Nr. 284 43. Jahrg. Ausgabe A nr. 146
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Sonnabend, den 19. Juni 1926
Vorsicht vor Hochstaplern!
Ein gemeines Manöver der Fürstenknechte.
Die Deutschnafionalen haben für den Sonntag Handzettel in ungeheuren Mengen vorbereitet, die den Zweck verfolgen, die Wähler zu täuschen und irrezuführen. Die Handzettel ähneln in ihrer Aufmachung dem bekannten jozialdemokratischen Plakat mit dem kreuzweise durchstrichenen Pfennig. Der Text aber lautet:„ Keinen Pfennig den Fürsten , alfo Nein!" Darunter Abbildung eines Stimmzetfels, in dem st a ft des„ Ja“ das Rein angetreuzt ist. Durch diese Irreführung sollen die Wähler dazu verleitet werden, bei der Abstimmung das Gegenteil ihres wirklichen Willens zu befunden.
Alfo, Frauen und Männer, aufgepaßt! Wer euch einredet, ihr müßt, wenn ihr, die Fürstenenteignung wollt, mit ein stimmen, der ist ein Hochstapler und ein gemeiner Betrüger. Das Kreuz gehört in den Kreis mit dem„ Ja".
Soll der im Boltsbegehren verlangte Entwurf eines Gesetzes über Enteignung der Fürstenvermögen Gesetz werden?
Ja
X
Nein
-
Wer Jeder muß an der Abstimmung teilnehmen! Wer Jernbleibt, begeht ein Attentat auf die Freiheit seiner Mitbürger!
Republikaner!
Sonnabend, den 19. und Sonntag, den 20. Juni: Fahnen heraus!
Das deutsche Volf hat zum ersten Male Gelegenheit, von feinem verfaffungsmäßigen Rechte der freien Selbstbestimmung über ein Gesetz Gebrauch zu machen. Dieser Tag ist mert, durch zeigen der Reichsfarben von jedem Anhänger einer freiheitlichen Berfaffung gefeiert zu werden.
Als Antwort auf den Terror der Rechtsparteien fordern wir nochmals alle Republikaner auf, am Sonntag zur Wahlurne zu gehen.
Reichsbanner Schwarz- Rot- Gold. Gau Berlin- Brandenburg.
Ein Erfolg der Linken. Lübed, 18 Juni( WTB.). In der heutigen Bürgerschaftszung wurde zum hauptamtlichen Senator der Demo frat Edholt mit 36 Stimmen der Sozialdemokraten, Demofraten und der Fraktion der Haus- und Grundbefizer gewählt. Auf Staatsrat Dr. Lange entfielen 34 Stimmen der bürgerlichen Parteien. Zum nebenamtlichen Senator wurde der bis herige Fraktionsvorsitzende der Fraktion der Haus- und Grund. befizer Rechtsanwalt Dr. Geister mit 35 Stimmen der Sozial: demokraten und Demokraten und seiner Fraktion gewählt. Bon bürgerlicher Seite war Eschenburg vorgeschlagen worden, auf den 4 Stimmen fielen. Die Kommunisten gaben bet beiden Abstimmungen weiße Stimmzettel ab.
Fort mit Ramek!- Nieder mit Mussolini ! Wien , 18. Juni( Eigener Drahtbericht). Eine riesige Straßenfundgebung der Wiener Arbeiterschaft fand am Freitag nachmittag statt unter der Parole:" Weg mit der wortbrüchigen Regierung!" und gegen deren Blan, die Arbeitslofenunterstützung wesentlich zu kürzen und zu verschlechtern. Die Arbeiter zogen mit roten Fahnen und Tafeln aus den Bezirken zum Schwarzenbergplatz und von dort über die Ringstraße am Parlament vorbei. Die Zahl der Teilnehmer wird auf 150 000 bis 200 000 geschätzt. Um 16 Uhr fam die Spitze des Zuges am Parlament vorbei, mo, um eine Stauung zu verhindern, jeweils zwei Bezirke nebeneinander
Wilhelm als Liquidationsgeschädigter. Zweierlei Maß.
Auch Wilhelm ber Ehrlose" beruft sich als ,, Liquidationsgeschädigter" auf die Bestimmungen des Versailler Ber trages und die Kriegsschädenverordnungen. Um Entschädigungen zu erlangen, hat er bei dem Reichsentschädigungsamt folgende Schäden geltend gemacht: 1. Inventar des Bojener Schlosses( Friedenswert 544 160 Mt.); 2. Hausfideikommißgüter in der Provinz Bosen; 3. Familienfideikommißgüter in der Provinz Posen ; 4. Billa Falconiere bei Frascati ; 5. Villa Hildebrandt in Arco ( Friedenswert 360 000 mt.); 6. Achilleion auf Korfu ( Friedenswert 2,5 Millionen Mark); 7. Schloß und Inventar Urville in Lothringen ( Friedensmert 1338 000 Mt.); 8. Inwentar der Hohkönigsburg( Friedensmert 205 000 Mark).
Die 319 000 Berdrängungs- und Liquidationsgeschädigten, die seit sieben Jahren einen erbitterten Kampf mit dem Reich um eine angemessene Entschädigung führen, wird es besonders interessieren, daß bei den kaiserlichen, zweifellos viel zu hohen Liquidationsforderungen nahezu keine Abstriche gemacht worden sind. So wurde großzügig der Friedenswert für die Bauten an der Hohkönigsburg und der Kaufpreis für Urville auf 1 404 000 mt. festgesetzt und dementsprechend die Entschädigung gewährt. Diese Entschädigung wurde, obwohl weder eine Liquidation, noch eine Gutschrift zugunsten des Reiches vorliegt, in einer Zeit gewährt, da Tausende anderer Geschädigter in Armut und Elend auf ihre Entschädigungen warten müffen.
" Lokal- Anzeiger"-Leser für Ja:
Sie geben nichts auf ihr Blatt.
Bei der Hausagitation für den Bolksentscheid tamen unsere Barteigenossen natürlich auch oft zu Familien, bei denen der Lokal- Anzeiger" gelesen wird.
Ihre Aufklärungsarbeit stieß dort auf nicht allzu große Schwierigkeiten. Oft und oft wurde ihnen gesagt:„ Natürlich stimmen wir mit Ja! Was in unserer Zeitung steht, darauf geben wir nichts!"
Ja, aber warum halten diese Leute ein Blatt, von dem sie wissen, daß es sie anlügt?
marschieren mußten. Nach einer Stunde waren erst 6 von den 21 Bezirken vorübergezogen und erst um 8 Uhr abends hat die Kundgebung vor dem Parlament ihr Ende erreicht. Die Erregung der Massen kam in stürmischen Rufen: Weg mit der Re gierung Ramef! zum Ausbruch. Die Demonstration verlief würdig und ohne Störungen; sie hinterläßt einen gewaltigen Eindruck. Vor der italienischen Gesandtschaft fam es zu stürmischen Kundgebungen gegen den Faschismus.
Briand gescheitert- Herriot betraut. Das überparteiliche Ministerium endgültig erledigt. Paris , 18. Juni. ( Eigener Drahtbericht.) Briand hat am Freitag nach 48stündigen vergeblichen Bemühungen seine von Anfang an wenig aussichtsreichen Versuche der Kabinettsbildung aufgegeben und den ihm am Mittwoch erteilten Auftrag in die Hände des Präsidenten der Republik zurückgelegt. Doumergue hat daraufhin Herriot, dessen Weigerung, in ein bis zur äußersten Rechten gehendes Koalitionsfabinett einzutreten, den äußeren Anlaß zu Briands Verzicht gegeben hatte, ersucht, die konstituierung der neuen Regierung zu übernehmen. Herriot hat im Prinzip angenommen, den endgültigen Bescheid will er noch von dem Ergebnis feiner fofort aufgenommenen Besprechungen mit den politischen Persönlichkeiten abhängig machen.
Briands mißglüdtes Experiment ist wenigftens nicht ganz umsonst gewesen. Es hat den Beweis für die Absurdität des Gedankens erbracht, ein über den Parteien stehendes Minifterium bilden zu können. Die von Briand ausgegebene Parole, daß vor dem Ernst der Situation und vor der stets drohender werdenden Währungsgefahr alle politischen Gesichtspunkte in den Hintergrund zu treten hätten, war nicht minder paradox wie die Idee, Poin caré und Herriot, den einstigen Präsidenten des Nationalen Blocks und den geiftigen Führer des im Kartell repräsentierten demokratischen Frankreichs vor eine Karre spannen zu wollen.
Frauen fordern Frieden. Marschieren durch ganz England nach London . London , 18. Juni. ( Eigener Drahtbericht.) Eine FrauenFriedensprozession, die sich aus Frauen des ganzen Landes zu sammensetzt und deren Teilnehmerinnen zu Fuß bis aus den entlegendsten Landesteilen kamen und überall für eine friedliche Regelung der Streitigkeiten zwischen den Völkern demonstrierten, ist am Freitag in einem Borort Londons eingetroffen. Am Sonnabend ist Riesen demonstration im Hydepark, wo von 22 Tribünen herah Ansprachen gehalten werden.
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Unrecht, Undank, Mangel an Traditionsgefühl." Bon Margarete Stegmann, M. d. R.
Daß ich... dieses Volksbegehen zunächst als ein yoßes Unrecht, nun aber auch als einen bedauerlichen Mangel an Traditionsgefühl und als groben Undank empfinde..."
Bon Hindenburg an Loebell
Das große Unrecht" und der grobe Undant" gehören mit dem ,, Mangel an Traditionsgefühl" offenbar untrennbar zusammen, so daß das Traditionsgefühl die Erklärung dafür gibt, was Recht und wofür Dant angebracht ist.
Was ist das Traditionsgefühl, das die preußischen Könige und deutschen Kaiser im deutschen Volke gepflanzt haben?
Friedrich der Große , der Hauptaktivposten in der Spetulation der Hohenzollern auf Dankbarkeit und Bewunderung, schärfte in seinem Testament seinem Nachfolger ein, daß die preußischen Soldaten ihre Offiziere mehr fürchten müssen als den Tod, weil nur diese Furcht sie bewegen könne, den Gefahren der Schlacht standzuhalten. ,, Aus Mut wird niemals der Preuße solchen Gefahren entgegengehen, nur die Furcht tann ihn dazu bewegen."
Die Furcht wurde ihnen mit dem Stock, der Knute, mit Spießrutenlaufen eingebläut. Die verdammten Barbaren," flüsterten sich in den Preußendienst gepreßte schweizerische Offiziere in die Ohren, wenn sie totenblaß den beinahe wöchentlichen Erekutionen beiwohnten, bei denen Soldaten auch für fleine Vergehen beim Spießrutenlaufen geschlagen wurden bis ihnen Fezen geronnenen Blutes von den zerhackten Rücken herunterhingen.
anderer Meinung waren als er, auf die Festung. Friedrich der Große schickte Minister und Richter, die
Die Tradition, die er auf diese Weise im Volke schuf, mar Furcht und Unfreiheit.
Ueber das, was er selber bewirkt hatte, beklagte er sich gegen das Ende seines Lebens selber: Ich habe es satt, über ein Volt von Sklaven zu herrschen."
Auch Wilhelm II. , des Feldmarschalls von Hindenburg föniglicher Herr und Kaiser, hat sich mit einem ähnlichen Ausdruck der Verachtung über das Volk beklagt, über das zu regieren ihm ein grausames Geschick auferlegt hatte.
Für dieses Traditionsgefühl von Furcht und Unfreiheit schuldete man Dank für Prügel, körperliche und moralische, in seinem Lichte war Recht, sklavisch zu tun, was der Herr befahl.
Unter Friedrich dem Großen flüchtete jeder Deutsche von Geist fort von Berlin , fort aus der erstickenden Kasernenatmosphäre, fort von einem Hof, wo bloß zur Geltung tommen fonnte, was fremd war, am besten, wenn es aus Frankreich fam.
Welcher Nachfolger dieses größten Hohenzollern hat es besser als der Ahnherr verstanden, deutsche Kultur zu pflegen und zu schüßen? Keiner von ihnen wird in der Kulturgeschichte einen Ehrenplatz einnehmen. Wilhelm, der Dilettant in allen Künsten, ist als Freund und Förderer des Kitsches der wahren Kunst, wahrer Kultur Verhängnis gewesen.
Friedrich der Große hatte ein Verwaltungssystem eingeführt, in dem fein anderer als er sich ausfand. Es brauchte nach seinem Tode Jahre, bis einigermaßen Klarheit hineingebracht werden konnte. Die Einheber von Zöllen, Steuern und Akzisen hatten mit dem König selbst zu verrechnen. Wie es bei dieser Methode möglich war, Privateigentum und Staatseigentum auseinanderzuhalten, kann man fich denken.
Aber zu Recht und Dank des Traditionsgefühls der Furcht und Unfreiheit gehört es selbstverständlich, alles so zu glauben und so anzusehen, wie es dem Herrn beliebt.
Es sei dem Reichspräsidenten der deutschen Republik gefagt und werde ihm durch den Volksentscheid schlagend bewiesen, daß es der Sinn der Revolutionen ist, mit den alten Traditionen zu brechen und an ihre Stelle neue zu setzen.
Die Tradition der deutschen Republik ist die der Furchtlosigkeit und der Freiheit. In ihrem Lichte iſt Recht Boltsrecht. In ihrem Lichte ist großes Unrecht und grober Undant, was die Fürsten verlangen, was den Kriegsinvaliden und den Kriegshinterbliebenen geschieht, und daß das Volk allein die Not der Inflation tragen und die Lasten für den verlorenen Krieg bezahlen soll.
Der Boltsentscheid wird die Tradition der Republik in die Geschichte Deutschlands einzeichnen, ihr Recht und ihren Dant