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Nr. 274 43. Jahrg. Ausgabe A nr. 140

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288chentlich 70 Bfennig, monafid B. Reichsmart voraus zahlbar Unter Areusband für Deutſchland , Danzig . Gaar und Memelgebiet. Defterreich, Litauen , Zuremburg 4,50 Reichsmart, fülr bas übrige Ausland 5,50 Reichsmark pro Monat.

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Der Borwärts mit der Sonntags beilage Bolt und geit mit Gied lung und Kleingarten sowie der Beilage Unterhaltung und Wiffen und Frauenbeilage Frauenftimme erscheint wochentäglich weimal Sonntags und Montags einmal.

Telegramm- Abrene: .Gozialdemokrat Berlin

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Berliner Volksblatt helaldgrudani dhe tha se tibe neden.

Zentralorgan der Sozialdemokratifchen Partei Deutschlands

Redaktion und Verlag: Berlin SW. 68, Lindenstraße 3 Fernsprecher: Dönhoff 292–297.

Sonntag, den 13. Juni 1926

Vorwärts- Verlag G.m.b.H., Berlin SW. 68, Lindenstr.3

Bottichedtonto: Berlin 37 536

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Bankkonto: Bank der Arbeiter, Angestellten und Beamten, Wallstr. 65; Diskonto- Gesellschaft, Depofitentaffe Lindenste. 3.

Morgen marschieren wir!

Die Feinde helfen uns zum Sieg.

Berlin wird am Montag in Bewegung sein. Die waffen des arbeitenden Boltes werden marschieren. dr

Herr Schacht ist schwerlich so intelligenzlos, das Märchen zu glauben, daß durch den politischen Att der Fürsten­Die Sozialdemokratische Partei ruft nicht oft enteignung die Wirtschaft gefährdet und der Kredit erschüttert zu solchen Massenfundgebungen auf. Häufigkeit verzettelt die werde. Kräfte und stumpft die Wirkung ab. Ruft sie aber einmal die Der Fall Schacht ist ein Beweis mehr für den ungeheuren gewaltigen Scharen des schaffenden Volkes auf den Plan, dann Druck, der von der reaktionären Masse des Großbürgertums ist sie dessen gewiß, daß ihr Ruf in allen Betrieben, in allen in der Richtung seiner Ziele ausgeübt wird. Herr Schacht ist Maffenquartieren der Arbeit und der Not Widerhall findet. der seelischen Unmöglichkeit erlegen, in dem Milieu, indem er Und dann entstehen- das haben wir mehr als einmal erlebt- lebt, Demokrat, sei es auch nur bürgerlicher Demokrat zu Kundgebungen von solcher Wucht, daß niemand sich ihrem bleiben. Die Masse des Großbürgertums, soweit hier von Eindruck entziehen fann und durch die Welt ein Ahnen geht Maffe" die Rede sein kann, steht rechts von der fleinen von einer fommenden Macht. Demokratischen Partei und vom Zentrum beiden Rechts parteien, und wenn einer von dieser Sorte besonders fortgeschritten" ist, so ist er bei der Volkspartei.

Wir haben das volle Vertrauen, daß sich Berlin am morgigen Montag wie auch am nächsten Sonntag bewähren wird. Das arbeitende Berlin , das am 9. November auf dem

einstigen Rönigsplatz die deutsche Republik aus der Taufe hob, das arbeitende Berlin , das durch seinen allumfassenden Gene ralstreit den Rapp- Butsch zu Boden schlug, das arbeitende Berlin , das auch im Mai vergangenen Jahres bei der Reichs präsidentenwahl eine erbrüdende Mehrheit gegen hinden

burg und für die Republik ftellte, dieses arbeitende Berlin wird auch morgen und am fommenden Sonntag nicht ver­sagen.

Massen heraus!

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Wieder einmal hat die Sozialdemokratie allen Grund, auszurufen: Es leben unsere Freunde die Feinde!" Wir sind ihnen dafür dankbar, daß sie durch ihre Infamie, die durch nichts übertroffen wird, wenn nicht durch ihre Dummheit, die Kampfesluft im Lager der Arbeit zur lodernden Flamme entfacht haben.

Wie segensreich hat der Skandal der Loebell Intrige, mit deren Aufdeckung wir heute vor einer Woche hier beginnen fonnten, gewirft! Wir bedauern nicht, bei dieser Aufdeckung vorsichtig zu Werke gegangen zu fein und nichts behauptet zu haben, was wir nicht beweisen fonnten. Noch find einige Punkte dieser Affäre dunkel, noch ist z. B. nicht aufgeflärt, wie es möglich war, daß Hindenburg einmal erklären lassen fonnte, es wäre verfassungswidrig, wenn er etwas erklärte, und daß er dann doch seine Erklärung in alle Minde verbreiten und an die Platatsäulen fleben ließ. Auch heute noch sind wir der Ueberzeugung, daß hier mit einem gänzlich unpolitischen alten Herrn, ein grausames Spiel ge­spielt wurde, das er nicht durchschaute und vielleicht auch heute noch nicht durchschaut..

Erreicht worden ist, daß der Reichstag in seiner übergroßen Mehrheit der Regierung die Gefolgschaft versagte, als sie den ffandalösen Vorgang zu decken versuchte und daß die Massen aufgerüttelt find wie noch nie. Darüber, was meiter werden soll, wenn wir gefiegt haben, brauchen wir uns jezt nicht den Kopf zerbrechen.

Erscheinungen wie Schacht sind nur in relativ ruhigen Beiten als Demokraten möglich. Spizen sich die Gegenfäße zu, dann sind es aus dem Großbürgertum immer nur ganz vereinzelte Erscheinungen, die sich dem allgemeinen Drud ent­ziehen können. Herr Schacht gehört nicht zu ihnen. Schon öffnet der Lokal- Anzeiger" die Arme, um ihn aufzunehmen. Sie baben sich!

Kapitalistische Beeinflussung der Presse, gesellschaftliche Aechtung, wirtschaftlicher Boykott, dies alles verbunden mit einem unerhörten Aufwand niedrigster Demagogie- das find die Mittel, mit denen sich die wirtschaftlich übermäch tigen Klassen auch in der demokratischen Republit an der Macht zu halten versuchen.

Berlin , die Riefenstadt, ist ja immer noch eine Stätte der Freiheit. Aber es geht hinaus in die Kleinstadt, hinaus aufs platte Land, und ihr werdet eure Bunder erleben! Wer da von der besseren Gesellschaft" nicht schwarzweißrot ist oder nicht wenigstens so tut, als ob er es wäre, der wird geschäftlich ruiniert, gesellschaftlich geschnitten, im Avancement gehindert, abgebaut. Das ist die trodene Feme , ein viel stärkeres Einschüchterungsmittel als die blutige.

Auf solchen Tatsachen baut sich der Plan der Rechten auf, durch die Parole des Zuhausebleibens den Volks­entscheid zum Scheitern zu bringen. Von dem Maß, in dem die politische und gewerkschaftliche Organisation der schaffen­den Massen dem Einzelnen Schuß zu bieten vermag, hängt auch das Maß der staatsbürgerlichen Freiheit ab, das in den Stimmenzahlen des 20. Juni zum Ausdruck kommen wird.

Die Gegner nennen den Volksentscheid eine weite Revolution". In ganz anderem Sinne, als sie meinen, haben sie damit recht. Der Boltsentscheid ist eine Revolution gegen die illegale, dem Geist der Verfassung midersprechende Herrschaft, die sie ausüben, und sein Sieg wird den Sturz Don tausend fleinen Thronen bedeuten, den Umsturz eines Herrentums, das zu seiner Legitimation nichts anderes mit gebracht hat als ein fleines Hirn und einen großen Geldsad.

mur um ein paar Milliarden hin oder her, es geht nicht nur Es geht in dem gigantischen Rampf der letzten Woche nicht barum, ob Schlösser, Wälder, Felder dem Bolte gehören oder

fürstlichen Nichtstuern verbleiben sollen, es geht um eine große grundsägliche Auseinandersehung zwi­fchen herrengeist und Voltsgeist.

Es geht um die ganze Zukunft der deutschen Republik. Es geht darum, ob die politische Macht, die im Staate verkörpert ist, ein Werkzeug der Herrschaft in den Händen einer gesellschaftlichen Oberschicht oder ein Werkzeug der Befreiung in den Händen der arbeitenden Massen sein soll. Massen heraus!

Der Vorwärts" Montag früh.

Mit Rüdficht auf die gespannte polifische Lage und den Beginn der letzten Kampfwoche für den Boltsentscheid erscheint die nächste Nummer unseres Blattes Montag, den 14. Juni, morgens.

Nikolaus Tscheidse tot!

Das Schicksal des Revolutionärs in der Verbannung.

Aus Paris tommt die erschütternde Nachricht, daß Tscheidse fich erschossen hat. Das reinste Herz der georgischen Sozialdemo tratie hat aufgehört zu schlagen. Ein Mann, der jahrzehnte­lang tausenden junger Kämpfer Mut eingeflößt hat, hat in einem Augenblick der Verzweiflung selbst den Mut verloren. Wie nur wenige war er seinerzeit allen Quälereien, Schikanen und brutalen Gemeinheiten der zarischen Despotie gewachsen. Ge­fängnisse, Berbannung, Lodspigelei und Berrater ertrug das alles als nebensächliche Kleine Störungen in dem großen Kampfe, dem durch seinen Herrn v. Müldner mit dem Bettelsac umherzieht, sein Leben gewidmet war. Aber dem heutigen Flüchtlingselend war er nicht gewachsen! Man vergegenwärtige fich:

Erst wollen wir fiegen!

Wir danken dem Ertronprinzen dafür, daß er um die Kriegskosten für den Schuh seiner irdischen Güter von anderen bezahlen zu lassen. Daß er dabei in Walter v. Molo an einen Unrechten gekommen ist, war uns eine besondere Freude.

Wir danken auch Herrn Ernst v. Borsig für sein Rund­schreiben, das seine aufklärende Wirkung auf die Arbeiter­massen nicht verfehlen wird. Wahrlich erstaunlich diese Dumm­heit, die nie etwas zulernt. Begreifen diese Leute nicht, wie aufpeitschend es schließlich auch aufden Zahmsten und Frömmsten wirten muß, wenn sie sich untereinander zu arbeiterfeind lichen Zweden mit einem Betrag von soundsoviel pro Kopf der Arbeiter" besteuern? In Mecklenburg erhebt man folche Steuern pro Hektar Land und pro Stück Vieh. In Berlin System Borsig! erhebt man sie pro Kopf des Arbeiters". Diese bornierte Herrenkaste der Industrie redet unter sich noch die Sprache der russischen Großfürsten; sie über nimmt dadurch und durch die Taten, die ihren Worten ent­sprechen, die Verantwortung für den Klaffenhaß, den sie selber züchtet, um sich dann über ihn heuchlerisch zu beklagen.

Ja, und auch Herr Hjalmar Schacht , der Reichsbant­präsident, hat auf seine Weise nüglichen politischen Anschau ungsunterricht erteilt, als er aus der Demokratischen Partei austrat, weil diese sich weigert, in der Fürstenfrage mit den Rönigstreuen Arm in Arm zu marschieren,

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Ein Mann, der 45 Jahre seines Lebens mit größter Aktivität der proletarischen Bewegung diente, mit allen Fasern seines Herzens an dieser Bewegung hing, nichts, nichts außer dieser Bewegung in seinem Leben kannte, in ihr die verantwortlichsten Posten be= fleidete als Führer der sozialdemokratischen Dumafraktionen von kleidete 1907 bis 1917, als Vorsitzender der Sowjets 1917, als Bräsident der Georgischen konstituierenden Versammlung 1918 bis 1921 muß, wie von einem Blig getroffen, mit einemmal( im März 1921) aus seiner Heimat flüchten, weil die georgische Sozialdemokratie, die von ihm und Jordania geschaffen und großgezogen worden war, dem russischen Bolschewismus ein Dorn im Auge war. 3ynisch er­flärte seinerzeit Radek auf der Berliner Konferenz der drei Inter­nationalen, Georgien mußte von Rußland erobert werden wegen des Zuganges zu den kaukasischen Naphtha quellen, der über Georgien führt. Diese Erflärung war durch und durch verlogen. Rußland hätte alle Zugänge zu den Naphthaquellen frei in seine Hand bekommen können, ohne das fleine Georgien mili­tärisch zu besetzen, ohne das fleine friedliche Bolt grausam zu unter. jochen. Nicht nur um das Naphtha hat es sich bei dem Ueberfall gehandelt. Moskau fonnte es nicht dulden, daß in einem kleinen Nachbarstaate die Sozialdemokratie regierte, daß dort die Arbeiterklasse nicht durch Strick und Blei die Macht ausübte, Und zu den ungezählten sondern demokratisch. Opfern an Menschenleben, die das unglückliche Georgien seit dem

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bolschewistischen Ueberfall gezahlt hat, fommt nun auch dieses Opfer hinzu einer der edelsten sozialistischen Kämpfer.

Auf dem Görlitzer Parteitage, im September 1921, sechs Monate nach seiner Flucht aus Georgien , schilderte Tscheidse die Lage der georgischen Arbeiterklasse nach dem Einmarsch der bolschewistischen Eroberer in folgenden Worten:

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,, Was wir gefät und gepflanzt- heute ist alles verwüstet... Unsere Arbeiterschaft ist einem wahren 3uchthausregime unterworfen. Tausende unserer Parteigenoffen schmachten in den Gefängnissen... Die Brotwucherer, die Balutaspekulanten find heute bei uns begeisterte Anhänger der Moskauer Agenten. Gie

machen heute dort ein glänzendes Geschäft. Brutal versflavt, zu Tode ausgehungert wird in Georgien einzig und allein die Arbeitertlasse, vor allem ihr klassenbewußter Vortrupp. Die besten Männer und Frauen der proletarischen Bewegung füllen heute die verpesteten Gefängnisse der Moskauer Terroristen."

Diese besten Männer und Frauen waren Tscheidses persönlichen Freunde. Diejenigen von ihnen, die nicht erschossen wurden, schmachten heute noch in den Kasematten der bolschewistischen Regierung.

Tscheidse hatte ein ganz besonderes Interesse für die deutsche Er war der Partei überaus dankbar, als Sozialdemokratie. fie ihm im Juli 1921 die Möglichkeit gab, auf einer Berliner Funktionärversammlung über Georgien zu sprechen. 30 Jahre hin. durch führten wir in Georgien unsere Arbeit als Eure Schüler und in Eurem Geiste", sagte er in seiner Rede.

Tscheidses Parteipseudonym war Karl, und so nannte ihn jeder georgische Sozialdemokrat. Diesen Namen wählte er fich nicht nur aus begeisterter Liebe zu Karl Marg, sondern auch zu Rarl Kautsty, mit dem ihn eine langjährige treue Freund schaft verband.

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Einer der Besten ist dahingegangen. Allen, die ihn gefannt- wird sein An und ihn kennen hieß ihn leidenschaftlich lieben denten heilig bleiben. Mit den georgischen Genossen trauert die deutsche Sozialdemokratie und die ganze Sozialistische Arbeiterinter­nationale an feinem Sarge