistrat darauf aufmerksam gemacht, daß di« Reichsbahngesellschaft beabsichtige, ein eigenes Großkraftwerk zu errichten. Wie nun die BS.-Korrefpondenz von zuständiger Seite erfahren hat, handelt es sich bei diesem Vorhaben durchaus nicht um ein fertige» Prosekt, sondern es sind im Zusammen bang mit dem Elektrifizierungsplan, dessen Kosten aus etwa 150 Millionen Mark veranschlagt werden, nur die Fragen der Strombe- s ch o f f u n g«tfngehend geprüft und dabei drei Projekte erörtert wurden. Darin wurde untersucht, ob die Entnahme des Stromes aus einem bestehenden Kraftwerk, die Entnahme aus dem Ueberlandswege aus Mitteldeutschland oder etwa der Bau eines eige- nen Kraftwerkes am billigsten und wirtschaftlichsten sein würde. Diese Fragen sind also bisher nur nach den wirtschaftlichen Gesichtspunkten betrachtet und keinerlei feste Beschlüsse nach irgendeiner Richtung hin gefaßt worden. Es ist durchaus möglich, daß die Reichsbohngesell- schast den nötigen Strom von einem bestehenden Kraftwerk, also in diesem Falle von dem städtischen Großtrastwerk Rummelsbura. bezieht, allerdings wird dafür Voraussetzung sein, daß die Stadt der Reichsbahngesellschaft in der Frage des Strompreise» Konzessionen macht und ihr einen Sondertarif aufstellt. Die Dnrchfiihrtmg de» Clektrifizierungsplanes wird im übrigen von der Kreditbeschaffung abhängen, denn di« Riechsbahngesellschast wird die dazu notwendigen Mittel ans wirtschaftlichen Gründen nicht den laufenden Einnahmen entnehmen, sondern im Anleihe- wege aufbringen. Von dem Ausgang dieser Elektrifiziorunas- anleihe. die in ablehbarer Zeit aufgelegt werden dürste, wird es ab- hängig sein, welcher Teil des Bauplanes, der natürlicherweise nur etappemnäßig durchgeführt werden kann, verwirklicht wird. Zu aller-
Der wobblq.
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Bon B. Traven. Oowrifht Sy vuchmeister-Dcrlag. Beitin und Leipzi«. Zu dieser Zeit waren wir mitten drin in der dicksten Arbeit. „Putzen Sie mal die Bleche," sagte der Meister zu mir. „Dos werden Sie ja wohl können. Wenn mal die Alte(das war Seöora Doux, die keineswegs alt, sondern kaum dreißig war) reintommen sollte— die muß ja ihre Nase in jeden Dreck reinstecken— dann putzen Sie nur immer Bleche. Dann merkt sie nicht, daß Sie nichts von der Bäckerei verstehen. Aber jetzt kommt sie nicht, jetzt ist gerade der Alte drüber; die haben ja sonst keine Zeit. Mich wundert es nur. daß sie dafür überhaupt noch Zeit und Gedanken finden. Aber Gedanken werden sie sich dabei wohl kaum machen. Die denken dabei an uns, ob wir uns etwa keine Eier verrühren. Das wollen wir jetzt erst mal machen." Nun wurden tüchtig Eier einge- schlagen, Dutter rein und dann in den Ofen geschoben. Als die Fütterung vorüber war, lernte ich Bleche sauber machen. Das kann man nicht so ohne weiteres, wie man vorher wohl denkt. Es muß gelernt sein. Dann mußte ich Mehl abwiegen. Auch das hat seine Kniffe. Und dann mußte ich fünfhundert Eier aufschlagen, das Gelbe und das Weiße voneinander trennen. Würde man das so machen, wie es Mutter in der Küche tut, so brauchte man dazu eine Woche. Hier muß das in kaum zwanzijj Minuten geschehen sein, und es darf kein Pünktchen Gelb in der Weiß-Masie gefunden weiden, weil das allerlei Schwierigkeiten zur Folge hätte. Dann lernte ich die Teigteilmaschinen bedienen, das Feuer in Ordnung halten. Brot» und Ärötchenteiq ansetzen, Kleingebäck glasieren, Torten beschneiden und für die Orna- mentierung vorarbeiten, Schüsseln und Geschirre reinigen, die Tische abwaschen, die Backstube ausfegen. Eis mahlen, Eis- masfe ansetzen und so manches andere mehr. Alles so nach und nach, alles in der Weise, wie man jedes Ding lernen kann. Es gibt überhaupt nichts, das man nicht lernen könnte. Dann kam der Samstag. Lohntag. Aber Lohn gab es nicht..Maöana, morgen/ sagte Seüor Doux. Morgen war Sonntag, und wir mußten mehr arbeiten als die übrigen Tage. Hinsichtlich des Lohnzahlens aber erklärte Tenor Doux, es sei Sonntag, und Sonntags zahle er keinen Lohn: „Morgen/ Montag zahlte er aber auch nicht, weil er noch nicht zur Bank gewesen sei. Dienstag gab es lr,, Geld, weil er das Geld, das er von der Bank geholt, bereus ausgczzben habe. Mittwoch bekamen die Kellner erst mal ihr Geld, und Donnerstag hall« tt überhaupt kein Ge.d und konnte nicht
zahlen. Freitag war er nicht zu finden; immer wenn man ihn suchte, war er gerade in seine Wohnung gegangen und wollte nicht gestört werden. Samstag waren bereits zwei Löhne �fällig, aber da hatte er zu große Ausgaben, weil er für den Sonntag mit einkaufen mußte und die Banken schon mittag schlössen.„Morgen, sagte er. Aber morgen war Sonntag, wo er keine Löhne zahlte.„Morgen/ das war Montag, aber da war er noch nicht zur Bant gewesen. Nach drei Wochen bekam ich das erstemal Geld von ihm, nicht für drei volle Wochen Arbeitslohn, sondern nur für eine Woche. So ging das immer durch, immer war er Wochen und Wochen mit dem Lohn im Rückstand. Wir aber dursten mit der Arbeit nicht eine Biertelstunde im Rückstand sein, dann gab es Radau. Fünfzehn, sechzehn, ja einund- zwanzig Stunden Arbeit am Tage hatten wir zu leisten. Das hielt er für ganz selbstverständlich, und für ebenso selbstoer- stündlich hielt er es, daß er den Lohn zahle, wann es ihm beliebe und nicht, wenn er fällig sei. Aber andere Arbeit war nicht zu finden, und wäre sie zu finden gewesen, wir hatten ja keine Zeit, sie zu suchen. Wenn wir in der Backstube des Nachmittags fertig waren, dann waren die anderen Werkstätten oder die Bureaus, wo man nachfragen konnte, meist schon geschlossen. Man mußte eben aushalten. Wenn man leben will, muß man esien, und wenn man auf irgendeine andere Art kein Essen findet, muß man tun, wie es dem, der das Esten hat, gefällt. Den Kellnern ging es nicht besser. Sie bekamen nur zwanzig Pesos den Monat und sollten im übrigen vom Trink- geld leben. Aber hier ist man nicht freigebig mit dem Trink- geld. und wenn die Gäste knapp waren, dann hatten wieder die Kellner nichts zu lachen. Dann waren sie schuld daran, daß die Gäste ausblieben, und Seüora Doux gönnte ihnen nicht einmal die zwanzig Pesos Lohn. Wir wohnten im Hause, die Kellner nicht. Die hatten Familie und wohnten mit ihren Familien. Dadurch hatten sie besondere Ausgaben. Sie bekamen nicht einmal volles Essen, sondern nur so neben- bei, als Gnade oder besondere Vergünstigung. Unser Meister hatte schon vier Monate Lohn stehen. Selbst wenn er hätte gehen wollen, er konnte nicht, weil Seöor Doux ihn wochenlang vielleicht mit der Restsumme hinge- halten hätte. Wir sollten jeder täglich zum Mittagesten eine Flasche Bier bekommen. Das war ausgemacht. Aber wir bekamen Bier nur dann, wenn Seflora Doux bei sehr guter Laune war, wenn viele Bestellungen vorlagen, und wenn wir zwanzig Stimden zu arbeiten hatten. Das Esten selbst war sehr gut. Es gab viel Fleisch, zwei oder drei Fleisch- gerichtc zu Mittag. Aber nach einer Woche konnte man nichts mehr essen; denn es gab jeden Tag genau dasselbe zum Esten. Da war auch nicht ein Reiskörncheu heute anders als es gestern
war, und nicht eine Fleischfaser schmeckte heute anders als sie morgen schmecken würde. Ein Kellner bekam Fieber und war in drei Tagen tot. Er war ein Spanier gewesen, der erst vor zwei Iahren herüber- gekommen war. An seiner Stelle trat ein Mexikaner ein, namens Morales. Er war ein flinker, intelligenter Bursche. Wenn ich gelegentlich Backware in das Cafs zu bringen hatte, so sah ich beinahe jedesmal, daß Morales mit dem einen oder dem anderen seiner Kollegen sprach. Sze sprachen ja natürlich immer zusammen, wenn sie nichl bedieaten. Aber hier fiel mir das Sprechen doch zum ersten Male auf. Wenn sonst die Kellner zusammen nnteincmder sprachen, so war das immer so oberflächlich. Sie redelen über Lotterielose oder über Nebengeschäfte oder über Mädchen oder ihre Familien. Meist lachten sie dabei oder witzelten. Dagegen wenn Morales mit einem sprach, wurde nicht gelacht, sondern immer sehr andächtig zugehört. Moraloe war immer der Sprecher und die übrigen immer die Zu» hörenden. Ich sah es blühen. Das„Syndikat der Restaura- ttonsangestellten" arbeitete. Die Gewerkschaften in Mexiko haben keinen schwer- fälligen bureaukratischen Apparat Ihre Sekretäre fühlen sich nicht als„Beamte, sondern sie sind alle junge brausende Revolutionäre. Die Gewerkschaften hier sind erst durch die Revolution der letzten zehn Jahre entftanden. Und so sind sie gleich in die allermodernste Richtung geraten. Sie haben die Erfahrung der russischen Revolution, die Erplosivgewalt des jungen Stürmers und Drängers und die Elastizität einer Organisation, die noch nach ihrer eigenen Form sucht und noch täglich ihre Taktik wechselt. Richtig, in der La Moderna war der Streik da. Kellner- streik. Sefior Dyux lachte sich eins. Bei ihm brauchte er das nicht zu befürchten. Und nun kamen die Gäste der La Moderna alle in sein Lokal, weil sie sich in dem Ccrfö. wo der Streik war, fürchtetm. Die Furcht ist berechtigt. Denn die Polizei ist in Arbeiterkämpfen neutral. Wenn einem Gast, der in ein Eafs geht, wo gestreikt wird, ein Stein on den Kops fliegt, so darf er zur Sanitätsvolizei gehen und sich verbinden lasten. Im übrigen aber kümmert sich die Polizei nicht darum. Die Streikposten, die vor dem Eafs stehsn. haben ihm ja gesagt, das in dem Cafä gestreikt wird. Außer- dem steht es in der Zeitung, und Flugblätter werden ihm auch genug in die Hand gedrückt. Er weiß, was ihm bevor- steht Er braucht ja nicht in das Caf6 zu gehen, er- kann ja in ein anderes gehen oder sich auf die Bank auf der Plaza setzen oder spazierengchen. Wer da hingeht,>vo Sieine in der Luft umherfliegen, dem geschieht es ganz recht, wenn er einen an den Kopf kriegt. (Fortsetzung folgt"!