Abendausgabe
Nr. 281 43. Jahrgang Ausgabe B Nr. 138
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10 Pfennig
Donnerstag
17. Juni 1926
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Zentralorgan der Sozialdemokratifchen Partei Deutschlands
Die Aufwertung der Wittelsbacher .
Ein Riefenvermögen aus Staatsbesih.
Die Amtliche Pressestelle der bayerischen Re. gierung wendet sich in einer offiziösen Berlautbarung gegen die in Versammlungen und Aufrufen erhobene Behauptung, daß der Wert ber der Familie Wittelsbach im März 1923 übereigneten Abfindung auf 150 Millionen Mart zu veranschlagen sei. Gleichzeitig wird auf das alte Märchen von einem umfangreichen Familienbesig, insbesondere von Waldungen zurückgegriffen und festgestellt", daß die Abfindung in einem sehr bescheidenen Rahmen gehalten sei.
Hierzu ist zu bemerken:
Der genaue Wert der Abfindung ist vom bayerischen Finanzministerium entgegen seiner Pflicht, dem Landtag rückhaltlos Aufschluß zu geben, bei ben seinerzeitigen Verhandlungen nicht angegeben worden. Aus der Regierungsvorlage bzw. dem von der bürgerlichen Mehrheit des Landtags beschlossenen Abfindungsgeset läßt sich folgendes ersehen:
Der Flächeninhalt der den Wittelsbachern überlassenen Forstämter Neuburg - Oft, Wolfsbronn, Stammham und Münchsmünster beträgt 7803 Hettar. Der Reinertrag davon belief sich im Jahre 1914 auf% Millionen Mart.
Der Gesamiflächeninhalt der den Wittelsbachern über laffenen Waldungen beträgt über 9223 Hettar mit einem jährlichen Friedensreinertrag von mindestens 900000 Mart. Der Wert ist außerordentlich hoch, weil es sich mit um die besten Forstbestände Bayerns handelt und beträgt sicher 40 bis 50 Millionen Mart .
Außerdem tommen zu den Waldungen noch folgende Gebäude
und Ländereien:
Schloß Berchtesgaden mit Villen und Zubehör rund 15 Heftar, im September 1920 auf 1 230 000 Mart geschäßt, Schloß Berg mit Parkanlagen 38,5 Heftar, Wert nicht an
gegeben,
Schloß Ludwigshöhe bei Edenkoben , 29 Heftar, vom Staat im Jahre 1869 um 175 000 Gulden angekauft,
Schloß Neuburg im Jahre 1919 auf 1% Millionen Mart geschäßt,
Hofgeffüt Rohrenfeld, 235 Heftar( ohne Bald), Friedenswert der Gebäude 668 000 Mart, Pferdewert 1921 über 1 Million Mart, Gesamtwert ohne Wald, ohne Felderbestände und ohne Pferdebestand amtlich auf über 2 Millionen Mark geschätzt,
Gestüt Bergstetten mit Schloß Grünau, 179 Heftar ohne Bald, Friedenswert der Gebäude 344 000 Mart, der Pferde 278 000 Mart, Gesamtwert ohne Wald und Pferde im Jahre 1920: 1180 000
Mart,
Remontedepot Fürstenfeldbrud mit Nebenbe fizungen Zellhof, Buch, Graßlfing und Roggenstein, Fläche insgesamt 1291 Hektar, jährlicher Friedensreinertrag 73 300 Mart( ohne Waldertrag von jährlich 40 000 Mafr),
Ein Aufruf des Berliner Zentrums. Neinsagen ist nicht leicht"!- Gegen Wahlterror! Der Provinzialvorstand der Zentrumspartei Groß- Berlins erläßt folgenden Aufruf:
Der tommende Sonntag ist der Tag des Voltsentscheides. Die Deutsche Zentrumspartei ist gegen restlose Enteignung der früheren Fürsten . Sie fordert ein Gefeß, daß ihnen nur das geben soll, was der Gerechtigkeit entspricht und was sich angesichts der erschredenden fozialen Not unseres Boltes verantworten läßt.
Wir folgen der Parole der Reichspartei! Das Wort„ Recht" im Wahlspruche unserer Partei ist uns teine Phrase. Der Gedanke des Privateigentums gehört uns zu den unumistößlichen Grundlagen der deutschen und europäischen Wirtschaftsentwicklung. Reſtlose Enteignung lehnen wir als Anhänger des christlichen Sittengefezes bewußt ab. Unsere Freunde im Lande dürfen wissen, daß uns diese Stellung angesichts der verschärften Not, die wir tagtäglich in der Reichshauptstadt erleben, und angesichts der vielfach provozierenden Formulierung der Fürstenforderungen nicht leicht fällt. Aber Klarheit und Unverbrüchlichkeit unserer Grundsäße erscheint uns auch in Stunden der Not pflichtgemäß und für die Zukunftsentwicklung unseres Landes fruchtbringend.
Es ist von unverantwortlicher Seite in den letzten Tagen ver sucht worden, die Berliner Zentrumswähler entgegen der Parole der Reichspartei zu beeinflussen. Die Berliner Partei hat mit diesem Treiben nichts gemein, und weist es mit allem Nachdruck zurüd.
Jeder Zentrumswähler gehe daher am Sonntag zur Wahlurne. Unsere Entscheidung iſt:" nein". Wahlenthaltung unterstützt den Wahlterror der rechten Parteien und bringt uns in den Berdacht, jenen Kreifen zu dienen, die mit der Propaganda gegen den Boltsenfscheid bestimmte politische Ziele verbinden.
Mit der formalen Abstimmung am nächsten Sonntag ist die Frage der Fürstenabfindung noch nicht zu Ende. Unsere Arbeit steht noch bevor. Wir haben zu der Zentrumsfraktion des Reichstages das Vertrauen, daß sie alle Kraft daran jetzen wird, möglichst bald ein Gesez zustande zu bringen, das die maßlofen Forderungen der Fürsten auf ein erträgliches Maß zurückführt und ihnen nur das zugefteht, was nach Recht und Moral niemand streitig machen kann. Der Beschluß der Berliner Zentrumspartei unterscheidet sich zu seinem Nachteil von dem des Zentrums in Höchst, der für den Volksentscheid eintritt, er unterscheidet sich aber zu seinem Vorteil von der Haltung der Rechtsparteien, deren Infamie er auf das schärffte brandmarkt.
Sachlich ist zu bemerken: Wäre das Bertrauen des Berliner Zentrums zum Reichstag berechtigt, hätte der
Hirschgarten bei Nymphenburg 32,7 Heftar, Wert im Jahre 1916 amtlich auf 2 784 000 Mart geschätzt, Hoftüchengarten bei Nymphenburg und Anwesen Haus Nr. 10 am nördlichen Schloßrondell über 3 Hektar, Wert im Jahre 1919 rund 630 000 Mart, Arcohäuser in München , Friedenswert 1 163 000 Mart mit jährlicher Friedensrente von 7300 Mart.
Außerdem Schloß Hohenschwangau mit Nebengebäuden, Anlagen und Grundbesig, Grundbesig in Feldafing und Roseninsel, zusammen rund 500 Hektar Fläche, Marburg in der Pfalz , Wert nicht angegeben, Schloß Fürstenried, Wert nicht angegeben, Wohnungsrecht auf Schloß Herren wörth , Bert unbekannt, Fischerei rechte bei Berchtesgaden , Wert unbekannt, Wohnungsrecht im Würzburger Residenzschloß, Wert unbekannt, Wohnungsrecht im Nymphenburger Schloß, Wert unbefannt, Einrichtung der übereigneten Schlösser, dazu Silberzeug, Familienbilder, wertvollste Kunstgegenstände und Diamanten der Schaßtammer, die Bestände der Reichen Kapelle, Gemälde, Miniaturen, Elfenbeine, Bronzen, Porzellanfachen, Möbel und Gobelins aus dem Nationalmuseum, der größte Teil der Bestände der Glyptothef in München , die Basensammlung, ein großer Teil der unschätzbaren Gemäldebestände der Alten Pinakother, sonstige Gemälde, Porzellan- und Plastikensammlungen usw. und endlich Kapital insgesamt 60 Millionen Mart
Berüdfichtigt man, daß einzelne Gemälde der Alten Pinatofhet Millionenwerte darstellen, so kommt man auf einen Wert der Abfindung von weit über 100 Millionen Mark.
Wenn auf die Wittelsbachischen Stammgüter mit angeblich großen Waldungen hingewiesen wird, so ist daran zu er innern, daß die Wittelsbacher diese Wälder in ihrer Eigenschaft als Reichsbeamte( Gau- und Pfalzgrafen ) vom Reich zu Lehen erhalten haben. Die größten Forsten, die damals dem Reich gehörten, er warben sie mit dem Bannwaldrecht, das sie als Landesherren ausübten. 3hr ganzer Familienbesig war in den Erbfolgefriegen des 14., 15. und 16. Jahrhunderts verpfändet und wurde durch Steuer. mittel immer wieder ausgelöst.
Das heute noch lebende Geschlecht der Wittelsbacher ist 1799 vollständig mittellos aus der Pfalz nach Bayern gefommen.
Der bayerische Staat hat außerdem noch im Jahre 1821 an Frankreich eine Million Gulden bezahlen müssen, das waren die Schulden, die Mar I. als französischer Oberst in Straßburg gemacht hatte. Das Privateigentum der im Jahre 1777 ausgestorbenen rechtsrheinischen Linie der Wittelsbacher war im Teschener Frieden von 1779 durch Abfindung der Erbin seitens des bayerischen Staates an diesen übergegangen. Von Rechts wegen gehört also den Wittelsbachern höchstens das, was sie in den letzten hundert Jahren erworben und angeheiratet haben.
Reichstag ein Gesetz zustandegebracht, das dem Rechtsgefühl des Volkes eingermaßen entspricht, dann hätten nicht 12% Millionen, darunter viele Hunderttausende Zentrumsanhänger das Boltsbegehren unterzeichnet.
Es ist aber unerfindlich, woher das Berliner Zentrum das Vertrauen zum Reichstag nimmt nach all den Erfahrungen, die in den letzten Monaten gemacht worden sind.
Der Wähler, der sich unter den Knüppel der Rechtsparteien duct, begibt sich seines staatsbürgerlichen Rechts und feiner Freiheit. Der Wähler, der am Sonntag zur Abstimmung geht, hat es in der Wahlzelle nur mit sich selber und feinem Gewissen abzumachen, wie er stimmt.
Mögen darum alle am Sonntag zur Urne gehen und der Stimme ihres Gewissens folgen. Dann ist uns um den Ausgang wahrlich nicht bange!
Briands Burgfriedensversuch.
Kirche und Volksentscheid.
Mißbrauch der Religion.
Bon Pfarrer Edert- Meersburg.
In dem Kampf um den Volksentscheid, der ein Kampf um die Rechte des arbeitenden Boltes ist, hat die Kirche in einseitiger Weise für die Fürsten Partei ergriffen und damit in Millionen von Volksgenossen das Bertrauen zur politischen Neutralität der Kirche aufs schwerste erschüttert, ja endgültig vielleicht vernichtet. Der Deutsche Evangelische Kirchenausschuß, der Kirchensenat der evangelischen Kirche der altpreußischen Union , der Präsident der württembergischen Landesfirche D. Merz, der Generalsuperintendent der Kurmart D. Dr. Dibelius- Berlin, der Evangelische Bund, die Berliner Stadtmission und fast die gesamte kirchliche Presse hat zum Bolfsentscheid in ablehnendem Sinne Stellung genommen.
Alle diese Kundgebungen haben natürlich nach den ausdrücklichen Bemerkungen, die eingefügt sind ,,, mit Politik gar nichts zu tun"; es handelt sich um eine Sache der„ christlichen Sittlichkeit“ und der„ Gerechtigkeit".
Eigentümlich! D. Winkler, deutschnationaler Vorfizender der altpreußischen Union, redet von den Grundlagen eines geordneten Staatswesens, die in Gefahr seien". D. Merz beruft sich auf das gleiche Recht", das die ,, Ber fassung der Republit" jedem„ Bolksgenossen" gewährleiste, und der evangelische Bund redet ,, vom staatlichen Niedergang", von ,, christlicher und nationaler Ethit",( übrigens eine für den Bund bezeichnende Zusammenstellung) und von ,, Verpflichtungen, die wir dem deutschen Namen schuldig sind". Das aber find alles politische Erwägungen! Warum geben die Kirchenpräsidenten und die Führer des evangelischen Bundes das denn nicht offen zu, daß nach ihrer politischen Ansicht, die Enteignung der Fürsten untragbar sei. Warum versteden sie sich hinter sittlichen und religiösen Begründungen? Warum zitieren sie Gott, marum das christliche Gewissen, warum die Grundsätze des Evangeliums jetzt für die Fürsten?
Warum haben sie sich nicht auf die Forderungen des Christentums berufen, als die fürstlichen Vermögen entstanden, damals als sie sich Methoden, die jeder Gerechtigkeit und erst recht jedem christlichen Bewußtsein ins Gesicht schlugen, durch Gewalt und Kriegsführung Länder, Schlösser und Forsten aneigneten. Warum damals nicht, als sie mit dem schönen und so bequemen Grundsay Cuius regio eius religio" Andersgläubige von Haus und Hof verjagten, und als 1803 von Frankreichs Gnaden die brutalfte Enteignung der Stifte, Klöster und Städte durchgeführt wurde?
Ich habe nichts davon gehört, daß die Kirchenfürsten ihre Stimme erhoben haben im Namen Jesu Christi für die Arbeitslofen, die um ihr einziges Eigentum, ihre Arbeitstraft, gekommen sind durch die famose und profitable Rationalisierung", nichts gehört davon, daß sie für die Kriegsopfer energisch eingetreten wären, die um Gesundheit und Lebenskraft gekommen sind. Ich habe nichts gehört davon, daß die Kirchen sich für die enteigneten Kleinrentner und für die In= paliden eingesetzt haben, die faum leben fönnen. Ist es hier nicht notwendig an die Forderungen des Evangeliums zu erinnern, das verlangt, daß den Armen und den Gedrückten geholfen werde?
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Wenn die Kirche ihre Stimme erhebt bei dieser Angelegenheit des Volksentscheids, dann hat sie den Fürsten zu sagen, daß das, was sie als Privateigentum" verlangen, nicht ihr Privateigentum ist sie haben feinen Quadratmeter des Landes bestellt oder er= arbeitet von den 2 Millionen Morgen, die sie zusammen verlangen sie haben von Gott und seiner Gerechtigkeit alles zu fürchten und nichts zu hoffen.
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Sie haben in dem Amte, das ihnen gegeben war, versagt! Haben nicht des Volkes Wohl, sondern ihr eigenes Wohl gesucht und suchen es noch.
Das, was sie direkt oder indirekt durch ihre Macht und ihren politischen Einfluß erworben haben( und das ist auch das von ihnen verlangte, Privateigentum"), ist von dem Zeitpunkt an dem Volke verfallen, als sie nicht mehr Fürsten find, nicht mehr regieren.
Es ist das Beschämendste für die Fürsten , daß sie, die sich nach ihrer Ueberzeugung als von Gott, dem Herrn des Weltenalls in ihr Amt eingesetzt wußten( auch die Fürstchen von Walded und Lippe!), mun um Geld und Bolt, dem sie dienen und helfen sollten, streiten um ihren Geldeswert vor Gerichten verhandeln wollen, daß sie mit dem Privatbesig".
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Paris , 17. Juni. ( Eigener Drahtbericht.) Briand , der am Mittwoch abend den Auftrag zur Neubildung der Regierung angenommen hat, will den Versuch machen, für seine Regierung die Mitarbeit sowohl des Führers des Linksfartells, Herriot , als auch des Führers des Nationalen Blods, Poincaré , zu gewinnen. Er wird bei diesem Verfuch auf sehr große Schwierigteiten foßen und es ist sehr zweifelhaft, ob er die beiden Pole der franzöchen Bolifit in einem Kabineft vereinigen kann. Die heutigen Morgenblätter verhalten sich ebenfalls zu dieser Möglichkeit außer steptisch Poincaré scheint seine Mitarbeit nur unter beftimmten Bedingungen 3 ufagen zu wollen. Von Herriot wird Briand wohl eine Absage erhalten. Herriot wird sich dabei auf den gestern abend von seiner Partei gefaßten Beschluß berufen können, die jede Politik der„ Heiligen Einigkeit" energisch ablehnt. Die Radikalfoziale Partei ist nämlich gestern abend zu ihrem fogenannten kleinen Kongreß zusammengetreten und faßte einstimmig eine Entschließung, in der es u. a. heißt:„ Der Kongreß der Radikalsozialen Partei ver wirft jeden Bersuch, die Regierungsmacht unter dem Deckmantel der Nationalen Einigkeit" einer Minderheit zu übertragen, die durch die Bolksabstimmung verurteilt worden ist. da ein solches Minifterium den Empfindungen aller Republikaner widerspricht. Die Partei ist dagegen bereit, ihr volles Ber - So aber sind sie zum Teil außerhalb des Landes, dessen trauen jeder demokratischen Regierung zu schenken, die die Eini- nationale Ethit" nach Ansicht des Vorsitzenden des evange gung fämtlicher Republikaner um ein durchschlagendes Pro- lischen Bundes gebietet, ihnen ihre Forderungen zu erfüllen! gramm der finanziellen Wiederaufrichtung zuffande zu bringen Alle sind sie Gegner des bestehenden Staates, versucht.( Caut TU. hat Poincaré inzwischen abgelehnt. Red. d. B.") dessen Grundlagen untergraben werden", wenn die An
Wenn sie noch einen Funten wirklicher Hoheit, wirklicher Besonderheit in sich gehabt hätten, dann hätten fie freiwillig verzichtet auf alles und sich ein einfaches, arbeitsreiches neues Leben aufgebaut, dann wären sie„ Boltsgenoffen" geworden in der Republik , dann hätten wir fie wenigstens noch achten fönnen und die Tragik ihres Lebens verstanden; dann hätten wir sie auch nach dem gleichen Recht der Verfassung behandeln können.